Sonnet 81Shakespeare Sonnette. Umdichtung von Stefan GeorgeSonnet 129Pariser LebenShakespeare’s SonnetsNeue Freie PresseSonnet 116Maß für MaßOthelloDie Fackel


Sehr geehrter Herr!


Auf Ihre freundliche Zuschrift vom 18. Oktober müssen
wir mit dem besten Dank des Herrn Karl Kraus und mit seinem Be
dauern antworten, daß es Ihnen „in Shakespeare-Dingen“ nun schon
zum dritten Mal widerfährt, „daß Sie auf ein an ihn gerichtetes
Schreiben vom Verlag der Fackel die Antwort erhalten“. Sie haben
ganz recht, darin keine Unfreundlichkeit zu vermuten und anzuneh
men, daß Herr Karl Kraus „für sein Verhalten sicherlich Gründe
habe“. Ein solcher Grund liegt keineswegs in dem Mangel an jener
Fähigkeit, die Sie sich zuschreiben und von der Sie als einer Ge
wohnheit Gebrauch machen: „jedem in die Augen zu schauen“; eher
schon in der Eigenart, es in keinem einzelnen Fall zu wollen, wel
che ihm die Gewohnheit, allen auf einmal, also der ganzen Öffent
lichkeit und Gegenwart in die Augen zu schauen, erleichtert hat.
Wir nehmen an, daß Ihnen diese Eigenart, bei der (auf Shakespearisch) Mangel zum Heil wird, aus der Fackel bekannt ist, als deren
dankbaren Leser Sie sich bekennen und in der ja so häufig das
Genre eines Briefwechsels vertreten ist, bei dem sich der Herausgeber hinter dem Verlag versteckt. Ob diese Methode der Darstel
lung oder Polemik einer anderen Qualität entstammt als jener, der
Sie den Genuß einer Sprachmeisterschaft und von sprachkritischen
Vergleichungen verdanken, die Sie als packend und aufwühlend emp
finden, muß Ihrer eigenen sprachkritischen Vergleichung überlassen
bleiben. Uns bestätigt sich jedenfalls die erfreuliche Erfahrung,
daß der einzelne an einer Gesamtleistung höchstens das als störend
empfindet, was ihn selbst betrifft. Ganz besonders erscheint dies
durch den Verdruß bestätigt, der Ihnen daraus erwächst, daß Herr
Karl Kraus, noch ohne Ahnung, daß Sie als Shakespeare-Übersetzer
inzwischen Fortschritte gemacht haben, die „Gstanzeln“ über Sie
„sogar bis in die letzte Zeit öffentlich vorgetragen“ habe, welche
Sie beharrlich als „Beschimpfungen“ bezeichnen und welche doch
keiner andern Art Satire zugehören als jener, die Ihren Respekt
vor Geist und Sprachmeisterschaft genährt hat; es handelt sich da
wohl um das „Gstanzel“ zu „Pariser Leben“, das, wenn irgendeines,
nicht nur für das Genre, sondern für jegliche Art von Versbau,
auch den von Shakespeare-Nachdichtungen, vorbildlich ist. Aber wie
gesagt, offenbar verhält es sich so, daß die Anerkennung des Wer
kes der Fackel jeweils immer mit Ausschluss der Partie erfolgt, die
den Anerkennenden betrifft. Umso schöner freilich, wenn das „rein
persönliche Gefühl“, welches Sie offenherzig zugestehen, Sie nicht
abhält, sich mit dem Tadler in jener Shakespeare-Verehrung verbun
den zu fühlen, der, wie Sie zu erkennen scheinen, eben der Tadel
entsprungen ist. Und als Shakespeare-Verehrer wollten Sie dem
Shakespeare-Verehrer eine Freude machen. Nichts liegt Herrn KarlKraus ferner, als Ihnen diese Absicht übelzunehmen und nicht im Ge
genteil für sie dankbar zu sein. Aber nichts liegt ihm auch ferner,
als die Möglichkeit, von solchem Gefühl die Untersuchung beeinflus
sen zu lassen, ob es wirklich „nur zu einem geringen Teil Eigenes“
sei, was Sie darboten, und ob die Bescheidenheit berechtigt ist,
mit der Sie den Satz hinschreiben: „es ist ja Shakespeare, den ich
Ihnen schickte!“ Immerhin wäre ja möglich, daß man für die Absicht,
einem Shakespeare zu schicken, dankbar bleibt, aber eine Ausführung
übel nimmt, die erkennen läßt, daß es doch mehr Eigenes vom Über
setzer war. Darauf wollen wir noch zu sprechen kommen.


Völlig unverständlich ist Herrn Karl Kraus, warum Sie
sich die Mühe nehmen, ihm klarzulegen, Sie hätten ihn nicht zu
einer Revision seines Tadels Ihrer „Maß für Maß“-Übersetzung „oder
gar zu einer öffentlichen Widerrufung“ veranlassen wollen, und daß
es „unsinnig wäre“, Ihre Übersetzung „nachträglich bloß deshalb für
gut zu halten“, weil Sie inzwischen als Übersetzer Fortschritte ge
macht hätten. Wie konnten Sie aber auch einen solchen Unsinn aus
unserer Antwort herauslesen? Wir haben sehr wohl verstanden, daß
„nicht das Urteil über die eine Verdeutschung“ umgestürzt werden
sollte, sondern das „über Ihre Übersetzerfähigkeiten überhaupt“.
Gerade darauf hat sich völlig logisch unsere Antwort bezogen; unter
„Revision oder Zurückziehung des Urteils“ war selbstverständlich
die des Urteils über den Übersetzer, nicht die des Urteils über die
Übersetzung gemeint. Die andere Deutung ist so absurd, daß es doch
wohl nicht des Aufwandes jener Analogie mit dem „Maler“ bedurft
hat, auf dessen späteres Werk man nicht „unrevidiert“ den Tadel des
Jugendwerkes übertragen dürfe. Das ist so einleuchtend, daß Sie
auch den Fall des Malers mit dem des Übersetzers illustrieren
könnten. Es handelt sich eben um „Revision“, die sich auf die
Fähigkeit beziehen soll und die durch ein neues Werk ermöglicht
wird, und wir haben nichts anderes gemeint, als daß eine solche Re
vision nur öffentlich, aus eigenem Antrieb und fern der Anregung
des Revidierten erfolgen könnte, wenn ihre Grundlage erkannt,
nämlich die Verwandlung des Saulus in den Paulus vollzogen wäre. Es
ist durchaus erfreulich, daß Sie die kühne Metapher nunmehr darauf
einschränken, daß Sie ihr eigener Paulus geworden und „als Shakespeare-Übersetzer den Weg nach Damaskus gegangen“ seien. Daß Sie
heute Ihren „Maß für Maß“-Text „verurteilen“, daß Sie ihn „keiner
Bühne überlassen oder gar zum Druck liefern würden“, macht Ihnen
Ehre und ist geeignet, ein günstiges Vorurteil für die erstrebte
Revision herzustellen; wir wollen nicht untersuchen, warum Sie nach
Abstreifung der Schlacken die Empfindlichkeit bewahrt haben,
es übelzunehmen, wenn ein anderer, der schon vorher Ihre
freundliche Ansicht gehabt hat, ihr auf seine Art und eben als
Shakespeare-Verehrer in einem Zeitpunkt Ausdruck gab, wo ihm die
Erkenntnis Ihrer Fortschritte noch nicht zuteil wurde. Wenngleich
Sie heute in so anerkennenswerter Weise Ihren „Maß für Maß“-Text
verleugnen, so sollten Sie doch nicht vergessen, daß Sie vor zwei
Jahren den Wortlaut einer seiner bedenklichsten Stellen in der
Neuen Freien Presse reklamiert haben, und der Freimut, mit dem Sie
jetzt von der „von Ihnen selbst geteilten ‚Maß für Maß‘-Beurteilung“
sprechen, hätte doch wohl auch dem Beurteiler zu gestatten, daß er
seine Meinung teilt.


Wie immer nun solche Menschlichkeiten in geistigem Gebiet
zu betrachten wären, klar und begreiflich ist Ihr Wunsch nach Revi
sion des Urteils. Diese hätte, an der Hand Ihrer Sonette-Verdeut
schungen, öffentlich, aber in einer Sie vielleicht doch nicht ganz
befriedigenden Weise erfolgen müssen. Es ist Ihnen, wie Sie schrei
ben, bekannt, daß die Fackel keine fremden Arbeiten aufnimmt. So
muß es Ihnen verständlich sein, daß von Ihrer Arbeit, die ge
wiß zu einer sprachkritischen Vergleichung anregen konnte und tat
sächlich zu einer Befassung mit der Groteske der George-Übersetzung angeregt hat, ein publizistischer Gebrauch nur im Zusammen
hang Ihrer Initiative und im Rahmen der mit ihr verknüpften
Äußerungen gemacht werden könnte. Wenn die Revision schon nicht
fern der Anregung des Revidierten erfolgte, so müßte doch eben diese
veranschaulicht sein. Wir danken Ihnen für Ihre Genehmigung des
Abdruckes der Sonette 81, 116 und 129, können von ihr aber keinen
Gebrauch machen, da Sie nunmehr Ihre Briefe als „privat gemeint“
erklären. Die urheberrechtliche Frage, ob Briefe innerhalb einer
wissenschaftlichen Betrachtung, die von ihrem Anlaß ausgeht, ver
öffentlicht werden dürften, wollen wir offen lassen. Jedenfalls
steht der Publikation Ihre Weigerung entgegen. Wir machen Ihnen
aber kein Hehl daraus, daß unsere Antworten von solchem Hindernis
unberührt bleiben, da Herr Karl Kraus in einer geistigen und öf
fentlichen Angelegenheit, wie sie die Übersetzung von Shakespeare-
Sonetten ohne Zweifel vorstellt, die Institution von Privatbriefen
jedenfalls solchen, die er selbst schreibt, nicht anerkennt. Er
betrachtet es durchaus als öffentliche Angelegenheit, daß sich ihm
der getadelte oder wie Sie glauben beschimpfte Übersetzer von „Maßfür Maß“ mit dem offenbaren Verlangen nach Revision genähert hat,
mag auch der Wunsch, ihm privat eine Freude zu bereiten, privaten
Dank verdienen. Es wäre ihm selbstverständlich niemals eingefallen
auf eine Sendung von Shakespeare-Übersetzungen mit einem Privat
brief zu reagieren. Da schon dem Zuzug von Ansprüchen öffentlicher Art
durch eine Umschlagnotiz gewehrt werden muß, läßt ihm seine
Arbeit wahrlich keinen Raum zu privaten Äußerungen, und wenn ihn
welche Einsendung immer, deren Stoff nicht privater Natur ist, zu
einer Befassung anregt – und solches könnte ja der Ihrigen nicht
mehr abgesprochen werden –, so erklärt er sich auf nachträglichen
Wunsch des Einsenders keineswegs bereit, den Prozeß der Eindrucks
bildung und welche Produktion immer, die sich an den Anlaß
knüpft und die eben häufig die Form eines Briefes annimmt, unge
schehen zu machen und als eine persönliche Angelegenheit des An
regers zu verwahren. (Es versteht sich also von selbst, daß eine
solche auf Wunsch höchstens Ihre eigenen Zuschriften wären,
daß aber irgendein geistiges Diktat irgendeinmal die Antworten in
den Rang einer öffentlichen Angelegenheit zu erheben vermöchte.) In
dem Zusammenhang einer Veröffentlichung jener drei Sonette besteht
eine solche Möglichkeit darum nicht, weil deren Abdruck ohne die
anschauliche Begründung durch Ihre Zuschriften nicht vorgenommen
werden kann. Wir möchten Ihnen auch aber bekennen, daß ein solcher sich
in der weiteren Befassung mit den Georgeschen Übersetzungen als
überflüssig herausgestellt hat (ganz wie der Einblick in die von
Ihnen freundlichst angebotenen Exemplare von Gelbcke und Simrock,
deren Wert im Vergleich mit Bodenstedt und anderen Herrn Kraus be
kannten Übersetzern keine besonderen Überraschungen bieten dürfte,
wenn anders man nicht Lust hätte, der Verlockung zu erliegen, an
jedes unzulängliche Gedicht eine sprachkritische Betrachtung zu
wenden). Es handelt sich im gegebenen Falle nur noch und aus
schließlich um Herrn George, dessen Leistung ungleich wichtiger
ist als alle konventionellen Mittelmäßigkeiten.


Was nun Ihre eigenen Versuche anlangt, so bleibt nichts
übrig, als nun einmal, da die Veröffentlichung der drei Sonette
aus triftigen Gründen unterbleiben muß, Ihrem begreiflichen Wunsche
nach Gerechtigkeit doch brieflich zu willfahren. Herr Karl Kraus
möchte Ihnen zugeben, daß sowohl der Schluß Ihres Schreibens wie
insbesondere der beigelegte Essay die Erfassung des Problems tat
sächlich auf einer höheren Stufe zeigt, als es Ihre „Maß für Maß
Probe vermuten ließ. Aber gerade um dieses Verständnisses willen
und wegen Ihrer Erkenntnis, daß bei den Sonetten die Aufgabe vor
allem darin bestehen müsse, „ein Gedicht zu schaffen und nicht ein
mühselig dahinkriechendes Produkt eines anglistischen Seminars“,
möchte er Ihnen dringend den Rat erteilen, die Übersetzung der
Sonette, falls Sie sie nicht schon beendet haben, ja wenn auch nur
ein einziges noch unübersetzt wäre, aufzugeben. Er fühlt sich zu
diesem Rat vermöge der gemeinsamen Shakespeare-Verehrung, an die
Sie appelliert haben, verpflichtet. Sie haben, wie er Ihnen gern
zubilligt, kein armselig dahinkriechendes Produkt eines anglisti
schen Seminars hervorgebracht, aber noch weit weniger ein Gedicht.
Ihre Übersetzungen sind ohne Zweifel äußerlich sauberer als manche
der ihm bekannten, aber Gedichte sind sie noch weniger als die von
Bodenstedt. Zu den drei Sonetten soll hier nur ganz beiläufig ge
sagt werden, was zu sagen ihr Abdruck erfordert hätte:


In 81 ist das Pathos der Verewigung auf die Klarstellung
des Unterschieds zwischen den Liebespartnern reduziert. „Das Grab
im Aug der Welt“ ist die völlige Aufhebung des Vorzustellenden.
„Augen, die sich spät erst öffnen werden“ ist etwas ganz anderes als
das Gemeinte. In 116 – mit der sämtlichen Versuchen gemeinsamen
Nüchternheit – ist die vergleichende Anschauung des Leuchtturms
(2. Strophe) in pure Argumentation verwandelt und das Bild zum Orna
ment geworden. „ewig fest und fern“ klingt und reimt nur; die Ferne
hat aber mit der Vorstellung der Zuverlässigkeit nichts zu tun. Der
„Ehebund“ (1. Strophe), der eine der Übersetzungsmöglichkeiten be
deutet, ist gerade die dem Gedanken ungemäße. „Hindern“ ist (wie
bei Bodenstedt) kein dem „Bund“ gemäßer Begriff. In den Anfangsver
sen („Liebe ist nicht Liebe, die sich verwandelt, wenn sie Wandel
findet, und blieb’ sie auch allein, nicht trotzdem bliebe“), worin
der Gedanke sonst glücklicher als bei Bodenstedt in dessen Reim ge
führt erscheint – da Ihr absolutes „bliebe“ stärker ist –, sind
zwei relative Beziehungen – negativer Inhalt in positiver Aussage
(Indikativ präsentis) und positiver Inhalt in negativer Aussage
(Konjunktiv imperfecti) durch das gemeinsame „die“ und das koordi
nierende „und“ auf Linie gebracht, deren Bruch spürbar wird.
In der 3. Strophe ist „bis zum Grab und Staub“ eine journalistische
Bindung. (Einfach zu ändern: „bis zu“.) In der letzten Zeile kann
„Mensch“ nicht in die Verssenkung kommen. 129: „Lust beim Werk“ ist
bedenklich. „Wild“ verträgt die Senkung nicht. Das „ausgelegte“
Gift ist ein Nebengedanke im Original; in der Übersetzung ist das
Ausgelegtsein kausal gesetzt, als ob Gift, das gegessen wird, nur
dann toll machte, wenn es ausgelegt wurde, und dies, nachdem schon
vom Genuß die Rede gewesen ist. In der dritten Strophe werden die
Stadien des Vorher und Nachher rein argumentierend durch Gedanken
striche, wie durch Gesten in einem Plaidoyer, dargestellt. „Nachher
ein Traum“ ist völlig unmöglich. „Traum“ ist eine positive Vorstel
lung, die die Klimax der aufgezählten Schrecknisse allzu wohltuend
abschließt; gemeint ist aber vom Traum das Nicht-mehr-Vorhandensein.
„Das alles weiß man, nur nicht, wie man flieht“ macht die Darstel
lung so plausibel, als ob es sich um eine Sittenpredigt handelte,
an deren Inhalt der Sünder, der sie hält, nicht den geringsten
Anteil hat.
Herr Karl Kraus könnte Ihnen zu jedem Ihrer Sonette
ähnliche Einwände vorbringen: alle bedeuten eine (im Vergleich
mit den Monstrositäten des Herrn George und den Plattheiten der
andern) korrekte Ernüchterung des Erlebnisinhaltes, durchaus Ihrer
eigenen Einsicht widersprechend und vor allem dem Bemühen um
sprachliche Erkenntnisse, das Ihrem Essay zugebilligt werden muß,
so verfehlt auch hier manchmal die Praxis des Beispiels sein mag,
das Sie der Erkenntnis auf dem Fuße folgen lassen. Ihre Ansicht,
die in die Lücke nach Versfragmenten (4) Shakespeares Regieanwei
sung für Gebärden hineinlegt, erscheint Herrn Kraus als eine nicht
uninteressante, aber falsche Deutung. Wenn eine Übersilbe (1), von
der wir nicht wissen können, ob sie wirklich im Original vorkam,
einer Luftpause für „zorniges Atemholen“ zustatten kommen soll, so
wäre zu sagen, daß bei Shakespeare hunderttausend Verse, die regel
mäßig sind, Raum für Mimisches enthalten. Es ist pure Fleißaufgabe
die Unregelmäßigkeit als Intention (gleich in der 1. Zeile des
Othello“!) mitzuübersetzen. In Beispiel 2) kommt Ihre ganz rich
tige Intention, Ihre ganz richtige Auffassung bei Baudessin und so
gar bei Gundolf weit eher zum Ausdruck als in Ihrer eigenen Über
setzung, in der keine Spur von „Schmollen“ vorhanden ist, sondern
im Gegenteil der Hasser als solcher förmlich zur Verantwortung ge
zogen wird, besonders durch das Präsens „Du sagst mir“, das doch
nicht der enttäuscht Schmollende, sondern ein aufbegehrend Debattie
render spricht. Sie „glauben, durch Tonfall und Rhythmus den inneren
Gehalt, wie er sich bei Shakespeare ergibt“, wiedergegeben zu ha
ben: das Gegenteil wird spürbar hörbar . 3) würde allerdings, wenn es mit
der englischen Umgebung ganz und gar stimmt, eine gedanklich recht
interessante Auffassung und Verbesserung darstellen. Ob in 5) der
kindliche Ton der Desdemona bei Baudissin durch das dreimalige i
nicht zur Genüge herauskommt und ob Ihre ja gewiß charakterisieren
de Häufung der „7 u-Laute“ nicht karikaturhaft wirkt, bleibt dahin
gestellt.


Es würde zu weit führen, Ihr anerkennenswertes Wollen
und schon durch das eine Beispiel dargetane Verständnis mit Ihrer
Auffassung von der Sprache als solcher zu konfrontieren, die Sie,
in geistig nicht ganz bewältigter Bildlichkeit, ein Gewand, fast
schon die nackte Haut, ein Instrument, ein Vehikel etc. nennen.
Aber ganz gewiß darf man das, was Sie richtig meinen und redlich
anstreben, nicht mit Ihrer dichterischen Praxis konfrontieren,
wenigstens nicht soweit sie in Ihren Sonetten zu Anschauung und
Anhörung gelangt. Wenn Sie die Musikalität Shakespeares hervorhe
ben und darum Ihrer eigenen Musikalität die Befähigung zutrauen,
ihn zu übersetzen, während „wer nicht Musik hat in sich selbst“ es
nicht tun sollte, so ist nur erstaunlich, daß, wer sie in sich
selbst hat, sie so wenig zur Geltung zu bringen vermag und es den
noch versucht. Wenn Sie Shakespeare „nicht nur inhaltlich übertra
gen“ wollen, sondern „darüber hinaus versuchen, sich bemühen, da
rum ringen, von der unvergleichlichen, ungeheuren rein sprachli
chen Ausdruckskraft Shakespeares wenigstens einen Teil ins Deut
sche herüberzuretten“ und „dies der Grund und die Absicht Ihres
Übersetzens“ ist, so ist diese Absicht, dieser Drang ohne Zweifel
aller Ehren wert. Aber gerade der musikalischen Ausdruckskraft,
die doch vor allem aus den Sonetten herüberzuretten wäre, sind Sie
alles schuldig geblieben, und haben Ihrer eigenen, vielleicht zu
späten Einsicht, daß der Nachdichter ein Gedicht zu schaffen habe
ganz und gar entgegengehandelt. Ihre Absicht, Herrn Karl Kraus
eine Freude zu machen, indem Sie ihm nur zu einem geringen Teil
Eigenes darbieten wollten, verdient seinen Dank; aber was Sie ihm
geschickt haben, ist nicht Shakespeare.


Dies muß Ihnen als die mit Recht begehrte Revision eines
Urteils auf diesem Wege gesagt werden, nicht ohne die gerechte
Feststellung, daß Ihre Versuche nebst der in manchem theoreti
schen Punkt bekundeten Einsicht Sie tatsächlich auf einem höheren
Niveau der Shakespeare-Übersetzung zeigen als bei „Maß für Maß“,
und daß diese Versuche bei aller Unzulänglichkeit im Dichterischen
dem Leser vom Inhalt des Originals weniger vorenthalten als manche
der vorhandenen Übersetzungen der Sonette. Diese Feststellung soll
aber auch nicht ohne den Ausdruck der Hoffnung erfolgen, daß Sie,
wenn Sie Ihre Einsicht noch strenger an sich selbst üben und ent
schlossen sind, die Liebe zum Original lieber in der Enthaltung
als in der Bewältigung zu bewähren, einmal ein besseres Anrecht zu
dieser gewinnen werden.


Wir bitten Sie, mit dieser Erklärung und mit dem Dank
für Ihre Absicht und Anregung den Briefwechsel für abgeschlossen
zu halten.


Mit vorzüglicher Hochachtung
VERLAG „DIE FACKEL“