18. Juli 1931
Auf den Schriftsatz vom 26. Juni wird geantwortet: Dem Ver
langen des Angeklagten, daß
der Privatkläger
vorerst erkläre, „er
habe sich jene Behauptung Hardens nicht zu
eigen gemacht“, erscheint
nach den eigenen Worten des Angeklagten
entsprochen, mit denen er
ausdrückt, es sei „nicht zu begreifen,
wie der Privatkläger
sich
darauf versteifen kann, daß er sich die Harden’sche
Äußerung nicht
zu eigen
gemacht habe, und im nächsten Augenblick auszuführen ver
mag, daß ein
Interesse der Öffentlichkeit daran bestehe, nachzu
prüfen, ob die
Theaterkritik dem Wunsch und Willen verborgener
Machtfaktoren
gehorche“. Darauf kann nur geantwortet werden, daß
nicht zu begreifen ist, wie
hierin ein Widerspruch erblickt werden
kann. Daß der Privatkläger sich die Äußerung
Hardens nicht
zu eigen
gemacht habe, ist in
jenem Vortrag und wiederholt zum Ausdruck ge
bracht worden, und er
hat sie sich ganz gewiß nicht zu eigen ge
macht, wenn sie als
die Behauptung eines formellen Dienstvertrags
zwischen Herrn Kerr und dem Angeklagten interpretiert wird,
der
unter einer bestimmten
Bedingung abgeschlossen worden sei. Es liegt
nach der Meinung des Privatklägers von
allem Anfang an eine Ver
schiebung des Sachverhalts vor, wenn Harden selbst die Behauptung
des Absurdums unterstellt wird,
in jenem „Dienstvertrag“ sei die
Klausel aufgenommen worden, Herr Kerr müsse die
Unternehmungen des
Herrn Reinhardt günstig beurteilen. Der Privatkläger hat die Äuße
rung Hardens zitiert und als
gravierend angesehen, daß ihr nicht
entgegengetreten wurde, wiewohl
sie an so sichtbarer Stelle wie
der „Prager Presse“ zitiert war. Zu
eigen gemacht hat er sich gar
nichts. Die Behauptung einer vertragsmäßigen Bindung, die doch das
Schulbeispiel eines
leoninischen
unsittlichen
Vertrags ergeben hätte, sich zu
eigen zu machen, wäre grotesk
gewesen. Was der Privatkläger ganz
unabhängig von der Äußerung Hardens als seine Ansicht
vertritt,
ist, daß schon der
bloße Übergang des Herrn Kerr aus dem Dienst
verhältnis bei der
Firma Scherl in das Dienstverhältnis bei der
Firma Mosse, die Herrn Reinhardt
wesentlich günstiger gegenüber
steht, eine kritische Sinnesänderung in mehr oder minder beschleu
nigter Art in sich
schließt. Diese Sinnesänderung ist, wie an einer
flagranten Fülle von Dokumenten
nachgewiesen werden kann (und wie
bis zum leiblichen Erscheinen des ehedem ausgewiesenen Kritikers
auf der Bühne des Herrn Reinhardt notorisch), tatsächlich erfolgt.
Der Angeklagte mag mit Fug behaupten,
daß die Version, jene Sinnes
änderung sei vertraglich festgelegt worden,
eine Unwahrheit, gewiß
eine
Übertreibung
sei
wäre
. Zur Verbreitung einer solchen hat aber der
Privatkläger nicht beigetragen.
Er hat sich, was immer Harden be
hauptet haben mag, nicht zu eigen gemacht, sondern nur die Nicht
beantwortung durch das
Berliner
Tageblatt beanstandet und er be
hauptet ganz
unabhängig davon, daß eine kritische Sinnesänderung
des Herrn Kerr erfolgt ist. Was er hier für Korruption hält, ist
der bloße, formell natürlich an
keine „Bedingung“ geknüpfte Ent
schluß des Herrn Kerr, Reinhardtkritiker eines Blattes zu werden,
das dem Herrn Reinhardt mit Begeisterung entgegenkommt, nachdem er
durch Jahre bei Scherl vernichtende Urteils über ihn gefällt
hatte.
Diese Meinung kann
selbstverständlich nicht zurückgezogen werden,
sie ist nicht so sehr für den
Angeklagten als für Herrn Kerr be
leidigend und
erfordert eine sachliche Beweisführung. Soweit aber die
Ehre des
Angeklagten an der Behauptung beteiligt ist, es sei mit
Herrn Kerr ein auf Reinhardtbegünstigung abzielender Vertrag ge
schlossen worden, so
wurde und wird, ganz seiner Intention entspre
chend, erklärt, daß
der Privatkläger
eine solche Behauptung „sich
nicht habe zu eigen machen
wollen und sie nicht aufstellen könne“.
Eine Erklärung, daß Herr Kerr sein Urteil nicht geändert habe, ver
mag der Privatkläger nicht
abzugeben. Es ist nicht zu begreifen,
wie immer wieder der Versuch
unternommen werden kann, in dieser
logisch und moralisch durchaus zu rechtfertigenden Vereinigung
zweier Sachverhalte einen
Widerspruch oder eine Unaufrichtigkeit
zu erblicken. Es liegt hier eine
tonfallsmäßige Verschiebung vor,
indem die eine Behauptung, die nie aufgestellt wurde, fälschlich
konkretisiert wird und dadurch
die andere, die aufrechterhalten
werden muß, zu einem Gerede gestempelt wird. Durch diese Feststel
lung erscheint dem
Interesse des Angeklagten hinreichend Rechnung
getragen. Das ungleich
wesentlichere Interesse der Öffentlichkeit
an einer Darstellung des Falles Kerr bleibt davon
unberührt. Schon
der Umstand, daß
Herr Kerr gegen den tatsächlich erhobenen Vorwurf
niemals gerichtliche Schritte
unternommen hat, bringt den Sachver
halt zu eindeutigem
Ausdruck. Es wäre völlig unmöglich, eine Er
klärung, die der Sache
des Angeklagten
gerecht wird, so zu halten,
daß
mit ihr die Ehre des Herrn Kerr, der keinen
gerichtlichen Schutz
für sie in
Anspruch genommen hat, wiederhergestellt würde. Der
sichtbaren Tendenz, durch eine
Erledigung des Prozesses Wolff auch
eine tatsachenwidrige Bereinigung
des Falles Kerr herbeizuführen,
muß nachdrücklich
entgegengetreten werden. Es handelt sich um keinen
Privatstreit, sondern um eine
öffentliche Angelegenheit von größter
kultureller Bedeutung, deren
Hintergrund eben der Fall Kerr ist.
Der Privatkläger verweist auf die im
Schriftsatz vom … enthalte
ne Erklärung, die er,
der Anregung des Gerichtes entsprechend, abge
geben hat und über
deren Maß hinaus zu gehen einen Widerspruch gegen
allen vorliegenden und
beweisbaren Sachverhalt, der Herrn Kerr be
trifft, bedeuten
würde.