Sehr geehrte Herren!
Wir sind leider, entgegen
unserer Eröffnung vom 29. März, ge
nötigt, noch einmal ein
Schreiben an Sie gelangen zu lassen, weil wir
es unmöglich hinnehmen
können, daß der von uns gekennzeichnete Versuch
der Dummacherei sich nun
nicht mehr auf die Verteidigung beschränkt,
sondern zur Anklage
übergeht, wie Ihre an unseren Rechtsvertreter am29. März gesandte
Anschrift beweist. Allerdings war sie vor dem Ein
langen unseres letzten,
leider nun doch nicht letzten, Schreibens ver
faßt. Da wir aber nicht
wissen, ob Sie nicht trotz dessen Klarlegung
und also nach wie vor den
Anspruch erheben, daß ihnen in der Angelegen
heit des Gesangstextdruckes
nach gröblicher Verfehlung auch moralisch
Kleingeld herauskommt, und
weil wir nicht gewillt sind, zu dulden, daß
auch nur in Ihren
Geschäftspapieren uns berührende Unwahrheiten beste
hen bleiben, so müssen wir
Sie, so schwer uns dieses neue Opfer an
Zeit und Arbeit fällt, im
Tatsächlichen eines bessern belehren.
Sie haben sich erlaubt, vor
unsern Rechtsanwalt, also auch
vor Herrn Karl Kraus mit dem Entschluß hinzutreten, irgendetwas „fest
legen“ zu wollen, wiewohl in der ganzen Entwicklung der Dinge, die
zwischen ihm und Ihnen
spielen, vom ersten Tage an nichts festzulegen
ist als Ihr schwankendes
Verhalten: ein einziger Mißbrauch des Ver
trauens, durch den es Ihnen
gelungen ist, einem Autor seine geistige
Arbeit wegzunehmen und in
einer Art zu verwalten und zu verwenden, von
der Sie sehr wohl wissen,
daß sie das diametrale Gegenteil der Voraus
setzung bedeutet, unter der
er sich herbeigelassen hat, sie Ihnen zu
übergeben. Sie haben nicht
allein durch eine verschwiegene Vertrags
verletzung die Verhunzung
dieser Arbeit durch die Theaterpraxis ermög
licht, sondern auch vorher
schon im eigensten Wirkungskreise wenig
(bei Madame l’Archiduc) durch
Leichtfertigkeit eine Grundlage für
stens
den Theatergebrauch
entstehen lassen, die der Autor fast in keiner
ihm
wie an sich
wesentlichen Stelle: als identisch mit seinem Werke anse
hen kann und die
nachweislich fast in jeder solchen Stelle nicht nur
dem sprachlichen und eben
deshalb auch musikalischen Wert (auf den es
ihm hier ankommt) Abbruch
tut, sondern auch die rein theatermäßige,
musikdramatische Wirkung
schwer beeinträchtigt – selbst dann, wenn man
auf die schöne Gewißheit
rechnet, daß in der Oper der Text ohnehin
nicht verstanden wird. (Da
es trotzdem auf den Ausdruck ankommt und
es durchaus nicht
gleichgültig ist, ob der Hörer den Sinn der richti
gen a-Laute am Schluß einer
Crescendo-Szene nicht versteht oder den
der mechanisch übernommenen
i-Verse vom Anfang, die ein Chor eben
nicht herausbringen kann).
Wir machen Sie gleich darauf aufmerksam, daß
Ihre Hoffnung (24. März), es
würde wenigstens nach der Wiener Radioauf
führung der Madame l’Archiduc, die ja von Herrn Karl Kraus geleitet
wurde, ein durchaus
authentisches Material als Grundlage für weitere
Aufführungen hergestellt
sein, trügerisch ist und daß „die ganz genaue
Vergleichung des
Notentextes (dieser Aufführung) mit dem gedruckten
Textbuch“, die
Sie am 1. April verheißen, noch immer Abweichungen er
kennen lassen wird. Aus dem
einfachen Grunde, weil es technisch und
physisch unmöglich war, in
der Generalprobe, als noch eine ganz wesent
liche Vergröberung entdeckt
wurde, Korrektur und Fachstudium durch So
listen und Ensemble zu
verlangen, nachdem schon die Korrektur der an
deren Vergröberungen und
Verflachungen, die Ihr unbewachter Abschrei
ber geleistet
hatte, bei allen Beteiligten hinreichend Mühe, Nerven
pein und auch Verwirrung mit
sich gebracht hat. Ganz ebenso und natür
lich in weit höherem Maße
dürfte Ihre am 1. April [¿¿¿ ¿¿¿ letzten]
ausgesprochene Erwartung, in Essen werde nun
[¿¿¿ ¿¿¿ ¿¿¿]
mehr der richtige
Notentext „verwendet“ werden
(weil er dorthin
„geht“), entweder einem naiven Optimismus entspringen, mit dem Sie
sich
selbst hineinlegen
wollen, oder abermals der Absicht der Dummacherei,
weil doch wohl kein Theater
sich dazu hergeben wird, eine Aufführung,
deren Text in dem
natürlichen Glauben an seine Authentizität erworben
wurde, mit allen Chören
umzustudieren. Wir legen jedenfalls fest, daß
diese Aufführung, daß
sämtliche Aufführungen der Madame
l’Archiduc in
Essen bisher zwar unter dem Namen Karl Kraus vor sich gegangen sind,
aber mit einem Text, den er,
ganz abgesehen von den willkürlichen Ein
griffen der Direktion, nur
in groben Umrissen als den seinen zu erken
nen vermag, und daß eben nur
dort, wo er selbst die greulichen Abwei
chungen konstatieren konnte
(wie in Prag und Wien), eine Wiederher
stellung im großen Ganzen
mit Müh und Not ermöglicht wurde, keineswegs
in allem, weil es eben
unmöglich war, die Mitwirkenden durchaus zu
einem Neustudium zu zwingen,
und weil man froh sein mußte, die Verwir
rung, die sich auf den
Proben durch Rückfälle ergab, nicht zu vermehren
und so gut es ging, von der
Aufführung fernzuhalten.
was nun die Veröffentlichung
des Gesangstextes im Buchdruck
anlangt, die den Gegenstand Ihres Schreibens vom 29. März bildet, so be
lieben Sie, statt sich für
die Absurdität dieser publizistischen Über
raschung eines Autors, für das Übersehen seines
selbstverständlichen
Wunsches nach Korrektur von Fehlern und für die Produzierung neuer Feh
ler zu
entschuldigen – so belieben Sie, der bloßen Einsicht, daß Sie
willkürlich und fehlerhalt
gehandelt haben, eine Beschwerde vorzuziehen,
daß man Sie gezwungen habe,
ein Druckfehlerverzeichnis erscheinen zu las
sen (das nicht nur die alten
Fehler, sondern auch die durch sie bewirk
ten korrigiert!). Diese
Beschwerde, grotesk als solche gegenüber der Pein
und Mühe, die Sie dem
überraschten Autor
des Gesangstextes aufgeladen
haben, ist unsinnig von A
bis Z. Sie „möchten zu der Angelegenheit
be
merken“, daß eine Anfrage beim Verlag R.
Lányi, der das Textbuch im
Jahre 1927 herausgegeben
hat, „ergab, daß ein
Druckfehlerverzeichnis
niemals angefertigt wurde“. Diese Anfrage, die offenbar nach Ihrer Her
ausgabe stattgefunden hat –
denn sonst würden Sie ja zugeben, daß Sie an
ein solches Bedürfnis
gedacht und es wissentlich unterlassen hatten, bei
der maßgebenderen Stelle
anzufragen –, hätten Sie sich ersparen können,
und Sie haben sie sich wohl
auch erspart, da der Verlag R. Lányi
erklärt,
er habe niemals
eine solche Anfrage von Ihnen vernommen. Sie war jeden
falls schon aus dem Gründe
überflüssig, weil ein Blick in das Textbuch,
von dem Sie ja eine ganze
Anzahl besitzen, Sie dahin informieren konnte,
daß tatsächlich kein
Fehlerverzeichnis beiliegt. Das ist nun einmal
nicht zu leugnen. Aber Ihr
guter Glaube, den Sie offenbar heranziehen
wollen, stützt sich auf
„andere Fälle, wie zum
Beispiel das Textbuch von
Perichole“, dem, wie Sie wähnen, „bald nach Erscheinen der
ersten Aufla
ge“ ein solches Druckfehlerverzeichnis eingelegt wurde. Ihr Irrtum
oder
Trugschluß liegt
darin, daß in solchen Fällen und speziell in diesem
Falle es nicht „bald nach Erscheinen“, sondern mit dem
Erscheinen ge
schah, weil es sonst gar keinen Sinn gehabt hätte. Der „Perichole“ war
ein Verzeichnis der nach dem
Druck der einzelnen Bogen bemerkten Fehler
beigelegt; später bemerkte wurden in der Fackel korrigiert, mit der man
sich ja an die Käufer des
Buches „Perichole“ wenden konnte,
während man
ihnen ein
nachträglich erscheinendes Verzeichnis nicht hätte zustellen
können. Bei Madame l’Archiduc wurde nach Erscheinen eine ganze Reihe
von Fehlern bemerkt, die,
als man sie bemerkte, in den nachfolgenden
Heften der Fackel wegen notwendigen Wegbleibens der Rubrik
nicht korri-
giert wurden und deren
Korrektur einer zweiten Auflage vorbehalten blieb,
die dann leider nicht
erschienen ist. Daß die erste Gelegenheit eines
Wiederdrucks zu der
Beseitigung dieser Fehler (wenngleich nur für die
Verse) benützt worden wäre,
versteht sich so von selbst, daß ein Zwei
fel – insbesondere bei
Kenntnis der Drucksorgfalt des Autors – nicht
ernst zu nehmen wäre. Nun
belieben Sie aber Ihr Recht, von dem Verlangen
des Autors nach einer solchen Korrektur überraschter zu sein als
er von
dem Druck, der hinter
seinem Rücken geschah – nun belieben Sie diesen
komischen Anspruch in einem
Vorhalt auszudrücken, von dessen Unwiderleg
barkeit Sie sich offenbar
eine zermalmende Wirkung versprechen. Die von
Ihnen festgelegte Tatsache,
daß die „Madame l’Archiduc“ „
seit fünf Jahren“ –
es sind nur 4½ – „im
Handel ist, ohne daß ein Druckfehlerverzeichnis
existiert“, läßt
sich noch übertrumpfen. „Ja“, steigern Sie,
„während
Sie (der Rechtsanwalt) uns am Samstag den 26. März
damit gedroht haben,
daß
Herr Kraus, obwohl zu diesem Zeitpunkt
die Seite mit der Widmung,
durch welche er ‚seine literarische Ehre
besudelt‘ glaubte, herausge
schnitten und der Fehler
im Originalcouplet durch Überkleben beseitigt
war, gegen das Textbuch
‚Archiduc‘ öffentlich,
eventuell durch Plakat,
protestieren würde, kann man heute am 29. März noch
bei Lányi die Text
bücher der ersten
Auflage, nach der unser Textbuch photographiert wurde,
ohne
Druckfehlerverzeichnis kaufen“. Wie wahr ist das! Ja, und vielleicht
noch nach ein paar Monaten,
da tatsächlich nicht der Auftrag gegeben wur
de, ein Verzeichnis in die
alten Bücher zu legen. Es ist so wahr,
wie Ihre Behauptung unwahr
ist, daß unser Rechtsanwalt von der Besude
lung der
literarischen Ehre im Zusammenhang mit der Widmung gesprochen
hat. Er hat die Worte, die
er aufrechthält, als richtige Bezeichnung der
ganzen, hinter dem Rücken
des Autors erfolgten Ausgabe gebraucht; die
Aufnahme der Widmung ist an
und für sich bloß ein Unsinn. Wie die ganze
Argumentation mit dem
Druckfehlerverzeichnis: da es doch einleuchtend
sein muß, daß selbst wenn ein solches existiert hätte und von Ihnen
be
rücksichtigt worden wäre, Sie doch die Durchführung im neuen Druck dem
Autor hätten überlassen müssen, der ja vielleicht auch noch
über dieses
Verzeichnis
hinaus Fehler zu korrigieren wünschte. Was hat aber das „Ver
zeichnis“, das Sie vermissen, vollends mit den Fehlern zu schaffen,
die
Sie neu dazugetan
haben und gerade dadurch, daß Sie den alten Text
„photographieren“ ließen? Abgesehen davon, daß diese Methode, die Sie
aus wirtschaftlichen Gründen
wählten und die der Autor niemals zugelas
sen hätte, zwar
gegen neue Satzfehler schützte, aber die alten konser
viert, sind doch
dank der Druckanordnung, die Sie selbst sich
vorzunehmen
erlaubt
haben, jene graphischen Unsinnigkeiten entstanden, die eben durch
das Fehlerverzeichnis
korrigiert werden mußten, wie die Aufnahme von Pro
sateilen, die Verunstaltung
der Pendants in den Chören der Kellner und
Mädchen, eine falsche
Zusammenziehung, eine fehlende Szenenbezeichnung,
Belassung eines Sternes ohne
Fußnote u. dgl. Anstatt sich dafür zu entschul
digen oder doch wenigstens
froh zu sein, daß man Ihnen den Mißdruck nicht kon
fisziert hat, haben Sie
nicht nur auf Beschleunigung einer aus geschäftli
cher und entgegen aller
künstlerischen Raison erfolgten Herausgabe ge
drängt, sondern machen dem
Autor noch Vorwürfe! Das Äußerste an naivem Wa
gemut erreichen diese in dem
Nachweis: „Aber
auch“ beim Versand an die
Bühnen, bei der Vorbereitung der Aufführungen in Prag, Essen
und Wien
„wurde uns niemals mit einem einzigen Wort von Fehlern
im Textbuch Nachricht
gegeben“; weshalb Sie die Bühnen nie entsprechend „
instruieren konnten“:
„erst am Tage vor einer Radioübertragung“ bekamen Sie das Verzeichnis.
Sie
konnten keine
Vorkehrungen treffen! Wenn das Schreiben, das diese Be
schwerde enthält, nicht
schon am 29. März geschrieben wäre, müßten wir
rein glauben, daß es wie das
nächste vom 1. April datiert ist. Man hat Sie
also niemals – speziell für
Essen, denn in Prag und Wien konnte ja HerrKraus persönlich eingreifen – darauf aufmerksam gemacht, daß die
Sänger
statt eines
Strichpunktes einen Doppelpunkt und statt eines Kommas einen
Punkt zu singen haben. Wir
möchten da der Aufforderung des Erzherzogs, der
ja durch Sie weit mehr
alteriert wurde, folgen: „Treten wir in Ihre Phan
tasie ein,
ohne anzuklopfen“. Man hat Sie und die Theater nicht darauf
aufmerksam gemacht, daß in
Ihrer Gesangstextausgabe die Bezeichnung „Drit
te Szene“ und
ein Zwischenraum fehlen werden, während ein Sternchen ent
behrlich ist. Aber zum Glück
steht wenigstens die Ergänzung der Verse vom
Chateau de Castelardo in der
Partitur, aus der sie in das Druckfehlerver
zeichnis übernommen wurde,
zum Glück wissen die Darsteller der Kellner
ohnedies, daß sie ihre
Schürzen – gleich den Mädchen – zu lösen und abzu
legen und nicht bloß sich
abzuwenden haben. Daß die Korrektur der alten
und der neu entstandenen
Fehler hauptsächlich für den Leser und nicht für
den Hörer und Zuschauer
bestimmt ist, dürften Sie schon aufgefaßt haben.
Doch Sie könnten nunmehr
einwenden: „He, was ist’s aber mit der Korrektur
der drei Stellen: „das“,
„Offizier!“ und „Kopf“? Sie sind in unser Bühnen
exemplar, welches die
Vorlage für das Ihre war, eingetragen worden wie
etliche Dialogkorrekturen,
auf die Sie ganz bestimmt aufmerksam gemacht
wurden und deren Weitergabe
an die Bühnen Sie ebenso unterlassen haben wie
die der vielfachen
Streichungen. Hätte Herr Karl Kraus es selbst
unter
lassen,
die drei Druckfehler, die auch für den Sprecher in Betracht
kommen, Ihnen mitzuteilen,
so würde das nicht das geringste an seinem
wesentlichen Interesse
ändern, sie für den Leser zu korrigieren. Sie,
die nicht nur nicht den von
ihm eingerichteten Buchtext mit den sze
nisch so wichtigen
Änderungen an die Bühnen abgegeben (und dadurch die
Kölner Affäre verschuldet)
haben; Sie, die den Bühnen einen Notentext
lieferten, in dem kaum ein
Sprachwert unverletzt geblieben ist, halten
Herrn Karl Kraus vor, daß er nicht rechtzeitig dafür gesorgt habe,
daß
die Sänger nicht
Interpunktionen singen, die er in einem Neudruck kor
rigieren wollte, und daß sie
auch von den Fehlern „instruiert“
würden,
die durch diesen
erst entstehen werden und bis dahin nicht vorhanden
waren. Diese übergroße
Gewissenhaftigkeit, die wohl eine Satire auf die
Sorgfalt des Autors bedeuten soll, steht, nachdem Sie deren
Versagen
exemplarisch
bewiesen haben, die Sendung durchaus an: „Wir wollten die
sen Sachverhalt jedenfalls festlegen“. Es entspricht ihr aber auch die
Korrektheit, mit der Sie
„in diesem Zusammenhange noch
hinzufügen“, daß
die Forderung nach Einlage des Verzeichnisses Ihnen „erst 24 Stunden
nach Abschluß des Vertrages über das Textbuch,
welcher am Freitag, den
25. März vormittags zwischen uns abgeschlossen
wurde und in dem als ein
zige Korrektur die
Korrektur im Originalcouplet verlangt wurde, erho
ben wurde“. Man
wäre versucht, die Eröffnung, daß der Vertrag über das
Textbuch erst nach
dessen Erscheinen abgeschlossen wurde, ein Geständ
nis zu nennen, was ja ganz
und gar der Auffassung des Herrn Karl Kraus
entspräche, das vorher zwischen ihm und Ihnen kein
Vertrag über ein
solches Textbuch abgeschlossen wurde. Unser Rechtsanwalt zieht aber,
wiewohl er das Geständnis
keineswegs verkennt, es vor, sie eine Drei
stigkeit zu nennen. Herr Karl Kraus pflichtet ihm darin bei und ist
auch bereit, diese
Kennzeichnung zu verstärken und sich danach vor je
dem Forum eines Beweises für
die Berechtigung solcher Ansicht zu unter
ziehen. Es ist ja richtig,
daß Sie, im Gefühle der Rechtswidrigkeit
dieser Herausgabe, es am 25.
März vormittags sehr ernst und dringlich
mit der Frage meinten, ob
nach der Korrektur des einzigen Fehlers, der
Herrn Kraus damals in Erinnerung war, die Auslieferung
gestattet werde.
Herr Kraus hatte bis dahin bloß telephonisch von
der vollzogenen Tat
sache erfahren, und sein Rechtsvertreter kam
Ihnen mit der Zusage auf
das
Loyalste entgegen. Als Herr Kraus nach ein paar
Stunden des unmög
lichen Druckes ansichtig wurde, war es ihm klar, daß er die Zusage nun
leider nicht mehr
zurückziehen, in diesem Punkte Ihre Loyalität nicht
ansprechen konnte, aber auf
einem Fehlerverzeichnis bestehen mußte.
Nachdem Sie dieses zwar
zugesagt, aber das selbstverständliche Verlan
gen nach kurzem Aufenthalt
der Ausgabe abgelohnt hatten,
erwidern Sie nun das Ihnen
am Telephon bewiesene Entgegenkommen des
Anwalts mit der Festlegung, daß es ein Vertragsabschluß gewesen sei,
der schon durch den Wunsch
nach dem Druckfehlerverzeichnis verletzt
wurde. Diese Festlegung, die
in Wahrheit eine solche durch Ausnützung
einer Gefälligkeit und eines
Notstandes ist – der überrumpelte Autor
hätte auf Ihr Verlangen
damals statt zu schlafen auf der Stelle das
Druckfehlerverzeichnis
zusammenstellen sollen und er hat erst die näch
ste Arbeitsnacht daran
gewendet –, diese Festlegung auf einen „Vertrag“,
der vorher nicht
zustandegekommen war, nennen wir, mit unserem Anwalt,
eine
Dreistigkeit. Sie ist ein Verhalten, dessen moralische Basis ge
genüber der Mühe, die Sie
allen Beteiligten auferlegt haben, keines
wegs jene ist, auf der Herr
Karl Kraus die Verwalter seiner künstleri
schen Arbeit
vermutet hat.
Ganz in Widerspruch zu der
Unbefangenheit, mit der Sie am
29. März diese Festlegung vorgenommen haben, steht nun eine ÄußerungIhres Herrn Dr. H. vom nächsten Tage, als er unser Schreiben bereits
in Händen hatte, Herr Dr. H. hat das Bedürfnis, sich gegen den Ver
dacht zu wehren,
daß er der Verüber oder Mitwirkende einer Täuschung
sei und des Versuches fähig,
„unter Aufrechterhaltung einer
unerwünsch
ten Vertragstreue“ den Vertrieb künstlerischen Gutes „unter dessen
Preisgabe
zu betätigen“. Herr Dr. H. hat das
Bedürfnis, in einem Ge
spräch solchen Verdacht zu
zerstreuen, als einer, „der froh und stolz
darauf ist, sich für das
Werk des Herrn Karl Kraus einsetzen zu
dür
fen“. Dieses Bedürfnis läßt sich nachfühlen, aber nicht
befriedigen.
Herr Karl Kraus legt weder Wert darauf, daß jemand
froh und stolz ist,
sich für
sein Werk einsetzen zu dürfen, noch daß er es tut. Aber er
findet, daß es jedem zur
Ehre gereiche, wenn er für seine Überzeugung
oder für seine Sympathie
sich offen und gar mit einem Opfer einsetzt,
und er verlangt als Autor eines Werkes, daß wenn jemand
vertragsmäßig
verpflichtet ist, sich für dieses einzusetzen, er seinen Vertrag er
fülle. Hat er, nach Ansicht
des Herrn Kraus, das Werk preisgegeben, so
läßt sich der Verdacht einer
unerwünschten Vertragstreue, die den wei
teren Einsatz unter
Preisgabe des Werkes betätigt, am leichtesten so
zerstreuen, daß der Partner
den Vertrag preisgibt. Vor dieser klaren
Angelegenheit einer
künstlerischen und rechtlichen Sache tritt das
psychologische Problem der
Person, so berücksichtigenswert es sein mag,
erheblich zurück, und es
könnte erst wieder in den Vordergrund treten,
wenn die Sache zur
Zufriedenheit dessen, den sie betrifft, erledigt ist. Es
ist keineswegs Aufgabe des
Herrn Karl Kraus, zu untersuchen, ob die
Person,
die ein
Verständnis für ihre private Gesinnung oder ihr privates Di
lemma anspricht, identisch
ist mit jener, die mit dem gleichen Namen
alle die Handlungen oder
Unterlassungen vertreten hat, die er als Be
einträchtigungen seiner
Sache empfindet, und noch die offensive Haltung
des Schreibens an seinen Rechtsanwalt eingenommen hat. Er kann auch
nicht untersuchen, ob die
diesem Schreiben unmittelbar folgende Erklä
rung, der Verfasser habe – wie er „offen zugibt“ –
„nicht immer mit je
ner
Gewissenhaftigkeit alles erledigt, wie sie gerade bei Ihrem Werk
geboten gewesen
wäre“, eine Privathandlung ist oder der Willensmeinung
des Unternehmens entspricht,
mit dem er den Vertrag geschlossen hat
und das mit der gleichen
Unterschrift ein solches Geständnis niemals
abgelegt hat. Was das
psychologische Problem anlangt, so wäre gewiß
eine Situation vorstellbar,
die ein menschliches Begreifen ermöglicht,
wenngleich sie auch Umstände
zutage fördern könnte, durch die eine Ex
kulpierung im
Gegenständlichen als individuelle Belastung erschiene.
Herr Karl Kraus kann, so gern er es vermeidet, Unschuldigen
eine
Schuld zu geben, der
Untersuchung, wer an dem Unrecht und Ungemach,
das ihn betroffen hat,
Schuld trage, nicht nähertreten. Er hat sich nur
dagegen zu wehren und
lediglich den Vertragspartner, welche Person im
mer dessen Handlungen
vertritt, als solchen verantwortlich zu ma
chen. Er empfindet die
Fortdauer der Verbindung mit diesem als unerträg
lich und deren Lösung als
die geringste und selbstverständlichste Gut
machung des Schadens und der
Störung, die er bisher durch sie erlitten
hat. Die korrekte
Durchführung des Vertrages als Erfüllung der alternativen Forderung, die
er gestellt hat,
müßte er als
eine Befriedigung im juristischen Sinne, keineswegs würde er
sie als eine solche im
moralischen Sinne gelten lassen. Was ihm übrig
bliebe, ist die Festlegung
seiner Ansicht, daß er den Versuch und das
Gelingen des Versuchs, sich
an ein ihm lästiges Vertragsverhältnis zu
klammern, für unsittlich
hält, und die Festlegung seines Empfindens
der Unerträglichkeit, daß
ein Vertrieb, der sich der Übernahme seines
geistigen Gutes unwürdig
gezeigt hat, es weiterhin verwaltet.
Mit vorzüglicher
Hochachtung
[Unterschrift]