Sehr geehrter Herr Doktor.
Bei der heutigen
Hauptverhandlung
erschien
für die beklagte Dr. Marie Schnierer
Dr.
Kassowitz,
Konzipient des Dr. Stein. Nach Vortrag der
vorbereitenden
Schriftsätze hat das Gericht den Parteien
dringend nahe
gelegt, einen Vergleich abzuschliessen, zu dem ich mich
nur unter den in Ihrem
gesch. Schreiben vom 22.XII.1934
angeführten Bedingungen
bereit erklärte.
Ueber die Fassung der von
der Beklagten
zu veröffentlichen
den Satisfaktionserklärung wurde lange verhandelt und da
ich nur den Wortlaut
akzeptieren wollte, den Sie in dem ob
genannten Schreiben
angegeben haben, der Gegenanwalt jedoch
erklärte, diese Fassung
nicht akzeptieren zu können, habe
ich beantragt, man möge die
Verhandlung fortsetzen und über
die gestellten Anträge
beschliessen. Das Gericht hat lange
beraten und schliesslich
liess mich der Vorsitzende rufen
und ersuchte mich, ich möge
doch einen Vergleich ermöglichen.
Da ich ohne ausdrückliche
Einwilligung des Herrn Kraus von
der
Fassung der Satisfaktionserklärung nicht abgehen woll
te, andererseits mich
propter servandum favorem judicis nicht
unnachgiebig zeigen wollte,
habe ich meine Einwilligung zu
folgendem beiderseits bis zum 25. d.M. widerruflichen bedingten
Vergleiche erteilt:
„Die beklagte Dr. Marie Schnierer,
verant
wortliche
Redakteurin der Zeitschrift „Der Gegen-Angriff“,
verpflichtet sich unter den
Rechtsfolgen des § 9 der ergänzten Pressgesetznovelle
kostenlos und ohne Anmerkungen auf
der zweiten Seite der ersten Hälfte der letzten Kolonne
und sonst so, wie es im § 8 der Pressgesetznovelle festge
setzt ist, in der Zeitschrift
„Der Gegen-Angriff“ folgende
Erklärung zu veröffentlichen und
zwar in der nächsten oder
unmittelbar darauf folgenden Nummer der genannten Zeitschrift
die nach Rechtskraft dieses
Vergleiches erscheinen wird.
Ferner verpflichtet sie sich, dem Privatkläger zu Handen
seines Rechtsanwaltes, Dr. Johann Turnovsky,
Advokaten in Prag,
an Kosten der rechtsfreundlichen
Vertretung den Betrag von
Kč
1000.– binnen 14 Tagen, gerechnet von der Rechtskraft
dieses Vergleiches, unter
Exekutionsfolgen und unter den in
den §§ 10 und 11 der ergänzten
Pressgesetznovelle angeführ
ten Folgen zu bezahlen.
Erklärung:
In der Nummer 29 des II. Jahrganges dieser Zeitschrift vom 22. Juli 1934
haben wir einen Artikel
„Mut, Verrat oder Feigheit?“
veröffentlicht, in welchem wir
Herrn Kraus
beleidigt haben.
Wir bedauern
diese
beleidigenden Behauptungen und widerrufen
sie.
Dr. Marie
Schnierer,
verantwortliche Redakteurin.“
Ich wiederhole, dass es Herrn Kraus
frei
steht,
bis zum 25. d.M. den Vergleich zu widerrufen, falls ihm
die Fassung der
Satisfaktionserklärung nicht konveniert.
Ich gestatte mir zu
bemerken, dass ich den
Eindruck gewonnen habe, dass das Gericht
keinerlei weitere
Beweise
zulassen will und die Angeklagte wegen Unterlassung
der pflichtgemässen Sorgfalt
im Sinne der Anklage schuldig
sprechen dürfte.
Zum Abschluss dieses
bedingten Vergleiches
habe
ich mich – wie gesagt – nur deshalb entschlossen, weil
ich den Eindruck hatte, dass
dem Gerichte diese Art der Been
digung des
Prozesses besonders angenehm ist und weil ich
mir das Wohlwollen des Senates für die beiden anderen wich
tigeren Prozesse
des Herrn
Kraus erhalten wollte.
Die im Vergleiche zitierten
gesetzlichen
Bestimmungen
besagen, dass im Falle der Nichtveröffentlichung
der Satisfaktionserklärung
über Antrag des Privatklägers
die
Einstellung der Zeitschrift verfügt werden wird. Ferner,
dass für die Prozesskosten
nicht nur die verantwortlicheRedakteurin, sondern auch der jeweilige Herausgeber der Zeit
schrift zu haften
hat.
Betrifft: Gegen-Angriff
-
Widerrufsklage.
In dieser Angelegenheit habe
ich mit dem
Richter
gesprochen und die Mitteilung erhalten, er werde der
Klage in vollem Umfange
stattgeben, trotzdem er bezüglich
des Klagspetits gewisse
Bedenken habe. Ich habe nämlich die
Veröffentlichung des
Widerrufes in der Weise verlangt, in welcher
Erklärungen im
pressgesetzlichen Verfahren veröffentlicht
werden sollen und habe zur
Begründung dieses Antrages ange
führt, dass es notwendig
sei, die Analogie der pressgesetzli
chen Bestimmungen
heranzuziehen, weil dem Gesetzgeber bei der
Bestimmung des § 1330 A.B.G.B. jedenfalls darum zu tun war,
dass sich der Widerruf an
dieselben Personen wende, welchen
die zu widerrufende
Nachricht zur Kenntnis gelangt ist.
Der Widerruf einer in einer
Zeitung veröffentlichten fal
schen Nachricht muss daher,
um diese Wirkung zu haben, in der
durch die Pressegesetze
statuierten Weise erfolgen, was sicher
lich zu gelten hat, trotzdem
der § 1330 A.B.G.B. die Form des
Widerrufes nicht bestimmt.
Diese Auffassung schien dem Richter einigermassen
„originell“, doch erklärte er, dass er
sich sie zu eigen machen
werde, da nicht geleugnet werden
könne, dass es nicht angehe,
die Wahl des Inhaltes und der
Form des Widerrufes dem zum Widerrufe Verpflichteten zu über
lassen.
Indem ich Sie, sehr geehrter
Herr
Doktor,
bitte, diese
Mitteilungen zur Kenntnis zu nehmen und HerrnKraus zur Kenntnis
zu bringen und mir fristgemäss bekannt
zugeben, ob der Vergleich
widerrufen werden soll, zeichne ich
mit ergebenen Grüssen an Sie
und Herrn
Kraus
in vorzüglicher Hochachtung
Dr. Turnovsky