Sehr geehrter Herr Kollege!
In Sachen Karl Kraus gegen
Völkischen Beobachter
hat sich im letzten Augenblick
ein Anwalt bestellt, der
mit der Begründung beruflicher
Abwesenheit und mangelnder
Information die Verlegung des Termins beantragt hat.
Das Gericht hat mich verständigt, daß der Termin abgesetzt
worden ist. Angefragt wurde ich
vorher nicht. Das Gericht
hat aber wohl nach früheren Erfahrungen mit ähnlichen
Beklagten,
die dann im Termin
mit allen möglichen Beweisanträgen und
Übergabe von nicht geprüftem
Material die Sache sabotieren
und
dadurch doch eine Aussetzung erzwingen, die Absetzung
des Termins bewilligt. Neuer
Termin ist noch nicht bestimmt.
Ihre Briefe vom 9. und 10. Mai 1928 bestätige ich
ergebenst. Die Ausführungen Ihres
Briefes vom 9. Mai 1928
in der Kostenfrage veranlassen
mich, von meinem Honorar
vorschlag abzusehen und die Sache
für die gesetzlichen Gebühren
zu
führen. In Deutschland ist zwar in Beleidigungssachen
dieser Art die Vereinbarung von
Honoraren allgemein üblich
und
das von mir vorgeschlagene Honorar sogar sehr niedrig.
Da Sie aber mitteilen, daß Herr Kraus dadurch
verhindert
würde, seinen Kampf
überhaupt mit juristischen Waffen
weiterzuführen, möchte ich hiezu keinesfalls Anlass
geben. Selbstverständlich ist es
mir um die Unterstützung
seiner
pazifistischen Einstellung zu tun und die Kostenfrage
ist daneben unerheblich. Ich kann
allerdings nach der
deutschen
Gebührenordnung im Falle eines Vergleichs dann
von der Gegenpartei auch nur die gesetzlichen Gebühren
verlangen. Die Erstattung eines
vereinbarten Honorars
kann im
Falle des Vergleichs von der Gegenpartei nur
gefordert werden, wenn eben eine
bindende Honorarvereinbarung
vorliegt. Den Eröffnungsbeschluß lege ich
wieder bei, da
ich Duplikat
besitze. Sobald neuer Termin anberaumt wird,
werde ich wieder berichten. In
der Frage eines etwaigen
Vergleichs werde ich nach Ihrem geehrten Schreiben vom9. Mai 1928 verfahren.
Mit vorzüglicher koll.
Hochachtung
Dr. Hirschberg
Rechtsanwalt.
1 Anl.