Auf Ihr Schreiben vom 15. März erwidern wir:
Der Sinn des Telegramms unseres Rechtsanwalts war voll
kommen verständlich.
Wenn es aber zum Verständnis
wirklich der Beantwortung
Ihrer Frage bedarf, wer Herrn Karl Kraus
„in dieser Form orien
tiert
hat“, so kommen wir Ihnen gern entgegen. Die offizielle Programmschrift Ihres
Theaters hat ihn orientiert, also wohl Sie selbst.
In dem Artikel eines Herrn Költzsch – der die „Madame l’Archiduc“
gründlich zu kennen scheint,
da er sie „spritzig“ findet und in
ihr ein „Couplet der
Marietta vom Stillesein“ entdeckt hat –
sind
immerhin zwei
Fußnoten in ziemlich verständlichem Deutsch enthal
ten, die vielleicht, wenn er
das „Couplet vom Stillesein“ beherzigt
hätte, nicht erschienen
wären. Mit dankenswerter Offenherzigkeit
wird da gesagt, daß „ein Leerlauf ganzer Stücke, Couplets, Chöre,
melodischer Floskeln,
Kadenzwendungen“, der in einem Werke „nicht
zu verkennen“
sei, dem zugleich Mozartrang zugesprochen wird, „in
der Essener
Aufführung“ – dies der Wortlaut der ersten Fußnote –
„durch geschickte Kürzungen auf ein erträgliches
Maß reduziert wur
de“. Herr Karl Kraus findet dieses Maß unerträglich: als
Autor des
deutschen Textes, der mit
dem Verlag die Abmachung getroffen hat,
daß weder am Text noch an
der Musik ohne sein Wissen etwas geän
dert werden darf. Durch die
zweite Fußnote wird zu der Bemerkung,
daß „uns“ – nämlich dem
Herrn Költzsch, nicht etwa Herrn KarlKraus – die Tonart
Offenbachs „durch
die beiden Schlußstücke fri
volisiert
erscheinen muß“, die Beruhigung erteilt: „ein
Grund für
die
in Essen
vorgenommene Änderung: die Operette mit einem Zurück
greifen auf ein
Ensemble des ersten Aktes zu schließen“. Welcher
denkbar Offenbach-widrigste Unfug da verübt wurde – ob man auf
„Küßt immerzu“ oder auf „So
einen Knirps“ zurückgegriffen hat –
entzieht sich vorläufig
unserer Kenntnis. Was immer geschehen sein
mag, insbesondere aber die
Weglassung der „beiden
Schlußstücke“
als
solche, empfindet Herr Karl Kraus als Unfug und
Eingriff in
seine Rechte. Sie
teilen ihm mit, daß eine Weglassung der von ihm
„eingefügten Verherrlichung Offenbachs im
Schlußfinale“ vorgenom
men wurde. Da diese aber
gewiß keine Frivolisierung bedeutet, so
vermuten wir, daß Sie auch
das Couplet „Nicht das!“, welches in
der gleichen Programmschrift mit Recht als
„unvergänglich“ geprie
sen wird – und mit einer
Charakteristik, die den Sinn und Ernst
der scheinbaren „Frivolisierung“ hervorhebt –, gestrichen haben.
Sollte dies aber selbst
nicht der Fall sein und der Herr Költzsch
mehr aus der Schule
geschwätzt haben als dort gelehrt wurde, so
protestiert der Textautor gegen das, was Sie tatsächlich
unternom
men
haben und was Sie zugeben, also vor allem einmal gegen die Weg
lassung der von ihm „eingefügten Verherrlichung Offenbachs“. Wenn
Sie „in
größter Ehrfurcht vor seiner wundervollen Arbeit“ sich ans
Werk gemacht haben, so hätte
diese Ehrfurcht Sie davon abhalten
müssen, sich an der Arbeit
zu vergreifen – durch Eingriffe wie
durch Zurückgriffe –, und
mindestens, falls Sie schon eine Lust
dazu angewandelt hat, zu
einer Anfrage beim Autor bestimmen müssen
(deren Beantwortung freilich
negativ ausgefallen wäre). Die „Krank
heitsepidemie“
im Personal, die Sie neben den künstlerischen Moti
ven zu Ihrer Entlastung
heranziehen, ist gewiß ein bedauernswerter
Umstand, vermöchte aber
weder die Streichung von Leerläufen und
Frivolisierungen zu
rechtfertigen, noch die Unterlassung einer An
frage zu entschuldigen, ob
der Autor damit auch einverstanden sei.
Wenn Ihnen Herr Karl Kraus „in so wundervoller Weise in
Berlin“
etwas „suggeriert“ hat, so müßte man wohl annehmen, daß auch der
Respekt vor seinem
Verfügungsrecht über sein geistiges Gut dazu ge
höre (falls schon in anderen
Fällen mit dem Autorrecht umgesprungen
werden dürfte), und daß Ihre
Willkür zumindest ein schlechter Be
weis der Dankbarkeit für die
Mühe sei, deren sich Herr Karl Kraus
in Berlin tatsächlich unterzogen hat, um Ihnen das Verständnis
für
Werk und Bearbeitung zu suggerieren. Wenn Sie
„nur
wissen“, daß Sie
„textlich selbstverständlich nichts geändert
haben“, so wissen Sie
das Gegenteil von dem, was
Sie wissen. Sollten Sie es aber wider
Erwarten doch noch immer
nicht wissen, so können Sie nicht allein
durch die Fußnoten des Herrn Költzsch, sondern auch durch Ihr eige
nes Bekenntnis
erfahren, daß Sie Teile des Gesangstextes gestrichen
haben. Aber Sie bleiben
dabei, daß Sie textlich selbstverständlich
nichts gestrichen, „sondern“ sich „nur im Laufe der letzten Arbei
ten zu einigen Kürzungen“ entschlossen haben,
„weil sich die Auf
führung sonst sehr in
die Länge gezogen hätte; das Werk ist sowieso
erheblich lang …“ Das Werk ist kurz wie der Wahn, mit solchem
Hin und Her von Leugnen und
Gestehen in einem Satz, mit solcher
Miene der verfolgten
Unschuld, die einem deutschen Schlachtbericht
gleichsieht, vor Herrn Karl Kraus bestehen zu können. (Auch dieser
Vergleich weist auf die
Fortsetzung: daß die Reu’ lang ist.) Sie
kommen noch mit dem Abbau im
Personal und mit dem Umbau der Szene,
alles Dinge, die in der Programmschrift als musikdramatische
Moti
ve nicht
angeführt sind; es fehlt noch der Aufbau, welcher aber,
wie bei jeder kriegerischen
Leistung, die Verträge als „Fetzen Pa
pier“ behandelt, nicht lang
auf sich warten lassen wird. Ferner
weisen Sie darauf hin, daß
die Aufführung bei der Premiere „weit
über drei Stunden
dauerte“ – ein gewiß unliebsames Faktum, an dem
aber den Textautor keine Schuld trifft, welcher für die Spielweise
neudeutscher, also von Natur
Offenbach-fremder Ensembles nur die
Verantwortung übernimmt,
wenn er selbst die Regie führt. Die Pre
miere also habe so lange
gedauert, „trotzdem Sie einige musikali
sche Kürzungen
angebracht hatten und zwar fast durchweg nur durch
Weglassen der
Reprisen“. Sollte hier nicht zu erkennen gegeben
sein, daß Sie dem Übelstand
bei den späteren Aufführungen noch
durch weitere Kürzungen
abgeholfen haben, so wäre doch in dem Ne
bensatz einer Verteidigung
abermals das Geständnis textlicher Ein
griffe abgelegt. Dann
gelangen Sie aber zu einem Hauptsatz: von der
„einzigen, erheblichen Änderung, zu der Sie sich
schweren Herzens
entschlossen haben“, der des Schlusses. Nun möchte man schon glau
ben, daß Sie
endlich den Sinn des Telegramms unseres Rechtsanwalts
verstehen. Aber Sie haben da
ein letztes Motiv, von dessen Eindruck
Sie sich alles versprechen:
im Ruhrgebiet hat man über die Offenbach-Renaissance
gespöttelt. Hauptsächlich aus diesem Grund, mehr
noch als aus den
künstlerischen, technischen und physischen Grün
den oder wegen der
Frivolität, haben Sie die Verherrlichung Offenbachs,
Musik und Text, ausgemerzt. Was folgt daraus? „Jedenfalls
glaube ich, mich völlig von jeder Verballhornung freigehalten zu
haben.“ Herr Karl Kraus wieder glaubt, daß es da vor allem
auf sei
nen Glauben
ankomme, den er jedenfalls einer solchen Rechtferti
gung versagen muß.
Nun haben Sie in einem Brief an die Universal-Edition,
bei der Sie sich darüber
beklagen, daß Sie von Herrn Kraus „über
haupt keine Antwort bekommen haben“ – hier ist sie – ausgesprochen,
daß Ihnen „die Angelegenheit mit Herrn Kraus
gelinde gesagt unbe
greiflich“ ist. Wenn er Ihnen etwas gelinde sagen sollte, so
wäre
es, daß er Ihr
Vorgehen, selbst gemessen mit dem Maß der Theater
üblichkeit, für
ungeheuerlich, Ihre Rechtfertigung für absurd
hält und an den von Ihnen
gleich wieder zugegebenen „Eingriffen
in
das Ganze, die mit größter Liebe geschehen sind“, weniger
die
Liebe als die
Eingriffe bemerkenswert findet. Er würde es vorzie
hen, daß Sie die Liebe an
Autoren wenden, die in Erwartung von
Tantiemen sich die Eingriffe
gefallen lassen, und hätte gar nichts
dagegen, daß Sie
Streichungen aus welchen Gründen immer in der
„Blume von Hawaii“ vornehmen, welche sich ja in
Ihrem Repertoire
vorfindet
und deren Spieldauer von 19.30 bis 23 Uhr angegeben ist.
Sie verlangen, Herr Karl Kraus solle Ihnen eine Kenntnis der „Madame l’Archiduc“ –
die sich nicht so voll entfalten darf – „als
Musiker und auf Grund
Ihres Namens zutrauen“. Er verlangt, daß Sie
ihm die Kenntnis seines Werkes selbst ohne Beziehung zu
seinem Na
men
zutrauen. Wenn Sie, wie Sie auch der Universal-Edition versi
chern, für ihn und für Offenbach „glühende Liebe“
empfinden, so
müssen wir
Ihnen mit allem Dank des Herrn Kraus wiederholt
sagen,
daß dieses Gefühl
eine Anfrage bei dem Autor und Schützer Offenbachs
gerechtfertigt hätte: ob ihm Ihre Eingriffe erwünscht seien;
den Versuch einer
Vergewisserung, die doch auch gegenüber jedem
Autor am Platze wäre, mit
dem Sie weniger sympathisieren. In die
sem zweiten Schreiben setzen Sie die Entschuldigung einer
Willkür,
deren
Feststellung Ihnen gelinde gesagt unbegreiflich ist, zu dem
Geständnis fort, daß Sie
„durch die Krankheit des sehr
nervösen
Erzherzogs gezwungen waren, Kürzungen vorzunehmen“. Also offenbar
auch im Dialog, da ja der
Erzherzog in der Musik fast nur sein
Original-Entree hat! Wenn
Sie anführen, der scharfe Angriff ver
letze Sie, weil Sie in Ihrer
Hingabe für das Werk so weit
gegan
gen
seien, durch fünf Wochen selbst den Erzherzog zu spielen, so
wird zur Würdigung dieses
Opfers lediglich in Frage kommen, ob
Sie den Erzherzog gut
gespielt haben – die originale und etwas
widerspruchsvolle Art Ihrer
Verantwortung zeigt, daß Ihnen die
Rolle liegt –, aber
keinesfalls könnte dieses Opfer Kürzungen
rechtfertigen, die für Ihren
Vorgänger durchgeführt wurden, oder
gar als Ersatz für die
Apotheose auf Offenbach in Betracht kom
men. Wozu Sie
sich „auf Grund eines juristischen
Paragraphen nach
träglich
entschließen“, wird nicht so sehr in Ihr Ermessen ge-
stellt sein, wie in das des
Textautors, dessen Recht Sie ver
letzt haben. Er
verlangt volle Wiederherstellung des Werkes, und
zwar bis zu jener Gestalt
des Textes und Notentextes, die er der
Universal-Edition überlassen hat. Diese wird gezwungen
sein, die
Restituierung des
schon von ihr selbst verunstalteten Notentextes
von den Theatern, denen sie
das Werk in dieser Form ausgeliefert
hat, zu verlangen.
Wir hoffen, daß diese
Erklärung ausreichen wird, Ihnen
den Sinn des Telegramms unseres Rechtsanwalts verständlich zu
machen.
Mit vorzüglicher Hochachtung
Rekomm.