Sehr geehrter Herr Doktor!


Ich erhielt Ihren Brief vom 20. November und erlaube mir
Ihnen folgendes zu sagen


Ich habe mich natürlich niemals Adolf Loos gegenüber geäussert,
Karl Kraus hätte seine Vorlesung auf den Tag der Verhandlung angesetzt, um die
ser Verhandlung nicht beiwohnen zu müssen. Karl Kraus kennt mich und meine Ein
stellung ihm gegenüber viel zu genau, nicht zu wissen, dass ich ihn viel zu
hoch schätze, ihn einer Hilfeverweigerung oder unhonorigen Handlung gegenüber
einem Freunde in schwerer Zeit fähig zu halten.


Das von Loos unrichtig wiedergegebene Gespräch ging von der
seinerzeit mir von Adolf Loos geäusserten Absicht aus, er wolle Karl Kraus als
Vertrauensmann für sich der Verhandlung beigezogen wissen. Nun sagte mir Loos
bei seinem letzten Besuch, er wolle Herrn Soundso (er nannte den Gerichtssaal
korrespondenten einer Wiener Tageszeitung) als Vertrauensmann für sich bestellen.
Worauf ich sehr erstaunt fragte: „Ja, was ist denn mit Karl Kraus?“ Worauf
Loos sagte: „Er hat an diesem Tag seine Vorlesung.“ Worauf ich sagte: „Kann
er die nicht verschieben?“ Worauf Loos sagte: „Nein, denn der Saal ist an
keinem anderen Tag frei.“ Worauf ich sagte (nein, wie immer, in das Hörrohr
schrie): „Das ist für Sie nicht gut …“ So ungefähr hat sich die Szene abge
spielt. Vor einer Ladung Karl Kraus als Zeuge wusste ich überhaupt nichts.
Ich sprach nur von ihm als Vertrauensmann.


Mit dem Ausdruck der Hochachtung
Siegfried Geyer.


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