Vert-VertMadame l’archiducLa Périchole


Hochgeehrter Herr Doktor!


Sie hatten die Freundlichkeit, Herrn Karl Kraus zwei
Äußerungen des Rechtsvertreters der Universal-Edition, die die Auf
lösung der Verträge betreffen, zu übermitteln. Die erste, eine Zuschrift vom 9. Mai, erklärt das Einverständnis mit der Stornierung
der Verträge „Madame l’Archiduc“ und „Vert-Vert“ wie das Bestreben
nach einer Stornierung des Vertrags „Perichole“, für die aber
„erst die juristischen Voraussetzungen geschaffen werden“ müßten.
Die Bedenken bezüglich dieser angeblichen Notwendigkeit haben Sie
bereits zerstreut, wie auch Ihre eigenen Bedenken gegen den Plan
geltend gemacht, bis zur Stornierung neue Bühnenverträge wegen „Perichole“ abzuschließen, in die jene Klausel nun tatsächlich „aufge
nommen“ werden soll, von der sich die Universal-Edition bisher so
wenig versprochen hat, weil auch ohne sie bekanntlich u.s.w. Es
kann selbstverständlich keine Rede davon sein, daß Herr Karl Kraus,
welche Ansicht die Universal-Edition immer bezüglich einer Schwie
rigkeit haben mag, auch den Vertrag „Perichole“ zu stornieren, ohne
Protest und Prozeß zulassen sollte, daß sie weitere Bühnenverträge,
ob mit oder ohne Klausel, abschließt. Die Bemerkung, die der Rechtsvertreter zu diesem Punkte macht: „Ich wiederhole, daß von einer
vorsätzlichen oder auch nur fahrlässigen Nichteinhaltung des Ver
trages auf Seiten meiner Klientin keine Rede sein kann“, scheint
Herrn Karl Kraus durchaus mit der anwaltlichen Pflicht in Überein
stimmung. Interessant ist nur, wie die Begründung des weder vor
sätzlichen noch fahrlässigen, aber immerhin nachweisbaren Vertrags
bruches der Universal-Edition diese geradezu als das Vorbild der
Vertragstreue erscheinen läßt. „Die Einfügung der von Herrn KarlKraus gewünschten Klausel“ – also nicht etwa die Durchführung des
mit ihm abgeschlossenen Vertrages, der die vereinbarte Klausel ent
hielt – wurde von der Universal-Edition nicht nur als „überflüssig“ erkannt
(ohne daß sie von dieser Erkenntnis dem Vortragsteilnehmer vor der
Entdeckung der Nichteinfügung unterrichtet hätte), sondern mußte
von ihr geradezu als störend empfunden werden, denn sie würde – nach
Überzeugung des Rechtsvertreters, die sich aber ganz sicher mit der
der Universal-Edition deckt – „die meisten Bühnen davon abhalten,
überhaupt Aufführungsverträge abzuschließen“. Wenn man nun also auch
vermuten könnte, daß eine vorsätzliche Nichteinhaltung des Vertrages
betätigt wurde, so war es doch ein Vorsatz, der einer weisen Voraus
sicht entsprach. Herr Karl Kraus, der den Autor dieser Rechtfertigung als einen honorigen Mann kennt, möchte annehmen, daß er sich
ihrer Konsequenz für die Beurteilung seiner Klientin nicht ganz be
wußt war. Der Rechtsvertreter der Universal-Edition ist gewiß weit
davon entfernt, Dinge wie die Erschleichung eines Vertrags zu billi
gen und die Verheimlichung des Umstandes, daß er in einem wesentli
chen Punkte verletzt sei, als Basis eines fortgesetzten persönlichen
Verkehrs gelten zu lassen. Herr Karl Kraus ist überzeugt, daß der
Rechtsvertreter der Universal-Edition in die Materie noch nicht ein
gedrungen ist. Auf die Eröffnung, daß die Vergleichspunkte „nur alle
einheitlich angenommen oder abgelehnt werden können“, würde er er
widern, daß er sie einheitlich ablehnt.


Nun aber haben Sie, sehr geehrter Herr Doktor, am 12. Mai
eine telephonische Äußerung des Rechtsvertreters der Universal-Edition übernommen, die einen wesentlich anders gearteten Vorschlag
enthält. Die Universal-Edition sei nicht nur bereit, in neue Bühnen
verträge über „Perichole“ die bisher nicht aufgenommene Klausel auf
zunehmen, sondern auch die Bedingung, daß Herr Karl Kraus „an der
Inszenierung teilzunehmen habe“. Mehr als das: jeder Vertrag solle
vorgelegt werden, damit Herr Karl Kraus Gelegenheit habe, „Wünsche
bezüglich allfälliger anderer Klauseln zu äußern“. Sowohl der HerrRechtsvertreter wie die Klientin verknüpfen mit diesem Angebot den
Glauben, „daß Herr Kraus unter solchen Umständen von dem Wunsche,
die Verträge zu stornieren, absehen werde“. Herr Karl Kraus erwidert
darauf: Dem Glauben des Herrn Rechtsvertreters möchte er nicht nahe
treten, weil er überzeugt ist, daß dieser Glaube die optima fides
ist, mit der er der Sache seiner Klientin gegenübersteht. Was aber
den Glauben der Universal-Edition betrifft, so teilt Herr Kraus ihn
nicht nur nicht, sondern er fühlt sich im höchsten Maß angewidert
durch die Überschätzung eines Dranges nach Inszenierung, der ja der
menschlichen Natur innewohnen mag, wie durch eine Übertreibung des
Optimismus, die schon an Zudringlichkeit grenzt. Er gibt der Ansicht
Ausdruck, daß der so oft zurückgewiesene Versuch einer Blödmacherei
am untauglichsten Objekt, das sich der Universal-Edition im weiten
Umkreis ihrer Autorenbeziehungen darbietet, schließlich einmal eine
durch das Taktgefühl gebotene Schranke finden müßte. Es ist doch
aber auch innerhalb der primitivsten logischen Voraussetzungen
schwer erträglich, sich vorstellen zu sollen, daß die Universal-Edition
einerseits – mit dem Recht des Geschäftemachers – auf dem Stand
punkt steht, die eine Klausel hätte die Anbringung der Stücke ver
hindert, und anderseits jene nur mögliche Klausel aufnehmen will
nebst der Bedingung der Inszenierung, von der allein sie nachweis
lich weiß, daß keine Bühne sich auf dergleichen einließe. Es ist –
weit über die so berechtigte Vermutung des Anwalts hinaus – nach
weisbar, daß die Universal-Edition die vermißte Klausel als das Hin
dernis für den Verkauf der Stücke bezeichnet hat, und es soll nun
glaubhaft sein, daß sie in der Absicht dieses Verkaufs jede nur be
liebige Klausel und Bedingung aufnehmen wolle. In Wahrheit handelt
es sich aber hier um eine ganz andere – auch mit einem Fremdwort zu
bezeichnende – List als jene, die bei der Unterschlagung der einen
Klausel am Werke war. Damals sollte tatsächlich der Verkauf ge
sichert werden. Jetzt, bei Anbringung aller nur beliebigen Klauseln
– zu der es selbstverständlich nie kommen würde, weil keine Bühne
auch nur auf eine eingeht – geht es nicht um den Gewinn, sondern um
die Ehre. Die Universal-Edition hofft, Herrn Kraus durch Erfüllung
sämtlicher Wünsche bis zu dem ihn verzehrenden nach einer Inszenie
rung bei einer schwachen Seite zu packen und ihrem Bedürfnis nach
Erhaltung eines „Prestiges“, das durch sein Widerstreben leiden
könnte, geneigt zu machen. Keine einzige Bühne wird die so verklau
sulierte „Perichole“ annehmen, aber es wird nicht Schuld der Universal-Edition gewesen sein, die das Beste gewollt hat, und alles
ist in Ordnung.


Wir bitten Sie im Namen des Herrn Karl Kraus, dem Rechtsvertreter der Universal-Edition mitzuteilen, daß deren Prestige zu
den letzten seiner Sorgen gehört; zu den ersten seine Ablehnung je
der Verbindung mit der Universal-Edition. Daß er zu ihrer Fortset
zung sich höchstens durch gerichtliches Urteil zwingen ließe. Und
daß ein solches herbeigeführt werden soll, wenn die Universal-Edition nicht binnen drei Tagen erklärt, daß sie ohne jede weitere
Verhandlung bereit sei, sämtliche Verträge, also die ganze Be
ziehung des Herrn Karl Kraus zu ihr, zu stornieren.


Mit dem Ausdruck der
vorzüglichsten Hochachtung
ergebenst