Sehr geehrter Herr Doktor.


In der Angelegenheit Karl Kraus ca:
Gegenangriff bestätige ich den Empfang Ihres Schreibensvom 23. l.M., sowie des beigeschlossenen, von Herrn Kraus
abgeänderten Klagsentwurfes. Ich werde für eine sinngemässe
und genaue Uebersetzung des Entwurfes Sorge tragen und
die Klage noch im Laufe dieser Woche überreichen.


Wollen Sie Herrn Kraus bitte mitteilen,
dass heute die Verhandlung zur Erzwingung der Berichtigung
gegen den verantwortlichen Redakteur des „Gegenangriff
stattgefunden hat. Frau Dr. Schnierer, so heisst der ver
antwortliche Redakteur, ist nicht erschienen, die Ladung
war nicht ausgewiesen, sodass die Tagsatzung vertagt werden
musste.


Leider ist die Sache einem Richter zu
gewiesen, der sehr schlecht deutsch spricht und sich dahin
äusserte, er könne nicht begreifen, dass an dem Artikel
gerade die Tatsache des fehlenden Beistriches berichtigt
werden soll. Ich muss eine beglaubigte Uebersetzung des
ganzen Artikels vorlegen und der Referent äusserte sich
dahin, er werde voraussichtlich gezwungen sein, auch noch
einen Sachverständigen beizuziehen, um zu ermitteln, ob
die Auslassung des Beistriches eine solche Bedeutung habe,
dass der Autor des Gedichtes eine Berichtigung zu verlangen
berechtigt sei.


Nach dem Wortlaute des Gesetzes ist allerdings meiner An
sicht nach dieser Umstand überhaupt nicht zu prüfen. Der
tschechische Gesetzes-Text ist allerdings in der Uebersetzung nicht
ganz genau erfasst. Der erste Satz des § 11 lautet: „wen
eine in einer periodischen Druckschrift enthaltene Nach
richt betrifft, hat das Recht, die Veröffentlichung ihrer
Berichtigung zu verlangen“, etc.… Das Wort „betrifft“
schöpft den Inhalt des tschechischen Wortes des Legaltextes
nicht völlig aus. Das betreffende Wort hat wohl auch die
Bedeutung „berührt“ aber nicht nur im Sinne von „tangere“
sondern auch im Sinne von „an die Ehre rühren“. Der Mo
tivenbericht sagt jedoch an einer Stelle: Derjenige, der
durch die in einer Druckschrift enthaltene Nachricht betrof
fen wird, ist berechtigt, die Pressberichtigung zu verlangen.
Es ist jedoch nicht erforderlich, dass die betreffenden
Nachrichten direkt seine Ehre tangieren, oder dass er in
der Nachricht ausdrücklich erwähnt wird. Es genügt, wenn er
auf deutliche Art in seinem berechtigten Interesse daran,
dass das auf Grund der von ihm
behaupteten Tatsachen gebildete Urteil des Lesers nicht auf
unwahren Tatsachen basiere, tangiert wird.


Es wird wohl möglich sein, den Richter davon
zu überzeugen, dass der Autor eines Gedichtes ein berechtig
tes Interesse daran haben muss, dass sein Gedicht nicht
unrichtig wiedergegeben werde. Sollte dies nicht möglich
sein, dann müssten allerdings Sachverständige herangezogen
werden und ich bitte, Herrn Kraus zu fragen, ob ich in diesem
Falle Herrn Prof. Dr. Otakar Fischer als Sachverständigen
beantragen darf.


Die Tagsatzung wurde zum 3.I.1934 vertagt.
Ich erbitte mir bis zu diesem Datum Ihre Rückäusserung.


Mit vorzüglicher Hochachtung ergebener:
Dr. Turnovsky


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