Die letzten Tage der MenschheitEine Lanze für Karl KrausDer Gegen-AngriffDie Fackel


Sehr geehrter Herr Doktor.


In der Angelegenheit Karl KrausGegenangriff hat zwar Dr. Stein die Erklärung abgegeben, dass
seine Mandantin Frl. Dr. Schnierer bereit ist, sich zu ver
pflichten, die in Ihrem Briefe vom 23.I. l.J. aufgesetzte
Erklärung zu veröffentlichen, dass er jedoch nicht auf die
Bedingung eingehen könne, zu der verlangten II. Berichtigung
nur juristische Bemerkungen zu veröffentlichen.


Mit Rücksicht darauf habe ich den bedingt abgeschlossenen
Vergleich fristgemäss widerrufen und die Fortsetzung des
Strafverfahrens beantragt.


Die in der ersten Berichtigungsangelegenheit
erflossenen Entscheidungen beider Instanzen habe ich mit
einer entsprechenden Eingabe der Generalprokuratur vorgelegt
und ihr unter Hinweis auf die Gesetzesverletzung nahegelegt,
die Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes zu über
reichen. Dass ein solcher Antrag direkt von der hiesigen
Staatsanwaltschaft überreicht werden würde, wenn ich beim
ersten Staatsanwalt vorsprechen und ihm die Sache klarstellen
würde, halte ich für ausgeschlossen, weswegen ich mich
direkt an die Generalprokuratur gewendet habe.


In der Berichtigungssache betreffend den Artikel
Lanze für Karl Kraus“ fand die Verhandlung statt.
Dr. Stein erklärte, die Berichtigung entspreche nicht dem
§ 11 und zwar aus folgenden-Gründen:


1./ Im ersten Satze wird die Tatsache, KarlKraus habe es abgelehnt, sich unter österreichische Zensur
stellen zu lassen, mit der Behauptung berichtigt und wider
legt, dass die Fackel, beginnend mit der Nr. 404 unter Kriegs
zensur gestellt war, was in dem Artikel nicht behauptet wurde
umsomehr als der Begriff Fackel und Karl Kraus nicht identisch ist
und als von der Fackel in dem berichtigten Satze keine Rede
war.


2./ Die Tatsache, dass es Viktor Adler gelungen
ist, die Fackel gegen die Zensur zu immunisieren, wird
durch die Behauptung widerlegt, dass der Artikel „in diesergrossen Zeit“ von der Zensur unbeanständet erschienen ist.
Jeder immunisierte Artikel erscheint unbeanständet. Es han
delt sich um die Widerlegung einer in dem berichtigten Artikel nicht behaupteten Tatsache, welche überdies schon
im ursprünglichen Satze enthalten war. / er meint offenbar
den Satz „nach wenigen Monaten des Schweigens …, schrieb
er gegen die grosse Zeit“ /


3./ Die Behauptung, dass der Artikel „indieser grossen Zeit“ erschienen ist, widerlegt nicht die nicht
berichtigte behauptete Tatsache, dass Kraus gegen die grosse Zeit
geschrieben hat und der berichtigte Satz hat sich auf
Artikel bezogen, welche nicht gegen die grosse Zeit gerich
tet waren.


4./ Die Behauptung, dass die erste Immuni
sierung während des Krieges, etc., bezieht sich auf eine im
berichtigten Artikel nicht behauptete Tatsache. Die Tat
sache, dass sich unter dem Namen der Unterzeichner der An
frage der Name Viktor Adler nicht befand und gleich nachher
dass die Immunisierung dieser Artikel und Stellen durch die
Anfrage von Abgeordneten, darunter Viktor Adler, erfolgt
ist, widerlegt nicht, sondern bestätigt die im Artikel
behauptete Tatsache und stellt einen Widerspruch zu dem dar,
was sub 2 berichtigt wurde.


5./ Die Tatsache „es ist unwahr, dass ein
Hochverratsverfahren eingeleitet war“ widerlegt eine im
Artikel nicht enthaltene Behauptung. Die Berichtigung der Tat
sache, dass Karl Kraus trotz diesem Verfahren die ersten
Szenen der „letzten Tage der Menschheit“ veröffentlicht
hat, durch die Tatsache, dass eine Szene aus den letztenTagen der Menschheit bereits im Mai 1916, eine weitere im
Oktober 1918 erschienen ist, widerlegt nicht, sondern bestätigt
die in dem betreffenden Satze enthaltene Tatsache, denn die
im Jahre 1916 veröffentlichte Szene konnte die letzte Szene
des Werkes und die später veröffentlichten Szenen, die ersten
sein.


Gegen diese geistvollen Ausführungen habe
ich angeführt, dass die verlangte Berichtigung im Sinne
des § 11 der Pressegesetznovelle die Bestreitung der einzel
nen in dem inkriminierten Artikel enthaltenen Tatsachen ent
hält und daß zur Widerlegung dieser Tatsachen dem Gesamtinhalte der
berichtigten Behauptung eine berichtigende zusammenhängende
Darstellung des Sachverhaltes gegenübergestellt wurde, was
dem Gesetze entspricht. In dem berichtigten Artikel ist klar
darauf hingewiesen, dass es Karl Kraus abgelehnt hat, seine
Zeitschrift, die im Artikel wiederholt erwähnt ist, und in
welcher allein er seine Artikel veröffentlicht, unter Zensur
stellen zu lassen und der Wortlaut der Berichtigung ist daher
ganz richtig, zumal sich die Zensur keinesfalls auf HerrnKraus als Person, sondern nur auf seine Publikationen beziehen
kann. Durch die Behauptung, dass der Artikel „in dieser grossen Zeit“ von der Zensur unbehelligt am 5.XII.1914 in der
Fackel Nr. 404, erschienen ist, widerlegt wird die im Artikel
enthaltene Behauptung, dieser Artikel Aufsatz sei erschienen, nachdem
es Viktor Adler gelungen war, die Fackel gegen die Kriegszen
sur zu immunisieren widerlegt. Durch diesen Satz / wahr ist, dass der
Aufsatz … von der Zensur unbehelligt am 5.XII.1914 …
erschienen ist / wird gleichzeitig die behauptete Tatsache
widerlegt, dass nach wenigen Monaten des Schweigens schon
Karl Kraus gegen die grosse Zeit, etc. schrieb, nachdem es
gelungen war, die Fackel zu immunisieren. Die Widerlegung
erfolgte weiters durch den Hinweis auf das Datum der ersten
Immunisierung der Fackel, das auf einen viel späteren Zeit
punkt als den der Veröffentlichung des Aufsatzes „in diesergrossen Zeit“ fällt. Die Behauptung, dass die erste Immuni
sierung während des Krieges … etc. erfolgt ist, war
notwendig zur Widerlegung der falschen Behauptungen des Artikels und zur zusammenhängenden Darstellung des Sachverhaltes.
Die Anführung der Tatsache, dass sich unter dem Namen der Unter
zeichner der Anfrage der Name Viktor Adler nicht befand, be
zieht sich auf die Behauptung auf über die erste Immunisierung
während des Krieges und widerlegt die berichtigte Behauptung,
dass es Viktor Adler nach einigen Monaten des Schweigens
gelungen ist, die Fackel zu immunisieren.


Die Behauptung, dass ein Hochverratsverfahren ein
geleitet war, wird in dem berichtigten Satze „und trotz
eines Hochverratsverfahrens …“ aufgestellt.
Diese Behauptung wird richtig widerlegt und dabei darauf
hingewiesen, dass die ersten Szenen der letzten Tage derMenschheit schon im Jahre 1916, also vor Einleitung, zwar
nicht des Hochverratsverfahrens, welches überhaupt nicht
eingeleitet worden ist, sondern der Vorerhebungen wegen
Verbrechens gegen die Kriegsmacht des Staates veröffentlicht
wurde, demnach nicht „trotz einem eingeleiteten Verfahren“
veröffentlicht werden konnte. Im Uebrigen verlangt das Press
gesetz nicht, dass sich der Berichtigende in der Darstellung
der Widerlegung der berichtigten Tatsachen an den Wortlaut
des berichtigten Artikels hält, sondern nur, dass er sich
auf Tatsachen beschränkt, welche die in der Nachricht ent
haltenen Behauptungen richtigstellen oder widerlegen.
Diesen Erfordernissen hat die verlangte Berichtigung voll
entsprochen.


Der Richter äusserte sich dahin, dass er nur in
folgenden Punkten eine Abänderung der verlangten Berichtigung
für notwendig hält:


Zu entfallen hat der Satz: „es ist unwahr, dass ein
Hochverratsverfahren …“ bis inclusive ad acta gelegt,


In dem nachfolgenden Satze sollen anstatt der Worte:
„trotz diesem Verfahren“ die Worte: „trotz einem Hoch-
verratsverfahren“ gesetzt werden.


Zur Aeusserung, ob ich mit einer derartigen
Abänderung einverstanden bin, aufgefordert, habe ich meine
Einwilligung erteilt, um zu verhindern, dass der Richter
den Antrag abweist und das Beschwerdegericht seinen Beschluss
bestätigt, trotzdem ich überzeugt bin, dass auch in diesem
Falle und bezüglich dieses Passus der verlangten Berichtigung
den Bedingungen des § 11 entsprochen worden ist.


Darauf verkündete der Richter den Beschluss, dass
der verantwortlichen Redakteurin Dr. Schnierer die Veröffent
lichung unter den Folgen der Beschlagnahme der Zeitschrift
in der abgeänderten Form aufgetragen wird.


Dr. Stein meldete die Beschwerde an und zwar
hauptsächlich gegen den Wortlaut der abgeänderten Berichtigung,
was er jedenfalls deswegen tat, um zu erwirken, dass die Be
schwerde aufschiebende Wirkung erhält. / § 14 Abs. 4 und 6 desPressegesetzes /


Indem ich bitte diese Mitteilungen zur Kenntnis
zu nehmen und an Herrn Kraus weiterzuleiten, zeichne ich


in vorzüglichster Hochachtung ergebener:
Dr. Turnovsky


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