Sehr geehrter Herr Kollege!
In Sachen Karl Kraus gegen
Völkischer Beobachter
(Wilhelm Weiss) habe ich bereits mit Brief vom5. Mai 1928 berichtet, daß das Hauptverfahren eröffnet
ist und daß Termin auf
Montag, den
14. Mai 1928 vorm. 9 Uhr
vor dem Amtsgericht München, Strafgericht, Mariahilfplatz 17a
Saal 6/II anberaumt worden ist.
Nachträglich hat der
Beklagte abschriftlich anliegenden Schriftsatz eingereicht.
Das Hauptverfahren war jedoch schon eröffnet. An der
Rechtslage wird durch diese
verworrenen Ausführungen
nichts
geändert. Das Gericht hat dem Beklagten im Eröffnungs
beschluß an sich den § 193 zugebilligt, jedoch wegen
der Form der Äusserung das
Vorhandensein einer Beleidigung
bejaht. Davon wird das Gericht auch auf Grund
dieser
Ausführungen nicht
abgehen. Es wäre mir aber erwünscht,
rechtzeitig vor dem Termin eine
Erwiderung des Herrn
Kraus auf diese Ausführungen zu
erhalten, damit ich
seinen
Standpunkt in der Verhandlung authentisch interpretieren
kann. Ich werde mich im übrigen
in der Verhandlung möglichst
auf
das Juristische beschränken, da eine Debatte mit
dem Beklagten, wie auch dieser Schriftsatz zeigt, vollkommen
zwecklos ist. Wenn ein
Nationalist und Militarist von
„unerträglicher
pazifistischer Hetzpropaganda“ spricht,
hat es doch wirklich keinen Sinn,
sich mit ihm sachlich
auseinanderzusetzen. Ich bitte aber dafür zu sorgen, daß
ich diese Erklärung eilbrieflich
bestimmt bis zum Termin
erhalte.
Im übrigen darf ich auf meinen Brief vom 5.V.28
Bezug nehmen.
Mit vorzügl. koll.
Hochachtung
Dr. Hirschberg
Rechtsanwalt.