Österreichisches Abendblatt, 17.7.1933Die letzten Tage der MenschheitÖsterreichisches AbendblattDie „Fackel“ eingestelltDie Fackel


8. August 1933.
Dr.S/Fa.


An das
Strafbezirksgericht I als PressegerichtWien.


Privatankläger: Karl Kraus, Herausgeber der Zeit
schrift ‚Die Fackel‘, Wien III., HintereZollamtsstrasse Nr. 3,
durch:


Beschuldigter: Alfred Kinast, verantwortlicher
Redakteur der Zeitung OesterreichischesAbendblatt, wohnhaft in Wien XV., Märzstrasse Nr. 32, Schriftleitung und Ver
waltung dieser Zeitung, Wien IX.,Canisiusgasse Nr. 8–10 und weitere unbe
kannte Täter,


wegen Ehrenbeleidiung
begangen durch die Presse
1 fach
1 Vollmacht
1 Beilage


Antrag auf Vorerhebungen und Vornahme einer Hausdurchsuchung.


Im Oesterreichischen Abendblatt vomMontag den 17. Juli 1933, Folge 84 erschien auf Seite 7 die
folgende Notiz:


„Die ‚Fackel‘ eingestellt


Wie wir erfahren, ist die von dem Wiener Schriftstel
ler Karl Kraus herausgegebene Zeitschrift
Fackel‘ eingestellt worden und wird
nicht mehr erscheinen. Damit verschwindet eines der
übelsten Pressprodukte Wiens
aus dem öffentlichen Leben.


Soweit die knappe Meldung von der Einstellung
der Zeitschrift des ‚Fackel-Kraus‘. Man könnte sich
mit der Registrierung dieser Tatsache auch begnügen,
wenn es nicht symptomatisch wäre, dass der Schrift
steller Karl Kraus, der wiederholt bemüht war
seinen Namen durch antiösterreichische
Schmähschriften bekannt zu machen, frei
willig den Entschluss fasst, seine Zeitschrift
einzustellen. Jahre hindurch, seit dem
Zusammenbruch, konnte die ‚Fackel‘ ungehindert
erscheinen und hochverräterische
Tendenzen insbesondere in die Jugend tragen.
Mit der Einstellung der roten Monatshefte, die man
in vaterländischen Kreisen längst das ‚Rote Mal‘
genannt hatte, kann man auch die Karriere des
bolschewistischen Schriftstellers für abgeschlossen
betrachten, der übrigens in den letzten Jahren, seit
dem Tod seines Freundes Fritz Austerlitz,
auch mit seinen eigenen Parteigenossen in einen Kon
flikt geraten war, weil die antiösterreichischen
Hetzreden Kraus’ selbst diesem nicht mehr behagten.


Karl Kraus hat im Krieg ein Buch ver
öffentlicht, das er ‚Die letzten Tageder Menschheit‘ nannte. Dieses Buch war
wohl die übelste Verspottung der
alten Armee und des alten Oesterreich und
der ‚Schriftsteller‘ bereiste mit diesem Werk – ein
commis voyageur der eigenen Unbegabung – das Ausland,
um Oesterreich auch in ent
fernten Ländern einen mög
lichst schlechten Ruf zu
machen. So hat es dieser, allerdings rötlich
angehauchte Vorfahre Theo Habichts
in Paris, Berlin und Prag immer wieder
unternommen, unser Land herabzusetzen. In den letzten
Jahren, nachdem er wegen seiner persönlichen Angriffe
– er liebte es, Privatangelegenheiten, die reine
Privatangelegenheiten waren, zu besabbern – öfters ge
züchtigt worden war, ging er daran, die grossen
Philosophen der Deutschen zu ‚bekämpfen‘ und er er
reichte den Kulminationspunkt seiner eigenen Albern
heit mit einer Schmähschrift gegen
Nietzsche. Er betätigte sich übrigens immer
wieder auch als Interpret fremder
Kunst, so auch als Sänger von Offenbach
Operetten. Das Publikum vertrug allerdings
die Mischung von Operette,
Philosophie und Politik schwer
und lief davon.


Die entscheidende Niederlage aber wurde dem
Fackel-Kraus durch keinen geringeren bereitet als
den Goldfüllfederkönig. Nach dem
15. Juli, nachdem Kraus für die Brandstifter
Partei ergriffen hatte, liess er ein Plakat drucken,
auf dem es hiess, dass er den Polizeipräsidenten
Schober auffordere, abzutreten. Worauf der Goldfüllfederkönig – ein würdiger Partner Kraus’ – ein
Plakat drucken liess mit der Aufforderung an
Schober nicht abzutreten. Der Polizeipräsident
blieb und Kraus war seither eine lächer
liche Figur geworden.


Trotzdem unterliess er es nicht, ständig
Oesterreich in Wort und Schrift herabzusetzen. Nun
hat er, wie unsere Meldung besagt, seine Zeitschrift eingestellt. Er hat
damit dem behördlichen Einschreiten in weiser Vor
sicht vorgegriffen. Das Organ des destruktiven, sich
‚literarisch‘ gebärdenden, in Wirklichkeit aber un
fruchtbaren, schwächlichen und zersetzenden, in
seinen Prätentionen aber ungeheuer aufgeblasenen
‚Jüngltums‘ existiert nicht mehr.“


Diese Notiz enthält eine Anzahl von Ehren
beleidigungen, deren Präzisierung der Privatanklage vorbe
halten bleibt. Vor allem ist es aber wichtig, den Schreiber
der Notiz festzustellen.


Ich beantrage daher:
1.) die Vornahme einer Hausdurchsuchung und die Beschlag
nahme des eventuell vorgefundenen Manuskriptes betref
fend den im Oesterreichischen Abendblatt vom 17. Juli1933, Folge 84 auf Seite 7 erschienenen Artikels „Die‚Fackel‘ eingestellt“ weil das Manuskript für die Straf
sache von Bedeutung ist.


Die Hausdurchsuchung ist in der Schrift
leitung des Oesterreichischen Abendblattes in Wien IX.,Canisiusgasse Nr. 8–10 und eventuell in der Druckerei:
Universitätsdruckerei Rudolf Hanel in Wien IX., Canisius-
gasse 8–10 vorzunehmen.


2.) Die Einvernahme des Beschuldigten Alfred Kinast
darüber, ob er den Artikel vor der Drucklegung gelesen
und zum Druck befördert hat; ferner, ob er den Ver
fasser des Artikels anzugeben bereit ist.


Karl Kraus.


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