Shakespeare’s SonnetsDie FackelShakespeares Sonette. Nachdichtung von Karl Kraus


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Sehr geehrter Herr!


Wiewohl die Notiz auf dem Umschlag der Fackel auch gilt,
solange deren nicht erscheint, hat uns Ihre Mitteilung doch
sehr interessiert. Ob dieses Interesse so stark ist, daß es auch den
Herausgeber erfassen könnte und wir zu diesem Zwecke die Weiterleitung
an ihn, die Sie uns mit Recht anheimstellen, vornehmen werden, möchten
wir Ihnen nicht verraten. Ihre Zuschrift erweckt aus mehrfachen Grün
den unser Interesse. Zunächst aus dem Grunde, weil aus ihr hervorgeht,
daß die Brünner Volkshochschule, die eine Vorlesung des Herrn KarlKraus nicht erlangen konnte, aus dieser Lage den einfachen Ausweg ge
funden hat, Sie als einen „Karl Kraus ebenbürtigen Rezitator“ zu em
pfehlen, auf die Gefahr hin, Sie damit unangenehm zu überraschen und
Sie, nachdem Sie sofort, wenngleich vergeblich, weil zu spät, remon
striert haben, durch eine hinhaltende und kalmierende Erwiderung zu
beruhigen. Sie sahen sich daher veranlaßt, wenigstens vor Beginn der
Vorlesung eine kurze Ansprache an meine Damen und Herren zu halten,
in der Sie den Vergleich, der ohne Ihr Mitwissen zustandegekommen war,
bescheiden ablehnten und nur in dem geringfügigen Punkte bestätigten,
daß Sie „die vorher aufgesetzten Worte“ ablasen. Sie haben in dieser
Ansprache, wieder im Gegensatz zu Herrn Karl Kraus, ausdrücklich fest
gestellt, daß es nicht Ihr Ehrgeiz sei, als Rezitator mit irgend je
mand in Konkurrenz zu treten, da Sie nur „als Übersetzer gewertet“
werden wollen, eine Einschränkung, die allerdings wieder manchem
Hörer den Wunsch nahelegen mochte, Ihre Übersetzung Shakespeares von
Karl Kraus vorgetragen zu hören, was doch die ideale Vereinigung wäre,
nachdem er sich bisher mit den Übersetzungen von Schlegel und Baudissin
und bei den Sonetten gar mit seinem eigenen Versuch einer Nachdichtung
beholfen hat. Was nun diese betrifft, so fällt der Vergleich, den Sie
auf ein kontrollierbares Gebiet eingeschränkt haben, während die Be
urteilung rezitatorischer Gaben mehr dem subjektiven Ermessen der
Damen und Herren überlassen bleibt, vorweg insofern zu Ihren Gunsten
aus, als der Nachdichter Shakespeares selbst nach Vollendung seines
Werkes noch nicht Englisch gelernt hat und mithin zur Beurteilung
Ihrer Leistung nur vermöge seiner Kenntnisse im Deutschen kompetent
wäre. Daß Sie ihn seinerzeit, angeregt von seinen Versuchen, als Instanz
für die Beurteilung der Ihren angerufen haben, konnte in einem Zeitpunkt,
wo Sie im Englischen Fortschritte gemacht hatten, nicht mehr in Betracht
kommen, und da Sie sich nur noch dieser bewußt waren, so erschien es be
greiflich, daß von dem Fehlschlagen Ihrer Erwartung nichts zurückgeblie
ben war als ein Stachel, zu dessen Ausdehnung im Buchhandel Herr KarlKraus bis heute nichts unternommen hat, woran Ihr Sporn vom 5. Dez. wenig
ändern wird. Aber so bedauerlich es sein mag, daß die großen Gegenstände
der Zeit dem Herausgeber der Fackel augenblicklich auch die Beschäfti
gung mit den noch wichtigeren kleinen Themen verwehren, so verständlich
wird Ihr ungeduldiges Bemühen, sich, selbst um den Preis einer Ermäßi
gung des Ehrgeizes, unbehindert von erlittenen, ja von zugefügten Krän
kungen, in das Feld seiner Aufmerksamkeit zu begeben und sich nicht nur
jetzt, wo Ersatz ja nottut, als Vorleser zu betätigen, sondern sogar
einen Vergleich mit ihm abzulehnen, der eine unangenehme Überraschung
für Sie war und höchstens eine willkommene Gelegenheit, Ihr Konkurrenz
vermögen auf Shakespeare-Übersetzungen zu begrenzen. Das einzige Beden
ken, das sich gegen Ihre Ansprache erheben könnte, wäre in der Erfahrung
begründet, daß es nicht gut ist, dem Publikum, das seinerseits ja Über
raschungen liebt, eine solche zu nehmen; es wäre gewiß rechtzeitig da
hintergekommen, daß die Ankündigung auf den Plakaten etwas übertrieben
war, während die hervortretende, wenngleich noch so berechtigte Beschei
denheit den Hörer auf das Schlimmste gefaßt macht und die Empfäng
lichkeit beeinträchtigt. Auch die unsrige ist schon ein wenig benommen,
derweil wir Ihren Ehrgeiz, wenngleich auf einem Spezialgebiet, sich so
tüchtig tummeln sehen. Gern, mit allem Dank und ein für allemal möchten
wir zugeben, daß Sie „alles getan haben, was Ihnen möglich war“, das
taten Sie ja schon immer, und Sie tun sogar noch ein Übriges: es uns
mitzuteilen.


Mit vorzüglicher Hochachtung
Verlag „DIE FACKEL“
als Verwalter der Vorlesungen
KARL KRAUS