Karl Kraus im AusverkaufDer Gegen-Angriff, 7.7.1934Der Gegen-Angriff


Entwurf
der Aeusserung zum vorbereitenden Schriftsatz der beklagten
Dr. Marie Schnierer im Prozesse um Widerruf nach § 1330 A.B.G.B.


Zum vorbereitenden Schriftsatz der beklagten
Dr. Marie Schnierer überreicht der Kläger in der ihm aufer
legten Frist folgende Aeusserung:


Der Ausdruck „im Ramsch verkaufen“ kann in
tschechischer Sprache nicht adäquat wiedergegeben werden
und muss daher, damit er in der tschechischen Uebersetzung dem
Sinne der deutschen Wendung gleichkomme, umschrieben werden.
Dies ist durch die in der Klage angeführte, übrigens von
einem beeideten Gerichtsdolmetsch beglaubigte Wiedergabe ge
schehen und es ist unrichtig, dass „im Ramsch verkaufen“
soviel beueutet, als „in Bausch und Bogen“ oder im „Ausver
kaufe verkaufen“. Die Bedeutung der Wendung „im Ramsch
verkaufen“ ist die, dass es sich um keinen regulären Ver
kauf handelt, sondern um einen Verkauf, bei welchem eine
Ware, um überhaupt verkauft werden zu können, zu reduzier
tem Preise losgeschlagen wird. Wesentlich dabei ist, dass
ein normaler Verkauf einer derartigen Ware, das heisst
ein Verkauf zu den ursprünglichen Verkaufspreisen, nicht
möglich ist, wenn diese Ware bereits irgendwo im Ramsch
verkauft wurde oder wird.


Ganz abgesehen davon, dass die Wiedergabe
des Ausdruckes in der vorgelegten Uebersetzung den Sinn
des zu widerrufenden Artikels richtig reproduziert, kommt
es auf den tschechischen Wortlaut der betreffenden Phrase
überhaupt nicht an, da ja doch der Widerruf in derselben
Sprache begehrt wird, in der die zu widerrufende Notiz ab
gefasst war. Es wird daher nichts anderes verlangt, als
dass die beklagte Partei dasjenige widerrufe, was sie in
der im „Gegen-Angriff“ vom 7.VII.1934 abgedruckten Notiz
behauptet hat und dass hiebei die Ausdrücke dieser Notiz
verwendet werden. Es ist daher klar, dass die gegnerische
Einwendung und die Behauptung, in der Klage seien unrich
tige Tatsachen angeführt, nicht nur unrichtig, sondern auch
vollkommen irrelevant sind.


Beweis: Der in der Nummer 27 der Zeitschrift „DerGegen-Angriff“ vom 7.7.1934 veröffentlichte
Artikel.


Ebenso unrichtig ist die Behauptung
der beklagten Partei, dass der Leser der vom VerlageMELANTRICH veröffentlichten Inserate der Ansicht sein konnte,
die Bücher des Klägers würden zu herabgesetzten Preisen ver
kauft werden. Die Beklagte ist Herausgeberin und verantwort
liche Redakteurin der Zeitschrift „Der Gegen-Angriff“ und
es ist ihre Pflicht, den Inhalt der in dieser Zeitschrift
veröffentlichten Artikel zu kennen und vor der Veröffentli
chung zu prüfen. Dass es sich nicht um eine belanglose
Notiz handelt, geht schon daraus hervor, dass der Kläger
durch diese Notiz veranlasst würde, einen Widerruf der seine
Interessen gefährdenden Behauptungen zu begehren. Der Inhalt
des vom Verlage MELANTRICH A.G. veröffentlichten Inserates
gibt keinen Anlass zu der Deutung, dass die Werke des Privatklägers durch diesen Verlag zu reduzierten Preisen ver
kauft werden und jeder, der das Inserat gelesen hat, muss
erkennen, dass eine derartige Behauptung dem Inhalte des
Inserates widerspricht. Da die Beklagte für den Inhalt der
von ihr herausgegebenen Zeitschrift als verantwortliche
Redakteurin voll verantwortlich ist und man wohl annehmen
muss, dass nur eine solche Person Herausgeberin und ver
antwortliche Redakteurin einer Zeitschrift sein kann, die
im Besitze wenigstens einer normalen Urteilskraft ist
/ dies kann man wohl auch von einer Kandidatin der Advokatie
und Doktorin der Rechte voraussetzen /, so kann es keinem
Zweifel unterliegen, dass die Voraussetzungen des § 1330A.B.G.B. in subjektiver Hinsicht gegeben sind.


Die beklagte Partei bemüht sich vergeblich
das Vorhandensein der Voraussetzungen dieser gesetzlichen
Vorschrift auch in objektiver Hinsicht zu bestreiten.


Die Zeitschrift „Der Gegen-Angriff“ ist
in Trafiken bei Kolporteuren und in Zeitungsverschleissen
erhältlich und liegt in den Kaffeehäusern auf. Schon daraus
geht hervor, dass sie nicht nur von solchen Leuten gelesen
wird, die – wie die Beklagte fälschlich behauptet – die Werke
des Klägers infolge der Verschiedenheit der Anschauungen
ohnehin nicht kaufen würden. Dass gerade die Leser der Werke
des Klägers die Zeitschrift „Der Gegenangriff“ lesen,
geht doch schon aus der Tatsache hervor, dass diese Zeit
schrift eben jene Notiz veröffentlicht hat und zwar in
der Absicht, den Kläger zu schädigen. Eben, weil die
Leser des „Gegen-Angriff“ für die Werke des Klägers interes
siert sind, hatte es einen Zweck, die irreführende Notiz
zu veröffentlichen und die Behauptung des Gegenteiles wird
wohl auch [¿¿¿] von der Gegenseite nicht begründet werden
können und kann sicherlich bei niemandem Glauben finden.
Es steht daher fest, dass die Veröffentlichung der den Leser
irreführenden Notiz geeignet ist, den Kläger in seinem Er
werbe zu gefährden, sodass die Voraussetzungen des § 1330A.B.G.B. auch in objektiver Hinsicht gegeben sind.


Vollkommen unwahr ist die Behauptung, dass
der Verlag MELANTRICH allein die Bücher des Beklagten ver
kauft und dass diese Bücher anderswo nicht zu haben sind.
Der Verlag MELANTRICH ist nur Kommissionär der Bücher des
Klägers gewesen, dessen Aufgabe es war, Bestellungen der
Buchhändler zu erledigen, das heisst, die von diesen ver
langten Bücher an die einzelnen Buchhandlungen vom Kommis
sionslager aus zu liefern. Die Bücher des Klägers wurden
seit jeher und werden, nach wie vor durch Buchhandlungen ver-
kauft und die vom Verlage MELANTRICH A.G. veröffentlichte
Anzeige hatte vor allem den Zweck, die Buchhandlungen darauf
aufmerksam zu machen, dass diese Bücher nicht mehr vom Verlage der FACKEL in Wien bezogen werden müssen, sondern vom
Verlage MELANTRICH auf Lager gehalten werden.


Der Privatkäufer bezieht jedoch die Bücher, ebenso wie
früher, nicht vom Verlage, sondern kauft sie beim Buch
händler. Wenn er jedoch durch die unwahre Behauptung der
in der Zeitschrift „Der Gegenangriff“ veröffentlichten
Notiz dahin informiert wird, dass diese Bücher durch den
Verlag MELANTRICH im Ramsch verkauft, das heisst:
zu billigeren Preisen losgeschlagen werden, als von den
Buchhandlungen, verlangt [¿¿¿] dann wird er es natürlich
unterlassen, die Bücher beim Buchhändler zu kaufen. Er wird
es jedoch höchstwahrscheinlich unterlassen, die Bücher
überhaupt zu kaufen, weil er aus der behaupteten Tatsache,
dass sie vom Melantrich verramscht werden, also zu ermässigten
Preisen abgegeben werden, schliessen muss, dass es sich um
Bücher eines Autors handelt, dessen Werke im normalen Ver
kaufe unanbringlich, daher nicht lesenswert sind. Darin
liegt eine wesentliche Gefährdung des Erwerbes des Klägers,
der natürlich von dem Ertrage seiner Werke leben muss und
durch eine Verringerung des Absatzes dieser Werke in seiner
Existenz geschädigt wird.


Beweis: Sachverständige aus dem Verlags- und Buchhandlungs
fache, Zeugenaussage des Dr. Bedřich Fučik, Direk
tors des Verlages MELANTRICH, Parteienvernehmung.


Wie bereits erwähnt, wird nichts anderes,
als der Widerruf der Notiz und zwar mit ihren Worten verlangt.
Da der Widerruf in der deutscher Sprache veröffentlicht werden
soll, ist es vollkommen gleichgiltig, wie der Ausdruck „im
Ramsch verkaufen“ in der Klage ins Tschechische übersetzt wurde.


Da der § 1330 A.B.G.B. über die Form, in welcher
der Widerruf veröffentlicht werden soll, keine Vorschrift ent
hält, so muss eine Form gewählt werden, die die Absicht des
dieser gesetzlichen Bestimmung erfüllt, das ist eine Form, die geeig
net ist, den Widerruf einer den Kredit, den Erwerb oder das
Fortkommen eines anderen gefährdenden unwahren Tatsache
denjenigen zur Kenntnis zu bringen, die von dieser Tat
sache erfahren haben.


Es ist daher selbstverständlich,
dass der Widerruf in der gleichen Weise erfolgen muss, in
welcher die zu widerrufende Tatsache der Oeffentlichkeit
bekanntgegeben wurde, also in derselben Zeitschrift, in
demselben Drucke und in der gleichen Art, wie der Artikel,
dessen Widerruf begehrt wird.


Wollte man die Wahl der Form, in
welcher der Widerruf erfolgen soll, dem zum Widerrufe Ver
pflichteten überlassen, dann würde wohl der vom Gesetz
geber durch die Bestimmung des § 1330 Absatz 2 A.B.G.B.
angestrebte Zweck niemals erreicht werden und der Zustand,
durch welchen die Gefährdung des Erwerbes oder Fortkommens
des den Widerruf Begehrenden herbeigeführt worden ist,
könnte niemals behoben werden.


Das Klagspetit widerspricht daher
keineswegs den Bestimmungen des § 1330.


Mit Rücksicht darauf beharrt der Kläger bei dem Vorbringen und den Anträgen der Klage.


Prag, am