Karl Kraus als Nachdichter ShakespearesDie Fackel


Ihr vom 7. datiertes Vorhaben, aber laut Poststempel erst am
16. Dezember des Vorjahres aufgegebenes Schreiben habe ich zunächst
– schon wegen des Friedens der Feiertage – ein wenig liegen gelassen.
Das schadet nicht; die Antwort wird, wenn auch verspätet, immer noch
zurechtkommen.


So oft ich bisher vom Verlag „Die Fackel“ ein Schrei
ben erhielt, war ich der Meinung, dass hinter dieser bequemen Maske
sich das wohlbekannte Gesicht des Herrn Karl Kraus persönlich verber
ge. Dies traf sicherlich auch bei allen Briefen zu, die vom Verlag„Die Fackel“ gezeichnet waren, also bei allen, die ich bisher er
hielt. Das letzte Schreiben aber, gefertigt von einem „Verlag ‚Die
Fackel‘ als Verwalter der Vorlesungen Karl Kraus“, ist nach meiner
unbeirrbaren Überzeugung kein Opus desjenigen, dessen Vorlesungen da
verwaltet werden; es ist das ärmliche Machwerk eines mehr beflissenen
als berufenen Adepten, eben jenen Verwalters, höchst wahrscheinlich
sogar einer Verwalterin, die sich in den viel zu weiten Mantel des
Meisters hüllt und mit piegsigem Organ die Stimme ihres Herrn nachzu
ahmen sich müht. Wie er sich räuspert und wie er spuckt, seinen Stil
nachzuahmen, der mit seinen prägnanten, immer sich wiederholenden
Eigenheiten unschwer zu kopieren ist, seine Schreibart ist ihr, von
Kleinigkeiten abgesehen, noch so ziemlich gelungen; aber der Inhalt.


Ich weigere mich, zu glauben, dass Herr Kraus, den je
der – auch der, der sein Feind war – geachtet hat, sich derart sollte
verändert haben! Er, dessen Geist von einer Höhe und Weite ist, die
selbst der grimmigste Widersacher erkennen und anerkennen muss, kann
nicht zu einer Art des Denkens herabgestiegen sein, wie dieser Brief sie
zeigt! Er, der sein Leben lang Schläge ausgeteilt hat, sollte zimper
lich werden und gekränkt sein wie eine alte Jungfer, wenn er selbst ein
mal etwelche einstecken soll? Ich bin überzeugt davon, dass Herr Kraus
kunstgerecht angebrachte Boxhiebe ebenso gelassen, den Gegner achtend,
hinzunehmen weiss wie er sie Zeit seines Lebens mit Bedachtheit andern
versetzt. Eine mindere Gesinnung kann ich ihm nicht zumuten, einem
Angreifer, der zwar immer mit Härte zuschlug, dem es aber gewisslich
– genau so wie mir – nie um die Person des Angegriffenen, sondern immer
nur um die Sache ging, die er vor unbefugtem Zugriff zu schützen bemüht
war.


Diese Gesinnung nun ist es, die Ihr Schreiben, Sie unbe
kannte Verwalterin, völlig vermissen lässt; ihr Mangel ist mir der un
erträgliche Beweis dafür, dass sein Inhalt nicht von Herrn Kraus herrührt.
Welche verdrehte, kniffliche Denkungsart, meinen Brief vom 5. Dezember,
einen Akt selbstverständlicher Offenheit und Korrektheit, auf den eine
Erwiderung gänzlich überflüssig war, so hinzustellen, als hätte ich mit
ihm nur das eine bezweckt, mich „in das Feld seiner Aufmerksamkeit zu
begeben“! So zu tun, als kennte ich kein anderes Sinnen und Trachten
als nur das eine, den Absatz meiner Broschüre im Buchhandel zu steigern.
Wie abscheulich, einem Menschen, der einem persönlich ganz unbekannt
ist, nur schäbige materielle Motive unterschieben zu wollen! (Freilich
wie verräterisch auch; denn wer von den andern immer nur schlecht denkt
und spricht, wer immer nur argwöhnt und misstraut, – als ob es nicht
auch Menschen gäbe, die, was sie sagen, auch meinen und nichts anderes
meinen als was sie sagen! – wer hinter jedem Wort, das er hört, nur
Heuchelei und Verstellung wittert, der zeigt damit, der Arme, schliess
lich sich selbst.)


Die Broschüre, die Sie in Ihrem Brief mit gequälter Dre
hung des Themas ganz unnötig in die Debatte zerren, habe ich aus eigenem
Entschluss nach kürzester Zeit aus dem Buchhandel zurückgezogen u.zw.
deshalb, weil sie bei den massgebenden Personen ihre Aufgabe bereits
erfüllt hatte und weil mir überdies zu Ohren gekommen war, Herr Kraus
sei krank und die „Fackel“ erscheine nicht mehr. So sehr war es mir um
den Gelderwerb zu tun! Gerade bei mir, von dem jeder, der mich kennt,
genau weiss, dass geldliche Vorteile mich noch niemals von meinem Weg
abbringen konnten, ist die Verdächtigung materieller Gewinnsucht der
purste Unsinn. Aber Sie bespötteln ja auch meine rezitatorischen Gaben,
ohne sie zu kennen, ja, Sie verdächtigen mich geradezu, ich wolle als
Kraus-Ersatz, weil Ihr Verwaltungsobjekt derzeit nicht vorlese, aus sei
ner jetzigen Situation schmutzigen Vorteil ziehen; welche Denkungsart,
einem andern eine solche Erbärmlichkeit zuzumuten! Und welche Witzlosig
keit, von einer „idealen Vereinigung“, nämlich meiner Übersetzung mit
der Vortragungskunst des Herrn Kraus, zu „scherzen“! Schliesslich treiben
Sie es in der Sucht aller Nachahmer, auch der Nachdichter, ihr Vorbild
womöglich zu übertrumpfen, sogar so weit, Herrn Kraus überkrausen zu wol
len, indem Sie sich eine kleine Fälschung erlauben: Krampfhaft bemüht
– wie ja überhaupt die Krampfhaftigkeit Ihres vergeblichen Bemühens,
Geist und Witz aufzutreiben, die Nachahmung erkennen lässt, da doch der
Krampf der Feind jedes Witzes ist während Herr Kraus den Witz immer
noch mühelos aus dem Wort holt – krampfhaft bemüht, sage ich, sich einen,
dass Gott erbarm’! witzigen Abschluss zu verschaffen, zitieren Sie mich
falsch, indem Sie unter Anführungszeichen als meine Behauptung wieder
holen, ich hätte alles getan, was mir möglich war, während ich doch ge
schrieben hatte: „Ich glaube, damit alles getan zu haben, was mir in die
ser Hinsicht möglich war – –“. Zu solchen Mittelchen der Fälschung und
Verdrehung hätte Herr Kraus niemals gegriffen, das hat er nicht nötig;
an solchen Kniffen und Übergriffen erkennt man eben die Nachläuferin,
die sich übereifrig, aber ungeschickt wie jener Zauberlehrling an’s Werk
macht, wenn der Herr aus dem Haus ist.


Schluss damit! Meinem grossen Gegner stehe ich immer, ab
wehrend oder angreifend, zur Verfügung, aber nur ihm persönlich, nicht
seinen Handlangern und Verwaltern, die sich zu Vormündern aufspielen.


Ich bin überzeugt, dass Sie sich hüten werden, diesen Brief
Herrn Kraus zu zeigen; andrerseits dürfen Sie überzeugt sein, dass ich
Zuschriften der Verwaltung der Vorlesungen des Herrn Kraus nicht mehr be
achten werde. Ich werde sie, sollten noch Briefe kommen, vielleicht ein
mal veröffentlichen, beantworten werde ich sie aber nicht.


Hochachtungsvoll
Dr. Flatter