Sehr geehrter Herr!
Auf Ihre freundliche Zuschrift vom 18. Oktober müssen
wir mit dem besten Dank des
Herrn Karl
Kraus und mit seinem Be
dauern antworten, daß es
Ihnen „in Shakespeare-Dingen“ nun schon
zum dritten Mal widerfährt,
„daß Sie auf ein an ihn
gerichtetes
Schreiben
vom Verlag der Fackel die Antwort
erhalten“. Sie haben
ganz recht, darin keine
Unfreundlichkeit zu vermuten und anzuneh
men, daß Herr Karl Kraus
„für sein Verhalten sicherlich
Gründe
habe“.
Ein solcher Grund liegt keineswegs in dem Mangel an jener
Fähigkeit, die Sie sich
zuschreiben und von der Sie als einer Ge
wohnheit Gebrauch machen:
„jedem in die Augen zu
schauen“; eher
schon in der Eigenart, es in keinem einzelnen Fall zu wollen, wel
che ihm die Gewohnheit,
allen auf einmal, also der ganzen Öffent
lichkeit und Gegenwart in
die Augen zu schauen, erleichtert hat.
Wir nehmen an, daß Ihnen
diese Eigenart, bei der (auf Shakespearisch) Mangel zum
Heil wird, aus der Fackel bekannt
ist, als deren
dankbaren
Leser Sie sich bekennen und in der ja so häufig das
Genre eines Briefwechsels
vertreten ist, bei dem sich der Herausgeber hinter dem
Verlag versteckt. Ob diese Methode der
Darstel
lung
oder Polemik einer anderen Qualität entstammt als jener, der
Sie den Genuß einer
Sprachmeisterschaft und von sprachkritischen
Vergleichungen verdanken,
die Sie als packend und aufwühlend emp
finden, muß Ihrer eigenen
sprachkritischen Vergleichung überlassen
bleiben. Uns bestätigt sich
jedenfalls die erfreuliche Erfahrung,
daß der einzelne an einer
Gesamtleistung höchstens das als störend
empfindet, was ihn selbst
betrifft. Ganz besonders erscheint dies
durch den Verdruß bestätigt,
der Ihnen daraus erwächst, daß Herr
Karl Kraus,
noch ohne Ahnung, daß Sie als Shakespeare-Übersetzer
inzwischen Fortschritte
gemacht haben, die „Gstanzeln“ über
Sie
„sogar bis in die letzte Zeit
öffentlich vorgetragen“ habe, welche
Sie beharrlich als „Beschimpfungen“
bezeichnen und welche doch
keiner andern Art Satire
zugehören als jener, die Ihren Respekt
vor Geist und
Sprachmeisterschaft genährt hat; es handelt sich da
wohl um das „Gstanzel“ zu „Pariser Leben“, das, wenn
irgendeines,
nicht nur
für das Genre, sondern für jegliche Art von Versbau,
auch den von Shakespeare-Nachdichtungen, vorbildlich ist. Aber wie
gesagt, offenbar verhält es
sich so, daß die Anerkennung des Wer
kes der Fackel jeweils immer mit Ausschluss der Partie
erfolgt, die
den
Anerkennenden betrifft. Umso schöner freilich, wenn das „rein
persönliche
Gefühl“, welches Sie offenherzig zugestehen, Sie nicht
abhält, sich mit dem Tadler
in jener Shakespeare-Verehrung verbun
den zu fühlen,
der, wie Sie zu erkennen scheinen, eben der Tadel
entsprungen ist. Und als Shakespeare-Verehrer wollten Sie dem
Shakespeare-Verehrer eine Freude machen. Nichts liegt Herrn
KarlKraus ferner, als
Ihnen diese Absicht übelzunehmen und nicht im Ge
genteil für sie dankbar zu
sein. Aber nichts liegt ihm auch ferner,
als die Möglichkeit, von
solchem Gefühl die Untersuchung beeinflus
sen zu lassen, ob es
wirklich „nur zu einem geringen Teil
Eigenes“
sei, was
Sie darboten, und ob die Bescheidenheit berechtigt ist,
mit der Sie den Satz
hinschreiben: „es ist ja Shakespeare, den ich
Ihnen schickte!“
Immerhin wäre ja möglich, daß man für die Absicht,
einem Shakespeare zu schicken, dankbar bleibt, aber eine
Ausführung
übel nimmt,
die erkennen läßt, daß es doch mehr Eigenes vom Über
setzer war. Darauf wollen
wir noch zu sprechen kommen.
Völlig unverständlich ist
Herrn Karl
Kraus, warum Sie
sich die Mühe nehmen, ihm klarzulegen, Sie hätten ihn nicht zu
einer Revision seines Tadels
Ihrer „Maß für Maß“-Übersetzung
„oder
gar zu einer
öffentlichen Widerrufung“ veranlassen wollen, und daß
es „unsinnig wäre“, Ihre
Übersetzung „nachträglich bloß deshalb
für
gut zu
halten“, weil Sie inzwischen als Übersetzer Fortschritte ge
macht hätten. Wie
konnten Sie aber auch einen solchen Unsinn aus
unserer Antwort herauslesen?
Wir haben sehr wohl verstanden, daß
„nicht das Urteil über die
eine Verdeutschung“ umgestürzt werden
sollte, sondern das „über Ihre
Übersetzerfähigkeiten überhaupt“.
Gerade darauf hat sich
völlig logisch unsere Antwort bezogen; unter
„Revision oder Zurückziehung
des Urteils“ war selbstverständlich
die des Urteils über den Übersetzer,
nicht die des Urteils über die
Übersetzung gemeint. Die andere Deutung ist so absurd, daß es doch
wohl nicht des Aufwandes
jener Analogie mit dem „Maler“ bedurft
hat, auf dessen späteres
Werk man nicht „unrevidiert“ den
Tadel des
Jugendwerkes
übertragen dürfe. Das ist so einleuchtend, daß Sie
auch den Fall des Malers mit
dem des Übersetzers illustrieren
könnten. Es handelt sich
eben um „Revision“, die sich
auf die
Fähigkeit beziehen
soll und die durch ein neues Werk ermöglicht
wird, und wir haben nichts
anderes gemeint, als daß eine solche Re
vision nur öffentlich, aus
eigenem Antrieb und fern der Anregung
des Revidierten erfolgen
könnte, wenn ihre Grundlage erkannt,
nämlich die Verwandlung des
Saulus in den Paulus vollzogen wäre. Es
ist durchaus erfreulich, daß
Sie die kühne Metapher nunmehr darauf
einschränken, daß Sie ihr
eigener Paulus geworden und „als Shakespeare-Übersetzer den Weg nach Damaskus gegangen“ seien. Daß Sie
heute Ihren „Maß für Maß“-Text „verurteilen“, daß Sie
ihn „keiner
Bühne überlassen oder
gar zum Druck liefern würden“, macht Ihnen
Ehre und ist geeignet, ein
günstiges Vorurteil für die erstrebte
Revision herzustellen; wir
wollen nicht untersuchen, warum Sie nach
Abstreifung der Schlacken
die Empfindlichkeit bewahrt haben,
es übelzunehmen, wenn ein
anderer, der schon vorher Ihre
freundliche Ansicht gehabt hat, ihr auf seine Art und eben als
Shakespeare-Verehrer in einem Zeitpunkt Ausdruck gab, wo ihm
die
Erkenntnis Ihrer
Fortschritte noch nicht zuteil wurde. Wenngleich
Sie heute in so
anerkennenswerter Weise Ihren „Maß für
Maß“-Text
verleugnen, so sollten Sie doch nicht vergessen, daß Sie vor zwei
Jahren den Wortlaut einer
seiner bedenklichsten Stellen in der
Neuen Freien Presse reklamiert haben, und der Freimut, mit
dem Sie
jetzt von der „von Ihnen selbst geteilten
‚Maß für Maß‘-Beurteilung“
sprechen, hätte
doch wohl auch dem Beurteiler zu gestatten, daß er
seine Meinung teilt.
Wie immer nun solche
Menschlichkeiten in geistigem Gebiet
zu betrachten wären, klar
und begreiflich ist Ihr Wunsch nach Revi
sion des Urteils. Diese
hätte, an der Hand Ihrer Sonette-Verdeut
schungen, öffentlich, aber
in einer Sie vielleicht doch nicht ganz
befriedigenden Weise
erfolgen müssen. Es ist Ihnen, wie Sie schrei
ben, bekannt, daß die Fackel keine fremden Arbeiten
aufnimmt. So
muß es Ihnen verständlich
sein, daß von Ihrer Arbeit, die ge
wiß zu einer
sprachkritischen Vergleichung anregen konnte und tat
sächlich zu einer Befassung
mit der Groteske der George-Übersetzung angeregt hat,
ein publizistischer Gebrauch nur im Zusammen
hang Ihrer Initiative und im
Rahmen der mit ihr verknüpften
Äußerungen gemacht werden könnte. Wenn die Revision schon nicht
fern der Anregung des
Revidierten erfolgte, so müßte doch eben diese
veranschaulicht sein. Wir
danken Ihnen für Ihre Genehmigung des
Abdruckes der Sonette 81, 116 und 129,
können von ihr aber keinen
Gebrauch machen, da Sie nunmehr Ihre Briefe als „privat gemeint“
erklären. Die
urheberrechtliche Frage, ob Briefe innerhalb einer
wissenschaftlichen
Betrachtung, die von ihrem Anlaß ausgeht, ver
öffentlicht werden dürften,
wollen wir offen lassen. Jedenfalls
steht der Publikation Ihre
Weigerung entgegen. Wir machen Ihnen
aber kein Hehl daraus, daß
unsere Antworten von solchem Hindernis
unberührt bleiben, da Herr
Karl Kraus
in einer geistigen und öf
fentlichen Angelegenheit,
wie sie die Übersetzung von Shakespeare-
Sonetten ohne Zweifel vorstellt, die Institution von
Privatbriefen
jedenfalls
solchen, die er selbst schreibt, nicht anerkennt. Er
betrachtet es durchaus als
öffentliche Angelegenheit, daß sich ihm
der getadelte oder wie Sie
glauben beschimpfte Übersetzer von „Maßfür Maß“ mit dem
offenbaren Verlangen nach Revision genähert hat,
mag auch der Wunsch, ihm
privat eine Freude zu bereiten, privaten
Dank verdienen. Es wäre ihm
selbstverständlich niemals eingefallen
auf eine Sendung von Shakespeare-Übersetzungen mit einem Privat
brief zu
reagieren. Da schon dem Zuzug von Ansprüchen öffentlicher Art
durch eine Umschlagnotiz
gewehrt werden muß, läßt ihm seine
Arbeit wahrlich keinen Raum
zu privaten Äußerungen, und wenn ihn
welche Einsendung immer,
deren Stoff nicht privater Natur ist, zu
einer Befassung anregt – und
solches könnte ja der Ihrigen nicht
mehr abgesprochen werden –,
so erklärt er sich auf nachträglichen
Wunsch des Einsenders
keineswegs bereit, den Prozeß der Eindrucks
bildung und welche
Produktion immer, die sich an den Anlaß
knüpft und die eben häufig
die Form eines Briefes annimmt, unge
schehen zu machen und als
eine persönliche Angelegenheit des An
regers zu verwahren. (Es
versteht sich also von selbst, daß eine
solche auf Wunsch
höchstens Ihre eigenen Zuschriften wären,
daß aber irgendein geistiges
Diktat irgendeinmal die Antworten in
den Rang einer öffentlichen
Angelegenheit zu erheben vermöchte.) In
dem Zusammenhang einer
Veröffentlichung jener drei Sonette
besteht
eine solche
Möglichkeit darum nicht, weil deren Abdruck ohne die
anschauliche Begründung
durch Ihre Zuschriften nicht vorgenommen
werden kann. Wir möchten
Ihnen
auch
aber
bekennen, daß ein solcher sich
in der weiteren Befassung
mit den Georgeschen
Übersetzungen als
überflüssig herausgestellt
hat (ganz wie der Einblick in die von
Ihnen freundlichst
angebotenen Exemplare von Gelbcke und Simrock,
deren Wert im Vergleich mit
Bodenstedt und anderen Herrn Kraus be
kannten
Übersetzern keine besonderen Überraschungen bieten dürfte,
wenn anders man nicht Lust
hätte, der Verlockung zu erliegen, an
jedes unzulängliche Gedicht
eine sprachkritische Betrachtung zu
wenden). Es handelt sich im
gegebenen Falle nur noch und aus
schließlich um Herrn George, dessen Leistung ungleich wichtiger
ist als alle konventionellen
Mittelmäßigkeiten.
Was nun Ihre
eigenen Versuche anlangt, so bleibt nichts
übrig, als nun einmal, da
die Veröffentlichung der drei Sonette
aus triftigen Gründen
unterbleiben muß, Ihrem begreiflichen Wunsche
nach Gerechtigkeit doch
brieflich zu willfahren. Herr Karl Kraus
möchte Ihnen zugeben, daß
sowohl der Schluß Ihres Schreibens wie
insbesondere der beigelegte
Essay die Erfassung des Problems tat
sächlich auf einer höheren
Stufe zeigt, als es Ihre „Maß für
Maß“
Probe vermuten ließ. Aber gerade um dieses Verständnisses willen
und wegen Ihrer Erkenntnis,
daß bei den Sonetten die Aufgabe
vor
allem darin bestehen
müsse, „ein Gedicht zu schaffen und
nicht ein
mühselig
dahinkriechendes Produkt eines anglistischen Seminars“,
möchte er Ihnen dringend den
Rat erteilen, die Übersetzung der
Sonette, falls Sie sie nicht schon beendet haben, ja wenn
auch nur
ein einziges noch
unübersetzt wäre, aufzugeben. Er fühlt sich zu
diesem Rat vermöge der
gemeinsamen Shakespeare-Verehrung, an die
Sie appelliert haben,
verpflichtet. Sie haben, wie er Ihnen gern
zubilligt, kein armselig
dahinkriechendes Produkt eines anglisti
schen Seminars
hervorgebracht, aber noch weit weniger ein Gedicht.
Ihre Übersetzungen sind ohne
Zweifel äußerlich sauberer als manche
der ihm bekannten, aber
Gedichte sind sie noch weniger als die von
Bodenstedt. Zu den drei Sonetten soll hier nur ganz beiläufig ge
sagt werden, was
zu sagen ihr Abdruck erfordert hätte:
In 81 ist das Pathos der Verewigung auf die
Klarstellung
des
Unterschieds zwischen den Liebespartnern reduziert. „Das Grab
im Aug der Welt“
ist die völlige Aufhebung des Vorzustellenden.
„Augen, die sich spät erst
öffnen werden“ ist etwas ganz anderes als
das Gemeinte. In 116 – mit der sämtlichen Versuchen
gemeinsamen
Nüchternheit
– ist die vergleichende Anschauung des Leuchtturms
(2. Strophe) in pure
Argumentation verwandelt und das Bild zum Orna
ment geworden. „ewig fest und
fern“ klingt und reimt nur; die Ferne
hat aber mit der
Vorstellung der Zuverlässigkeit nichts zu tun. Der
„Ehebund“ (1.
Strophe), der eine der Übersetzungsmöglichkeiten be
deutet, ist gerade die dem
Gedanken ungemäße. „Hindern“ ist (wie
bei Bodenstedt) kein dem „Bund“ gemäßer
Begriff. In den Anfangsver
sen („Liebe ist nicht Liebe, die
sich verwandelt, wenn sie Wandel
findet, und blieb’ sie
auch allein, nicht trotzdem bliebe“), worin
der Gedanke sonst
glücklicher als bei Bodenstedt in dessen Reim
ge
führt
erscheint – da Ihr absolutes „bliebe“ stärker ist
–, sind
zwei relative
Beziehungen – negativer Inhalt in positiver Aussage
(Indikativ präsentis) und
positiver Inhalt in negativer Aussage
(Konjunktiv imperfecti)
durch das gemeinsame „die“ und das
koordi
nierende „und“ auf Linie
gebracht, deren Bruch spürbar wird.
In der 3. Strophe ist
„bis
zum Grab und Staub“ eine
journalistische
Bindung.
(Einfach zu ändern: „bis zu“.) In der
letzten Zeile kann
„Mensch“ nicht in die Verssenkung kommen. 129: „Lust beim Werk“
ist
bedenklich. „Wild“
verträgt die Senkung nicht. Das „ausgelegte“
Gift ist ein Nebengedanke im
Original; in der Übersetzung ist das
Ausgelegtsein kausal
gesetzt, als ob Gift, das gegessen wird, nur
dann toll machte, wenn es
ausgelegt wurde, und dies, nachdem schon
vom Genuß die Rede gewesen
ist. In der dritten Strophe werden die
Stadien des Vorher und
Nachher rein argumentierend durch Gedanken
striche, wie durch Gesten in
einem Plaidoyer, dargestellt. „Nachher
ein Traum“ ist
völlig unmöglich. „Traum“ ist eine
positive Vorstel
lung, die die Klimax der aufgezählten Schrecknisse allzu wohltuend
abschließt; gemeint ist aber
vom Traum das Nicht-mehr-Vorhandensein.
„Das alles weiß man, nur
nicht, wie man flieht“ macht die Darstel
lung so plausibel, als ob es
sich um eine Sittenpredigt handelte,
an deren Inhalt der Sünder,
der sie hält, nicht den geringsten
Anteil hat.
Herr Karl Kraus
könnte Ihnen zu jedem Ihrer Sonette
ähnliche Einwände
vorbringen: alle bedeuten eine (im Vergleich
mit den Monstrositäten des
Herrn George und den Plattheiten der
andern) korrekte
Ernüchterung des Erlebnisinhaltes, durchaus Ihrer
eigenen Einsicht
widersprechend und vor allem dem Bemühen um
sprachliche Erkenntnisse,
das Ihrem Essay zugebilligt werden muß,
so verfehlt auch hier
manchmal die Praxis des Beispiels sein mag,
das Sie der Erkenntnis auf
dem Fuße folgen lassen. Ihre Ansicht,
die in die Lücke nach
Versfragmenten (4) Shakespeares Regieanwei
sung für Gebärden
hineinlegt, erscheint Herrn Kraus als eine nicht
uninteressante, aber falsche
Deutung. Wenn eine Übersilbe (1), von
der wir nicht wissen können,
ob sie wirklich im Original vorkam,
einer Luftpause für „zorniges
Atemholen“ zustatten kommen soll, so
wäre zu sagen, daß bei Shakespeare hunderttausend Verse, die regel
mäßig sind, Raum
für Mimisches enthalten. Es ist pure Fleißaufgabe
die Unregelmäßigkeit als
Intention (gleich in der 1. Zeile des
„Othello“!) mitzuübersetzen. In Beispiel 2) kommt
Ihre ganz rich
tige Intention, Ihre ganz
richtige Auffassung bei Baudessin und so
gar bei Gundolf weit eher zum Ausdruck als in Ihrer
eigenen Über
setzung, in der keine Spur von „Schmollen“ vorhanden
ist, sondern
im Gegenteil der
Hasser als solcher förmlich zur Verantwortung ge
zogen wird, besonders durch
das Präsens „Du
sagst mir“, das doch
nicht der enttäuscht
Schmollende, sondern ein aufbegehrend Debattie
render spricht.
Sie „glauben,
durch Tonfall und Rhythmus den inneren
Gehalt, wie er sich bei
Shakespeare ergibt“, wiedergegeben zu ha
ben: das Gegenteil wird
spürbar
hörbar
. 3) würde allerdings, wenn es mit
der englischen Umgebung ganz
und gar stimmt, eine gedanklich recht
interessante Auffassung und
Verbesserung darstellen. Ob in 5) der
kindliche Ton der Desdemona
bei Baudissin durch das dreimalige i
nicht zur Genüge herauskommt
und ob Ihre ja gewiß charakterisieren
de Häufung der „7 u-Laute“
nicht karikaturhaft wirkt, bleibt dahin
gestellt.
Es würde zu weit führen, Ihr
anerkennenswertes Wollen
und
schon durch das eine Beispiel dargetane Verständnis mit Ihrer
Auffassung von der Sprache
als solcher zu konfrontieren, die Sie,
in geistig nicht ganz
bewältigter Bildlichkeit, ein Gewand, fast
schon die nackte Haut, ein
Instrument, ein Vehikel etc. nennen.
Aber ganz gewiß darf man
das, was Sie richtig meinen und redlich
anstreben, nicht mit Ihrer
dichterischen Praxis konfrontieren,
wenigstens nicht soweit sie
in Ihren Sonetten zu Anschauung
und
Anhörung gelangt.
Wenn Sie die Musikalität Shakespeares hervorhe
ben und darum
Ihrer eigenen Musikalität die Befähigung zutrauen,
ihn zu übersetzen, während
„wer
nicht Musik hat in sich selbst“ es
nicht tun sollte, so ist nur
erstaunlich, daß, wer sie in sich
selbst hat, sie so wenig zur
Geltung zu bringen vermag und es den
noch versucht. Wenn Sie Shakespeare „nicht nur inhaltlich
übertra
gen“ wollen, sondern „darüber hinaus versuchen,
sich bemühen, da
rum ringen, von der
unvergleichlichen, ungeheuren rein sprachli
chen Ausdruckskraft Shakespeares wenigstens einen Teil ins
Deut
sche
herüberzuretten“ und „dies der Grund und die
Absicht Ihres
Übersetzens“ ist, so ist diese Absicht, dieser Drang ohne Zweifel
aller Ehren wert. Aber
gerade der musikalischen Ausdruckskraft,
die doch vor allem aus den
Sonetten herüberzuretten wäre,
sind Sie
alles schuldig
geblieben, und haben Ihrer eigenen, vielleicht zu
späten Einsicht, daß der
Nachdichter ein Gedicht zu schaffen habe
ganz und gar
entgegengehandelt. Ihre Absicht, Herrn Karl Kraus
eine Freude zu machen, indem
Sie ihm nur zu einem geringen Teil
Eigenes darbieten wollten,
verdient seinen Dank; aber was Sie ihm
geschickt haben, ist nicht
Shakespeare.
Dies muß Ihnen als die mit
Recht begehrte Revision eines
Urteils auf diesem Wege gesagt werden, nicht ohne die gerechte
Feststellung, daß Ihre
Versuche nebst der in manchem theoreti
schen Punkt bekundeten
Einsicht Sie tatsächlich auf einem höheren
Niveau der Shakespeare-Übersetzung zeigen als bei „Maß für Maß“,
und daß diese Versuche bei
aller Unzulänglichkeit im Dichterischen
dem Leser vom Inhalt des
Originals weniger vorenthalten als manche
der vorhandenen
Übersetzungen der Sonette. Diese
Feststellung soll
aber auch
nicht ohne den Ausdruck der Hoffnung erfolgen, daß Sie,
wenn Sie Ihre Einsicht noch
strenger an sich selbst üben und ent
schlossen sind, die Liebe
zum Original lieber in der Enthaltung
als in der Bewältigung zu
bewähren, einmal ein besseres Anrecht zu
dieser gewinnen werden.
Wir bitten Sie, mit dieser
Erklärung und mit dem Dank
für Ihre Absicht und Anregung den Briefwechsel für abgeschlossen
zu halten.
Mit vorzüglicher
Hochachtung
VERLAG „DIE FACKEL“