Ihr vom 7. datiertes Vorhaben,
aber laut Poststempel erst am
16.
Dezember des Vorjahres aufgegebenes Schreiben habe ich zunächst
– schon wegen des Friedens der
Feiertage – ein wenig liegen gelassen.
Das schadet nicht; die Antwort
wird, wenn auch verspätet, immer noch
zurechtkommen.
So oft ich bisher vom Verlag „Die Fackel“ ein Schrei
ben erhielt, war ich der Meinung,
dass hinter dieser bequemen Maske
sich das wohlbekannte Gesicht des Herrn Karl Kraus
persönlich verber
ge.
Dies traf sicherlich auch bei allen Briefen zu, die vom Verlag„Die
Fackel“ gezeichnet waren, also bei allen, die ich bisher er
hielt. Das letzte Schreiben aber, gefertigt von einem „Verlag ‚Die
Fackel‘ als Verwalter der
Vorlesungen Karl
Kraus“, ist nach meiner
unbeirrbaren Überzeugung kein Opus desjenigen, dessen Vorlesungen da
verwaltet werden; es ist das
ärmliche Machwerk eines mehr beflissenen
als berufenen Adepten, eben jenen
Verwalters, höchst wahrscheinlich
sogar einer Verwalterin, die sich in den viel zu weiten Mantel des
Meisters hüllt und mit piegsigem
Organ die Stimme ihres Herrn nachzu
ahmen sich müht. Wie er sich
räuspert und wie er spuckt, seinen Stil
nachzuahmen, der mit seinen
prägnanten, immer sich wiederholenden
Eigenheiten unschwer zu kopieren
ist, seine Schreibart ist ihr, von
Kleinigkeiten abgesehen, noch so ziemlich gelungen; aber der Inhalt.
Ich weigere mich, zu glauben,
dass Herr Kraus,
den je
der – auch der,
der sein Feind war – geachtet hat, sich derart sollte
verändert haben! Er, dessen Geist
von einer Höhe und Weite ist, die
selbst der grimmigste Widersacher erkennen und anerkennen muss, kann
nicht zu einer Art des Denkens
herabgestiegen sein, wie dieser Brief sie
zeigt! Er, der sein Leben lang
Schläge ausgeteilt hat, sollte zimper
lich werden und gekränkt sein wie
eine alte Jungfer, wenn er selbst ein
mal etwelche einstecken soll? Ich
bin überzeugt davon, dass Herr Kraus
kunstgerecht angebrachte
Boxhiebe ebenso gelassen, den Gegner achtend,
hinzunehmen weiss wie er sie Zeit
seines Lebens mit Bedachtheit andern
versetzt. Eine mindere Gesinnung
kann ich ihm nicht zumuten, einem
Angreifer, der zwar immer mit Härte zuschlug, dem es aber gewisslich
– genau so wie mir – nie um die
Person des Angegriffenen, sondern immer
nur um die Sache ging, die er vor
unbefugtem Zugriff zu schützen bemüht
war.
Diese Gesinnung nun ist es, die
Ihr Schreiben, Sie unbe
kannte Verwalterin, völlig
vermissen lässt; ihr Mangel ist mir der un
erträgliche Beweis dafür, dass
sein Inhalt nicht von Herrn Kraus herrührt.
Welche verdrehte, kniffliche
Denkungsart, meinen Brief vom 5.
Dezember,
einen Akt
selbstverständlicher Offenheit und Korrektheit, auf den eine
Erwiderung gänzlich überflüssig
war, so hinzustellen, als hätte ich mit
ihm nur das eine bezweckt, mich
„in das Feld seiner Aufmerksamkeit
zu
begeben“! So zu
tun, als kennte ich kein anderes Sinnen und Trachten
als nur das eine, den Absatz
meiner Broschüre im Buchhandel zu
steigern.
Wie abscheulich,
einem Menschen, der einem persönlich ganz unbekannt
ist, nur schäbige materielle
Motive unterschieben zu wollen! (Freilich
wie verräterisch auch; denn wer
von den andern immer nur schlecht denkt
und spricht, wer immer nur
argwöhnt und misstraut, – als ob es nicht
auch Menschen gäbe, die, was sie
sagen, auch meinen und nichts anderes
meinen als was sie sagen! – wer
hinter jedem Wort, das er hört, nur
Heuchelei und Verstellung
wittert, der zeigt damit, der Arme, schliess
lich sich selbst.)
Die Broschüre, die Sie in Ihrem Brief mit gequälter Dre
hung des Themas ganz unnötig in
die Debatte zerren, habe ich aus eigenem
Entschluss nach kürzester Zeit
aus dem Buchhandel zurückgezogen u.zw.
deshalb, weil sie bei den
massgebenden Personen ihre Aufgabe bereits
erfüllt hatte und weil mir
überdies zu Ohren gekommen war, Herr Kraus
sei krank und die „Fackel“ erscheine nicht mehr. So sehr war
es mir um
den Gelderwerb zu tun!
Gerade bei mir, von dem jeder, der mich kennt,
genau weiss, dass geldliche
Vorteile mich noch niemals von meinem Weg
abbringen konnten, ist die
Verdächtigung materieller Gewinnsucht der
purste Unsinn. Aber Sie
bespötteln ja auch meine rezitatorischen Gaben,
ohne sie zu kennen, ja, Sie
verdächtigen mich geradezu, ich wolle als
Kraus-Ersatz, weil
Ihr Verwaltungsobjekt derzeit nicht vorlese, aus sei
ner jetzigen Situation
schmutzigen Vorteil ziehen; welche Denkungsart,
einem andern eine solche
Erbärmlichkeit zuzumuten! Und welche Witzlosig
keit, von einer „idealen Vereinigung“,
nämlich meiner Übersetzung mit
der Vortragungskunst des Herrn Kraus, zu „scherzen“! Schliesslich
treiben
Sie es in der Sucht
aller Nachahmer, auch der Nachdichter, ihr Vorbild
womöglich zu übertrumpfen, sogar
so weit, Herrn Kraus überkrausen zu wol
len, indem Sie sich eine kleine
Fälschung erlauben: Krampfhaft bemüht
– wie ja überhaupt die
Krampfhaftigkeit Ihres vergeblichen Bemühens,
Geist und Witz aufzutreiben, die
Nachahmung erkennen lässt, da doch der
Krampf der Feind jedes Witzes ist
während Herr Kraus
den Witz immer
noch mühelos aus
dem Wort holt – krampfhaft bemüht, sage ich, sich einen,
dass Gott erbarm’! witzigen
Abschluss zu verschaffen, zitieren Sie mich
falsch, indem Sie unter
Anführungszeichen als meine Behauptung wieder
holen, ich hätte alles getan, was
mir möglich war, während ich doch ge
schrieben hatte: „Ich glaube, damit alles getan zu
haben, was mir in die
ser Hinsicht möglich war –
–“. Zu solchen Mittelchen der Fälschung und
Verdrehung hätte Herr Kraus niemals
gegriffen, das hat er nicht nötig;
an solchen Kniffen und Übergriffen erkennt man eben die Nachläuferin,
die sich übereifrig, aber
ungeschickt wie jener Zauberlehrling an’s Werk
macht, wenn der Herr aus dem Haus
ist.
Schluss damit! Meinem grossen
Gegner stehe
ich immer, ab
wehrend
oder angreifend, zur Verfügung, aber nur ihm persönlich, nicht
seinen Handlangern und
Verwaltern, die sich zu Vormündern aufspielen.
Ich bin überzeugt, dass Sie sich
hüten werden, diesen Brief
Herrn Kraus zu zeigen;
andrerseits dürfen Sie überzeugt sein, dass ich
Zuschriften der Verwaltung der
Vorlesungen des Herrn Kraus nicht mehr be
achten werde. Ich werde sie,
sollten noch Briefe kommen, vielleicht ein
mal veröffentlichen, beantworten
werde ich sie aber nicht.
Hochachtungsvoll
Dr. Flatter