Sehr geehrter Herr Kollege!


Wie Sie wissen, hat Herr Kraus gegen den
Rechtsanwalt Otto Landsberg eine Beleidigungsklage eingebracht,
die mit einem beigelegten, Herrn Kraus gestern, den 9. Februar
1932 zugestellten Beschluss, abgetan wurde. Ich glaube, dass
diese Klage noch von Herrn Dr. Laserstein verfasst, und weiss
nicht, ob der gleiche Beschluss nicht ihm schon vor längerer
Zeit zugestellt worden ist, so dass ein Rechtsmittel nicht mehr
eingebracht werden kann. Sie müssen dies aus dem Gerichtsakt er
heben. Wenn aber die Rechtskraft dieses Beschlusses noch nicht
eingetreten ist, sei es, dass Herr Dr. Laserstein oder Sie einen
solchen Beschluss nicht erhalten haben oder die Rechtsmittel
frist vom Tage der Zustellung an den Privatankläger selbst zu
laufen beginnt, so bittet Sie Herr Kraus, gegen diese absonder
liche Entscheidung ein Rechtsmittel zu erheben. Besonders erlaube
ich mir Ihre Aufmerksamkeit auf die am Rand rot angestrichenen
Stellen zu lenken, die wohl eine absurde Begründung für die
Geringfügigkeit der Beleidigung darstellen. Auch wäre es in
teressant, zu wissen, welche Ermittlungen das Gericht vorge
nommen hat, um sich über den Verlauf der Berufungsverhandlung
vom 19. Oktober 1931 zu orientieren. Herr Kraus will auch Ihre
Aufmerksamkeit darauf lenken, dass der Unterzeichnete Dr. Bues
nach seinem Erinnern der Richter erster Instanz war, dessen
Urteil von der zweiten Instanz aufgehoben wurde und er ver
mutet, wenn dies der Fall sein sollte, dass die jetzige Ein
stellung eine Reaktion auf die Abänderung des Urteils in der
Hauptsache darstellt.


Merkwürdig erscheint auch die Wendung, dass
Herr Landsberg „als gewissenhafter Anwalt von seinem Stand
punkte aus die Beweisanträge des Privatklägers als Verschleppungs
anträge und rücksichtslose Ausnützung der strafrechtlichen Ver
fahrensvorschriften empfinden konnte, zumal diese Anträge von
der herausfordernden Miene des Privatklägers begleitet wurden.“
Wenn Herr Landsberg Anträge des Privatklägers als Verschleppungs
anträge betrachtete, so konnte er sich gegen die Zulassung der
Anträge aussprechen. Das hat mit seiner Gewissenhaftigkeit gar
nichts zu tun, im Gegenteil, wenn es auf Gewissenhaftigkeit
überhaupt ankommt, so hatte er sachlich zu prüfen, ob die Anträge
des Privatklägers berechtigt waren oder nicht. Es wäre eine ab
surde Meinung, jemanden, dem Anträge der Gegenseite nicht pas
sen, das Recht zuzugestehen, anstatt mit sachlichen Gegenargu
menten, mit Beleidigungen zu reagieren, am allerwenigsten aber
mit Formalbeleidigungen. Die Gewissenhaftigkeit eines Anwaltes
müsste sich doch in erster Linie dahin ausdrücken, dass ihm
„solche Entgleisungen“ nicht passieren. Ferner möchte ich darauf
hinweisen, dass das Gericht in seinem Beschluss sagt, dass die
Worte des Beschuldigten „als offensichtliche, nicht streng zu
ahndende Entgleisungen“ zu würdigen sind, durch die Einstellung
des Verfahrens aber nicht einmal eine milde Ahndung dieser Ent
gleisungen vornimmt. Da Sie ja selbst bei dieser Berufungsver
handlung interveniert haben, werden Sie sich ja auch über das
„eigene Verhalten des Privatklägers“, das ihm einer straflosen
Beleidigung ausgesetzt hat, ja ein Bild machen können und
darauf entsprechend reagieren.


Indem ich Sie bitte, mir Ihre Ansicht über
die Sache mitzuteilen, zeichne ich mit den besten Grüssen und vor
züglicher kollegialer Hochachtung


Ihr ergebener


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