Arbeiter-Zeitung, 12.11.1929Berliner Börsen-ZeitungDie neue StadtVorgelesene Operetten. Zum Offenbach-Zyklus von Karl KrausArbeiter-Zeitung, 9.6.1929


15 a Bl 132/31
4 U 114/30


Im Namen der Republik!


Vor dem Landesgericht für Strafsachen Wien I
als Berufungsgericht hat gemäss der die Verhandlung
anordnenden Verfügung vom 11.2.1931, am 21. März
1931 unter dem Vorsitze des Hofrates Neuwirth,
im Beisein des Hofrates Heidrich, des Hofrates Dr.
Zaczek und des Hofrates Dr. Demel als Richter und
des Justizsekretärs Hanak als Schriftführer, in Ge
genwart des Privatanklägers Dr. Paul Amadeus Pisk,
dessen Vertreters Dr. Otto Pisk und des Verteidigers
Dr. Oskar Samek für den Angeklagten Karl Kraus,
die Verhandlung über die Berufung des Angeklagten
wegen Nichtigkeit und punkto Schuld und Strafe,
gegen das Urteil des Strafbezirksgerichtes I inWien vom 4.12.1930, 4 U 114/30/18 stattgefunden.


Das Berufungsgericht hat über den Antrag des
Verteidigers, auf Stattgebung der Berufung des Angeklagten, am 21. März 1931 zu Recht erkannt:


Die Berufung wird als unbegründet zurück
gewiesen.


Der Angeklagte hat nach § 390a STPO. dem
Privatankläger die Kosten des Berufungsverfahrens
zu ersetzen.


Der Urteilsspruch wird dahin richtiggestellt,
dass die Zeihung verächtlicher Eigenschaften und
Gesinnungen durch auf den Privatankläger passende
Kennzeichen erfolgte.


Gründe:


Die Berufung begründet die behauptete Nich-
tigkeit des Urteiles dadurch, dass der Antrag auf
Verlesung der Manuskripte und der Vorträge zum Beweis
dafür, dass in den unter Anklage gestellten Äusse
rungen nicht die von der Anklage behauptete Beziehung
auf den Privatankläger zum Ausdruck kam, bezw. ver
meint war, als unbegründet abgewiesen wurde. Diesbe
züglich ist zunächst auf die zutreffende Urteilsbegründung zu verweisen, dass die Manuskripte keine
verlässliche Unterlage dafür bieten können, dass
sämtliche mündliche Aeusserungen des Beschuldigten
in sie Aufnahme gefunden haben. Wenn der Angeklagte
behauptet, dass es seine ausschliessliche Gepflogen
heit sei, sich beim mündlichen Vortrage gänzlich auf
Inhalt und Umfang des Manuskriptes zu beschränken,
so liegt hierin lediglich eine persönliche Versiche
rung, welcher im Beweisverfahren keine Stütze zur
Seite steht, und welche durch das Ergebnis dieses Be
weisverfahrens mit aller Entschiedenheit widerlegt
wird. Es ist auch keine Gewähr dafür vorhanden, dass
die von dem Angeklagten behauptete Gepflogenheit,
nur manuskriptsgetreu vorzutragen, durch die Wahr
nehmungen vom Zeugen mit Verlässlichkeit bestätigt
werden könnte. In diesem Belange erscheint auch die
Vernehmung des Verteidigers des Angeklagten als Zeuge
nicht ausreichend, um die Zeugenaussagen, welche das
Gegenteil dieser Verantwortung des Angeklagten zu
erweisen, überzeugend zu widerlegen. Der behauptete
Nichtigkeitsgrund nach 281, Z. 4 der STPO. kann
mit Berechtigung geltend gemacht werden. Uebrigens
ist in diesem Zusammenhange auf die Verantwortung
des Angeklagten zu verweisen, nach welcher die in
kriminierten Angriffe nicht persönlich gegen den
Privatankläger, sondern gegen ein System auf Seite
der Arbeiterzeitung gerichtet waren. Hierin liegt
ein innerer Widerspruch. Das von dem Angeklagten
vermeinte System kam ja durch die Tätigkeit des
Privatanklägers als Musikreferent dieser Zeitung
in Ausübung. Es musste sohin durch diese Angriffe
auch die Person des Privatankläger getroffen wer
den, und dies konnte nur geschehen mit Wissen und
Willen des Privatanklägers. Bei dieser Verantwortung
des Angeklagten erscheinen die gestellten Anträge
von vornherein unerheblich.


Die unter dem Gesichtspunkte eines Nich
tigkeitsgrundes im Sinne des § 281, Z. 5 der STPO.
gemachten Ausführungen der Berufung stellen ledig
lich eine unbegründete Bekämpfung der Beweiswürdi
gung durch den ersten Richter dar. Diesbezüglich
ist in der Schuldfrage auf die vollkommen zutreffen
den erstrichterlichen Feststellungen und die Ur
teilsgründe zu verweisen. Insbesondere muss darauf
hingewiesen werden, dass bei dem Vorfalle vom 10.
Juni 1929 durch die Verteilung von Exemplaren der
Arbeiterzeitung, welche den angegriffenen Aufsatz
des Privatanklägers enthalten, den Anwesenden die
Beziehung auf den Privatankläger überaus deutlich
wurde, auf welchen Umstand sich viele der vernomme
nen Zeugen berufen. Hiedurch wird auch die Beziehung
auf den Privatankläger anlässlich des Vortrages vom
7. Juni 1930 bestätigt.


Der Urteilsspruch enthält zwar nicht die
Feststellung, dass der Privatankläger durch auf ihn
passende Kennzeichen betroffen wurde. Mit dem Urteilsspruche bilden jedoch die Urteilsgründe ein
zusammenhängendes Ganzes, und es ist aus den Urteils-
gründen deutlich erkennbar, dass der Richter auf
Grund der Zeugenaussagen und Umstände zu der Ueber
zeugung gelangte, dass der Angeklagte den Privatankläger durch auf ihn passende Kennzeichen der zum
Ausdrucke gebrachten verächtlichen Eigenschaften
und Gesinnungen zieh. Dies geht auch aus dem Wort
spiel mit dem Begriffe „Correpetite“ hervor, wel
ches gebraucht wurde, weil auf die Betätigung des
Privatanklägers als Correpetitor Bezug genommen
wurde, und aus der Schmähung mit dem Ausdrucke
„kümmerlicher Schönbergschüler“, welche gleich
falls für die persönliche Bezugnahme auf den Privatankläger spricht. Schliesslich spricht hiefür auch
der eingetretene Erfolg, dass bei den meisten als
Zeugen vernommenen Anwesenden unmittelbar klar ge
worden ist, dass nur der Privatankläger gemeint sei.
Diesbezüglich wird auf die Aussagen der Zeugen FritzLöwy, Otto Silbermann, Johanna Schwarz,
Dr. Angelo Gropper, Hertha Gropper,
Grete Klopstock und Dr. Karl Jaray ver
wiesen. Nicht im Widerspruche mit dieser Tatsache
steht der Umstand, dass einzelne dieser Zeugen an
gaben, sie hätten alles gehört, wie es dann in der
Fackel“ gestanden ist, weil ja hiedurch nicht wi
derlegt ist, dass auch Redewendungen, die von den
Zeugen gehört und wiedergegeben wurden, wirklich
mündlich gebraucht worden sind, weil dieselben in
dem später erschienenen Fackel-Aufsatze nicht ent
halten sind, denn sie konnten in diesem Aufsatze
fortgelassen worden sein.


Das Berufungsgericht gelangte sohin zu
der gleichen Ueberzeugung hinsichtlich des objektiven
Tatbestandes, wie sie der erste Richter bei der
Verurteilung des Angeklagten gewann. Ein Anlass
zur Bezweiflung der objektiven und subjektiven
Richtigkeit der vor Gericht abgelegten Zeugenaussage
einschliesslich jener der Zeugen Otto Silbermann und Hertha Gropper liegt nicht vor.
Aussergerichtliche, mündliche oder schriftliche
Mitteilungen von Zeugen, die zur Widerlegung ihrer
gerichtlichen Aussagen behauptet werden, erachtet
das Berufungsgericht gegenüber den strafprozess
ordnungsmässig festgestellten Depositionen der
Zeugen als entschieden unbeachtlich. Ein Grund zur
Annahme, dass die Zeugen vor Gericht eine falsche
Aussage ablegten, besteht nicht und hat auch der
Angeklagte einen solchen Grund durch entscheidende
objektive Umstände nicht unter Beweis gestellt.
Seine diesbezügliche Behauptung entspringt als An
griff gegen die betreffenden Zeugen lediglich sei
ner Verantwortung und hat keine grössere Beweis
kraft als die einer Behauptung des zur Rede ge
stellten Beschuldigten.


Nach diesen Ausführungen erweisen sich
auch die im Berufungsverfahren weiter geltend ge
machten Beweisanträge hinsichtlich des objektiven
Sachverhaltes als gänzlich unerheblich.


Die Verantwortung des Angeklagten will
den Wahrheitsbeweis für die von ihm kritisierte
Haltung des Privatanklägers, welche in der Kritik
in erster Linie durch den Gebrauch des Ausdruckes
„Schlieferl“ zur Geltung kommt, dadurch erbrin
gen, dass durch den Inhalt mehrerer Artikel der
Berliner-Börsenzeitung“ und durch einen der
„Arbeiterzeitung“ vom 12. November 1929, und durch
die Ausführungen des Angeklagten in seinem Artikel
in der Oktobernummer der „Fackel“ betreffend
die „Wohnbaukantate“ und durch den Text dieser
sogenannten „Wohnbaukantate“ erbringen. Da dieser
Inhalt im bisherigen Beweisverfahren nicht bekannt
war, und der Angeklagte behauptet, dass aus diesem
Inhalte hervorgehe, dass Dr. Pisk als Musik
referent einer Parteizeitung sozialdemokratischer
Richtung es nicht gescheut habe, auch als Mitar
beiter einer so ausgesprochen bürgerlichen Zeitung,
wie es die „Berliner Börsezeitung“ ist, tätig zu
sein, und dass er in seinen Artikeln als Musikre
ferent je nach Beschaffenheit des einen oder des
anderen Blattes widerstreitend parteimässig ein
gestellt war, ergibt sich allerdings die Stich
hältigkeit dieses Beweises, denn ein solches Ver
halten müsste verächtliche Eigenschaften und Ge
sinnungen auf Seite des Privatanklägers bekunden.


Das Berufungsgericht hat deshalb diesem
Beweisantrage stattgegeben, und den Beweis durch
Verlesung der einschlägigen Zeitungsartikel durch
geführt. Es muss aber auf den Inhalt dieser Zei
tungsartikel verwiesen werden, aus welchen hervor
geht, dass eine widerstreitende Einstellung des
Privatanklägers weder parteilich noch fachmännisch
in diesen Artikeln zum Ausdruck kommt, nicht ein
mal annähernd vermutet werden könnte. Die Betätigung
des Privatanklägers als Musikreferent bei partei
mässig verschieden eingestellten Zeitungen kann
nach Ansicht des Berufungsgerichtes auch für ihn
als Parteimann nicht als verächtlich bezeichnet
werden.


Inwieferne die Ausführungen der „Fackelnummer
betreffend die Dichtung „Die neue Stadt“ von JosefLuitpold und die Vertonung dieser nunmehr als
„Wohnbaukantate“ bezeichneten Dichtung durch den
Privatankläger in gleicher Weise wie die Artikel der
beiden genannten Zeitungen eine Liebedienerei und
eine verächtliche Stellungnahme als Musikreferent,
welche als Tinterlpraktik bezeichnet wird, dartun
sollten, ist überhaupt nicht zu verstehen. Wenn der
Privatankläger sich durch Vertonung einer Dichtung,
welche die revolutionäre Gesinnung verherrlicht, be
tätigte, so hat er durch seine Aufsätze in der bür
gerlichen Zeitung (Berliner Börsezeitung) nach dem
Inhalte derselben sich keineswegs mit seiner Mit
wirkung an der Bekundung revolutionärer Gesinnung
in Gegensatz gestellt. Diese Artikel sind aus
schliesslich fachlich gehalten und geben mit keinem
Worte zum Ausdruck, dass der Verfasser zum Nach
teile seiner sozialdemokratischen Gesinnung Kon
zessionen an die bürgerliche Gesinnung mache.


Der beantragte Wahrheitsbeweis muss als gänz
lich misslungen und das beanständete Verhalten des
Privatanklägers als einwandfrei bezeichnet werden.


Die Berufung wegen Nichtigkeit und wegen
des Ausspruches über die Schuld erwies sich als un
begründet.


Unbegründet ist auch die Berufung wegen
des Ausspruches über die Strafe. Diese ist nach § 493St.G. mit Arrest in der Dauer von


einer Woche bis zu drei Monaten


zu bemessen.


Erschwerend war der Rückfall
wegen Uebertretung der Ehrenbeleidigung, die Wieder
holung derselben an zwei verschiedenen Tagen, die Mehr
heit und Empfindlichkeit der gewählten Ausdrücke und
der Umstand, dass der Privatankläger in der Ausübung
seines Berufes getroffen werden sollte und wurde.


Mildernd ist ausschliesslich das Ge
ständnis des Tatsächlichen.


Da nicht mehrere und solche Milderungsumstände
vorliegen, welche geeignet sind, mit Grund die Besse
rung des Täters erachten zu lassen, war die Strafe im
Rahmen dieses Strafsatzes und nicht unter demselben
zu bemessen. Wenn der erste Richter über den Angeklagten
lediglich das Mindestmass der angedrohten Freiheits
strafe verhängte, und diese Freiheitsstrafe übrigens
zugunsten des Angeklagten noch in die der Vermögens
lage entsprechende Geldstrafe mit Rücksicht auf das
Ausmass der Freiheitsstrafe umwandelte, kann gewiss
nicht behauptet werden, dass die Strafe ungebührlich
zu strenge bemessen wurde.


Wien, am 21. März 1931
Der Vorsitzende: Der Schriftführer
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