Z. 674 Pst. 51
An die
Polizeidirektion
Press-BureauWien.
Max Blatt.
Wien VI., Linke Wienzeile Nr.
134/14,
durch:
1 fach
1 Vollmacht
erhebt
Berufung gegen das Straferkenntnis vom 11./VIII.1928.
Mit Straferkenntnis der PolizeidirektionWien, Press-Bureau vom
11./VIII 1928 Z. 674 Pst. 51 wurde ich
wegen angeblich unbefugter
Verbreitung eines Druckwerkes nach
§ 9/1 Pr.G. gemäss § 13 Pr.G. zu einer Geldstrafe von S 5.–
im Falle der Uneinbringlichkeit
zu einer Arreststrafe in der
Dauer von 12 Stunden verurteilt. Gleichzeitig wurden die be
schlagnahmten
Druckwerke für verfallen erklärt. Gegen dieses
Straferkenntnis erhebe ich durch meinen mit beiliegender Voll
macht ausgewiesenen Anwalt
fristgerecht nachfolgende
Berufung.
Das Straferkenntnis wird
wegen mangelhaften
Verfahrens
und Gesetzwidrigkeit angefochten.
Die Mangelhaftigkeit des
Verfahrens erblicke
ich darin,
dass die Begründung nicht dem Gesetze entspricht, aus
ihr nicht zu ersehen ist, worin
die strafbare Handlung erblickt
wird. Die Begründung hätte genau zu enthalten, warum in der Ver
breitung des
beschlagnahmten Druckwerkes eine
Uebertretung des
§ 9/1 Pr.G. liegt, ob die Behörde der
Ansicht ist, dass nicht
jedermann
zur Kolportage berechtigt erscheint und eine besondere
Befugnis verlangt wird, was aus
dem Worte unbefugt zu schliessen
wäre, oder ob sie das verbreitete Druckwerk als nicht zur Kolportage
geeignet ansieht.
Ich kann mich also nur mit
einer Vermutung
auseinandersetzen, dass die Polizeidirektion die zweite Ansicht
im Auge hat, wobei ich
jedoch nicht die Möglichkeit ausschliessen
kann, dass etwa andere
Gründe, die mir nicht bekannt sind, das
Fehlerkenntnis verursachten.
Die Ansicht, dass die gegenständliche
Broschüre – es handelt sich
um die Sonderausgabe Nr. 1 der
‚Fackel‘ –
nicht dem
Begriff der Zeitung im Sinne des Press-Gesetzes entspricht,
ist vollständig unrichtig.
Nach § 2 dieses Gesetzes versteht man
unter Zeitung ein Druckwerk
mit einem nicht vorweg begrenzten In
halt, das unter
demselben Namen und in fortlaufenden Nummern, wenn
auch in unregelmäßigen
Zeitabständen erscheint und dessen Einzel-
nummern, wenn auch jede ein
in sich abgeschlossenes Ganzes bildet,
durch ihren Inhalt in einem
Zusammenhang stehen. Die ‚Fackel‘
ist
eine seit 30 Jahren
bestehende Zeitschrift und es steht ihr na
türlich auch frei
Sonderausgaben zu veranstalten, etwa wie die
Tageszeitungen aus
besonderen Anlässen Extraausgaben herausgeben
und die Arbeiter-Zeitung in den Tagen des 15. Juli
1927 die so
genannten „Mitteilungen“ herausgab. Die Sonderausgabe trug die
Nr. 1 und es ist seitdem auch eine zweite Nummer der Sonderausgabe
erschienen. Der Zusammenhang
der Sonderausgabe mit dem in der
Hauptausgabe der ‚Fackel‘ geführten Kampf des
Herausgebers KarlKraus gegen die Polizeidirektion ist sofort ersichtlich.
Die
Arbeiter-Zeitung vom 8. August 1928 hat ihrer
Rechtsansicht zu
diesem Fall
in folgenden Worten Ausdruck gegeben:
„… die
Sonderausgabe einer Zeitschrift ist die Zuschrift
(Zeitung) selbst, kann
also, auf der Strasse so vertrieben werden,
wie eine Zeitschrift
vertrieben wird. Da überdies die ‚Fackel‘
kein
regelmässiges, an ein Datum geknüpftes Erscheinen hat, so
geht die Sonderausgabe
eben in ihr Erscheinen ein; dass die ‚Fackel‘
sonst mit einem roten
Umschlag erscheint, diese Sonderausgabe
der ‚Fackel‘ mit einem weissen Umschlag erschien, ist
natürlich nebensächlich
und geht die Sicherheitsbehörde, die auf
den roten Umschlag kein
Anrecht hat, nichts an. Da es sich also
um den Vertrieb einer
Zeitung handelt, ist der § 9 des Pressgesetzes nicht verletzt; die Beschlagnahme ist ebenso
unzulässig,
wie es
eine Bestrafung der Kolporteure und Verfallserklärung
wäre.“
Die Verurteilung erfolgte
sohin vollständig
zu Unrecht
und ich beantrage daher, das Straferkenntnis derPolizeidirektion sowohl wegen mangelhafter Begründung, als auch
wegen Gesetzwidrigkeit
aufzuheben, mich freizusprechen und die
Verfallserklärung zu
widerrufen.