La PéricholeMadame l’archiducDie Fackel


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Sehr geehrte Herren!


Wir sind leider, entgegen unserer Eröffnung vom 29. März, ge
nötigt, noch einmal ein Schreiben an Sie gelangen zu lassen, weil wir
es unmöglich hinnehmen können, daß der von uns gekennzeichnete Versuch
der Dummacherei sich nun nicht mehr auf die Verteidigung beschränkt,
sondern zur Anklage übergeht, wie Ihre an unseren Rechtsvertreter am29. März gesandte Anschrift beweist. Allerdings war sie vor dem Ein
langen unseres letzten, leider nun doch nicht letzten, Schreibens ver
faßt. Da wir aber nicht wissen, ob Sie nicht trotz dessen Klarlegung
und also nach wie vor den Anspruch erheben, daß ihnen in der Angelegen
heit des Gesangstextdruckes nach gröblicher Verfehlung auch moralisch
Kleingeld herauskommt, und weil wir nicht gewillt sind, zu dulden, daß
auch nur in Ihren Geschäftspapieren uns berührende Unwahrheiten beste
hen bleiben, so müssen wir Sie, so schwer uns dieses neue Opfer an
Zeit und Arbeit fällt, im Tatsächlichen eines bessern belehren.


Sie haben sich erlaubt, vor unsern Rechtsanwalt, also auch
vor Herrn Karl Kraus mit dem Entschluß hinzutreten, irgendetwas „fest
legen“ zu wollen, wiewohl in der ganzen Entwicklung der Dinge, die
zwischen ihm und Ihnen spielen, vom ersten Tage an nichts festzulegen
ist als Ihr schwankendes Verhalten: ein einziger Mißbrauch des Ver
trauens, durch den es Ihnen gelungen ist, einem Autor seine geistige
Arbeit wegzunehmen und in einer Art zu verwalten und zu verwenden, von
der Sie sehr wohl wissen, daß sie das diametrale Gegenteil der Voraus
setzung bedeutet, unter der er sich herbeigelassen hat, sie Ihnen zu
übergeben. Sie haben nicht allein durch eine verschwiegene Vertrags
verletzung die Verhunzung dieser Arbeit durch die Theaterpraxis ermög
licht, sondern auch vorher schon im eigensten Wirkungskreise wenig
stens
(bei Madame l’Archiduc) durch Leichtfertigkeit eine Grundlage für
den Theatergebrauch entstehen lassen, die der Autor fast in keiner ihm
wie an sich wesentlichen Stelle: als identisch mit seinem Werke anse
hen kann und die nachweislich fast in jeder solchen Stelle nicht nur
dem sprachlichen und eben deshalb auch musikalischen Wert (auf den es
ihm hier ankommt) Abbruch tut, sondern auch die rein theatermäßige,
musikdramatische Wirkung schwer beeinträchtigt – selbst dann, wenn man
auf die schöne Gewißheit rechnet, daß in der Oper der Text ohnehin
nicht verstanden wird. (Da es trotzdem auf den Ausdruck ankommt und
es durchaus nicht gleichgültig ist, ob der Hörer den Sinn der richti
gen a-Laute am Schluß einer Crescendo-Szene nicht versteht oder den
der mechanisch übernommenen i-Verse vom Anfang, die ein Chor eben
nicht herausbringen kann). Wir machen Sie gleich darauf aufmerksam, daß
Ihre Hoffnung (24. März), es würde wenigstens nach der Wiener Radioauf
führung der Madame l’Archiduc, die ja von Herrn Karl Kraus geleitet
wurde, ein durchaus authentisches Material als Grundlage für weitere
Aufführungen hergestellt sein, trügerisch ist und daß „die ganz genaue
Vergleichung des Notentextes (dieser Aufführung) mit dem gedruckten
Textbuch“, die Sie am 1. April verheißen, noch immer Abweichungen er
kennen lassen wird. Aus dem einfachen Grunde, weil es technisch und
physisch unmöglich war, in der Generalprobe, als noch eine ganz wesent
liche Vergröberung entdeckt wurde, Korrektur und Fachstudium durch So
listen und Ensemble zu verlangen, nachdem schon die Korrektur der an
deren Vergröberungen und Verflachungen, die Ihr unbewachter Abschrei
ber geleistet hatte, bei allen Beteiligten hinreichend Mühe, Nerven
pein und auch Verwirrung mit sich gebracht hat. Ganz ebenso und natür
lich in weit höherem Maße dürfte Ihre am 1. April [¿¿¿ ¿¿¿ letzten]
[¿¿¿ ¿¿¿ ¿¿¿]
ausgesprochene Erwartung, in Essen werde nun
mehr der richtige Notentext „verwendet“ werden (weil er dorthin
„geht“), entweder einem naiven Optimismus entspringen, mit dem Sie sich
selbst hineinlegen wollen, oder abermals der Absicht der Dummacherei,
weil doch wohl kein Theater sich dazu hergeben wird, eine Aufführung,
deren Text in dem natürlichen Glauben an seine Authentizität erworben
wurde, mit allen Chören umzustudieren. Wir legen jedenfalls fest, daß
diese Aufführung, daß sämtliche Aufführungen der Madame l’Archiduc in
Essen bisher zwar unter dem Namen Karl Kraus vor sich gegangen sind,
aber mit einem Text, den er, ganz abgesehen von den willkürlichen Ein
griffen der Direktion, nur in groben Umrissen als den seinen zu erken
nen vermag, und daß eben nur dort, wo er selbst die greulichen Abwei
chungen konstatieren konnte (wie in Prag und Wien), eine Wiederher
stellung im großen Ganzen mit Müh und Not ermöglicht wurde, keineswegs
in allem, weil es eben unmöglich war, die Mitwirkenden durchaus zu
einem Neustudium zu zwingen, und weil man froh sein mußte, die Verwir
rung, die sich auf den Proben durch Rückfälle ergab, nicht zu vermehren
und so gut es ging, von der Aufführung fernzuhalten.


was nun die Veröffentlichung des Gesangstextes im Buchdruck
anlangt, die den Gegenstand Ihres Schreibens vom 29. März bildet, so be
lieben Sie, statt sich für die Absurdität dieser publizistischen Über
raschung eines Autors, für das Übersehen seines selbstverständlichen
Wunsches nach Korrektur von Fehlern und für die Produzierung neuer Feh
ler zu entschuldigen – so belieben Sie, der bloßen Einsicht, daß Sie
willkürlich und fehlerhalt gehandelt haben, eine Beschwerde vorzuziehen,
daß man Sie gezwungen habe, ein Druckfehlerverzeichnis erscheinen zu las
sen (das nicht nur die alten Fehler, sondern auch die durch sie bewirk
ten korrigiert!). Diese Beschwerde, grotesk als solche gegenüber der Pein
und Mühe, die Sie dem überraschten Autor des Gesangstextes aufgeladen
haben, ist unsinnig von A bis Z. Sie „möchten zu der Angelegenheit be
merken“, daß eine Anfrage beim Verlag R. Lányi, der das Textbuch im
Jahre 1927 herausgegeben hat, „ergab, daß ein Druckfehlerverzeichnis
niemals angefertigt wurde“. Diese Anfrage, die offenbar nach Ihrer Her
ausgabe stattgefunden hat – denn sonst würden Sie ja zugeben, daß Sie an
ein solches Bedürfnis gedacht und es wissentlich unterlassen hatten, bei
der maßgebenderen Stelle anzufragen –, hätten Sie sich ersparen können,
und Sie haben sie sich wohl auch erspart, da der Verlag R. Lányi erklärt,
er habe niemals eine solche Anfrage von Ihnen vernommen. Sie war jeden
falls schon aus dem Gründe überflüssig, weil ein Blick in das Textbuch,
von dem Sie ja eine ganze Anzahl besitzen, Sie dahin informieren konnte,
daß tatsächlich kein Fehlerverzeichnis beiliegt. Das ist nun einmal
nicht zu leugnen. Aber Ihr guter Glaube, den Sie offenbar heranziehen
wollen, stützt sich auf „andere Fälle, wie zum Beispiel das Textbuch von
Perichole“, dem, wie Sie wähnen, „bald nach Erscheinen der ersten Aufla
ge“ ein solches Druckfehlerverzeichnis eingelegt wurde. Ihr Irrtum oder
Trugschluß liegt darin, daß in solchen Fällen und speziell in diesem
Falle es nicht „bald nach Erscheinen“, sondern mit dem Erscheinen ge
schah, weil es sonst gar keinen Sinn gehabt hätte. Der „Perichole“ war
ein Verzeichnis der nach dem Druck der einzelnen Bogen bemerkten Fehler
beigelegt; später bemerkte wurden in der Fackel korrigiert, mit der man
sich ja an die Käufer des Buches „Perichole“ wenden konnte, während man
ihnen ein nachträglich erscheinendes Verzeichnis nicht hätte zustellen
können. Bei Madame l’Archiduc wurde nach Erscheinen eine ganze Reihe
von Fehlern bemerkt, die, als man sie bemerkte, in den nachfolgenden
Heften der Fackel wegen notwendigen Wegbleibens der Rubrik nicht korri-
giert wurden und deren Korrektur einer zweiten Auflage vorbehalten blieb,
die dann leider nicht erschienen ist. Daß die erste Gelegenheit eines
Wiederdrucks zu der Beseitigung dieser Fehler (wenngleich nur für die
Verse) benützt worden wäre, versteht sich so von selbst, daß ein Zwei
fel – insbesondere bei Kenntnis der Drucksorgfalt des Autors – nicht
ernst zu nehmen wäre. Nun belieben Sie aber Ihr Recht, von dem Verlangen
des Autors nach einer solchen Korrektur überraschter zu sein als er von
dem Druck, der hinter seinem Rücken geschah – nun belieben Sie diesen
komischen Anspruch in einem Vorhalt auszudrücken, von dessen Unwiderleg
barkeit Sie sich offenbar eine zermalmende Wirkung versprechen. Die von
Ihnen festgelegte Tatsache, daß die „Madame l’Archiduc“ „ seit fünf Jahren“ –
es sind nur 4½ – „im Handel ist, ohne daß ein Druckfehlerverzeichnis
existiert“, läßt sich noch übertrumpfen. „Ja“, steigern Sie, „während
Sie (der Rechtsanwalt) uns am Samstag den 26. März damit gedroht haben,
daß Herr Kraus, obwohl zu diesem Zeitpunkt die Seite mit der Widmung,
durch welche er ‚seine literarische Ehre besudelt‘ glaubte, herausge
schnitten und der Fehler im Originalcouplet durch Überkleben beseitigt
war, gegen das Textbuch ‚Archiduc‘ öffentlich, eventuell durch Plakat,
protestieren würde, kann man heute am 29. März noch bei Lányi die Text
bücher der ersten Auflage, nach der unser Textbuch photographiert wurde,
ohne Druckfehlerverzeichnis kaufen“. Wie wahr ist das! Ja, und vielleicht
noch nach ein paar Monaten, da tatsächlich nicht der Auftrag gegeben wur
de, ein Verzeichnis in die alten Bücher zu legen. Es ist so wahr,
wie Ihre Behauptung unwahr ist, daß unser Rechtsanwalt von der Besude
lung der literarischen Ehre im Zusammenhang mit der Widmung gesprochen
hat. Er hat die Worte, die er aufrechthält, als richtige Bezeichnung der
ganzen, hinter dem Rücken des Autors erfolgten Ausgabe gebraucht; die
Aufnahme der Widmung ist an und für sich bloß ein Unsinn. Wie die ganze
Argumentation mit dem Druckfehlerverzeichnis: da es doch einleuchtend
sein muß, daß selbst wenn ein solches existiert hätte und von Ihnen be
rücksichtigt worden wäre, Sie doch die Durchführung im neuen Druck dem
Autor hätten überlassen müssen, der ja vielleicht auch noch über dieses
Verzeichnis hinaus Fehler zu korrigieren wünschte. Was hat aber das „Ver
zeichnis“, das Sie vermissen, vollends mit den Fehlern zu schaffen, die
Sie neu dazugetan haben und gerade dadurch, daß Sie den alten Text
„photographieren“ ließen? Abgesehen davon, daß diese Methode, die Sie
aus wirtschaftlichen Gründen wählten und die der Autor niemals zugelas
sen hätte, zwar gegen neue Satzfehler schützte, aber die alten konser
viert, sind doch dank der Druckanordnung, die Sie selbst sich vorzunehmen
erlaubt haben, jene graphischen Unsinnigkeiten entstanden, die eben durch
das Fehlerverzeichnis korrigiert werden mußten, wie die Aufnahme von Pro
sateilen, die Verunstaltung der Pendants in den Chören der Kellner und
Mädchen, eine falsche Zusammenziehung, eine fehlende Szenenbezeichnung,
Belassung eines Sternes ohne Fußnote u. dgl. Anstatt sich dafür zu entschul
digen oder doch wenigstens froh zu sein, daß man Ihnen den Mißdruck nicht kon
fisziert hat, haben Sie nicht nur auf Beschleunigung einer aus geschäftli
cher und entgegen aller künstlerischen Raison erfolgten Herausgabe ge
drängt, sondern machen dem Autor noch Vorwürfe! Das Äußerste an naivem Wa
gemut erreichen diese in dem Nachweis: „Aber auch“ beim Versand an die
Bühnen, bei der Vorbereitung der Aufführungen in Prag, Essen und Wien
„wurde uns niemals mit einem einzigen Wort von Fehlern im Textbuch Nachricht
gegeben“; weshalb Sie die Bühnen nie entsprechend „ instruieren konnten“:
„erst am Tage vor einer Radioübertragung“ bekamen Sie das Verzeichnis. Sie
konnten keine Vorkehrungen treffen! Wenn das Schreiben, das diese Be
schwerde enthält, nicht schon am 29. März geschrieben wäre, müßten wir
rein glauben, daß es wie das nächste vom 1. April datiert ist. Man hat Sie
also niemals – speziell für Essen, denn in Prag und Wien konnte ja HerrKraus persönlich eingreifen – darauf aufmerksam gemacht, daß die Sänger
statt eines Strichpunktes einen Doppelpunkt und statt eines Kommas einen
Punkt zu singen haben. Wir möchten da der Aufforderung des Erzherzogs, der
ja durch Sie weit mehr alteriert wurde, folgen: „Treten wir in Ihre Phan
tasie ein, ohne anzuklopfen“. Man hat Sie und die Theater nicht darauf
aufmerksam gemacht, daß in Ihrer Gesangstextausgabe die Bezeichnung „Drit
te Szene“ und ein Zwischenraum fehlen werden, während ein Sternchen ent
behrlich ist. Aber zum Glück steht wenigstens die Ergänzung der Verse vom
Chateau de Castelardo in der Partitur, aus der sie in das Druckfehlerver
zeichnis übernommen wurde, zum Glück wissen die Darsteller der Kellner
ohnedies, daß sie ihre Schürzen – gleich den Mädchen – zu lösen und abzu
legen und nicht bloß sich abzuwenden haben. Daß die Korrektur der alten
und der neu entstandenen Fehler hauptsächlich für den Leser und nicht für
den Hörer und Zuschauer bestimmt ist, dürften Sie schon aufgefaßt haben.
Doch Sie könnten nunmehr einwenden: „He, was ist’s aber mit der Korrektur
der drei Stellen: „das“, „Offizier!“ und „Kopf“? Sie sind in unser Bühnen
exemplar, welches die Vorlage für das Ihre war, eingetragen worden wie
etliche Dialogkorrekturen, auf die Sie ganz bestimmt aufmerksam gemacht
wurden und deren Weitergabe an die Bühnen Sie ebenso unterlassen haben wie
die der vielfachen Streichungen. Hätte Herr Karl Kraus es selbst unter
lassen, die drei Druckfehler, die auch für den Sprecher in Betracht
kommen, Ihnen mitzuteilen, so würde das nicht das geringste an seinem
wesentlichen Interesse ändern, sie für den Leser zu korrigieren. Sie,
die nicht nur nicht den von ihm eingerichteten Buchtext mit den sze
nisch so wichtigen Änderungen an die Bühnen abgegeben (und dadurch die
Kölner Affäre verschuldet) haben; Sie, die den Bühnen einen Notentext
lieferten, in dem kaum ein Sprachwert unverletzt geblieben ist, halten
Herrn Karl Kraus vor, daß er nicht rechtzeitig dafür gesorgt habe, daß
die Sänger nicht Interpunktionen singen, die er in einem Neudruck kor
rigieren wollte, und daß sie auch von den Fehlern „instruiert“ würden,
die durch diesen erst entstehen werden und bis dahin nicht vorhanden
waren. Diese übergroße Gewissenhaftigkeit, die wohl eine Satire auf die
Sorgfalt des Autors bedeuten soll, steht, nachdem Sie deren Versagen
exemplarisch bewiesen haben, die Sendung durchaus an: „Wir wollten die
sen Sachverhalt jedenfalls festlegen“. Es entspricht ihr aber auch die
Korrektheit, mit der Sie „in diesem Zusammenhange noch hinzufügen“, daß
die Forderung nach Einlage des Verzeichnisses Ihnen „erst 24 Stunden
nach Abschluß des Vertrages über das Textbuch, welcher am Freitag, den
25. März vormittags zwischen uns abgeschlossen wurde und in dem als ein
zige Korrektur die Korrektur im Originalcouplet verlangt wurde, erho
ben wurde“. Man wäre versucht, die Eröffnung, daß der Vertrag über das
Textbuch erst nach dessen Erscheinen abgeschlossen wurde, ein Geständ
nis zu nennen, was ja ganz und gar der Auffassung des Herrn Karl Kraus
entspräche, das vorher zwischen ihm und Ihnen kein Vertrag über ein
solches Textbuch abgeschlossen wurde. Unser Rechtsanwalt zieht aber,
wiewohl er das Geständnis keineswegs verkennt, es vor, sie eine Drei
stigkeit zu nennen. Herr Karl Kraus pflichtet ihm darin bei und ist
auch bereit, diese Kennzeichnung zu verstärken und sich danach vor je
dem Forum eines Beweises für die Berechtigung solcher Ansicht zu unter
ziehen. Es ist ja richtig, daß Sie, im Gefühle der Rechtswidrigkeit
dieser Herausgabe, es am 25. März vormittags sehr ernst und dringlich
mit der Frage meinten, ob nach der Korrektur des einzigen Fehlers, der
Herrn Kraus damals in Erinnerung war, die Auslieferung gestattet werde.
Herr Kraus hatte bis dahin bloß telephonisch von der vollzogenen Tat
sache erfahren, und sein Rechtsvertreter kam Ihnen mit der Zusage auf
das Loyalste entgegen. Als Herr Kraus nach ein paar Stunden des unmög
lichen Druckes ansichtig wurde, war es ihm klar, daß er die Zusage nun
leider nicht mehr zurückziehen, in diesem Punkte Ihre Loyalität nicht
ansprechen konnte, aber auf einem Fehlerverzeichnis bestehen mußte.
Nachdem Sie dieses zwar zugesagt, aber das selbstverständliche Verlan
gen nach kurzem Aufenthalt der Ausgabe abgelohnt hatten,
erwidern Sie nun das Ihnen am Telephon bewiesene Entgegenkommen des
Anwalts mit der Festlegung, daß es ein Vertragsabschluß gewesen sei,
der schon durch den Wunsch nach dem Druckfehlerverzeichnis verletzt
wurde. Diese Festlegung, die in Wahrheit eine solche durch Ausnützung
einer Gefälligkeit und eines Notstandes ist – der überrumpelte Autor
hätte auf Ihr Verlangen damals statt zu schlafen auf der Stelle das
Druckfehlerverzeichnis zusammenstellen sollen und er hat erst die näch
ste Arbeitsnacht daran gewendet –, diese Festlegung auf einen „Vertrag“,
der vorher nicht zustandegekommen war, nennen wir, mit unserem Anwalt,
eine Dreistigkeit. Sie ist ein Verhalten, dessen moralische Basis ge
genüber der Mühe, die Sie allen Beteiligten auferlegt haben, keines
wegs jene ist, auf der Herr Karl Kraus die Verwalter seiner künstleri
schen Arbeit vermutet hat.


Ganz in Widerspruch zu der Unbefangenheit, mit der Sie am
29. März diese Festlegung vorgenommen haben, steht nun eine ÄußerungIhres Herrn Dr. H. vom nächsten Tage, als er unser Schreiben bereits
in Händen hatte, Herr Dr. H. hat das Bedürfnis, sich gegen den Ver
dacht zu wehren, daß er der Verüber oder Mitwirkende einer Täuschung
sei und des Versuches fähig, „unter Aufrechterhaltung einer unerwünsch
ten Vertragstreue“ den Vertrieb künstlerischen Gutes „unter dessen
Preisgabe zu betätigen“. Herr Dr. H. hat das Bedürfnis, in einem Ge
spräch solchen Verdacht zu zerstreuen, als einer, „der froh und stolz
darauf ist, sich für das Werk des Herrn Karl Kraus einsetzen zu dür
fen“. Dieses Bedürfnis läßt sich nachfühlen, aber nicht befriedigen.
Herr Karl Kraus legt weder Wert darauf, daß jemand froh und stolz ist,
sich für sein Werk einsetzen zu dürfen, noch daß er es tut. Aber er
findet, daß es jedem zur Ehre gereiche, wenn er für seine Überzeugung
oder für seine Sympathie sich offen und gar mit einem Opfer einsetzt,
und er verlangt als Autor eines Werkes, daß wenn jemand vertragsmäßig
verpflichtet ist, sich für dieses einzusetzen, er seinen Vertrag er
fülle. Hat er, nach Ansicht des Herrn Kraus, das Werk preisgegeben, so
läßt sich der Verdacht einer unerwünschten Vertragstreue, die den wei
teren Einsatz unter Preisgabe des Werkes betätigt, am leichtesten so
zerstreuen, daß der Partner den Vertrag preisgibt. Vor dieser klaren
Angelegenheit einer künstlerischen und rechtlichen Sache tritt das
psychologische Problem der Person, so berücksichtigenswert es sein mag,
erheblich zurück, und es könnte erst wieder in den Vordergrund treten,
wenn die Sache zur Zufriedenheit dessen, den sie betrifft, erledigt ist. Es
ist keineswegs Aufgabe des Herrn Karl Kraus, zu untersuchen, ob die Person,
die ein Verständnis für ihre private Gesinnung oder ihr privates Di
lemma anspricht, identisch ist mit jener, die mit dem gleichen Namen
alle die Handlungen oder Unterlassungen vertreten hat, die er als Be
einträchtigungen seiner Sache empfindet, und noch die offensive Haltung
des Schreibens an seinen Rechtsanwalt eingenommen hat. Er kann auch
nicht untersuchen, ob die diesem Schreiben unmittelbar folgende Erklä
rung, der Verfasser habe – wie er „offen zugibt“ – „nicht immer mit je
ner Gewissenhaftigkeit alles erledigt, wie sie gerade bei Ihrem Werk
geboten gewesen wäre“, eine Privathandlung ist oder der Willensmeinung
des Unternehmens entspricht, mit dem er den Vertrag geschlossen hat
und das mit der gleichen Unterschrift ein solches Geständnis niemals
abgelegt hat. Was das psychologische Problem anlangt, so wäre gewiß
eine Situation vorstellbar, die ein menschliches Begreifen ermöglicht,
wenngleich sie auch Umstände zutage fördern könnte, durch die eine Ex
kulpierung im Gegenständlichen als individuelle Belastung erschiene.
Herr Karl Kraus kann, so gern er es vermeidet, Unschuldigen eine
Schuld zu geben, der Untersuchung, wer an dem Unrecht und Ungemach,
das ihn betroffen hat, Schuld trage, nicht nähertreten. Er hat sich nur
dagegen zu wehren und lediglich den Vertragspartner, welche Person im
mer dessen Handlungen vertritt, als solchen verantwortlich zu ma
chen. Er empfindet die Fortdauer der Verbindung mit diesem als unerträg
lich und deren Lösung als die geringste und selbstverständlichste Gut
machung des Schadens und der Störung, die er bisher durch sie erlitten
hat. Die korrekte Durchführung des Vertrages als Erfüllung der alternativen Forderung, die er gestellt hat,
müßte er als eine Befriedigung im juristischen Sinne, keineswegs würde er
sie als eine solche im moralischen Sinne gelten lassen. Was ihm übrig
bliebe, ist die Festlegung seiner Ansicht, daß er den Versuch und das
Gelingen des Versuchs, sich an ein ihm lästiges Vertragsverhältnis zu
klammern, für unsittlich hält, und die Festlegung seines Empfindens
der Unerträglichkeit, daß ein Vertrieb, der sich der Übernahme seines
geistigen Gutes unwürdig gezeigt hat, es weiterhin verwaltet.


Mit vorzüglicher Hochachtung
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