Danton’s TodFrühlings Erwachen. Eine KindertragödieAmnestieDie Unüberwindlichen. Nachkriegsdrama in vier Akten


Abschrift


BERLIN, DEN 29. Januar 1930


1


An das
Landgericht IBerlin


In Sachen
Fackel ./. Volksbühne
– 38.0.549/29 –


erwidere ich auf den klägerischenSchriftsatz vom 14.d.Ms. folgendes:


I.
Ich hinterlege auf der Geschäfts
stelle und übersende dem klägerischen
Prozessbevollmächtigten je 1 Textbuch
der „Unüberwindlichen“, in dem die
unerlaubten vom Kläger nicht genehmig
ten und nachträglich vorgenommenen
Änderungen kenntlich gemacht sind.
Für die Vornahme dieser Änderung
benenne ich die auf Seite 3 der Klage
schrift angegebenen Beweismittel.


Es war zwischen den Parteien
nicht nur im schriftlichen Aufführungsvertrag sondern auch mündlich aus
drücklich festgelegt worden, daß
keinerlei Änderungen ohne Zustimmung
des Klägers vorgenommen werden dürfen.


Beweis: Zeugnis: 1. des Direktors
Heinrich Fischer, zu laden
im Theater am Schiffbauerdamm


2. der Frau Toni Mackeben, z.l. bei der
Beklagten.


Die unzulässigen Striche werden im Einzelnen
noch wie folgt charakterisiert:


Die von der Beklagten unbefugt vorgenom
menen Änderungen sind an zahlreichen Stellen
des Buches nachweisbar. Hier seien nur die
fünf einschneidendsten angeführt. Der Autor
hatte ohne weiteres vielen Streichungen, die
selbstverständlich notwendig waren, zugestimmt,
auch eine solche selbst angegeben, die garnicht
von der Regie oder der Direktion erboten wurde
(das Telefongespräch am Schluß des zweiten
Aktes). Am 19. Okt. 1929 nachmittags, also knapp
vor der Aufführung, war ihm, nach Schluß einer
Probe, gesagt worden, daß noch etliche Striche
notwendig wären. Er begab sich mit Herrn
Regisseur Kenter in die Direktionskanzlei
und nahm solche Striche vor, die im Ganzen
noch etwa 3 Seiten ausmachten. Infolge
dieser Striche und aus bestimmten künstleri
schen Gründen wurde die Aufmachung eines
früher angegebenen Strichs besprochen und
beschlossen. Die betreffende Stelle ist wie die
vier anderen untern angegebenen nach dieser
Besprechung, hinter dem Rücken des Autors


gestrichen worden. Um 11 Uhr nachts kam
er noch in das Theater, um mit den Darstellern
des 3. Aktes in einer Garderobe diesen Akt
durchzugehen. Erfragte den dort anwesenden
Regisseur Kenter, ob er Gelegenheit hätte, den Schauspielern die am Abend zwischen 6 + 8 Uhr angesetzten Striche bekannt zu geben.
Regisseur Kenter bejahte dies (wie gleichfalls
der anwesende Herr Lorre) mit der Bemerkung,
er habe während der Vorstellung von „FrühlingsErwachen“ allen Schauspielern sämtliche Striche
genau mitteilen könnten.


Beweis: Zeugnis 1. des Regisseurs Kenter
2. des Herrn Peter Lorre
3. des Herrn Karlheinz Martin


Am nächsten Tag um ½ 12 Uhr begann die
Aufführung. Herr Karl Kraus kam eine halbe
Stunde vor Beginn in Gesellschaft des Herrn
Direktors Fischer ins Theater. Dieser kann
bezeugen, daß Herr Kraus, den er keine
Minute verließ, weder mit Herrn Direktor Martin
noch mit Regisseur Kenter in dieser Zeit über
Striche gesprochen hat und daß also von etwaigen
neuen Strichen die inzwischen, seit dem
Nachtgespräch beschlossen worden wären, keine
Rede war. (Herr Martin kam nur so weit in Be
rührung mit Herrn Kraus, als er ihn und Herrn
Direktor Fischer den Zugang zu den beiden Par
kettsitzen verschaffte, von denen der Saaldiener
behauptete, sie seien für den Arzt reserviert.)
Während der Aufführung nahm der Autor wahr, daß neue
Striche erfolgt waren, und äusserte seinem


Nachbarn gegenüber bei jeder Stelle,
die inzwischen und ohne sein Wissen gestrichen
worden war, in lebhaftester leise sein Befrem
den und seine Empörung. Denn es waren völlig
sinnlose Striche und der Schluß war durch
Weglassung der Abschlußrede Wackers
einfach ruiniert worden. Als der Autor bei
den zahllosen Aufgängen des Vorhangs auf die
Bühne kam, fragte er Herrn Direktor Martin,
wer die sinnstörenden Streichungen, ohne seine
Zustimmung zu erbitten, veranlasst habe. Herr
Direktor Martin sagte: „Das war notwendig, weil
wir Zeit für den Umbau zur Nachmittagsvorstel
lung ‚Dantons Tod‘ brauchen.“ Herr Karl Kraus
kam in dem Tumult, der auf der Szene herrschte
nicht dazu, Herrn Martin darauf aufmerksam zu
machen, daß erstens die Notwendigkeit des Umbaus
für eine spätere Vorstellung nicht die Verstümm
lung der ersten rechtfertigen könne und zweitens,
daß man ja lieber von dem vierzig Minuten dauernden
Hervorrufen hätte fünf Minuten abziehen können
und eher den eisernen Vorhang fallen lassen.


Beweis: Zeugnis 1. des Herrn Peter Lorre,
2. des Herrn Direktors
Martin.


Die Striche beziehen sich, abgesehen davon
daß auch der Vorhang beim ersten Aktschluß vorzei
tig fiel und der Darsteller des Barkassy (Herr


Lorre) um die Tanzpantomime gebracht
wurde and auch beim dritten Aktschluß etwas
ähnliches geschah, ferner abgesehen von etlichen
kleineren Verstümmlungen – auf die folgenden
Stellen:


S. 123 die als Kontrast zum Maschinengewehr
wichtige Stelle der Verabreichung des
Sparkassenbuchs um des „Stritz“
S. 129 die wesentliche Stelle, durch die die
psychische Verwandlung der Konzeptsbe
amten motiviert wird: sie sprechen plötz
lich Anklagen. „Es ist das Gift der
Feindberichte …“ bis zur Erklärung
„dass es ein Racheakt sei“. Kein Hörer
konnte verstehen, wieso sie „sein
(Arkus) Pfeil des Hasses getroffen hat“,
wenn diese Stelle unvermittelt gespro
chen wurde. Von „Aufklärungen“ war die
Rede. Diese erfolgten aber nicht. Die
ganze wichtige Stelle war vollkommen um
den Sinn gebracht; mehr als das: der
ganze Vorgang, der den Inhalt
des Aktes bildet.
S. 135 Von größter Wichtigkeit war als Kon
trastelement die Beibehaltung der Phrasen
„Kommen Sie in die Berge – die Salzburger
Festspiele etc.“ Dieses Moment stellt die


Mechanik der Fremdenverkehrspropagan
da in Kontrast zu dem Bericht über die
blutigen Ereignisse. Am Tag vor der Auf
führung hatte der Autor diese Stelle
noch mit den beiden Darstellern (Almas
und Schweitzer) besprochen. Immer wieder
war von der Regie versichert worden, daß
sie bleibe. In der Aufführung fehlte
sie.
S. 151 Mit der Stelle: „Aber sagen sie mir,
was macht Lobes?“ bis „Ganeff“ war die
Figur des Lobes als solche gestrichen.
Aber das bedeutet nicht bloß den Ver
lust der Stelle und der sprechenden
Figur, sondern es bewirkte auch die
störende Sinnwidrigkeit, daß der
Darsteller der prononciert jüdisch
aussehenden Figur stumm unter den
arischen Festgästen dasaß und kein Zu
schauer verstand, was dieser abson
derliche Ausnahmefall bedeuten sollte.
Es wirkte störend und ablenkend, da die
Figur nicht in Aktion eintrat. So, daß
diese also nicht nur verkümmert, sondern
auch gestört war.
S. 157 Der Dialog, den der widerkehrende
Barkassy mit Wacker führt, war bis zu einer


Beiläufigkeit verkürzt, die die
Kritik dem Autor angelastet hat, von
dessen „schwächsten“ vierten Akt sie
sprach. An und für sich nicht mit Un
recht, da eben durch sinnlose Striche der
stärkste Akt tatsächlich zu dem sprachlich
inkonzisesten, saloppsten gemacht worden
war.


Beweis: Die Kritiken, die ich im
Termin überreichen werde.


Bessere Kenner hatten den Eindruck ,
daß irgendetwas passiert sein müsse und da
man schnell zum Schluß kommen wollte.
Dieser wurde aber einfach abgebrochen.
Die Darsteller standen auf der Bühne,
völlig überrascht davon, daß der Vor
hang fiel. Der ganze Sinn dieses Aktes
wurde zerstört dadurch, daß der Vor
hang nach den Worten auf S. 157 – „…
… heilige Nacht“ fiel, so daß nicht nur
der Gesang des Betrunkenen, von dem
verabredeter Massen einige Zeilen bleiben
sollten, unterblieb, sondern ungeheuer
licher Weise auch alles was auf Seite
158 steht: die Rede Wackers, die Schluß
apotheose, durch die überhaupt erst der


ganze Kontrast der Satire plastisch
wird.


Niemals hätte der Autor eingewilligt, wenn ihm
auch nur dieser eine Strich, der das Wesent
lichste verletzt, zur Bedingung der Aufführung
gemacht worden wäre. Aber um jedes einzelnen
der hier angegebenen und ohne sein Wissen vor
genommenen Striche willen hätte er die Aufführung
inhibiert.


Der Fall liegt so, daß am 19. Oktober nach
8 Uhr abends offenbar Herr Regisseur Kenter
angewiesen wurde, noch diese Striche außer den
vom Kläger mit ihm festgesetzten zu machen, und daß
Herr Kenter um 11 Uhr abends, als der Kläger in
die Garderobe kam, auch diese Striche den Schau
spielern schon mitgeteilt hatte, ohne aber dem
Autor mitzuteilen, daß auch dies geschehen sei,
wohl wissend, daß der Autor nie seine Zustim
mung gegeben hätte. Zwischen 1 Uhr nachts, als der
Autor die Garderobe verließ, und dem nächsten
Vormittag können die Striche nicht festgesetzt
worden sein. Der Regisseur, dem der Direktor
vermutlich diese Striche angeschafft hatte –
vielleicht indem er ihm sagte, er nehme es
auf sich und werde so schon vor dem Autor ver
treten – hat es diesem verheimlicht. Die in der
Garderobe anwesenden Schauspieler aber mußten


glauben, daß alle Striche vom Autor ge
nehmigt seien. Diese Striche stellen einen
so schweren Eingriff vor, daß der Autor – ge
gegenüber den Pressestimmen, die den so ver
stümmelten vierten Akt angegriffen haben –
sich genötigt sah, gleich am 21. Oktober in
einem in Berlin gehaltenen Vortrag einen
Protest vorzubringen.


Es wird festgestellt, daß die angegebenen Stellen
auf Seite 129 und 157/158 die weggelassenen
Motive und Gedanken bezeichnen, deren Strei
chungen eben den wesentlichen Eingriff bedeutet.
Der totale Wortlaut wird für diese Stellen keines
wegs reklamiert. Daß innerhalb dieser Stellen
da oder dort schon vorher mit Genehmigung des
Autors eine Verkürzung angebracht war, wird
ohne weiteres zugegeben. Bei der Stelle
S. 129 ist dies aber nicht wahrscheinlich, bei
S. 157/158 dagegen war in dem Liedtext und in
dar Wackerrede je eine kleine Streichung ge
nehmigt Da der Autor kein Regieexemplar be
sitzt, so ist es nicht möglich, festzu
stellen, welche unwesentlichen Stellen inner
halb der wesentlichen mit seinem Einverständnis
gestrichen waren, es kommt aber auch garnicht
darauf an, da der Strich innerhalb des Striches
anerkannt war und nur der wesentliche (auch


räumlich überwiegende) Rest reklamiert
wird. Der Autor, der auf diesen Eingriff ja
nicht gefasst war und Notizmaterial (Buch,
Schreibpapier etc.) nicht in die Aufführung
mitgenommen hatte, konnte während dieser selbst
verständlich nur seine Kenntnis des Textes
zur Kontrolle benützen. Sein Gedächtnis wird ihn
aber allzeit bekundenlassen, daß jene Stellen
nicht vorgekommen sind, daß ihre Weglassung
niemals besprochen und genehmigt worden und daß
sie also nach der letzten von ihm durchgeführten
und bewilligten Streichung hinterrücks erfolgt
ist. Es wird wiederholt darauf hingewiesen, daß
er auf jede einzelne der vermissten Stellen
Herrn Direktor Fischer, seinen Sitznachbarn,
aufmerksam gemacht und unmittelbar nach Schluß
Herrn Direktor Martin interpelliert hat, dessen
Antwort an sich schon ein Beweis dafür ist, daß
die Direktion ohne den Autor zu befragen Striche
vorgenommen hatte, und ein Beweis, der der Ab
leugnung im Schriftsatz diametral entgegensteht.
Dieser steht übrigens auch die Tatsache entgegen,
daß die Direktion der Volksbühne die Beschwerde
des Autors längst zur Kenntnis genommen und ihr
durch eine Wortfügung Rechnung getragen hatte,
die in der zweiten Vorstellung in Wirksamkeit
treten sollte; nämlich der Reparatur des


Textschadens, die in der hier folgenden,
von der Volksbühne versandten Zeitungsnotiz
angekündigt war. (Eine offizielle Notiz übrigens,
in der der „große Erfolg“ festgestellt und
„zunächst“ eine Wiederholung angekündigt wurde):


Abschrift.
„‚DIE UNÜBERWINDLICHEN‘ von Karl Kraus
werden nach dem großen Erfolg der Matiné
zunächst am 3. November, nachmittags 3 Uhr
von dem Studio der Volksbühne zugunsten
des Ferienfonds der Angestellten im Theateram Bülowplatz in der Premierenbesetzung wie
derholt werden. In dieser Aufführung wird der
vierte Akt, den Wunsch des Autors entsprechend,
in einer weniger gekürzten Form gespielt.“


Beweis: Die in der Geschäftsstelle
niedergelegte Originalnotiz.


Zum Beweis für die vorstehenden Behauptungen
werden die auf Seite 3 der Klageschrift ange
gebenen Zeugen benannt, insbesondere die
Herren Kenter, Lorre und Martin und Fischer.
Ausserdem wird auf das Gutachten eines gericht
lichen Sachverständigen der Literatur Bezug ge
nommen.


Somit ist das Verlangen nach einer Vertrags
strafe gerechtfertigt.


II.
Es ist bereits in der Klage dargetan worden,
daß sich aus dem Vortrag ohne weiteres die
Verpflichtung das Stück in den Abendspiel
plan aufzunehmen und zu wiederholten Auffüh
rungen zu bringen ergibt. Diese vertragliche
Verpflichtung muß besonders für den einge
tretenen Fall gelten, daß das Stück einen großen
Erfolg hatte. Dieser Erfolg aber ist einge
treten. Fast die gesamte Presse hat das Stück
begeistert aufgenommen. Ernste Kritiker wie
Julius Bab, Herbert Ihering, Manfred George
und Kurt Pinthus haben auf den großen Erfolg
des Stückes hingewiesen. Einige Kritiker
haben ausdrücklich Übernahme in den Abendspiel
plan verlangt und darauf hingewiesen, daß das
Stück mindestens 100 Aufführungen erleben
könne. Ich werde ein Konvolut Besprechungen
der Berliner Presse aller Parteien im Termin
zu den Akten überreichen. Der Beklagten sind
diese Besprechungen bekannt, da sie auf sie
abonniert ist und sie in ihrem Presse-Archiv
aufbewahrt.


Beweis: Eid.


Diese Besprechungen sind umso bedeutsamer
und wiegen umso schwerer, als der Verfasser des


Stückes, Herr Karl Kraus, bekanntlich seit
Jahrzehnten seine Aufgabe in der Bekämpfung
der Presse sieht und deshalb von dieser auf
das Schwerste abgefeindet wird. Dies ist der
Kammer ja aus verschiedenen Presseprozessen
bekannt.


Daß diesseits der Vertrag richtig ausge
legt wird und daß Aufnahme in den Abend
spielplan verabredet und geplant war, ergibt
sich auch noch aus folgendem:


Das Stück war zunächst von der Direktion
des Theaters am Schiffbauerdamm zur Auf
führung angenommen worden. Die Volksbühne
bewarb sich dringend um die Aufführung des
Stückes. Das Theater am Schiffbauerdamm wollte
das Stück nicht hergeben. Darauf betonten die
Vertreter der Beklagten: „Die haben doch kein
Publikum für dieses Stück; sie wissen doch
nicht, ob Sie es in den Abendspielplan aufnehmen,
wir aber übernehmen es bei Erfolg in den Abend
spielplan.“ Erst mit diesem Argument bekamen
sie den Kläger und das Theater am Schiffbauerdamm
dazu, in die Übernahme des Stückes auf die
Volksbühne zu willigen.


Beweis: Zeugnis 1. des Direktors HeinrichFischer,
2. des Regisseurs Karlheinz Martin.


Herr Martin, der als Vertreter der Beklagten wegen des Stückes verhandelte, riß
sich förmlich um das Drama und hat ausdrücklich
zugesagt, es täglich und als Abendvorstellung
zu spielen.


Beweis: Zeugnis 1. des Direktors HeinrichFischer,
2. des Regisseurs KarlheinzMartin
3. der Frau Cäcilie Lvovsky
4. des Herrn Heinz DietrichKenter, Bln.-Westend,
Meiningen Allee Haus 10


Dies haben die Vertreter des Klägers diesem
fortgesetzt mitgeteilt und ihn bestürmt, das
Stück der Volksbühne zu überlassen. Nur darauf
hin hat der Kläger überhaupt der Volksbühne
den Aufführungsvertrag gegeben.


Beweis: Wie zuvor.


In Briefen der Vertreter des Klägers, die ich
vorzulegen bereit bin, wird immer wieder darauf
hingewiesen, da die Volksbühne im Gegensatz zum
Theater am Schiffbauerdamm das Stück in Abend
vorstellungen spielen würde und daß das doch
vorzuziehen sei. So schrieb Frau Lvovsky unter
dem 17. Mai 1929: „Martin möchte um alles
in der Welt die ‚Unüberwindlichen‘ spielen.
Er bestürmt mich jeden Tag am Telefon deshalb
und fragt, wie er es machen soll, daß er das
Stück bekommt. Er wollte Schreiben, aber ich


ich glaube, er traut sich nicht. Ich meine
natürlich, falls Aufrecht es im Herbst nicht
spielt. Martin würde es als Abendvorstellung
und täglich spielen.“


Herr Direktor Fischer vom Theater am Schiffbauerndamm schreibt am 16. Juli 1929:


„Herr Martin war durch Frau Lvovski über
Ihre Stellungnahme zur Frage der ‚Unüberwindlichen‘ informiert und erklärte seine Bereit
willigkeit, Ihre Bedingung, die ihm die Regie
untersagt zu respektieren. Wir kamen, Ihr
Einverständnis vorausgesetzt, überein, unseren
Vertrag auf die Volksbühne mit den entsprechen
den Modifikationen: reguläre Abendvorstellungen
u.s.w. zu übertragen. So aufrichtig traurig
ich darüber bin, daß unser Theater nun das
doppelt zeitgemäße Stück (es wird offenbar auf
die Sklarek-Affaire angespielt. RA. Dr. Laserstein)
ablehnt, so sachlich muß ich einsehen, daß die
Resonanzmöglichkeit in der Arbeiterschaft
im regulären Spielplan der Volksbühne be
trächtlich hoher ist.“


Ich bin bereit, wie oben schon gesagt, diese
Korrespondenz vorzulegen. Vorläufig berufe ich
mich für die Verabredung zur Übernahme in den
Abendspielplan auf die vorstehend benannten
Zeugen.


Es wird aber auf diese Zeugen garnicht


ankommen, da sich aus dem geschil
derten Sachverhalt bei einer Auslegung des
Vertrages die Verpflichtung der Beklagten
zur Serienvorstellung und zur Übernahme in den
Abendspielplan ergibt.


Abgesehen, davon besteht auch der Brauch
der Berliner Bühnen, in den vom Kläger behaup
teten Umfange, wonach erfolgreiche im Studio
herausgebrachte Stücke in den Abendspielplan
aufzuheben sind. Es ist ja der Zweck des
Studio, den Erfolg eines Stückes zu erproben
und der Presse eine Möglichkeit der Kritik
zu geben. Erst diese Kritik macht ja dann
den Erfolg des Stückes. In diesem Zusammen
hange braucht nur auf das neue Drama des
Präsidenten FinkelnburgAmnestie“ verwiesen
zu werden. Die Beklagte verlangt nun, daß dieser
Brauch noch vertraglich festgelegt wird. Das
ist selbsttverständlich unnötig. Der Vertrag
ergibt aber überdies die Berechtigung des klä
gerischen Verlangens. Nun verschanzt sich die
Beklagte jetzt dahinter, daß das Stück in der
1. Aufführung und bei der geplanten zweiten Auf
führung ein wirtschaftlicher Misserfolg war.
Hierzu trägt sie vor, sie habe bei der 1. Auf
führung nur 1680.– eingenommen und sehr viele
Freikarten ausgegeben und 4763.– RM Unkosten


gehabt. Das alles wird bestritten,
ist aber unerheblich. Bei jeder Premiere, wie
gerichtsnotorisch ist, werden sehr viele
Freikarten ausgegeben 1680,– RM sind sehr
viel.


Beweis: Soweit nicht gerichtsnotorisch
Gutachten eines gerichtlichen Sach
verständigen.


Denn bei einem neuen Stück, wartet das
Publikum auf die Stellungnahme der Presse. Auch
dieses dürfte gerichtsnotorisch sein. Ausserdem
– und auch das ist gerichtsnotorisch – deckt
natürlich niemals Erstaufführung die ge
samten Ausgaben. Noch nie hat sich die Aufführung
eines Stückes bei der Erstaufführung gelohnt
und alle Ausgaben gedeckt. Die Amortisation
kann erst allmählig eintreten.


Beweis: Zeugnis und sachverständliches Gutachten des
Direktors Heinrich Fischer
sowie falls nicht gerichtsnotorisch, Gutachten
eines gerichtlichen Sachverständigen.


Eine Honorierung der Schauspieler kommt bei
der Volksbühne nicht in Frage, da diese fest
angestellt sind. Nimmt man aber nur die reinen
Hausunkosten, die für die 1. Vorstellung noch
nicht 500.– RM betrugen.


Beweis: Eid


so hat die Vorstellung einen erheblichen Über
schuß gebracht, der bereits als Amortisations-


quote für die einmaligen Aufwen
dungen zu gelten hat; die nächsten Vorstellungen
hätte nur 250.– RM täglichen Etat erfordert,


Beweis: Gutachten eines gerichtlichen
Sachverständigen


sodaß das Verhältnis zu den Einnahmen ein
noch viel günstigeres geworden wäre. Massge
bend ist lediglich, daß das Stück, wie unter
Beweis gestellt, bei Publikum und Presse einen
sensationellen seit langem nicht dagewesenen
Erfolg gehabt hat. Daß es bereits bei der
ersten Aufführungen alle Unkosten decken würde,
konnte die sachverständige Beklagte nicht
annehmen.


Die Beklagte hatte aber auch damals die
Überzeugung, daß sie zu weiteren Aufführungen
verpflichtet sei und daß das Stück einen
Riesenerfolg gehabt hat. Sonst hätte sie sicher
nicht eine zweite Aufführung angesetzt und über
all plakatiert: „Wegen des aussergewöhnlichen
Erfolges der Matinée Wiederholung der Aufführung.“


Beweis: Das Plakat, das ich im Termin dem
Gericht vorlegen werde.


Der Beklagten ist es auch mit ihren Ein
wendungen nicht ernst. Denn sie hatte auf ein
Mahnschreiben des Unterzeichneten vom 1. Nov. 29
sich mit Schreiben vom 2. November 1929 darauf
berufen, es seien zur zweiten Aufführung bis


Donnerstag, den 31. Oktober 1929 nur 165 Karten
verkauft worden.


Beweis: Die Korrespondenz, die ich vorlegen
werde und Eid.


Jetzt gibt sie bereits zu, daß 251 Karten
verkauft worden sind und sagt vorsichtshalber
schon nicht mehr, bis zu welcher Zeit dies ge
schehen ist.


Die Beklagte hat nämlich in Wahrheit schon
am Dienstag, den 29. Oktober 1929 den Billet
verkauf eingestellt.


Beweis: Die bereits benannten Zeugen, sowie
evtl. noch weiter zu benennende Zeugen
und Eid.


Dass innerhalb von noch nicht 3 Tagen 251
Karten verkauft wurden, ist ein großer Erfolg,
zumal bei einer Sonntagsvorstellung das Publikum
meist erst an der Tageskasse Karten kauft.


Schon daß die Beklagte unwahre Behauptungen
aufgestellt hat, insbesondere bis Donnerstag
verkauft zu haben, während sie bereits am
Dienstag auf zahlreiche Bestellungen schon
nicht mehr verkauft hat.


Beweis: Wie zuvor


zeigt die Schwäche ihrer Position.


Nun hat die Beklagte sich noch darauf berufen,
der Schauspieler Peter Lorre sei krank geworden
und sie habe das Stück deshalb absetzen müssen.


Aber die Beklagte konnte ja für spätere


Aufführungen einen anderen Schauspieler
heranziehen. Sie hat auch die Schwäche dieses
Argumente erkannt und wehrt sich deshalb nur
noch dagegen, daß sie Lorre veranlasst habe,
sich krank zu melden. Dies ist aber geschehen,
wie bereits unter Beweis gestellt ist. Selbst
wenn Herr Dr. Zehden Herrn Lorre für schwer
krank erklärt hat, so war ja die Beklagte nicht
als Vormund für den Schauspieler Lorre bestellt
und braucht nicht für dessen Gesundheit besorgt
zu sein. Was aber in Wahrheit hier vorgegangen
ist, hört man darin, daß die Beklagte zwei
Tage nachdem Herr Dr. Zehden Herrn Lorre für
schwer krank erklärt hat und nachdem sie ihn
telefonisch veranlassen wollte, nicht aufzutre
ten, ihn weiter veranlasst, bewirkt und geduldet
hat, daß Herr Lorre noch 2 Wochen lang die Rie
senrolle des „Moritz Stiefel“ in Wedekinds
Frühlings Erwachen“ spielte – und zwar gerade
auch an den Tagen, um die zweite abgesagte
Aufführung der „Unüberwindlichen“ herum. Es
ist zwar richtig, daß die Rolle des Barkassi-
Bekessy aufregend ist. Es kann aber nicht zuge
geben werden, daß dies bei der Rolle des „Mo
ritz Stiefel“ weniger der Fall ist.


In Wahrheit weiß die Beklagte auch sehr


sehr gut, daß sie nach den mündlichen und
schriftlichen Abmachungen der Parteien, ver
pflichtet ist, das vom Kläger erworbene Stück
Die Unüberwindlichen“ weiter aufzuführen. Sie
darf es aber nicht.


Es ist nämlich auf die Direktion der Beklagten von der österreichischen Gesandschaft
eingewirkt worden, weitere Aufführungen der
Unüberwindlichen“ zu unterlassen. Sie hat
sich der österreichischen Gesandschaft gegen
über hierzu verpflichten müssen. Das ist der
wahre Grund für die fadenscheinigen Ein
wendungen der Beklagten. Was für Vorteile
die Beklagte für ihren Vertragsbruch und
für Ihre bei einem Gesinnungstheater immerhin
merkwürdige Nachgiebigkeit gegen staatliche
aussertheaterliche Mächte eingetauscht hat,
wird später zu prüfen sein.


Die Verhandlungen zwischen der österreichischen
Gesandtschaft und der Beklagten haben in der Zwi
schenzeit der 1. Aufführung und dem 29. Okt. 1929
stattgefunden. Das Eingeständnis gegenüber dieser
Tatsache seitens des massgebenden Vertreters
der österreichischen Gesandtschaft ist zwischen
dem 5. und 8. November 1929 erfolgt.


Ich bin bereit die Persönlichkeit anzugeben


anzugeben, die namens der österreichischen
Gesandtschaft mit der Direktion der Beklagten
verhandelt hat und weise daraufhin, daß ich
für diese Tatsachen zwei Zeugen benennen kann.
Vorläufig wird hierfür jedoch den Direktoren
der Beklagten der
Eid
hierüber zugeschoben.


Weiter wird noch folgendes vorgetragen:


Es war zunächst geplant eine Prominenten
Vorstellung zu veranstalten, an der die Schau
spieler Max Hansen und Paul Morgan mitwirken
sollten. Sowohl der Direktor der Beklagten Neft
wie Regisseur Martin wie auch der Dramaturg
Stark erklärten, daß das nicht ginge, weil diese
Schauspieler abends besetzt seien und keine
Zeit haben, abends zu spielen.


Beweis: Zeugnis der schon benannten Zeugen.


Alles was nicht ausdrücklich zugestanden
wird, wird bestritten. Insbesondere wird bestrit
ten, daß die erste Vorstellung über 4000.– RM
gekostet habe. Bei der Vorstellung wurden statt
Kulissen lediglich Projektionsbilder verwendet.
Es ist ein Bruchteil der 4000.– RM aufgewendet wor
den, da die Reklame völlig mangelhaft war. Hierüber
wird der Beklagten der Eid zugeschoben. Sie mag


mag ihre Bücher vorlegen. Falls diese etwas
anderes ergeben so handelt es sich, was ja
häufig vorkommt, um eine frisierte Bilanz,
ja im Innenverhältnis der Beklagten keines
wegs unzulässig ist.


Abschrift ist niedergelegt.


gez. Dr. Laserstein
Rechtsanwalt.