Der Gegen-Angriff, 26.11.1933Mut, Verrat oder Feigheit?Der Gegen-Angriff, 22.7.1934Der Gegen-AngriffDie FackelErklärung


An das
Kreisstrafgericht,
Prag.


Kläger: Karl Kraus, Eigentümer und Herausgeber der Zeit
schrift „Die Fackel“ in Wien,
vertreten durch:
/ Vollmacht ausgewiesen sub G.Z. Tl VII 96/34 /


Beklagter: Dr. Marie Schnierer, verantwortliche Redakteurin
der Wochenschrift „Der Gegenangriff“, Prag XI.,Biskupcova 1719,


Strafanzeige resp. Klage


gemäss § 1 und 2 des Ges.vom 28.6.1933 Slg.Nr. 108.


Zweifach, 1 Rubrik.


Ich erstatte folgende Anzeige und erhebe
folgende Anklage:


In dem sub G.Z. Tl VII 96/34 bei diesem Gerichte geführten Pressprozesse hat sich die Beklagte durch
Vergleich vom 24.5.1934 verpflichtet, die ehrenrührigen
Behauptungen über den Privatkläger, welche in Nr. 19 derZeitschrift „Der Gegenangriff“ vom 26.XI.1933 veröffent
licht worden waren, als verantwortliche Redakteurin in einer
Erklärung zu widerrufen. Diese Erklärung wurde erst dann ver
öffentlicht, nachdem seitens des Anwaltes des Privatklägers
der Antrag auf Einstellung der Wochenschrift „Der Gegenangriff“ gemäss § 9 des Ges. vom 30.V.1934 Nr. 124 der Gesetzessammlung im Wortlaute der Kundmachung des Justizministeriumsvom 7.7.1933 No. 145 der Ges.Slg. gestellt und nachdem diesem
Antrage mit Beschluss des Kreisstrafgerichtes vom 7.7.1934,
Tl VII 96/34/16 stattgegeben worden war. Die betreffende Satisfaktionserklärung ist in No. 29 der Wochenschrift „Der Gegenangriff“ auf der 7. Seite erschienen.


Beweis: Prozessakten Tl VII 96/34 dieses Gerichtes.


Die Beklagte hat als verantwortliche Redakteurin
der genannten Wochenschrift die Verpflichtung zur Veröffent
lichung einer Satisfaktionserklärung übernommen, um der Be
strafung wegen des Vergehens nach § 2 und 3 des Ges. über denSchutz der Ehre zu entgehen, musste jedoch, wie aus dem Oben
gesagten hervorgeht, zur Erfüllung dieser Verpflichtung erst
durch Einstellung der Wochenschrift gezwungen werden, nachdem
sie vorher in der Wochenschrift einige weitere Artikel hat
erscheinen lassen, deren Inhalt Beleidigungen gegen den Privatkläger aufwies. Nicht genug daran jedoch, setzte sie die straf-
baren Handlungen auch dadurch fort, dass sie in derselben Nummerder Wochenschrift, auf deren 7. Seite die Satisfaktionserklärung veröffentlicht war, einen neuen Artikel hat erscheinen
lassen, der wiederum die schwersten die schwersten Beleidigungen
des Privatklägers zum Inhalte hat.


Die Tendenz dieses „Mut, Verrat oder Feigheit?
überschriebenen und mit „Hans Frank“ unterzeichneten Artikels
geht dahin, den Privatkläger bei den Lesern lächerlich zu machen,
von ihm Tatsachen anzuführen, die ihn in der allgemeinen Mei
nung verächtlich machen oder herabsetzen müssen. Dieser Artikel
wird im Original und in beglaubigter Übersetzung in die Staats
sprache beigeschlossen.


Wie wohl der inkriminierte Artikel seinem gesamten
Inhalte nach als im höchsten Masse beleidigend angesehen werden
muss, – der Autor macht dem Privatkläger zum Vorwurfe, er habe
sich gegen das Hitlerregime aus Mangel an Mut, ja aus Feigheit
nicht gewendet und habe an der Menschheit und Menschlichkeit Ver
rat geübt – beschränkt sich der Privatkläger darauf, folgende
Sätze des inkriminierten Artikels unter Anklage zu stellen:


1.) „Wofür doch so ein Karl Kraus alles Kraft, Nerven
und Zeit hat!“ Der Ausdruck „so ein Karl Kraus“ angewendet
auf einen allgemein bekannten Autor verfolgt zweifellos die Ten
denz, diesen in den Augen der Leser lächerlich zu machen.


2.) Der weitere Inhalt des Artikels verfolgt die Ab
sicht, den Privatkläger dadurch an der Ehre zu kränken, dass über
ihn Tatsachen angeführt werden, die ihn in der allgemeinen Mei
nung verächtlich machen und herabsetzen müssen. Es wird darauf
hingewiesen, dass sich der Privatkläger zu der Ermordung des
Erich Mühsam und zu dem Lose des in Haft befindlichen Carl v.Ossietzky nicht geäussert habe „denn Polemik erfordert entweder
Mut oder ist Feigheit oder Verrat und keine Polemik ist auch eine
Polemik.“


In diesem Zusammenhange wird weiter gesagt: „…
3.) ‚Karl Kraus hat grosse Verdienste von früher her‘, versu
chen ihn seine immer mehr und mehr schwindenden Freunde zu ent
schuldigen. Ihnen sei geantwortet: Es gibt Leute, die trotz
aller Verdienste heute Hitlerbarden sind – laute und schwei
gende. Was beweist das für die Gegenwart, was einer früher war?
Ein Herr mit besserer Vergangenheit. Ich kenne eine Klosett
frau, die früher einmal eine grande Cocotte war / womit aber
nichts gegen Klosettfrauen gesagt sein soll /“


In diesem Passus des inkriminierten Artikels wird der
Privatkläger offen der Feigheit und des Verrates beschuldigt
und zum Ausdrucke gebracht, dass die Unterlassung der Polemik
gegen Deutschlands Machthaber auf Mangel an Mut, Feigheit oder Ver
rat zurückzuführen ist. Es wird versucht, den Privatkläger, dessen
Verdienste von früher her angeblich von seinen Freunden zu sei
ner Verteidigung ins Treffen geführt werden, dadurch lächerlich
zu machen, dass man ihnen die Vergangenheit einer grande Cocotte
und nunmehrigen Klosettfrau gegenüberstellt.


Durch diese Gegenüberstellung beabsichtigt der Schreiber des Artikels, dessen Namhaftmachung nach den bisherigen Er
fahrungen von der Beklagten kaum erwartet werden kann, über den
Privatkläger Tatsachen mitzuteilen, die ihn in der allgemeinen
Meinung verächtlich und lächerlich machen, sowie herabsetzen
sollen.


Beweis: Der inkriminierte Artikel.


Es ist daher der Tatbestand der §§ 1 und 2 des Ges. vom28.VI.1933 No. 108 der Ges.Slg. gegeben, weswegen die Einleitung des
Strafverfahrens sowohl gegen den bisher unbekannten Autor des
in der Nummer 29 des „Gegenangriffes“ vom 19.7.1934 veröffent
lichten Artikels „Mut, Verrat, oder Feigheit“, sowie gegen die ver
antwortliche Redakteurin Dr. Marie Schnierer wegen des Vergehens
der Beleidigung und der Nachrede, resp. wegen Vernachlässigung der
pflichtgemässen Sorgfalt beantragt wird.


Prag, am … Karl Kraus.


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