Sehr geehrte gnädige Frau, sehr geehrter Herr Lorre!


Mit dem besten Dank bestätige ich den Empfang
ihres freundlichen Schreibens vom 10. Juli 1936, das während
meines Urlaubes hier angekommen ist, weshalb ich es erst heute
beantworte.


Ihr Wunsch, etwas über die letzten Tage des
Herrn K. zu erfahren, ist leicht erfüllbar, da zwischen dem An
fall, der zum Tode führte und diesem nur 10 Tage liegen. Am
Pfingstmontag wurde er in der Halle des Hotel Imperial bei einer
Unterredung mit Frau Kann von einer plötzlichen Schwäche be
fallen, die leider der Ausdruck seiner schon seit einigen Jahren
bestehenden Krankheit war. Diese bestand in einer Gefässerkran
kung, in einer Sammlung von Blutgerinnsel in der Herzkammer
und führte zu einer Anzahl von Embolien, von denen eine in das
Gehirn drang und damit die unmittelbare Todesursache wurde. Von
dem behandelnden Arzt wurde sein Leiden geschickt als ein nervö
ses hingestellt, so dass er keine Ahnung von der Schwere seiner
Erkrankung hatte. Leider muss es als ein Glück bezeichnet wer
den, dass die Erkrankung den Tod in so kurzer Zeit herbeigeführt
hat, denn selbst wenn keine Embolie in das Gehirn eingetreten
wäre, so wäre eine Lähmung die geringste Folge gewesen, und
eine Arbeitsunfähigkeit für die ganze Zukunft. Diese zu ertragen,
wäre ihm seelisch gewiss unmöglich gewesen. Die letzten
Tage wurde er wegen vorhandener Schmerzen in einem ständigen
Opiumrausch gehalten, der ihm nicht nur die Schmerzen wesent
lich erleichterte, sondern sogar ein gewisses Wohlbefinden
verschaffte, so dass er wirklich ahnungslos in den Tod ge
gangen ist. Ueber das, was wir alle an ihn verlieren, Ihnen
etwas zu schreiben, halte ich für überflüssig. Jeder der ihm
nähergestanden ist, hat einen unauslöschlichen Eindruck für
das Leben gewonnen, und Sie sind ihm doch besonders nahe ge
standen.


Bei der Durchsicht der zurückgelassenen Brief
schaften, zu der ich testamentarisch berufen bin, habe ich
auch eine Anzahl von Briefen gefunden, die von Ihnen, sehr
geehrte gnädige Frau, herrühren. Ich habe sie nicht gelesen,
sondern ihre Autorschaft lediglich aus der Unterschrift, der
Absenderadresse und manchmal auch nur aus der Schrift festge
stellt. Unter den Briefen befinden sich auch einige, die eine
ähnliche Schrift aufweisen, aber nicht mit „C“, sondern mit
„Nachtigall“ unterzeichnet sind. Ich bitte, mir mitzuteilen, ob
meine Vermutung richtig ist, dass auch diese Briefe von Ihnen
herrühren. Ferner bitte ich Sie, mir mitzuteilen, was mit den
Briefen geschehen soll. Ich könnte sie gesondert aufbewahren
und sie Ihnen bei einer Anwesenheit in Oesterreich übergeben,
vernichten, oder auch auf Ihre Gefahr übersenden. Den letzte
ren Weg würde ich aber nicht gerne einschlagen, weil bei der
weiten Entfernung und der Unsicherheit der Post doch mit der
Möglichkeit zu rechnen ist, dass sie in fremde Hände gelangen.


Auch für Ihre Zusage, mir in der nächsten
Woche den Restbetrag meiner Forderung einzusenden, danke ich
Ihnen verbindlichst, ich bitte Sie, diesen Termin auch wirk
lich einzuhalten, da ich sehr grosse Auslagen habe, zumal,
da die Verlassenschaft nach Herrn K. nur ganz geringfügig ist,
und die bedachten Personen eine grosse Einbusse erleiden
müssten, wenn ich nicht gewisse Zahlungen aus Eigenem vor
nähme. Zu diesen gehört die Schaffung eines Zimmers in meinem
Hause, in welchem das Arbeitszimmer des Herrn K., so wie es
bestand, zum ewigen Andenken untergebracht werden soll. Ich
bitte Sie also nochmals und dringendst um die Uebersendung
des Geldes.


Mit ergebener Hochachtung