Sehr geehrter Herr Doktor.
Auf Ihren Brief vom 7. d.M. gestatte
ich mir bekanntzugeben.
1./ Berichtigung des
Artikels „Lanze für Karl
Kraus“:
Die Behauptung, dass gegen
Herrn
Kraus
ein
Hochverratsverfahren eingeleitet war, war gewiss in dem
berichtigten Artikel enthalten und durfte daher mit den
Worten
„es ist unwahr,
dass ein Hochverratsverfahren eingeleitet
war“ widerlegt werden.
Ebenso ist die Form der Widerlegung
durchaus nicht im
Widerspruche mit dem Wortlaute des § 11der
Pressegesetznovelle, umsomehr als sich die Pressberich
tigung nicht auf das blosse
In-Abrede-stellen oder die Wi
derlegung einzelner
Tatsachen beschränken muss, sondern dem
Gesamtinhalte der Behauptung
eine berichtigende zusammenhän
gende Darstellung des
Sachverhaltes gegenüberstellen kann.
Wenn ich trotzdem meine
Einwilligung
zu der Abänderung
des Berichtigungswortlautes erteilt habe,
so tat ich dies nicht nur auf
Grund der im ersten Berich
tigungsverfahren gewonnenen
Erfahrung über die Art, in wel
cher der Berichtigungsrichter und der Beschwerdesenat judi
zieren, sondern auch deshalb,
weil ich annahm, dass der
Schwerpunkt der Berichtigung weniger in der Richtigstellung
der falschen Behauptung gelegen
sei, dass ein Hochverratsver
fahren eingeleitet war, als
darin, dass Herr
Kraus trotz
einem
Verfahren, also erst nach Einleitung eines Verfahrens
die ersten Szenen der letzten Tage der Menschheit veröffent
licht hat. Die
Richtigstellung dieser Behauptung wird ja
allerdings auch durch die
abgeänderte Fassung des Berichti
gungswortlautes erreicht und eben
mit Rücksicht darauf habe
ich
mich zur Genehmigung des abgeänderten Wortlautes ent
schlossen, um zu verhindern, dass
durch die unsinnige Judi
katur die Veröffentlichung der
Berichtigung
überhaupt ver
eitelt
werde.
Der Richter hat eine sehr engstirnige Auf
fassung darüber, was
berichtigungsfähig ist und wie berich
tigt werden darf. Er hat den
betreffenden Passus des Berichtigungsschreibens deshalb
beanständet, weil in dem berichtigten Artikel nicht
behauptet wurde, dass gegen Herrn Kraus
ein Hochverratsverfahren
eingeleitet war, sondern dass die
Veröffentlichung der ersten Szenen der letzten Tage derMenschheit trotz einem Hochverratsverfahren erfolgt ist.
Er glaubt also, man dürfe mit den
Worten „es ist unwahr,
dass ein
Hochverratsverfahren eingeleitet war“ nur dann
berichtigen, wenn in dem berichtigten Artikel ausdrücklich
behauptet worden ist „es war ein
Hochverratsverfahren ein
geleitet.“ Dass dies durch die
Worte „und
trotz eines Hoch
verratsverfahrens“ behauptet wurde, ist zwar klar, doch ist
es einfach unmöglich, den Richter davon zu überzeugen.
Ich glaube, dass es nicht
zweckmässig wäre,
auch diesen
Fall jetzt der Generalprokuratur zu
unterbreiten,
sondern dass man jedenfalls
abwarten soll, ob im ersten Falle
die Nichtigkeitsbeschwerde
erhoben wird.
2./ Beleidigungen in den
später erschienenen Artikeln:
Im Artikel vom 14.I.1934 sind meiner
Ansicht nach folgende
Stellen inkriminierbar:
„Wie schmählich dieses Schweigen
uns erscheint“
„Karl Kraus, der
… verdorben, gestorben ist. War es
schon peinlich, zu beobachten,
wie sich der Horizont KarlKraus’ immer mehr verengte“ „Wie er … zu einem
phylologischen Flohknacker, zu
einem Don Quijote von Mittel
standsformat wurde, der mit
Kaffeemühlen focht …, so
fehlen einfach die Worte, um dem Gefühl des Unbehagens Aus
druck zu geben …“
„Dazu
kannten wir diesen ge
sprächigen Toten zu
gut.“ „An so gigantische Gegner,
wie Kaffeemühlen, wagt sich
dieser Tote – Verzeihung: dieser
Pamphletist im Ruhestand –
schon längst nicht mehr heran.“
„Von welcher historischer
Wichtigkeit sind doch, gemessen
an diesem Unterfangen, die Bridgepartien der kleinen Moritze
im wiener Café Herrenhof“
„Unser trauriger Don
Quijote“. „Dieser wackere Kämpe“
„Komma-Kraus“
Die Nummer vom 21. Jänner habe
ich
mir nicht behalten und
konnte bisher diese Nummer nicht
kaufen, da sie in den Zeitungsgeschäften vergriffen ist.
Ich habe mir durch eine
Zeitungshandlung diese Nummer bei
der Redaktion des Gegen-Angriff bestellt und werde sie jeden
falls heute oder übermorgen
erhalten.
Ich bemerke noch, dass der
Pressesenat in Ehren
beleidigungsangelegenheiten
nicht identisch ist mit dem Se
nat, der über die
Beschwerden in Berichtigungsfällen zu
entscheiden hat. Letzterer
ist der normale Berufungssenat,
während ersterer
ausschliesslich über Ehrenbeleidigungen,
begangen durch den Inhalt
einer Druckschrift in erster
Instanz zu verhandeln hat.
Diese letztere Agenda
versehen zwei Senate, denen
die einzelnen Fälle in der Reihenfolge des Einlangens der
Strafanträge zugewiesen
werden. Beide Senate sind eigentlich
mehr auf die Fälle
spezialisiert, in denen es sich um Belei
digungen aus politischen
Gründen handelt. Sie judizieren in
Beleidigungsangelegenheiten
ohne politischen Hintergrund
ausserordentlich schwerfällig und langsam und ich selbst
habe einen eklatanten
Beleidigungsfall unpolitischen
Charakters erst nach fünfjähriger Prozessführung erledigen
können. Ich teile Ihnen dies
deswegen mit, damit Sie un
sere Verhältnisse beurteilen
können und verstehen, warum
es so schwer ist, in Presseangelegenheiten bald ein Urteil und ins
besondere ein vernünftiges
zu erwirken.
Ich bitte Sie, mich Herrn Kraus
bestens zu em
pfehlen und zeichne
mit vorzüglichster
Hochachtung
Dr. Turnovsky
P.S.
Soeben erfahre
ich, dass die Nummer, welche am
21.I. l.J. hätte erscheinen
sollen, überhaupt
nicht
herausgekommen ist, worauf auch, wie ich
jetzt sehe, in einer der
folgenden Nummern
aufmerksam
gemacht wurde. / in Nr. 4 /