Sehr geehrter Herr Doktor.
Ich erhielt Ihren Brief vom 12. d.M.
und gestatte mir Ihre
Anfrage wie folgt zu beantworten:
Das Gesetz über den Schutz der Ehrevom 28.VI.1933 Nr. 108
d. Ges. Smlg. hat von den Bestimmun
gen des allgemeinen
bürgerlichen Gesetzbuches nur die der §§1339 und 1340 aufgehoben. Durch dieses Gesetz wurde daher
die Bestimmung des § 1330 A.G.B.G. im Wortlaute des §
168der III.
Teilnovelle nicht ausser Kraft gesetzt, ebensowenig
wie eine Aufhebung dieser
Bestimmung durch die Pressgesetz
novelle vom 28.VI.1933,
resp. vom 7.VII.1933 Nr. 145 des Ges.
Smlg. erfolgt ist. Die
Bestimmung des § 1330 hat demnach
auch bei uns Geltung und es
kann daher, insoferne in der
Notiz des Gegen-Angriff vom 7.
d.M. die Verbreitung von Tat
sachen erblickt werden kann,
die den Erwerb des Herrn KarlKraus gefährden, die Klage auf Widerruf und dessen Veröf
fentlichung eingebracht
werden.
Falls man diese Klage
überreicht,
wird es
selbstverständlich wieder zu einem grossen Prozesse
kommen, da ja der Gegen-Angriff und der Rechtsanwalt derHerausgeberin und
verantwortlichen Redakteurin darauf
ausgehen,
sich durch ihre
Kontroversen mit Herrn Kraus interessant zu
machen und aus ihnen ihr
publizistisches Material zu schöpfen.
Man wird daher genau prüfen
müssen, ob die
Tatsa-
Meldung
,chen, die Werke Karl Kraus’ würden
im Ramsch verkauft, eine
Behauptung ist, deren Verbreitung den Erwerb des Herrn Kraus
gefährdet und deren Unwahrheit
der Autor des Artikels kannte
oder kennen musste.
Ich habe die betreffende
Annonce, mit der die Ueber
nahme der Werke in
Generalkommission angekündigt war, nicht
gelesen, da Sie jedoch erwähnen,
dass diese Annonce in der
Notiz des Gegen-Angriff wörtlich
wiedergegeben ist, muss ich
mir
wohl das Original nicht verschaffen. Jedenfalls wird es
notwendig sein, den Begriff
„im Ramsch
verkaufen“ in der
Klage genau auszuführen und zu erklären, um beweisen zu
können, dass durch die
Behauptung, die Werke des Klägers würden
im Ramsch verkauft und durch die
Verbreitung dieser Behaup
tung der Erwerb des Herrn Kraus
tatsächlich gefährdet wird.
Ich erbitte mir die
Weisungen des Herrn
Kraus so
bald wie
möglich, damit ich, wenn er die Klage zu überrei
chen gedenkt, diese noch vor
Antritt meines Urlaubes ver
fassen kann. Ich wollte
allerdings den Urlaub am 18. d.M.
antreten.
Bei dieser Gelegenheit teile ich
auch mit, dass
der Beschluss über die Einstellung des Gegen-Angriff heute
zugestellt wurde. In der
Begründung ist leider wieder ein
Schreibfehler zu verzeichnen. Der Beschluss
basiert auf der
Veröffentlichung
der im Vergleiche festgelegten Erklärung,
die deshalb als ungenügend
bezeichnet wird, weil die Unter-
schrift der Redakteurin fehlt und weil im Texte statt des
Ausdruckes „berecht“ der fehlerhafte Ausdruck
„bereit“
angeführt
wurde.
Um dem Gegenangriff nicht die Handhabe
zu bieten, die Erklärung,
deren Veröffentlichung er zur
Erzielung der Aufhebung des Einstellungsbeschlusses sicher
unverzüglich vornehmen wird,
mit dem Schreibfehler „berecht“
abzudrucken, werde ich
veranlassen, dass das Gericht diesen
Schreibfehler richtigstellt.
Ich sehe Ihrer, von Herrn Kraus
einzuho
lenden
Weisung gerne entgegen, bitte ihm meine besten Em
pfehlungen zu bestellen und
zeichne
mit vorzüglicher
Hochachtung
Ihr
ergebener:
Dr. Turnovsky