P.R. Av 33/28
Betreff:
Kraus Karl,
Schriftsteller, Wien
gegen
Weiß Wilhelm, Schriftleiter, München
wegen Beleidigung.
Abschrift.
Beschluß.
Weiß Wilhelm, geboren am
31. März 1892 zu Stadtsteinach,
lediger Schriftleiter in München
ist hinreichend verdächtig,
den Privatkläger in 2
Fällen öffentlich beleidigt zu
haben.
Anfangs März 1928 führte die
„Junge Bühne“ der „MünchnerKammerspiele“ das von dem Privatkläger verfaßte, im Verlag „DieFackel“
erschienene „Traumstück“ auf.
Der Inhalt dieses Traumstücks wird seinem vollen Umfang
nach
hierher bezogen.
In Nr. 53 und 62 der
Zeitung „Völkischer Beobachter“ vom 3. und
14. März 1928 ist je ein Artikel
enthalten, der sich mit der Auf
führung des Stückes und dem Inhalt des Stückes beschäftigt.
Der erste Artikel trägt die
Überschrift: „Neue Verhöhnung derdeutschen Frontsoldaten auf
der Bühne. Eine skandalöse Erstaufführung in München. Die Verhöhnung des Soldatentodes
durch den Juden Karl Kraus – Wir
fordern Verbot der Aufführung im Schauspielhaus“, der zweite Artikel
die Überschrift: „Das ‚Traumstück‘ unddie Frontsoldaten. Eine
Auseinandersetzung mit der ‚Jungen
Bühne‘“.
Die Artikel
werden ihrem vollen Inhalt nach hierher bezogen.
In den Artikeln finden sich u.a.
die Wendungen: „Wiener
Juden
literat,
Fackelkraus, geschwollener Pazifismus und zotiger Zynis
mus eines Wiener
Judenliteraten, typisch jüdische Phraseologie,
beschnittene Problematik des
‚frontkämpferfreundlichen‘ Kraus.“
Die Artikel sind ein tadelndes
Urteil über die schriftstelleri
schen Leistungen des Privatklägers. Aus der Form, aus der Häufung
der verletzenden Wendungen, geht
das Vorhandensein einer Beleidigung
hervor.
Der Beschuldigte ist der verantwortliche Schriftleiter der Zei
tungen.
Diese Handlungen erfüllen den
Tatbestand zweier im sachlichen Zu
sammenhang stehender Vergehen der
Beleidigung nach §§ 185, 200
RStGB.
§ 20 Abs.
2 Reichspreßgesetz.
Strafantrag ist frist- und
formgerecht gestellt (§ 61 StGB). Den
Vorschriften der §§ 379–382 StPO. ist genügt.
Zur Aburteilung ist das Amtsgericht München, Abt. Strafgericht,
zuständig (§§ 24, 25 Abs. 1 Nr. 2a GVG.
§§ 7, 8 StPO).
Auf Grund der von Karl Kraus
erhobenen Privatklage wird
die Er
öffnung des
Hauptverfahrens beschlossen und zur Hauptverhandlung die
öffentliche Sitzung des Amtsgerichts vom
Montag, den
14. Mai 1928 Vormittags 9 Uhr Saal 6/II
bestimmt.
Beweismittel: a) das Werk „Traumstück“,
b) Nr. 53 u. 62/28 der Zeitung „Völkischer Beobachter“.
München, den 3. Mai 1928.
Amtsgericht München, Abt. Strafgericht.
Amtsgerichtsdirektor:
gez. Frank.
Bauer