Zivilrechtlicher Anspruch auf Berichtigung unwahrer Mitteilungen über eine Person


Sehr geehrter Herr Doktor.


Ihr gesch. Schreiben vom 1. l.M. kann ich
erst heute beantworten. Dem Wunsche des Herrn Kraus, ein
Rechtsgutachten über die an mich gestellten Fragen zu er
statten, komme ich hiemit nach:


In dem mit „Arnold“ unterzeichneten Artikel
Nachruf auf Karl Kraus“ fallen folgende Bemerkungen auf.
Karl Kraus hat auch während des Weltkrieges gewünscht, dass
man von ihm kein eigenes Wort erwarte und hat erst als der
Zusammenbruch der Mittelmächte entschieden war, diese so
beredt verflucht, wie kein anderer … er hat auch sonst
Rücksicht zu nehmen. Weiters der Passus, in welchem davon
die Rede ist, er habe junge, unzufriedene Intellektuelle zu
einer ebenso heulmeierischen wie selbstgefälligen Passivi
tät verleitet, er sei eine Erweckerkreuzung von
… dann er habe, als das Gewitter heraufzog, lieber
Offenbachsche Operettenlibrettos, als andere sprachliche
Meisterwerke vorgelesen.


Diese unwahren Behauptungen können meiner
Ansicht nach nach dem Gesetze vom 28. Juni 1933 über den
Schutz der Ehre Sammlung Nr. 108 verfolgt werden.


In Betracht kommen die §§ 1 und 2 dieses Gesetzes.


§ 1 lautet: Wer jemanden durch ein Schimpfwort,
durch Misshandlung, durch Drohung mit Misshandlung, durch
Lächerlichmachung, oder auf andere Weise an der Ehre kränkt,
wird, wenn die Handlung nicht strenger strafbar ist, gericht
lich wegen Uebertretung mit Arrest von 3 Tagen bis zu 3 Mona
ten, oder mit einer Geldstrafe von 50.– Kč bis 5.000.–, und
wenn die Handlung durch den Inhalt einer Druckschrift began
gen wurde, wegen Vergehens mit Arrest von 8 Tagen bis zu 6
Monaten, oder mit einer Geldstrafe von 100.– Kč bis 10000 Kč
bestraft.


§ 2.: Wer jemanden dadurch an der Ehre kränkt, dass
er vor einer dritten Person über ihn auf wie immer geartete
Weise eine Tatsache anführt oder weiter mitteilt, die ihn in
der allgemeinen Meinung verächtlich machen, oder herabsetzen
könnte, wird, wenn die Handlung nicht strenger strafbar ist,
gerichtlich wegen Uebertretung mit Arrest von 14 Tagen bis zu
6 Monaten und wenn die Handlung durch den Inhalt einer Druck
schrift begangen wurde, wegen Vergehens mit Arrest von 3 Mo
naten bis zu einem Jahre bestraft.


Diese zwei Tatbestände werden im § 3 noch er
weitert: Hat derjenige, der jemanden beredet hat, gewusst, dass
die Tatsache, die er angeführt, oder weiter mitgeteilt hat,
unwahr ist, so wird er, wenn die Handlung nicht strenger
strafbar ist, gerichtlich wegen Uebertretung mit Arrest von
1 bis zu 6 Monaten, und wenn die Handlung durch den Inhalt
einer Druckschrift begangen wurde, wegen Vergehens mit stren
gem Arreste von 3 Monaten bis 1 Jahre bestraft.


Gemäss § 14 des zitierten Gesetzes werden
die strafbaren Handlungen auf Grund einer Privatklage ver
folgt.


Nach § 17 muss das Begehren um Strafverfolgung
bei Gericht binnen 2 Monaten von dem Zeitpunkte gestellt
werden, in welchem der zur Klage Berechtigte von der Handlung
und von der Person des Schuldigen Kenntnis erlangt hat.


Ich glaube, dass die Mitteilung, Karl Kraus
habe im Weltkriege erst dann gegen die Mittelmächte geschrie
ben, als ihr Zusammenbruch entschieden war, genügt, um die
Strafverfolgung gemäss § 2 oder sogar gemäss § 3 zu begehren,
umsomehr als anzunehmen ist, dass der Schreiber des Artikels
wusste und wissen musste, dass diese Mitteilung unwahr ist.


2./ Gemäss § 11 der Pressegesetznovelle kann
derjenige, den eine in einer periodischen Druckschrift
enthaltene Nachricht betrifft, die Veröffentlichung ihrer
Berichtigung verlangen. Daher ist Herr Kraus zweifellos be
rechtigt, die unwahre Tatsache, er habe im Weltkriege bis
zur Entscheidung über den Zusammenbruch der Mittelmächte
geschwiegen und diese erst nachher verflucht, zu berichtigen.
Ebenso kann die falsche Wiedergabe des Gedichttextes berich
tigt werden.


Ob die Berichtigungsmöglichkeit bezüglich der
behaupteten Tatsache, Herr Kraus habe Offenbachsche Operetten
librettos vorgetragen, gegeben ist, ist mir nicht so klar,
wie in den vorher erwähnten Fällen.


Das Gesetz zählt im § 13 – offenbar taxativ –
die Fälle auf, in denen die Veröffentlichung der Berichti
gung verweigert werden darf, selbst wenn den Bedingungen
des § 11 entsprochen wurde. Unter diesen Fällen kommt der
Fall nicht vor, in dem die Berichtigung einer objektiv
nicht ganz unrichtigen Tatsache verlangt wurde.
Daraus wäre wohl zu schliessen, dass auch die Behauptung,
Karl Kraus habe Operettenlibrettos vorgetragen, berichtigungs
fähig ist.


Wenn ich Bedenken habe, diese Behauptung zu be
richtigen, so habe ich sie deswegen, weil ich annehme, dass
der verantwortliche Redakteur einer Zeitung, die so gehäs
sig schreibt, bereit sein wird, sich in einen Prozess ein
zulassen, umsomehr als ein Prozess, in dem Herr Kraus als
Kläger auftritt, Sensation erwecken und für die Zeitung
ein willkommenes Reklamemittel bilden dürfte.


Die Offenbachvorlesungen des Herrn Karl Kraus
bestanden wohl in der Wiedergabe der Musik von Offenbach,
der von Karl Kraus bearbeiteten und durch eigene Verse er
gänzten Operettentexte. Herr Kraus wird sicherlich am besten
entscheiden können, ob die Behauptung, er habe Operetten
librettos vorgetragen, nicht trotzdem objektiv richtig ist.


Wenn ich also glaube, dass das Gericht entschei
den müsste, dass die Veröffentlichung der Berichtigung vor
zunehmen ist, so muss ich andererseits doch annehmen, dass
der verantwortliche Redakteur die Tatsache, dass eine objek
tiv nicht ganz unwahre Tatsache berichtigt werden musste,
publizistisch ausnützen wird.


Unbedingt berichtigungsfähig und geradezu nach
Berichtigung verlangend ist die Behauptung, Karl Kraus habe
Offenbachsche Operettenlibrettos vorgetragen, als das Gewit
ter heraufzog.


Nun ist allerdings die Frage, wann das Gewit
ter heraufzuziehen begann, schwer zu beantworten. Urteils
bildungen können nicht berücksichtigt werden, sondern nur
Tatsachen. Der Zusammenhang des betreffenden Artikels lässt
jedoch keinen Zweifel darüber aufkommen, dass der Autor
diesen Zeitpunkt mit dem „Ausbruche des Hitlertums“, also
mit der Ergreifung der Regierungsgewalt durch Hitler iden
tifiziert. Und dass in diesem Zeitpunkte noch Offenbachvor
lesungen stattgefunden haben, ist gewiss unwahr.


3./ Wegen der Veröffentlichung des ganzen Gedichtes kann Herr Kraus nach meiner Ansicht nach dem Urheberrechte
/ § 24 Absatz 2 / vorgehen.


4./ Die Widerrufsklage gemäss § 1330 A.G.B. kann
eingebracht werden, wenn jemand Tatsachen verbreitet, die
den Kredit, den Erwerb oder das Fortkommen eines Anderen
gefährden und wenn der Verbreiter deren Unwahrheit kannte,
oder kennen musste. Die betreffende Bestimmung der III. Teil
novelle war wohl vorwiegend zum Schutze des Geschäftskre
dites gemeint und sollte Abhilfe für solche Fälle gewähren,
in denen die üble Nachrede nicht unter den technischen Be
griff der Ehrenbeleidigung fällt oder aus geschäftlichen
Rücksichten die Ueberreichung einer Ehrenbeleidigungsklage
nicht zweckmässig erscheint.


Ob Herr Kraus durch die beleidigenden
Aeusserungen des betreffenden Artikels an seinem Kredite,
Erwerbe oder Fortkommen gefährdet wurde, scheint mir zwei
felhaft zu sein. Unzweifelhaft erscheint mir jedoch die
Tatsache, dass der Autor des Artikels die Unwahrheit der
verbreiteten Tatsachen kannte und kennen musste.


Die Beantwortung der Frage, ob die Wider
rufsklage gemäss § 1330 A.B.G.B. Aussicht auf Erfolg hat,
ist daher nicht leicht und es müsste ihr ein eingehendes
Studium der Literatur und Judikatur, insbesondere der
Publikation von K. SchreiberZivilrechtlicher Anspruchauf Berichtigung unwahrer Mitteilungen über eine Person
Ger.Z. 1915 Nr. 14 Ehrenzweig, Pfaff Gutachten, etc.
vorangehen.


Ich bin bisher nicht dazu gekommen, diese
Publikationen zu studieren, bin aber gerne bereit, es zu tun,
wenn Herr Kraus über diese Frage eine genauere Aeusserung
wünschen sollte.


Indem ich bitte, diese Mitteilung zur
Kenntnis zu nehmen, zeichne ich


mit vorzüglicher Hochachtung ergebener:
Dr. Turnovsky


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