Die Unüberwindlichen. Nachkriegsdrama in vier Akten


Sehr geehrter Herr Kollege!


Herr Kraus gibt mir Ihr geschätztes Schreiben vom 6. November 1929 zur Beantwortung. Er meint aber, Sie soll
ten, wenn nichts versäumt wird, seine Ankunft in Berlin abwarten
und alles mit ihm besprechen. Ich sende Ihnen die Vollmacht des
Herrn Kraus, den Aufführungsvertrag und das Schreiben der Volksbühne zurück.


Ueber die Angelegenheit habe ich folgende
Ansicht. Den Anspruch auf Zahlung von 600 Reichsmark für willkür
liche Aenderung halte ich für unbedingt gerechtfertigt. Was nun
die Ansprüche auf weitere Aufführungen und auf die Entschädigung
für die grundlose Absetzung des Stückes betrifft, so meine ich,
dass, da laut Punkt III des Aufführungsvertrages die Bühnenleitung
der Volksbühne verpflichtet ist, das Werk bis spätestens am 1.
Januar 1930 zur ersten Aufführung zu bringen, jedoch nicht in der
Zeit vom 10. bis 22. Dezember, und in der Klammer der Zusatz ge
macht ist „Zunächst in Form einer Matiné“, daraus hervorgeht, dass
mit dieser Aufführung nur eine Abendaufführung gemeint sein kann
und durch die Matiné der Vertrag keineswegs erfüllt ist. Dies ist
ja auch begreiflich, da der Kassenerfolg einer Matiné, sei er gut
oder schlecht, keinesfalls für die materielle Auswertungsmöglich
keit eines Stückes Beweis macht. Aus diesem Standpunkt heraus muss
der Anspruch auf die Veranstaltung einer Abendaufführung oder der
vereinbarten Vertragsstrafe für die Unterlassung derselben unbe
dingt als gerechtfertigt anerkannt werden. Dagegen halte ich es
nicht für möglich eine Entschädigung für die grundlose plötzliche
Absetzung der zweiten Matiné zu verlangen, es wäre denn, dass die
Usancen oder die Bestimmungen der Bühnenvereinigung etwas anderes
vorsehen. In dieser Hinsicht bin ich aber nicht orientiert, doch
wird Ihnen Herr Heinrich Fischer gerne in allen Dingen die nötige
Auskunft geben. Ihren Ausführungen, dass der Prozess bezüglich
Weiteraufführungen nicht möglich ist, kann ich aus den oben ange
führten Gründen nicht folgen. Der Kassenerfolg bei der Matiné ist
eben nicht massgebend und, wie mir Herr Kraus mitteilt, übrigens
gar nicht schlecht. Auch dass eine halbe Woche vor der Wiederholung
der Matiné nur 165 Billets verkauft waren, kann nach meinem Dafür
halten nicht die Berechtigung geben, die vereinbarte Erstaufführung
am Abend zu unterlassen. Wenn aber das Theater die Absetzung eines
bereits angesetzten Stückes nur aus wichtigen Gründen vornehmen
darf, so kann diese Tatsache selbst in Verbindung mit dem behaupte
ten schlechten Kassenerfolg der ersten Matiné keine Berechtigung
zur Absetzung der zweiten Matiné geben. Denn der „schlechte“ Kas
senerfolg der ersten Matiné war der Volksbühne bei Ansetzung der
zweiten Matiné ja bekannt. Es bleibt also, wenn die Absetzung eines
Stückes vom Theater begründet werden muss, ohne dass ein Entschädi
gungsanspruch entsteht, lediglich die Tatsache übrig, dass eine halbe
Woche vor der zweiten Matiné nur 165 Billets verkauft waren. Auch
dies hält Herr Kraus für keinen stichhältigen Grund, da erfahrungs-
gemäss die meisten Karten nicht im Vorverkauf sondern an der Tages
kasse abgesetzt werden, wenn es sich nicht um Stücke handelt, die
erfahrungsmäss befürchten lassen, dass an der Tageskassa Karten
nicht zu erhalten sein werden. Wenn es also nicht in der Willkür
der Bühnenleitung steht ein Stück abzusetzen, so wäre nach meinem
Dafürhalten auch der Anspruch auf Entschädigung wegen der Ab
setzung der zweiten Matiné gerechtfertigt.


Mit vorzüglicher kollegialer Hochachtung


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