Eine skandalöse Erstaufführung in München. Die Verhöhnung des Soldatentodes durch den Juden Karl KrausFränkischer Kurier NürnbergTraumstück


Sehr geehrter Herr Kollege!


Herr Dramaturg Fischer vom Münchener Schauspielhaus
hat mir heute die Unterlagen in der Angelegenheit des
Herrn Karl Kraus vorgelegt und mir Ihren Brief vom
13. März 1928 an Herrn Fischer, sowie den Entwurf einerBerichtigung nach § 11 des Preßgesetzes an den VölkischenBeobachter gezeigt. Ich gestatte mir hiezu folgendes
zu bemerken:


1.) Der Artikel „Eine skandalöse Erstaufführungin München“, – „Die Verhöhnung des Soldatentodes durch denJuden Karl Kraus“, – „Wir fordern Verbot der Aufführungim Schauspielhaus“, enthält zweifellos eine ganze Reihe
von offensichtlichen Beleidigungen. Karl Kraus wird in diesem
Artikel als Wiener Judenliterat bezeichnet. Es wird frechste
Verhöhnung aller gefallenen Frontkämpfer behauptet; unter
unwahren Angaben über die Vorgänge auf der Bühne wird von
schmutzigen Zoten gesprochen, es wird behauptet, daß die
heiligsten Erinnerungen in gemeinster und brutalster Weise
in den Kot gezogen werden, das Traumstück wird als einzige
fortgesetzte Verhöhnung des frontsoldatischen Geistes,
als schamlose Bewitzelung, als gemeine Besudelung bezeichnet.
Es wird von einer tuberkulosen Krankenschwester erzählt,
die im Stück nicht vorkommt und behauptet, daß eine Hure
im Stück mit Etappenschweinen und einbeinigen Soldaten
tanze. Auch das ist frei erfunden. Das ganze Stück
wird als eine einzige Gemeinheit, eine einzige Zote,
ein einziger Beweis der neudeutschen „Geistigkeit“
bezeichnet.


Nach § 193 StGB. ist eine Beleidigung, deren
Vorliegen ja von niemand bestritten werden kann, dann
nicht strafbar, wenn es sich um tadelnde Urteile über
künstlerische Leistungen oder um Äusserungen zur Wahrnehmung
berechtigter eigener Interessen oder ähnliche Fälle handelt.
Daß der Völkische Beobachter keine eigenen, oder ihm nahe
stehenden Interessen bei diesem Artikel wahrnimmt,
liegt auf der Hand. Es könnte sich also nur darum handeln,
ob ein tadelndes Urteil über eine künstlerische Leistung
vorgeschützt werden kann. Die Häufung der grob beleidigenden
Ausdrücke, die Behauptung von frei erfundenen Vorgängen
und vor allem die Unterstellung einer gemeinen Gesinnung
unter absichtlicher und bewusster Verkennung der ethischen
Tendenz des Stückes gehen aber auch bei wohlwollendster
Beurteilung des Artikels durch einen Richter über den erlaubten
Rahmen weit hinaus. Nach der Praxis der obersten Gerichte
ist insbesondere die Häufung von beleidigenden oder
abfälligen Ausdrücken ein Beweis dafür, daß nicht eine
literarische Kritik oder eine Wahrnehmung berechtigter
Interessen, sondern eine Beleidigung beabsichtigt ist.
Trifft dies aber zu, so findet § 193 StGB. keine
Anwendung. Ohne die Schwierigkeiten, die sich bei
Verfolgung derartiger Beleidigungen durch bayerische
Gerichte in vielen Fällen ergeben haben, hier im Geringsten
zu verkennen, glauben wir daher zur Einreichung einer
Beleidigungsklage gegen den Völkischen Beobachter
raten zu sollen. Man kann mit derartigen Organen, die sich
bewusst ausserhalb des Rahmens der journalistischen
Gepflogenheiten halten, nicht diskutieren, sondern man
kann nur durch eine Beleidigungsklage die gerichtliche
Sühne erzwingen. Würde das Gericht eine Beleidigungsklage
mit irgend einer juristischen Begründung ablehnen, so wäre
das gewiss in den Augen derjenigen Kreise, auf deren Urteil
es ankommt, nicht eine Niederlage des Herrn Kraus, sondern
eine geistige Niederlage des Gerichts.


2.) Nach sorgfältiger Prüfung raten wir
dagegen von einer Berichtigung nach § 11 des Preßgesetzes
ab. Es würde zwar Herrn Kraus vermutlich nicht stören, wenn
seine Berichtigung, wie mit Sicherheit zu erwarten ist,
mit dem bei diesem Blatte selbstverständlichen Kommentar
neuer Beschimpfungen versehen würde. Es ist aber, wenn
eine Beleidigungsklage gestellt werden kann, weder nötig
noch üblich, vorher mit einer preßgesetzlichen Berichtigung
zu arbeiten. Der Nachweis der verleumderischen Behauptung
würde sich ja im Beleidigungsprozess von selbst ergeben.
Man nimmt ein derartiges Blatt u.E. zu ernst, wenn man
ihm überhaupt eine Berichtigung aufnötigt. Diese Erwägungen
sind Zweckmässigkeitserwägungen, deren Entscheidung
letzten Endes ja Herrn Kraus allein zusteht. Die rein
juristische Frage, ob die entworfene Berichtigung nach § 11des Preßgesetzes juristisch in Ordnung geht, ist
zu bejahen. Ich bitte in diesem Falle lediglich noch zu
erwägen, ob der erste Teil der Berichtigung durchgreifend
ist, da es sachlich vom Standpunkt der Gegenpartei
aus wohl keinen grossen Unterschied machen würde, ob
eine Person selbst vorkommt oder ob deren angebliches
Schicksal von deren Schwester berichtet wird. Es ist zu
erwarten, daß die Gegenpartei behaupten wird, man hätte
lediglich 2 Sätze berichtigen können, gäbe damit also
die Richtigkeit der übrigen Behauptungen zu.


3.) Von einer Klage gegen das Präsidium derVereinigten vaterländischen Verbände auf Grund der in einer
Reihe reaktionärer Zeitungen veröffentlichten Einsendungen
raten wir nach sorgfältiger Prüfung ab. Es würde dem
Gericht bedeutend leichter fallen eine derartige Klage
abzuweisen, da es sich hier nur um einen einzigen Halbsatz
handelt, nämlich um die unwahre Behauptung, daß in dem
Stück der tote Frontsoldat in gemeinster Weise verhöhnt wird.
Diese Behauptung ist zweifellos beleidigend. Es ist aber
zu berücksichtigen, daß das Gericht nach unseren langjährigen
Erfahrungen voraussichtlich in diesem Falle der beklagten
Partei die Wahrnehmung berechtigter Interessen zubilligen
würde, da die Vaterländischen Verbände eine ganze Reihe
von Frontkämpfer-Vereinigungen umfassen. Es würde in
diesem Fall der Nachweis, daß aus der Form die Absicht der
Beleidigung hervorgeht, nicht zu erbringen sein. Wir geben
diesen Rat auf Grund zahlreicher uns bekannter Entscheidungen
des zuständigen Gerichts und des Bayer. Obersten Landesgerichts.
Würde die Klage in diesem Falle abgewiesen werden, so würde
eine Kritik dieser Entscheidung weit weniger wirksam sein,
als wenn die Klage gegen eine derartige Häufung beschimpfender
Ausdrücke abgewiesen wird, wie sie der Völkische Beobachter
enthält.


4.) Von einer Strafanzeige wegen Nötigung ist
abzuraten. Diese Strafanzeige würde bestimmt mit Einstellung
erledigt werden, denn nach § 240 StGB. liegt eine Nötigung
nur vor, wenn jemand zu einer Handlung, Duldung oder
Unterlassung durch Bedrohung mit einem Verbrechen oder
Vergehen genötigt wird. In dem Artikel des Völkischen Beobachters ist die Frage enthalten: „oder müssen andere
Mittel und Wege gesucht werden, um die Fortsetzung dieses
Skandals zu verhindern?“. Es wäre sehr leicht möglich,
daß die Staatsanwaltschaft dem Angeklagten glauben würde,
daß er sich über Mittel und Wege ja noch gar nicht im
Klaren gewesen sei und keinesfalls ein Verbrechen oder Vergehen
habe androhen wollen, sondern z.B. nur einen öffentlichen
Protest ausserhalb des Schauspielhauses beabsichtigt habe.
Derartige billige Handhaben sollte man einem Gegner wie dem
Völkischen Beobachter nicht geben.


5.) Herr Fischer zeigte mir einen ihm heute
zugegangenen Ausschnitt aus dem Fränkischen Kurier Nürnberg,
der auch in München erscheint, also auch in München verklagt
werden kann. Dieser Ausschnitt, den Herr Fischer Ihnen
durch mich beilegen lässt und zurückerbittet, ist selbstver
ständlich formalbeleidigend. Schon der Ausdruck Literätchen
ist in der Form beleidigend, ebenso der mehr als zweideutige
Hinweis auf die syphilitische Verseuchung von Vertretern
des Literaturbolschewismus.


Hochachtungsvoll
ergebener Kollege
Hirschberg
Rechtsanwalt.


1 Anl.


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