Abschrift
BERLIN, DEN 29. Januar 1930
An das
Landgericht IBerlin
In Sachen
Fackel ./. Volksbühne
– 38.0.549/29 –
erwidere ich auf den klägerischenSchriftsatz vom
14.d.Ms. folgendes:
I.
Ich hinterlege auf der
Geschäfts
stelle und übersende dem klägerischen
Prozessbevollmächtigten je 1
Textbuch
der „Unüberwindlichen“, in dem die
unerlaubten vom Kläger nicht genehmig
ten und
nachträglich vorgenommenen
Änderungen kenntlich gemacht sind.
Für die Vornahme dieser
Änderung
benenne ich die
auf Seite 3 der Klage
schrift
angegebenen Beweismittel.
Es war zwischen den
Parteien
nicht nur im
schriftlichen Aufführungsvertrag sondern auch mündlich aus
drücklich
festgelegt worden, daß
keinerlei Änderungen ohne Zustimmung
des Klägers vorgenommen werden dürfen.
Beweis: Zeugnis: 1. des
Direktors
Heinrich Fischer, zu laden
im Theater am Schiffbauerdamm
2. der Frau Toni Mackeben, z.l. bei der
Beklagten.
Die unzulässigen Striche
werden im Einzelnen
noch wie
folgt charakterisiert:
Die von der Beklagten unbefugt vorgenom
menen Änderungen
sind an zahlreichen Stellen
des Buches nachweisbar. Hier seien
nur die
fünf
einschneidendsten angeführt. Der Autor
hatte ohne weiteres vielen
Streichungen, die
selbstverständlich notwendig waren, zugestimmt,
auch eine solche selbst
angegeben, die garnicht
von
der Regie oder der Direktion erboten wurde
(das Telefongespräch am
Schluß des zweiten
Aktes). Am
19. Okt. 1929 nachmittags, also knapp
vor der Aufführung, war ihm,
nach Schluß einer
Probe,
gesagt worden, daß noch etliche Striche
notwendig wären. Er begab
sich mit Herrn
Regisseur Kenter in die Direktionskanzlei
und nahm solche Striche vor,
die im Ganzen
noch etwa 3
Seiten ausmachten. Infolge
dieser Striche und aus bestimmten künstleri
schen Gründen
wurde die Aufmachung eines
früher angegebenen Strichs
besprochen und
beschlossen.
Die betreffende Stelle ist wie die
vier anderen untern
angegebenen nach dieser
Besprechung, hinter dem
Rücken des Autors
gestrichen worden. Um 11 Uhr
nachts kam
er noch in das Theater, um mit den Darstellern
des 3. Aktes in einer
Garderobe diesen Akt
durchzugehen. Erfragte den dort anwesenden
Regisseur Kenter, ob er Gelegenheit hätte, den Schauspielern die am Abend
zwischen 6 + 8 Uhr angesetzten Striche bekannt zu geben.
Regisseur Kenter bejahte dies (wie gleichfalls
der anwesende Herr Lorre) mit der Bemerkung,
er habe während der
Vorstellung von „FrühlingsErwachen“ allen
Schauspielern sämtliche Striche
genau mitteilen könnten.
Beweis: Zeugnis 1. des
Regisseurs Kenter
2. des Herrn Peter Lorre
3. des Herrn Karlheinz Martin
Am nächsten Tag um ½ 12 Uhr
begann die
Aufführung. Herr
Karl Kraus kam eine halbe
Stunde vor Beginn in
Gesellschaft des Herrn
Direktors Fischer ins Theater. Dieser kann
bezeugen, daß Herr Kraus, den er keine
Minute verließ, weder mit
Herrn Direktor Martin
noch mit Regisseur Kenter in dieser Zeit über
Striche gesprochen hat und
daß also von etwaigen
neuen
Strichen die inzwischen, seit dem
Nachtgespräch beschlossen
worden wären, keine
Rede war.
(Herr Martin kam nur so weit in Be
rührung mit Herrn
Kraus, als er ihn und Herrn
Direktor Fischer den Zugang zu den beiden Par
kettsitzen
verschaffte, von denen der Saaldiener
behauptete, sie seien für
den Arzt reserviert.)
Während der Aufführung nahm
der Autor wahr, daß neue
Striche erfolgt waren, und
äusserte seinem
Nachbarn gegenüber bei jeder
Stelle,
die inzwischen
und ohne sein Wissen gestrichen
worden war, in lebhaftester
leise sein Befrem
den und seine Empörung. Denn es waren völlig
sinnlose Striche und der
Schluß war durch
Weglassung
der Abschlußrede Wackers
einfach ruiniert worden. Als der Autor bei
den zahllosen Aufgängen des
Vorhangs auf die
Bühne kam,
fragte er Herrn Direktor Martin,
wer die sinnstörenden
Streichungen, ohne seine
Zustimmung zu erbitten, veranlasst habe. Herr
Direktor Martin sagte: „Das war notwendig,
weil
wir Zeit für den
Umbau zur Nachmittagsvorstel
lung ‚Dantons Tod‘ brauchen.“ Herr
Karl Kraus
kam in dem Tumult, der auf
der Szene herrschte
nicht
dazu, Herrn Martin darauf aufmerksam zu
machen, daß erstens die
Notwendigkeit des Umbaus
für
eine spätere Vorstellung nicht die Verstümm
lung der ersten
rechtfertigen könne und zweitens,
daß man ja lieber von dem
vierzig Minuten dauernden
Hervorrufen hätte fünf Minuten abziehen können
und eher den eisernen
Vorhang fallen lassen.
Beweis: Zeugnis 1. des Herrn
Peter Lorre,
2. des Herrn Direktors
Martin.
Die Striche beziehen sich,
abgesehen davon
daß auch der
Vorhang beim ersten Aktschluß vorzei
tig fiel und der
Darsteller des Barkassy (Herr
Lorre) um die Tanzpantomime gebracht
wurde and auch beim dritten
Aktschluß etwas
ähnliches
geschah, ferner abgesehen von etlichen
kleineren Verstümmlungen –
auf die folgenden
Stellen:
S. 123 die als Kontrast zum
Maschinengewehr
wichtige
Stelle der Verabreichung des
Sparkassenbuchs um des „Stritz“
S. 129 die wesentliche
Stelle, durch die die
psychische Verwandlung der Konzeptsbe
amten motiviert
wird: sie sprechen plötz
lich Anklagen. „Es ist das
Gift der
Feindberichte
…“ bis zur Erklärung
„dass es ein
Racheakt sei“. Kein Hörer
konnte verstehen, wieso sie
„sein
(Arkus) Pfeil
des Hasses getroffen hat“,
wenn diese Stelle
unvermittelt gespro
chen wurde. Von „Aufklärungen“ war die
Rede. Diese erfolgten aber
nicht. Die
ganze wichtige
Stelle war vollkommen um
den
Sinn gebracht; mehr als das: der
ganze Vorgang, der den
Inhalt
des Aktes
bildet.
S. 135 Von
größter Wichtigkeit war als Kon
trastelement die
Beibehaltung der Phrasen
„Kommen Sie in die Berge – die Salzburger
Festspiele etc.“
Dieses Moment stellt die
Mechanik der
Fremdenverkehrspropagan
da in Kontrast zu dem Bericht über die
blutigen Ereignisse. Am Tag
vor der Auf
führung hatte der Autor diese Stelle
noch mit den beiden
Darstellern (Almas
und
Schweitzer) besprochen. Immer wieder
war von der Regie versichert
worden, daß
sie bleibe. In
der Aufführung fehlte
sie.
S. 151 Mit der Stelle:
„Aber
sagen sie mir,
was macht
Lobes?“ bis „Ganeff“ war die
Figur des Lobes als solche
gestrichen.
Aber das
bedeutet nicht bloß den Ver
lust der Stelle und der sprechenden
Figur, sondern es bewirkte
auch die
störende
Sinnwidrigkeit, daß der
Darsteller der prononciert jüdisch
aussehenden Figur stumm
unter den
arischen Festgästen
dasaß und kein Zu
schauer verstand, was dieser abson
derliche
Ausnahmefall bedeuten sollte.
Es wirkte störend und ablenkend, da die
Figur nicht in Aktion
eintrat. So, daß
diese also
nicht nur verkümmert, sondern
auch gestört war.
S. 157
Der Dialog, den der widerkehrende
Barkassy mit Wacker führt,
war bis zu einer
Beiläufigkeit verkürzt, die
die
Kritik dem Autor angelastet hat, von
dessen „schwächsten“ vierten
Akt sie
sprach. An und für
sich nicht mit Un
recht, da eben durch sinnlose Striche der
stärkste Akt tatsächlich zu
dem sprachlich
inkonzisesten,
saloppsten gemacht worden
war.
Beweis: Die Kritiken, die
ich im
Termin überreichen
werde.
Bessere Kenner hatten den
Eindruck ,
daß irgendetwas
passiert sein müsse und da
man schnell zum Schluß kommen wollte.
Dieser wurde aber einfach
abgebrochen.
Die
Darsteller standen auf der Bühne,
völlig überrascht davon, daß
der Vor
hang fiel.
Der ganze Sinn dieses Aktes
wurde zerstört dadurch, daß der Vor
hang nach den
Worten auf S. 157 – „…
…
heilige Nacht“ fiel, so daß nicht nur
der Gesang des Betrunkenen,
von dem
verabredeter Massen
einige Zeilen bleiben
sollten, unterblieb, sondern ungeheuer
licher Weise auch
alles was auf Seite
158
steht: die Rede Wackers, die Schluß
apotheose, durch
die überhaupt erst der
ganze Kontrast der Satire
plastisch
wird.
Niemals hätte der Autor eingewilligt, wenn ihm
auch nur dieser eine Strich,
der das Wesent
lichste verletzt, zur Bedingung der Aufführung
gemacht worden wäre. Aber um
jedes einzelnen
der hier
angegebenen und ohne sein Wissen vor
genommenen
Striche willen hätte er die Aufführung
inhibiert.
Der Fall liegt so, daß am
19. Oktober nach
8 Uhr abends
offenbar Herr Regisseur Kenter
angewiesen wurde, noch diese
Striche außer den
vom Kläger mit ihm festgesetzten zu machen, und
daß
Herr Kenter um 11 Uhr abends, als der Kläger in
die Garderobe kam, auch diese Striche den Schau
spielern schon
mitgeteilt hatte, ohne aber dem
Autor mitzuteilen, daß auch dies geschehen sei,
wohl wissend, daß der Autor nie seine Zustim
mung gegeben
hätte. Zwischen 1 Uhr nachts, als der
Autor die Garderobe verließ, und dem nächsten
Vormittag können die Striche
nicht festgesetzt
worden
sein. Der Regisseur, dem der Direktor
vermutlich diese Striche
angeschafft hatte –
vielleicht indem er ihm sagte, er nehme es
auf sich und werde so schon
vor dem Autor ver
treten – hat es
diesem verheimlicht. Die in der
Garderobe anwesenden
Schauspieler aber mußten
glauben, daß alle Striche
vom Autor ge
nehmigt seien.
Diese Striche stellen einen
so schweren Eingriff vor,
daß der Autor – ge
gegenüber den
Pressestimmen, die den so ver
stümmelten vierten Akt angegriffen haben –
sich genötigt sah, gleich am
21. Oktober in
einem in Berlin gehaltenen Vortrag einen
Protest vorzubringen.
Es wird festgestellt, daß
die angegebenen Stellen
auf
Seite 129 und 157/158 die weggelassenen
Motive
und Gedanken bezeichnen, deren Strei
chungen eben den
wesentlichen Eingriff bedeutet.
Der totale Wortlaut wird für diese Stellen keines
wegs reklamiert.
Daß innerhalb dieser Stellen
da oder dort schon vorher mit Genehmigung des
Autors eine Verkürzung
angebracht war, wird
ohne
weiteres zugegeben. Bei der Stelle
S. 129 ist dies aber nicht
wahrscheinlich, bei
S.
157/158 dagegen war in dem Liedtext und in
dar Wackerrede je eine
kleine Streichung ge
nehmigt Da der Autor kein
Regieexemplar be
sitzt, so ist es nicht möglich, festzu
stellen, welche
unwesentlichen Stellen inner
halb der wesentlichen mit seinem Einverständnis
gestrichen waren, es kommt
aber auch garnicht
darauf an,
da der Strich innerhalb des Striches
anerkannt war und nur der
wesentliche (auch
räumlich überwiegende) Rest
reklamiert
wird. Der Autor, der auf diesen Eingriff ja
nicht gefasst war und
Notizmaterial (Buch,
Schreibpapier etc.) nicht in die Aufführung
mitgenommen hatte, konnte
während dieser selbst
verständlich nur seine Kenntnis des Textes
zur Kontrolle benützen. Sein
Gedächtnis wird ihn
aber
allzeit bekundenlassen, daß jene Stellen
nicht vorgekommen sind, daß
ihre Weglassung
niemals
besprochen und genehmigt worden und daß
sie also nach der letzten
von ihm durchgeführten
und
bewilligten Streichung hinterrücks erfolgt
ist. Es wird wiederholt
darauf hingewiesen, daß
er
auf jede einzelne der vermissten Stellen
Herrn Direktor Fischer, seinen Sitznachbarn,
aufmerksam gemacht und
unmittelbar nach Schluß
Herrn
Direktor Martin interpelliert hat, dessen
Antwort an sich schon ein
Beweis dafür ist, daß
die
Direktion ohne den Autor zu befragen Striche
vorgenommen hatte, und ein
Beweis, der der Ab
leugnung im Schriftsatz diametral entgegensteht.
Dieser steht übrigens auch
die Tatsache entgegen,
daß
die Direktion der Volksbühne die
Beschwerde
des Autors längst zur Kenntnis genommen und ihr
durch
eine Wortfügung Rechnung getragen hatte,
die in der zweiten
Vorstellung in Wirksamkeit
treten sollte; nämlich der Reparatur des
Textschadens, die in der
hier folgenden,
von der Volksbühne
versandten
Zeitungsnotiz
angekündigt war. (Eine
offizielle Notiz übrigens,
in
der der „große Erfolg“ festgestellt und
„zunächst“ eine Wiederholung
angekündigt wurde):
Abschrift.
„‚DIE UNÜBERWINDLICHEN‘ von Karl Kraus
werden nach dem großen
Erfolg der Matiné
zunächst am
3. November, nachmittags 3 Uhr
von dem Studio der Volksbühne
zugunsten
des Ferienfonds
der Angestellten im Theateram Bülowplatz in
der Premierenbesetzung wie
derholt werden. In dieser Aufführung wird der
vierte Akt, den Wunsch des
Autors entsprechend,
in einer weniger gekürzten
Form gespielt.“
Beweis: Die in der
Geschäftsstelle
niedergelegte Originalnotiz.
Zum Beweis für die
vorstehenden Behauptungen
werden die auf Seite 3 der Klageschrift ange
gebenen Zeugen
benannt, insbesondere die
Herren Kenter, Lorre und Martin und Fischer.
Ausserdem wird auf das Gutachten eines gericht
lichen
Sachverständigen der Literatur Bezug ge
nommen.
Somit ist das Verlangen nach
einer Vertrags
strafe gerechtfertigt.
II.
Es ist bereits in der Klage
dargetan worden,
daß sich aus
dem Vortrag ohne weiteres die
Verpflichtung das Stück in den
Abendspiel
plan aufzunehmen und zu wiederholten Auffüh
rungen zu bringen
ergibt. Diese vertragliche
Verpflichtung muß besonders für den einge
tretenen Fall
gelten, daß das Stück einen
großen
Erfolg hatte.
Dieser Erfolg aber ist einge
treten. Fast die gesamte Presse hat das Stück
begeistert aufgenommen.
Ernste Kritiker wie
Julius Bab, Herbert Ihering, Manfred George
und Kurt Pinthus haben auf den großen Erfolg
des Stückes hingewiesen. Einige Kritiker
haben ausdrücklich Übernahme
in den Abendspiel
plan verlangt und darauf hingewiesen, daß das
Stück mindestens 100 Aufführungen erleben
könne. Ich werde ein
Konvolut Besprechungen
der
Berliner Presse aller Parteien im Termin
zu den Akten überreichen.
Der Beklagten sind
diese Besprechungen bekannt,
da sie auf sie
abonniert ist
und sie in ihrem Presse-Archiv
aufbewahrt.
Beweis: Eid.
Diese Besprechungen sind
umso bedeutsamer
und wiegen
umso schwerer, als der Verfasser des
Stückes, Herr Karl Kraus, bekanntlich seit
Jahrzehnten seine Aufgabe in
der Bekämpfung
der Presse
sieht und deshalb von dieser auf
das Schwerste abgefeindet
wird. Dies ist der
Kammer ja
aus verschiedenen Presseprozessen
bekannt.
Daß diesseits der Vertrag richtig ausge
legt wird und daß
Aufnahme in den Abend
spielplan verabredet und geplant war, ergibt
sich auch noch aus
folgendem:
Das Stück war zunächst von der Direktion
des Theaters am Schiffbauerdamm zur Auf
führung
angenommen worden. Die Volksbühne
bewarb sich dringend um die
Aufführung des
Stückes. Das
Theater am Schiffbauerdamm wollte
das Stück nicht hergeben.
Darauf betonten die
Vertreter
der Beklagten: „Die haben doch
kein
Publikum für
dieses Stück; sie wissen doch
nicht, ob Sie es in den
Abendspielplan aufnehmen,
wir aber übernehmen es bei Erfolg in den Abend
spielplan.“ Erst mit diesem Argument bekamen
sie den Kläger und das Theater am
Schiffbauerdamm
dazu, in die Übernahme des
Stückes auf die
Volksbühne zu willigen.
Beweis: Zeugnis 1. des
Direktors HeinrichFischer,
2. des Regisseurs Karlheinz
Martin.
Herr Martin, der als Vertreter der Beklagten wegen des Stückes
verhandelte, riß
sich
förmlich um das Drama und hat ausdrücklich
zugesagt, es täglich und als
Abendvorstellung
zu
spielen.
Beweis: Zeugnis 1. des
Direktors HeinrichFischer,
2. des Regisseurs KarlheinzMartin
3. der Frau Cäcilie Lvovsky
4. des Herrn Heinz DietrichKenter, Bln.-Westend,
Meiningen Allee Haus 10
Dies haben die Vertreter des
Klägers diesem
fortgesetzt mitgeteilt und
ihn bestürmt, das
Stück der Volksbühne zu überlassen. Nur darauf
hin hat der Kläger überhaupt der Volksbühne
den Aufführungsvertrag gegeben.
Beweis: Wie zuvor.
In Briefen der Vertreter des
Klägers, die ich
vorzulegen bereit bin, wird
immer wieder darauf
hingewiesen, da die Volksbühne im
Gegensatz zum
Theater am Schiffbauerdamm das Stück in Abend
vorstellungen
spielen würde und daß das doch
vorzuziehen sei. So schrieb Frau Lvovsky
unter
dem 17. Mai 1929:
„Martin möchte um alles
in der Welt die ‚Unüberwindlichen‘ spielen.
Er bestürmt mich jeden
Tag am Telefon deshalb
und fragt, wie er es machen soll, daß er das
Stück bekommt. Er wollte Schreiben, aber
ich
ich glaube, er traut
sich nicht. Ich meine
natürlich, falls Aufrecht es im Herbst nicht
spielt. Martin würde es als
Abendvorstellung
und täglich spielen.“
Herr Direktor Fischer vom Theater am Schiffbauerndamm schreibt am 16. Juli 1929:
„Herr Martin war durch Frau Lvovski über
Ihre Stellungnahme zur
Frage der ‚Unüberwindlichen‘ informiert und erklärte seine Bereit
willigkeit,
Ihre Bedingung, die ihm die Regie
untersagt zu
respektieren. Wir kamen, Ihr
Einverständnis
vorausgesetzt, überein, unseren
Vertrag auf die Volksbühne mit den entsprechen
den
Modifikationen: reguläre Abendvorstellungen
u.s.w. zu übertragen. So
aufrichtig traurig
ich
darüber bin, daß unser Theater nun
das
doppelt
zeitgemäße Stück (es wird
offenbar auf
die Sklarek-Affaire angespielt. RA. Dr. Laserstein)
ablehnt, so sachlich muß
ich einsehen, daß die
Resonanzmöglichkeit in der Arbeiterschaft
im regulären Spielplan
der Volksbühne be
trächtlich
hoher ist.“
Ich bin bereit, wie oben
schon gesagt, diese
Korrespondenz vorzulegen. Vorläufig berufe ich
mich für die Verabredung zur
Übernahme in den
Abendspielplan auf die vorstehend benannten
Zeugen.
Es wird aber auf diese
Zeugen garnicht
ankommen, da sich aus dem
geschil
derten
Sachverhalt bei einer Auslegung des
Vertrages die Verpflichtung der Beklagten
zur Serienvorstellung und
zur Übernahme in den
Abendspielplan ergibt.
Abgesehen, davon besteht
auch der Brauch
der Berliner
Bühnen, in den vom Kläger behaup
teten Umfange,
wonach erfolgreiche im Studio
herausgebrachte Stücke in den Abendspielplan
aufzuheben sind. Es ist ja
der Zweck des
Studio, den
Erfolg eines Stückes zu erproben
und der Presse eine
Möglichkeit der Kritik
zu
geben. Erst diese Kritik macht ja dann
den Erfolg des Stückes. In diesem Zusammen
hange braucht nur
auf das neue Drama des
Präsidenten Finkelnburg „Amnestie“ verwiesen
zu werden. Die Beklagte verlangt nun, daß dieser
Brauch noch vertraglich
festgelegt wird. Das
ist
selbsttverständlich unnötig. Der Vertrag
ergibt aber überdies die
Berechtigung des klä
gerischen Verlangens. Nun verschanzt sich die
Beklagte jetzt dahinter, daß das Stück in der
1. Aufführung und bei der
geplanten zweiten Auf
führung ein wirtschaftlicher Misserfolg war.
Hierzu trägt sie vor, sie
habe bei der 1. Auf
führung nur 1680.– eingenommen und sehr viele
Freikarten ausgegeben und
4763.– RM Unkosten
gehabt. Das alles wird
bestritten,
ist aber
unerheblich. Bei jeder Premiere, wie
gerichtsnotorisch ist,
werden sehr viele
Freikarten
ausgegeben 1680,– RM sind sehr
viel.
Beweis: Soweit nicht
gerichtsnotorisch
Gutachten eines gerichtlichen Sach
verständigen.
Denn bei einem neuen Stück,
wartet das
Publikum auf die
Stellungnahme der Presse. Auch
dieses dürfte gerichtsnotorisch sein. Ausserdem
– und auch das ist
gerichtsnotorisch – deckt
natürlich niemals Erstaufführung die ge
samten Ausgaben.
Noch nie hat sich die Aufführung
eines Stückes bei der
Erstaufführung gelohnt
und
alle Ausgaben gedeckt. Die Amortisation
kann erst allmählig
eintreten.
Beweis: Zeugnis und
sachverständliches Gutachten des
Direktors Heinrich Fischer
sowie falls nicht
gerichtsnotorisch, Gutachten
eines gerichtlichen Sachverständigen.
Eine Honorierung der
Schauspieler kommt bei
der
Volksbühne nicht in Frage, da diese
fest
angestellt sind.
Nimmt man aber nur die reinen
Hausunkosten, die für die 1. Vorstellung noch
nicht 500.– RM betrugen.
Beweis: Eid
so hat die Vorstellung einen
erheblichen Über
schuß gebracht, der bereits als Amortisations-
quote für die einmaligen
Aufwen
dungen
zu gelten hat; die nächsten Vorstellungen
hätte nur 250.– RM täglichen
Etat erfordert,
Beweis: Gutachten eines
gerichtlichen
Sachverständigen
sodaß das Verhältnis zu den
Einnahmen ein
noch viel
günstigeres geworden wäre. Massge
bend ist
lediglich, daß das Stück, wie
unter
Beweis gestellt,
bei Publikum und Presse einen
sensationellen seit langem nicht dagewesenen
Erfolg gehabt hat. Daß es
bereits bei der
ersten
Aufführungen alle Unkosten decken würde,
konnte die sachverständige
Beklagte nicht
annehmen.
Die Beklagte hatte aber auch damals die
Überzeugung, daß sie zu
weiteren Aufführungen
verpflichtet sei und daß das Stück
einen
Riesenerfolg gehabt
hat. Sonst hätte sie sicher
nicht eine zweite Aufführung angesetzt und über
all plakatiert:
„Wegen des
aussergewöhnlichen
Erfolges der Matinée Wiederholung der Aufführung.“
Beweis: Das Plakat, das ich
im Termin dem
Gericht vorlegen werde.
Der Beklagten ist es auch mit ihren Ein
wendungen nicht
ernst. Denn sie hatte auf ein
Mahnschreiben
des Unterzeichneten vom 1. Nov. 29
sich mit Schreiben vom 2. November 1929 darauf
berufen, es seien zur
zweiten Aufführung bis
Donnerstag, den 31. Oktober
1929 nur 165 Karten
verkauft
worden.
Beweis: Die Korrespondenz,
die ich vorlegen
werde und
Eid.
Jetzt gibt sie bereits zu,
daß 251 Karten
verkauft
worden sind und sagt vorsichtshalber
schon nicht mehr, bis zu
welcher Zeit dies ge
schehen ist.
Die Beklagte hat nämlich in Wahrheit schon
am Dienstag, den 29. Oktober
1929 den Billet
verkauf eingestellt.
Beweis: Die bereits
benannten Zeugen, sowie
evtl.
noch weiter zu benennende Zeugen
und Eid.
Dass innerhalb von noch
nicht 3 Tagen 251
Karten
verkauft wurden, ist ein großer Erfolg,
zumal bei einer
Sonntagsvorstellung das Publikum
meist erst an der Tageskasse
Karten kauft.
Schon daß die Beklagte unwahre Behauptungen
aufgestellt hat,
insbesondere bis Donnerstag
verkauft zu haben, während sie bereits am
Dienstag auf zahlreiche
Bestellungen schon
nicht mehr
verkauft hat.
Beweis: Wie zuvor
zeigt die Schwäche ihrer
Position.
Nun hat die Beklagte sich noch darauf berufen,
der Schauspieler Peter Lorre sei krank geworden
und sie habe das Stück
deshalb absetzen müssen.
Aber die Beklagte konnte ja für spätere
Aufführungen einen anderen
Schauspieler
heranziehen.
Sie hat auch die Schwäche dieses
Argumente erkannt und wehrt
sich deshalb nur
noch
dagegen, daß sie Lorre veranlasst habe,
sich krank zu melden. Dies
ist aber geschehen,
wie
bereits unter Beweis gestellt ist. Selbst
wenn Herr Dr. Zehden Herrn Lorre für schwer
krank erklärt hat, so war ja die Beklagte
nicht
als Vormund für den
Schauspieler Lorre bestellt
und braucht nicht für dessen
Gesundheit besorgt
zu sein.
Was aber in Wahrheit hier vorgegangen
ist, hört man darin, daß die
Beklagte zwei
Tage nachdem Herr Dr. Zehden Herrn Lorre für
schwer
krank erklärt hat und nachdem sie ihn
telefonisch veranlassen
wollte, nicht aufzutre
ten, ihn weiter veranlasst, bewirkt und geduldet
hat, daß Herr Lorre noch 2 Wochen lang die Rie
senrolle des
„Moritz Stiefel“ in Wedekinds
„Frühlings Erwachen“ spielte – und zwar gerade
auch an den Tagen, um die
zweite abgesagte
Aufführung
der „Unüberwindlichen“ herum. Es
ist zwar richtig, daß die
Rolle des Barkassi-
Bekessy aufregend ist. Es kann aber nicht
zuge
geben
werden, daß dies bei der Rolle des „Mo
ritz Stiefel“
weniger der Fall ist.
In Wahrheit weiß die Beklagte auch sehr
sehr gut, daß sie nach den
mündlichen und
schriftlichen
Abmachungen der Parteien, ver
pflichtet ist, das vom Kläger
erworbene Stück
„Die Unüberwindlichen“ weiter
aufzuführen. Sie
darf es aber
nicht.
Es ist nämlich auf die
Direktion der Beklagten
von der österreichischen Gesandschaft
eingewirkt worden, weitere
Aufführungen der
„Unüberwindlichen“ zu unterlassen.
Sie hat
sich der
österreichischen Gesandschaft gegen
über hierzu
verpflichten müssen. Das ist der
wahre
Grund für die fadenscheinigen Ein
wendungen der Beklagten. Was für Vorteile
die Beklagte für ihren Vertragsbruch und
für Ihre bei einem
Gesinnungstheater immerhin
merkwürdige Nachgiebigkeit gegen staatliche
aussertheaterliche Mächte
eingetauscht hat,
wird später
zu prüfen sein.
Die Verhandlungen zwischen
der österreichischen
Gesandtschaft und der Beklagten haben in
der Zwi
schenzeit
der 1. Aufführung und dem 29. Okt. 1929
stattgefunden. Das
Eingeständnis gegenüber dieser
Tatsache seitens des massgebenden Vertreters
der österreichischen
Gesandtschaft ist zwischen
dem 5. und 8. November 1929 erfolgt.
Ich bin bereit die
Persönlichkeit anzugeben
anzugeben, die namens der
österreichischen
Gesandtschaft mit der Direktion der Beklagten
verhandelt hat und weise
daraufhin, daß ich
für diese
Tatsachen zwei Zeugen benennen kann.
Vorläufig wird hierfür
jedoch den Direktoren
der
Beklagten der
Eid
hierüber zugeschoben.
Weiter wird noch folgendes
vorgetragen:
Es war zunächst geplant eine
Prominenten
Vorstellung
zu veranstalten, an der die Schau
spieler Max Hansen und Paul
Morgan mitwirken
sollten. Sowohl der Direktor der Beklagten
Neft
wie Regisseur
Martin wie auch der Dramaturg
Stark erklärten, daß das nicht ginge, weil diese
Schauspieler abends besetzt seien und keine
Zeit haben, abends zu spielen.
Beweis: Zeugnis der schon
benannten Zeugen.
Alles was nicht ausdrücklich
zugestanden
wird, wird
bestritten. Insbesondere wird bestrit
ten, daß die
erste Vorstellung über 4000.– RM
gekostet habe. Bei der
Vorstellung wurden statt
Kulissen lediglich Projektionsbilder verwendet.
Es ist ein Bruchteil der
4000.– RM aufgewendet wor
den, da die Reklame völlig mangelhaft war. Hierüber
wird der Beklagten der Eid zugeschoben. Sie mag
mag ihre Bücher vorlegen.
Falls diese etwas
anderes
ergeben so handelt es sich, was ja
häufig vorkommt, um eine
frisierte Bilanz,
ja im
Innenverhältnis der Beklagten keines
wegs unzulässig
ist.
Abschrift ist niedergelegt.
gez. Dr. Laserstein
Rechtsanwalt.