BlaubartVorgelesene Operetten. Zum Offenbach-Zyklus von Karl KrausArbeiter-ZeitungDie Fackel


2 S Stempel Differenz irrtümlich
auf Akt 4 U 840/30


Geschäftszahl 4 U 114/30


Öffentliche Hauptverhandlung.


StrafBezirksgericht 26. Juni 1930 Beginn 12 Uhr. 40
Gegenwärtig:
Richter: LGR. Dr. Wenger Schriftführer: Dr. Potschta
staatsanw. Funktionär:
Privatankläger: Paul Amadeus Pisk sein Vertreter: Dr. Otto Pisk
Privatbeteiligter: sein Vertreter:
Angeklagter (der Name folgt unten*) Verteidiger: Dr. Oskar Samek
Karl Kraus n.e.Z.a. (hinterlegt)


Die Anklage wird vorgetragen. Der Angeklagte gibt über
seine persönlichen Verhältnisse
und die Anklage an:


Verteidiger gibt die Erklärung ab, dass Besch. vom Termin verständigt
worden ist, dass er zur Zeit der Ladung in Wien war und Gelegenheit ge
habt hätte, auf eine Verständigung seitens der Post die Ladung zu behe
ben. Auf einen eventuellen Einspruch seitens des Besch. wird verzich
tet.


Vert. gibt die Generalien des Beschuldigten bekannt:


Karl Kraus geb. 28.4.74, zu Dzidzin, CSR, zust. Wien, kfl. 1. Wien III.Hintere Zollamtsstrasse 3, Eltern: Jakob und Ernestine, beide tot, vor
bestraft wegen Pressdelikte und vor 32 Jahren wegen Ehrenbeleidigung, –


Pav bringt vor, dass Besch. voriges Jahr in Berlin wegen Ehrenbeleidi
gung bestraft wurde.


Vert. gibt dies nicht zu.


Vert. führt aus, dass der Sachverhalt, wie in der Klage ausgeführt,
nicht stimmt. Beantragt Verlesung der Seite 83 des Heftes 811–819 der
Fackel Bl. A. dort sei genau ausgeführt, was Besch. gesagt habe. Das
Wort „Schlieferl“ bezieht sich nicht auf einen am 7.6.29 anwesenden,
sondern auf einen früher anwesend gewesenen und auf einen, der an einer
Zusatzstrophe, die nicht am 7.6.29 sondern früher gesungen worden sei,
Anstoss nahm. – Das war nicht der PA. Der PA war nicht erkennbar, der
P.A. habe, als er damals anwesend war, geschlossen, die Aeusserung be
ziehe sich auf ihn. – Es war aber für Niemand erkennbar, dass PA gemeint


war. Damals sagte der Besch., „einer aus der Arbeiter-Zeitung usw …“
Wissen konnte nur derjenige, dass damit PA gemeint war, welcher
wusste, dass PA in der früheren Vorlesung anwesend und an einer
Zusatzstrophe Anstoss genommen hatte. Daher konnte kein Mensch im
Saale wissen, dass es sich um den PA handelte. Dem Besch. ist die
Person des PA auch ganz gleichgültig. Die Aeusserung „das Schlie
ferl schreibt“ wird bestritten. Beide Vorträge sind gedruckt u.z. in
der Fackel Nr. 8–819 auf Seite 75–84. – Der Ausdruck „kümmerlicher
Schönbergschüler“ ist nicht gefallen. Die richtige Aeusserung steht
auf Seite 79 des erwähnten Heftes der Fackel. Vert. beantragt Verle
sung des Vorfalles aus dem Heft der Fackel.


Beschlussfassung hierüber vorbehalten.


Pav führt aus, dass B. den PA nicht gemeint habe, könne nicht be
hauptet werden. Das betreffende Heft der Fackel kam erst einen Monat
nach dem Vortrag heraus, was darinnen festgestellt sei, sei nicht
identisch mit dem Tatsächlichen.


Zeuge Fritz Löwy unbef. (mit dem PA sehr gut bekannt) 28 J., Wien, kfl.
1. Privatbeamter, XVI. Hasnerstr. 40, gibt nach WE an:


Es war nicht die Blaubart Vorlesung, sondern die nächste. Es
wurden 2 Einakter von Offenbach und vorher ein Aufsatz gelesen. Das
war am 10./6. – Besch. nannte den Namen des PA nicht, machte aber
die Aeusserung, „Schlieferl“, an den Wortlaut kann ich mich nicht
genau erinnern. Dann sagte er „Petite“ im Zusammenhang mit Korrepeti
tor. Es wurde nämlich Bezug genommen auf eine Kritik in der AZ über
einen früheren Vortrag des B. – Mit dieser Kritik setzte sich der B.
auseinander und hat dabei den Artikelschreiber Schlieferl genannt.
An den Wortlaut kann ich mich nicht mehr erinnern, ob er sagte „das
Schlieferl schreibt“ – „Es macht Petite aus seiner Fachkritik“ so
ähnlich hat es gelautet. Dem Zeugen werden die inkr. Stellen aus der
Klage Bl. Z. 3 vorgelesen, worauf dieser erklärt, ja das ist vorge
kommen. – An den Unterschied zwischen den in der Klage inkr. Stellen
und wie es die Fackel vom August 29 bringt, kann ich mich nicht mehr
erinnern. – „Diese armen Teufel nennen sich Fachmänner“ – „mit ihrem
armseligen Fachwissen“ – „Schlieferl und Tinterltum“ das kam alles vor. –
Ob die Aeusserung „Das gegen mich wirkende Schlieferl und Tinterl
tum“ in dieser Fassung gefallen ist, weiss ich nicht mehr. – Der Aus
druck „Schönbergschüler“ fiel auch. Ich glaube, der PA wurde dem Sin
ne nach als solcher bezeichnet. Der soeben erwähnten Aeusserung kann
der Besch. ein Attribut vorgesetzt haben. Erst über Vorhalten der
Stelle auf BL. Z. 3 vo gibt Zeuge an, ja, es hat so geheissen, „kümmer
licher Schönberg Schüler“. – Dies alles wurde gesagt im Verlaufe der
Kritik des Artikels der AZ. – Aus diesem Grunde war es ersichtlich,
dass der PA damit gemeint war. – Das Ganze war eine Auseinandersetzung
des Besch. mit dem Artikel der ZA und mit dem Artikelschreiber. –


Ueber Frage des PA: Der Artikel der AZ wurde damals an das Publikum
verteilt. Auch daraus war die Auseindersetzung des B. mit diesem Artikel ersichtlich. Dieser Artikel war glaublich mit dem vollen Namen
des PA gefertigt.


PAV legt vor den Artikel der A-Z Seite 13, gezeichnet mit dem vollen
Namen des PA Dr. Paul Pisk.


Zeuge gibt an, dass auf den verteilten Exemplaren der Artikel rot
angestrichen war. Der Besch. hatte, als er sich mit dem Artikel be
fasste, das Blatt in der Hand. – Ich habe die seitens des B. gefallenen
Aeusserungen, die sich auf den PA bezogen, einige Tage später schrift
lich niedergelegt und die Aufzeichnungen dem PA über sein Ersuchen
gegeben. Vom B. war ich damals ca 10 m entfernt. Zeuge stellt dann
über Vorhalten des Vert. richtig, dass die Entfernung dreimal so gross
war als die Grösse des Gerichtssaales (Saal 16) beträgt. Er habe
alles genau gehört und verstanden. – – – Ueber Frage des PAV: Es ist
möglich, dass B. Teile des Artikels vorgelesen hat. – – – Ueber Frage des
Vert.: Besch. hat aus einem Manuskript vorgelesen. – Ueber Frage des PAV:
Der Saal war verdunkelt. Ueber Frage des PAV: Das Podium war be
leuchtet, so dass, man sehen konnte, dass Besch. eine Zeitung in der
Hand hatte.


Zeuge Otto Silbermann, unbef. (befreundet mit dem PA) 28. J. Wien, m.l.
Privatangestellter, II., Krummbaumgasse 10 gibt nach WE an:


Ich war beim 2. Vortrag am 10.6. anwesend. Am 7.6. war ich nicht dabei
B. befasste sich am 10.6. mit einer Kritik des PA über den ersten Vor
trag. Und zwar in der ersten Stunde fortwährend mit diesem. B. hat
öfters den Artikelschreiber „Schlieferl“ genannt. Z.B. „das Schlie
ferl schreibt“


Vert. beantragt die Beeidigung des Zeugen – Beschluss a/Zulassung.
Zeuge fährt nach vorschriftsmässiger Beeidigung fort: B. hat den
PA beim Namen genannt. Er sagte nämlich, der Musikreferent der A.Z.
und nannte ihn Schlieferl. B. sagte „das Schlieferl schreibt“ und
zitierte einige Stellen aus dem Artikel. B. hat auch von einem
„kümmerlichen Schönbergschüler“ gesprochen und hinzugefügt „bessere
Schönbergschüler haben anders gesprochen“. – Dann sagte B,
„Petite, ja noch mehr Korrepetite“ – Das sagte er im Zusammenhang mit
dem plötzlichen Meinungsumschwung der A–Z bezgl. Offenbach. B. sagte
„Korrepetite“ in Hinblick darauf, dass der PA Korrepetitor ist. –
Besch. sagte weiter in Hinblick auf den Zeitungsartikel „Schlieferl
und Tinterl Praktiken“ – B. sagte „das Schlieferl schreibt“ und
fügte, glaube ich, so ziemlich den ganzen Artikel hinzu in der Art
nämlich, dass er ihn wort- und satzweise zerpflückte. –


Allerdings fügte er hinzu, „ich habe Niemand persönlich gemeint mit
Schlieferl, ich meine das allgemein[“], aber der Zwiespalt war doch
ein in die Augen springender, man konnte deutlich entnehmen, dass
das Wort doch nicht zurückgenommen werden wollte. An die Aeusserung
„Diese armen Teufel nennen sich Fachmänner“ kann ich mich nicht er
innern. Aber der Ausdruck „Schlieferl“ wurde wiederholt gebraucht.


Ueber Frage des PAV: Es wurde damals der Artikel der AZ an das
Publikum verteilt. B. hat während des Vortrages diesen in der Hand
gehalten. Er machte hie und da auch freie Einschaltungen, hat aber
vornehmlich aus dem Manuskript vorgelesen. Das ist auch er
sichtlich aus dem nachträglich im Druck erschienenen Vortrag, der –
wie ich konstatiert habe – nicht mit dem ursprünglichen
Vortrag übereinstimmt. Ich kann das behaupten, weil ich mir damals
Notizen gemacht habe – Diese habe ich am 12.6. reingeschrieben und
dem PAV in seine Kanzlei gebracht.


PAV beantragt Vernehmung der Johanna Schwarz Wien VI. LinkeWienzeile Nr. 62 als Tatzeugin und besonders darüber, dass wahrschein
lich einem grossen Teil des Publikums damals bekannt war, wen B.
mit seinen Aeusserungen gemeint hat. Vert. bringt vor, dass B. in
den nächsten Tagen auf Urlaub geht und bittet um Anberaumung der
Verhandlung für Oktober 1930, weil Verteidiger bis September auf
Urlaub ist und die Zeugen Gropper derzeit in Schladming sind.


Beschluss auf Zulassung des Antrages und Vertagung der
Verhandlung zur Ladung der Zeugin


1.) Johanna Schwarz, VI. Linke Wienzeile 62
2.) Vernehmung des Dr. Angelo Gropper) beide durch das BG Schladmig
3.) der Hertha Gropper)
sämtliche über den obj. Tatbestand
4.) Ladung des Beschuldigten durch Unterbeamten
5.) Beischaffung der Strafkarte und Leumundsnote des Besch.
auf den Oktober 1930.