Die letzten Tage der MenschheitDer Gegen-AngriffPanorama (Programmschrift für Die letzten Tage der Menschheit)


Sehr geehrter Herr Kollege!


Ich war die ganze letzte Woche verreist.
Ihr Brief vom 8. Januar 1934 wurde Herrn Kraus zur Kenntnis
gebracht, konnte aber aus dem oben angeführten Grunde nicht
beantwortet werden. Ihren Brief vom 10. Januar 1934 fand ich
bei meiner Rückkehr vor und ich habe am Montag diesen Brief
und gestern das Schreiben vom 15. Januar 1934 mit Herrn Kraus
besprechen können. Herr Kraus lässt Ihnen vor allem für die
überaus grosse Mühe und für die Sorgfalt, mit der Sie sich
seiner Sachen annehmen, bestens danken und Sie herzlichst
grüssen. Er billigt Ihre Haltung, dass Sie auf die vom
Richter vorgeschlagene Neufassung der Berichtigung nicht
eingegangen sind, vollauf. Es ist zwar zu befürchten, dass
auch die zweite Instanz vielleicht die Entscheidung der
ersten Instanz bestätigen wird, aber auch er und ich halten
die Berichtigung für vollständig in Ordnung. Nach meiner
Ansicht entspricht die Entscheidung des Richters nicht dem
zur Beurteilung stehenden Sachverhalt. Die bei der Entscheidung
auftauchenden Fragen sind die Folgenden:


1.) Ist die Zitierung des Gedichtes eine Herrn Kraus be
treffende Nachricht;


2.) ist der richtige Wortlaut des Gedichtes eine Tatsache und
infolgedessen die unrichtige Zitierung eine unrichtige
Tatsache;


3.) hat es einen Einfluss auf das Berichtigungsrecht, ob die
Unrichtigkeit der Tatsache absichtlich oder fahrlässig
oder durch ein Versehen des Setzers entstanden ist?


Ich glaube, dass alle diese Fragen im Sinne
des Berichtigungsrechtes des Herrn Kraus zu entscheiden und
die Berichtigung daher zu veröffentlichen gewesen wäre. Dass
Herr Kraus auf die durch den Druckfehler etwa entstandene
unrichtige Auffassungsmöglichkeit hinzuweisen gehabt hätte,
indem er sie sich zu eigen machte und die Berichtigung so
abfasste, dass er der unrichtigen Auffassung die richtige
oder den richtigen Wortlaut entgegensetzt, ist nach meinem
Dafürhalten nicht notwendig. Diese geistige Funktion kann
man ruhig dem Leser überlassen, indem man die Unrichtigkeit
der Interpunktion zu seiner Kenntnis bringt, wodurch ja der
Gegensatz sowohl im Wortlaut als auch in der Auffassungsmög
lichkeit dargetan wird. Nun hat sich der Richter ja die Sache
an und für sich sehr leicht gemacht. Er geht von dem Stand
punkt aus, dass die Tatsache, die fünfte Zeile des Gedichtes
laute: „Kein Wort das traf“ sei in dem berichtigten Artikel
keineswegs behauptet worden, vielmehr sei die Tatsache be
hauptet worden, dass er auf der letzten Seite sein Schweigen
besinge. Diese Argumentierung kann man nur als absurd bezeich
nen. Es wurde allerdings in dem Artikel auch behauptet, dass
Herr Kraus sein Schweigen besinge. Es wurde aber dargetan,
wie er sein Schweigen besingt, nämlich durch Zitierung des
ganzen Gedichtes. In diesem Gedichte ist eine Zeile unrich
tig wiedergegeben. Es wird also die Tatsache behauptet, dass
das Gedicht so gelautet hat, wie es wiedergegeben wurde
und dieser unrichtigen Tatsache muss man den richtigen Wort
laut des Gedichtes entgegensetzen können. Dass der Artikel
nicht die Wendung gebraucht „die fünfte Zeile des Gedichtes lautet“ ist gleichgiltig, da der Druck des Gedichtes diese
Behauptung in sich schliesst. Hoffentlich wird der Richter
zweiter Instanz die Angelegenheit richtig auffassen. Viel
leicht wäre es nicht unvorteilhaft, wenn Sie bei Ihrer Vor
sprache auch auf die juristische Argumentationsmöglichkeit
hinweisen würden, dass die Behauptung des richtigen Wort
lautes eines Gedichtes in dem Abdruck enthalten sei.


Mit dem Zuwarten eines Antrages gemäss
§ 14 der Pressgesetznovelle bis nach dem Erscheinen der
nächsten Nummer des Gegenangriffes, ist Herr Kraus einver
standen.


Für Ihr Verhalten bei der Vergleichsverhand
lung am 19. Januar 1934 hat Herr Kraus keine weiteren Wünsche.
Er überlässt es vollständig Ihnen, mit welcher Erklärung und
welcher Busse, die am besten zur Hälfte für Kriegsopfer, zur
anderen Hälfte für Emigranten verwendet werden möge, Sie die
Angelegenheit beenden wollen. Er hält es aber für nicht un
wesentlich, wenn Sie zur Beurteilung der Schwere der Beleidi
gung dem Gerichte die tschechische Uebersetzung des Werkes
Die letzten Tage der Menschheit“ und die im „Panorama“,
einer Programmschrift für das Werk, enthaltenen Urteile Masaryk’s.
Ottokar Fischer’s und Jahn Münzer’s über die Stellung des HerrnKraus im Kriege zur Kenntnis brächten. Diese beiden Werke
können Sie wahrscheinlich am besten von Herrn Professor Fischer
selbst leicht erhalten. Es wäre vielleicht auch zweckmässig,
darauf hinzuweisen, dass in dem letzten von Ihnen eingesandten
Artikel die Beleidigung fortgesetzt wurde und zwar hauptsäch
lich in dem Satz: „Wie schmählich dieses Schreiben uns er
scheint …“.


Mit dem Ausdrucke vorzüglicher kollegialer
Hochachtung
bin ich Ihr ergebener


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