[beleidigender Artikel über Karl Kraus]Die letzten Tage der MenschheitDer Gegen-Angriff, 27.1.1934Eine Lanze für Karl KrausDer Kampf ums[!] ein Komma


Sehr geehrter Herr Doktor.


Auf Ihren Brief vom 7. d.M. gestatte
ich mir bekanntzugeben.


1./ Berichtigung des Artikels „Lanze für Karl Kraus“:


Die Behauptung, dass gegen Herrn Kraus
ein Hochverratsverfahren eingeleitet war, war gewiss in dem
berichtigten Artikel enthalten und durfte daher mit den Worten
„es ist unwahr, dass ein Hochverratsverfahren eingeleitet
war“ widerlegt werden. Ebenso ist die Form der Widerlegung
durchaus nicht im Widerspruche mit dem Wortlaute des § 11der Pressegesetznovelle, umsomehr als sich die Pressberich
tigung nicht auf das blosse In-Abrede-stellen oder die Wi
derlegung einzelner Tatsachen beschränken muss, sondern dem
Gesamtinhalte der Behauptung eine berichtigende zusammenhän
gende Darstellung des Sachverhaltes gegenüberstellen kann.


Wenn ich trotzdem meine Einwilligung
zu der Abänderung des Berichtigungswortlautes erteilt habe,
so tat ich dies nicht nur auf Grund der im ersten Berich
tigungsverfahren gewonnenen Erfahrung über die Art, in wel
cher der Berichtigungsrichter und der Beschwerdesenat judi
zieren, sondern auch deshalb, weil ich annahm, dass der
Schwerpunkt der Berichtigung weniger in der Richtigstellung
der falschen Behauptung gelegen sei, dass ein Hochverratsver
fahren eingeleitet war, als darin, dass Herr Kraus trotz
einem Verfahren, also erst nach Einleitung eines Verfahrens
die ersten Szenen der letzten Tage der Menschheit veröffent
licht hat. Die Richtigstellung dieser Behauptung wird ja
allerdings auch durch die abgeänderte Fassung des Berichti
gungswortlautes erreicht und eben mit Rücksicht darauf habe
ich mich zur Genehmigung des abgeänderten Wortlautes ent
schlossen, um zu verhindern, dass durch die unsinnige Judi
katur die Veröffentlichung der Berichtigung überhaupt ver
eitelt werde.


Der Richter hat eine sehr engstirnige Auf
fassung darüber, was berichtigungsfähig ist und wie berich
tigt werden darf. Er hat den betreffenden Passus des Berichtigungsschreibens deshalb beanständet, weil in dem berichtigten Artikel nicht behauptet wurde, dass gegen Herrn Kraus
ein Hochverratsverfahren eingeleitet war, sondern dass die
Veröffentlichung der ersten Szenen der letzten Tage derMenschheit trotz einem Hochverratsverfahren erfolgt ist.
Er glaubt also, man dürfe mit den Worten „es ist unwahr,
dass ein Hochverratsverfahren eingeleitet war“ nur dann
berichtigen, wenn in dem berichtigten Artikel ausdrücklich
behauptet worden ist „es war ein Hochverratsverfahren ein
geleitet.“ Dass dies durch die Worte „und trotz eines Hoch
verratsverfahrens“ behauptet wurde, ist zwar klar, doch ist
es einfach unmöglich, den Richter davon zu überzeugen.


Ich glaube, dass es nicht zweckmässig wäre,
auch diesen Fall jetzt der Generalprokuratur zu unterbreiten,
sondern dass man jedenfalls abwarten soll, ob im ersten Falle
die Nichtigkeitsbeschwerde erhoben wird.


2./ Beleidigungen in den später erschienenen Artikeln:


Im Artikel vom 14.I.1934 sind meiner
Ansicht nach folgende Stellen inkriminierbar:


„Wie schmählich dieses Schweigen uns erscheint“


Karl Kraus, der … verdorben, gestorben ist. War es
schon peinlich, zu beobachten, wie sich der Horizont KarlKraus’ immer mehr verengte“ „Wie er … zu einem
phylologischen Flohknacker, zu einem Don Quijote von Mittel
standsformat wurde, der mit Kaffeemühlen focht …, so
fehlen einfach die Worte, um dem Gefühl des Unbehagens Aus
druck zu geben …“ „Dazu kannten wir diesen ge
sprächigen Toten zu gut.“ „An so gigantische Gegner,
wie Kaffeemühlen, wagt sich dieser Tote – Verzeihung: dieser
Pamphletist im Ruhestand – schon längst nicht mehr heran.“
„Von welcher historischer Wichtigkeit sind doch, gemessen
an diesem Unterfangen, die Bridgepartien der kleinen Moritze
im wiener Café Herrenhof


Im Artikel vom 4. Februar:


„Unser trauriger Don Quijote“. „Dieser wackere Kämpe“
Komma-Kraus


Die Nummer vom 21. Jänner habe ich
mir nicht behalten und konnte bisher diese Nummer nicht
kaufen, da sie in den Zeitungsgeschäften vergriffen ist.
Ich habe mir durch eine Zeitungshandlung diese Nummer bei
der Redaktion des Gegen-Angriff bestellt und werde sie jeden
falls heute oder übermorgen erhalten.


Ich bemerke noch, dass der Pressesenat in Ehren
beleidigungsangelegenheiten nicht identisch ist mit dem Se
nat, der über die Beschwerden in Berichtigungsfällen zu
entscheiden hat. Letzterer ist der normale Berufungssenat,
während ersterer ausschliesslich über Ehrenbeleidigungen,
begangen durch den Inhalt einer Druckschrift in erster
Instanz zu verhandeln hat.


Diese letztere Agenda versehen zwei Senate, denen
die einzelnen Fälle in der Reihenfolge des Einlangens der
Strafanträge zugewiesen werden. Beide Senate sind eigentlich
mehr auf die Fälle spezialisiert, in denen es sich um Belei
digungen aus politischen Gründen handelt. Sie judizieren in
Beleidigungsangelegenheiten ohne politischen Hintergrund
ausserordentlich schwerfällig und langsam und ich selbst
habe einen eklatanten Beleidigungsfall unpolitischen
Charakters erst nach fünfjähriger Prozessführung erledigen
können. Ich teile Ihnen dies deswegen mit, damit Sie un
sere Verhältnisse beurteilen können und verstehen, warum
es so schwer ist, in Presseangelegenheiten bald ein Urteil und ins
besondere ein vernünftiges zu erwirken.


Ich bitte Sie, mich Herrn Kraus bestens zu em
pfehlen und zeichne


mit vorzüglichster Hochachtung
Dr. Turnovsky


P.S.
Soeben erfahre ich, dass die Nummer, welche am
21.I. l.J. hätte erscheinen sollen, überhaupt
nicht herausgekommen ist, worauf auch, wie ich
jetzt sehe, in einer der folgenden Nummern
aufmerksam gemacht wurde. / in Nr. 4 /


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