Die Unüberwindlichen. Nachkriegsdrama in vier Akten


Abschrift.


Sehr geehrter Herr Dr. Kronacher!


Leider habe ich Sie, trotz mancher Bemühungen, tele
fonisch nicht erreichen können. Es ist an manchen Tagen wie ver
hext und besonders dann, wie’s scheint, wenn man lieber sprechen
als schreiben möchte. So muss ich Sie also brieflich um eine
Auskunft bitten, deren – wenn es geht – baldige Uebermittlung mir
sehr lieb wäre. Seit einiger Zeit werden von vielen Seiten Gerüchte
an mich herangetragen, die davon wissen wollen, dass der Spielplan
des Schauspielhauses wieder mit einem Stück belastet werden solle,
das seinerzeit im Februar fast zu einem Skandal geführt hätte.
Man spricht davon, dass man das Schauspielhaus nötigen wolle, seinen
vor Jahren eingegangenen Verpflichtungen gegenüber Karl Kraus und
seinen „Unüberwindlichen“ nachzukommen, d.h. wohl, das Stück in öf
fentlicher Aufführung wieder einmal herauszubringen. Wie weit das
Schauspielhaus seinerzeit Verpflichtungen eingegangen ist, und wie
viel der Autor oder der Bühnenvertrieb des Stückes auf die Einhal
tung der Verpflichtungen dringen kann, weiss ich nicht, ich weiss
ja nicht einmal, ob es sich um Tatsachen oder Vermutungen handelt,
weshalb ich mich zunächst an Sie, sehr geehrter Herr Doktor, wende.
Ich selbst kann es mir ja offen gesagt, nicht denken, dass die In
tendanz des Schauspielhauses das Theater, in seiner heute schon
so schwierigen Lage einer solchen Erschütterung aussetzen möchte,
wie sie eine abermalige Aufführung der „Unüberwindlichen“ zweifel
los zur Folge haben würde. Wie gross schon nach der ersten Auffüh
rung die Entrüstung, ja die Erbitterung gewesen ist, wird Ihnen
ja kaum verborgen geblieben sein. Man braucht nicht einmal betont
kirchlich gesinnt zu sein, um die Weihnachtsszene als überaus
geschmacklos und abstossend zu empfinden. Ich selbst hatte wieder
holt Gelegenheit, mit Frauen und Männern, mit Protestanten, Juden,
Katholiken und auch kirchlich Indifferenten – allerdings
in allen Fällen mit, im höchsten Sinne, religiösen und gebildeten
Menschen – über diese Aufführung oder besser, das Stück zu spre
chen: die Tatsache, dass hier das religiöse Empfinden weiter Krei
se auf das Empfindlichste verletzt worden sei, wurde von niemanden
bestritten, mochten auch in anderen Punkten die Meinungen über den
künstlerischen Wert des Stückes auseinandergehen. Wie sich die Kri
tik in den Tageszeitungen zu dem Schauspiel gestellt hat, wird
Ihnen wohl noch in Erinnerung sein; da die Aufführung am 11. Februar
war, findet sie sich in den Ausgaben vom 12.11.


Besser wäre es wohl gewesen, wenn ich diese Angelegen
heit mit Ihnen, Herr Dr. Kronacher, hätte bereden können. Befürch
tungen und Mutmassungen haben ja, wenn man sie so geschrieben
sieht und liest, ein recht unzartes Gewicht und ich bin beinahe
sicher, dass es sich bei den Gerüchten mehr um Annahmen als um
Tatsachen handelt. Immerhin würden Sie mich für eine Antwort – bei
Gelegenheit – zu Dank verpflichten, damit ich nötigenfalls neuen,
an mich gerichtete Fragen mit der richtigen Antwort begegnen kann.


Mit besten Empfehlungen
Ihr
gez.: Dr. Bringezu.