Ehe ich zum positiven Teil
in
meiner Antwort auf Ihre Zuschrift v. 2. dJ.
übergehe, muß ich manches
aus Ihrem
Briefe berichtigen, das offensichtlich auf
mangelhafter Eruierung der
bestehenden
Tatsachen
beruht.
Es ist nicht wahr, daß ich bei der
mündlichen Vorsprache
behauptet habe,
den –
gegenwärtig in Ihrer Haft befindlichen –, „ersten
Brief“
nunmehr auf anderen Wegen HerrnKraus zukommen
lassen zu wollen. Wahr
ist
vielmehr – um auch dem Preß[¿¿]stil gerecht
zu werden – daß mein Mann es nicht
als zur Sache gehörig und
als seiner
Person zu viel
vergebend betrachtet hat,
irgend jemandem, zumal feindlich,
zumindest aber gleichgültig
gegenüber
stehenden von der weiteren Verfügung
über den mir eigentümlich zugehörigen
Brief
Rechenschaft abzulegen. Mein
Mann hat auf den Ausdruck der gän
gelnden Besorgnis seitens
der betreffenden
Beamtin hin: „Ich
befürchte, daß
Sie es doch
noch versuchen werden, Herrn Kraus
den Brief zukommen zu
lassen“ aus
drücklich betont: „Ich sage weder ‚ja‘
noch ‚nein‘. Das ist
lediglich meine Sache,
was mit dem Brief weiter zu geschehen
hat, den zurückzugeben
Sie bei der Entgegennahme
versprochen haben, im
Falle er sich
zur
Übergabe als nicht geeignet erweisen
sollte.“
Ob Ihre zweite zu
berichtigende Behaup
tung ebenso auf einer
falschen Informa
tion Ihrer Person beruht, oder gar auf einem
eigenen Übersehungsirrtum –
gleichviel;
sie ist
beidenfalls irrig. Lesen Sie bitte
die „auf jedem Heft der Fackel
befindliche
ausdrückliche Hinweisung“ aufmerksam
durch, und Sie werden
finden, daß
mein erster Brief zu gar keiner
der dort angeführten Artikel
paßt.
Er ist weder
„Drucksache, noch
Ausschnitt,
noch eine
Einladung“; keine „Theater-,
Vortrags- und
Konzertkarte“; er ist
weder das Rezensionsexemplar
eines Ein
senders,
noch ein „ Tausch-, Probe- und
Rezensionsexemplar der
Fackel“. Sondern
E
e
r istvielmehr eine Zuschrift. Aber keine
von denen, „die das Abonnement oder
die Expedition
betreffen“, sondern eine
an Herrn Karl Kraus – an ihn und
nicht an den Verlag –, betreffend das
intimste privatissimum des
Zuschrei
bers,
welcher eine Bitte angehängt ist.
Also meinetwegen eine
Bittschrift. Aber
beileibe
kein Manuskript, zu dem sie
die gestrenge Cerbera des Herrn
Kraus
machen will und deren
Meinung Sie,
Herr Dr., sich angeschlossen zu haben
scheinen.
In der zitierten Notiz
nämlich,
die in jedem
Heft „der Fackel“ auf der
Einbanddecke erscheint, ist
wohl von
„einer in keinem Falle
erfolgenden
Nichtprüfung von Manuskripten“ die
Rede, mit nichten aber von
einer Nicht
prüfung von Bittschriften. Und ich
hoffe, Herr Dr., daß Sie, als der Rechts
anwalt des immer und
allerwege
das Recht verfechtenden Menschen –
kat’ exochen, eines Karl Kraus,
einen freilich – in
Ermangelung leider
einer
Schreibmaschine! – mit der
Hand geschriebenen Brief nicht
zu
etwas stempeln werden,
was man
gemeiniglich unter
dem in der nicht
lateinischen Ära bestimmten und
festumrissenen „Manuskript“ versteht.
Das Eine derartige
Auslegung geschähe auf keinen Fall im Sinne
von Karl Kraus, Ihres Auftraggebers. –
Und nun, da ich Ihre und
meine
Zeit schonen will,
nur noch einige Worte
zur
eigentlichen Antwort:
Als Rechtsanwalt sollten Sie den
in Ihr Fach
einschlägigen, altehrwürdigen Volksspruch
kennen und auch – vox populi
vox dei –
beherzigen: „Eines
Mannes Rede ist keines
Mannes
Rede; man muß sie hören beede!“
– und doch
gebrauchen
wagen
Sie ohne weiters
die
strikte Behauptung, „das Fräulein imVerlag habe vollständig auftraggemäß
gehandelt, als sie den
Brief weder HerrnKraus übergab
noch zurückstellte“. Wie
weit das rein formell
zutrifft, habe ich
Ihnen oben
bewiesen. Was jedoch die
wesentliche Seite einer Antragsbefolgung
belangt, so muß ich Ihnen
versichern,
u.z. nicht
dem Advokaten, sondern
dem
urteilenden Manne schlechtweg,
daß Auftreten und Behandlungsweise
des Verlagsfräuleins mich hinlänglich
davon überzeugt haben, wes
Geistes
und Gemütes Kind
sie ist und wiefern
imstande,
Zuschriften zu prüfen und
zu
zensurieren, die andere Dinge betref
fen halten, als
etwa Abonnement und
Expedition. Sie werden hoffentlich nach alledem
und dem aufmerksamen
Durchlesen
des ominösen
Briefes – wovon ich Sie,[??]
ob ich auch möchte, nicht abhalten
kann, da Sie nach Ihren
eigenen Wor
ten
seinen Besitz angetreten haben –
doch begreifen, daß ich in
einer An für mich existenzbedeutenden
gelegenheit
Sache es mir nicht einfallen
lassen
werde, zwischen
mir und Herrn Kraus
eine kalte, tote Mauer zu
dulden, noch
auch diese Mauer
mit dem Einrennen
meines
Schädels beehren.
Und hier meine definitive
Erklärung:
Ich werde ohne Ansehen jedweder
Person mit der Ausnahme des
allein
zuständigen Herrn
Karl Kraus und
in
Ansehen von Gesetz, Anstand
und
der Hochschätzung für
die Person des
oben Genannten
– im Gegen
teil
satz
zu Ihrer
Forderung – allerlei
Versuche machen,
Herrn Kraus von der Existenz und
dem Wortlaute des an ihn
gerichteten
Briefes in Kenntnis zu setzen. Kein
Stumpf- und Eigensinn von
welcher
Seite immer und
einzig die persönliche
Weigerung des eigentlichen
Empfängers,
die ich als solche erkennen werde,
kann und wird mich davon
ab
halten. –
Hiermit fällt die Mög
lichkeit einer Erklärung, zu
der Sie
mich bewegen wollen,
von selbst weg,
umsomehr, als
das corpus delicti
mein
Eigentum ist (letzteres erhellt
für jeden Vorurteilslosen
zur Genüge
aus dem
[??] bisher gesagten), das
ich zurückfordere und um
dessen Zurück
sendung an meine als des Eigentümers
Adresse ich Sie hiermit
höfl. ersuche.
Hochachtungsvoll
Grete David