Abschrift.
Berlin, den 12. Dezember 1931
An das
AmtsgerichtBerlin-Mitte
In Sachen
Kraus gegen Ludwig
148.B.600/31
lege ich, namens des Privatklägers,
gegen den Beschluss des Amtsgerichts BerlinMitte, vom 4. Dezember
1931, durch den die
Privatklage auf
Kosten des Privatklägers
zurückgewiesen wird, hiermit
sofortige
Beschwerde
ein.
Ich beantrage:
den Beschluss aufzuheben und der
Privatklage stattzugeben.
Der angefochtene Beschluss rechtfertigt
in seinen Gründen die
Zurückweisung der
Privatklage damit, dass zwar der Privatkläger
in der inkriminierten
Schilderung des Beschuldigten
wenig günstig abschneide, ja viel
leicht mit Recht sich verletzt
fühlen könne,
dass aber immerhin
die Schilderung in Form
einer
Gegenüberstellung mit dem Schriftsteller
Altenberg erfolgt sei, und dass dieser offen
sichtlich dem Beschuldigten
besonders sympa
tisch
war. Es ist nicht zu erkennen, wieso eine
Äusserung, die an sich
ehrenkränkend ist, dadurch von ihrer Straf
barkeit verlieren kann, dass sie
bei Gelegenheit einer Gegenüber
stellung mit einer anderen Person
erfolgte, oder gar dadurch, dass die ver
glichene Person dem
Beleidiger besonders sympatisch sei. Es ist
auch nicht zu verstehen, warum,
wie die Gründe des Beschlusses aus
führen, ein Abwägen der
Persönlichkeit des Privatklägers
mit
gegenüber
der
jenigen
des Schriftstellers Altenberg vom Standpunkt des Beschuldigten eine abfällige
Kritik der Person des Privatklägers bedin
gen bzw. rechtfertigen kann, wenn
diese Kritik an sich ehrver
letzenden Charakter trägt. Nun
legt zwar das Amtsgericht BerlinMitte die beanstandeten und zum Gegenstand der Privatklage ge
machen Äusserungen des Beschuldigten so aus, dass aus ihnen das
Bewusstsein oder die Absicht
einer Beleidigung des Privatklägers
nicht gefolgert werden dürfe.
Das Gericht
rechtfertigt aber diesen
Schluss
durch Gedankengänge, die dem § 193 Strafgesetzbuchs
entnommen
bezw. in Analogie zu
diesem aufgestellt sind. Dies ist aber
nicht zulässig. Der § 193 Strafgesetzbuch zählt die Fälle auf,
in denen eine tadelnde Kritik vor
der Verfolgung wegen Beleidigung
gesichert ist. Es handelt sich dabei lediglich um Urteile über
wissenschaftliche, künstlerische
oder gewerbliche Leistungen. Der
§ 193 sagt mit keinem Worte, dass es erlaubt sei, den
Charakter
einer lebendigen
Persönlichkeit in einem Buch, sei es auch im Ver
gleich mit anderen
Persönlichkeiten, kränkend herabzusetzen oder
dem Urteil der Leser als
vorächtlich darzustellen. Das ist hier,
wie sich aus den inkriminierten
Stellen einwandfrei ergibt, ge
schehen.
Was aber der angefochtene Beschluss vollkommen übersieht,
ist der Umstand, dass die Privatklage auch
auf den § 156 Strafgesetzbuch gestützt war,
der ebenjenigen mit einer Strafe be
droht, der in Beziehung auf einer
anderen Tatsachen be
hauptet oder verbreitet, welche
denselben verächtlich zu machen
oder in der öffentlichen Meinung herabzusetzen geeignet sind.
Dies hat der Beschuldigte getan,
dadurch, dass er von dem Privatkläger behauptet:
„wenn er Geld für arme Menschen und
Tiere her
gibt, so
muss er es auf jedes Plakat und in jede
Nummer seiner Zeitschrift schreiben.“
Durch diese Behauptung einer
Tatsache, in der dem Privatkläger der
Vorwurf
gemacht wird, er übe Wohltätigkeit aus egoistischen Zwecken
und aus Eigennutz aus, wird er in
der öffentlichen Meinung und dem
Urteil seiner Leser herabgewürdigt. Der Beschuldigte hätte
den Nach
weis zu
bringen, dass diese Tatsachen erweislich wahr sind. Solange
dieser Nachweis nicht erbracht
ist, durfte das Gericht die Privatklage nicht zurückweisen
und konnte insbesondere diesen Vorwurf
gegenüber dem Beschuldigten nicht
mit der Begründung abtun, es hätte
ihm offenbar die Absicht der Beleidigung gefehlt, denn der §
186Strafgesetzbuch
setzt lediglich voraus, dass jemand Tatsachen vor
bringt, die objektiv geeignet
sind, eine andere Person verächtlich
zu machen oder herabzusetzen,
ganz unabhängig davon, ob hiermit eine
beleidigende Absicht verfolgt
war.
gez. Dr. Katz
Rechtsanwalt