Sehr geehrter Herr Doktor.
Ich habe den mit Ihrem gesch.
Schreibenvom 5. d.M. eingesendeten Schriftsatz übersetzt und bei Gericht
überreicht. Bei der heutigen
Hauptverhandlung waren die Ange
klagten, von denen nur Ing. Butschowitz erschienen ist, aber
mals durch Herrn Dr. Maxim Reiner vertreten. Ich habe Ihrem
Wunsche entsprechend zur Sprache
gebracht, dass die Angeklagten,
trotzdem sie jedenfalls eingesehen haben, dass sie die Ehre
des Privatklägers in
strafwürdiger Weise verletzt haben, und
deswegen bereit waren, eine
Satisfaktionserklärung abzugeben,
sich grundlos weigern, die durch ihre strafbare Handlung ent
standenen Kosten zu ersetzen. Ich
habe weiters auf die unrich
tige Zitierung jener Stellen der
FACKEL 890
bis 905 hingewie
sen, die den Angeklagten Butschowitz überhaupt nicht betreffen
und auf den sicherlich
auffallenden Umstand, dass der inkriminierte Artikel
gerade auf diese Stellen reagiert, aber bezeich
nenderweise mit keinem Worte
jener Stellen Erwähnung tut, die
sich in schonendster Weise mit der Person des Autors
des inkriminierten
Artikels befassen.
Der Vorsitzende erklärte, er könne auch
nach der Lektüre der
offenbar durchaus entsprechenden Uebersetzung
des inkriminierten Artikels nicht klug werden und verstehe, auf-
richtig gesagt, den
Inhalt des Artikels in tschechischer
Ueber
setzung
ebensowenig, wie das deutsche Original. Als ich darauf
hinwies, dass es Sache der
Angeklagten sei, den Wahrheitsbe
weis durchzuführen, erklärte
der Verteidiger, der inkriminierteArtikel sei eine
Erwiderung der im FACKEL-Hefte 890 bis 905
abgedruckten Publikation des
Privatklägers, stelle eine rein
literarische Kritik, evtl.
eine Satire dar, welche jedoch die
Grenzen einer berechtigten
Kritik nirgends überschritten habe.
Er führte ferner aus, dass
in dem Presseprozess gegen Dr. Ing.
Emil Strauss
gleichfalls der Beweis durch das Fackelheft 890–905
angeboten und angeordnet
worden sei, dass in diesem Prozesse
dem Angeklagten aufgetragen wurde, eine beglaubigte Ueber
setzung des
erwähnten Heftes der FACKEL binnen 6 Monaten vorzu
legen, weswegen er, der
gleichfalls den Beweis durch diese Pu
blikation des Privatklägers
beantragt und zwar darüber, dass
der inkriminierte Artikel eine Kritik des erwähnten
Artikels
des Privatklägers
darstelle, den weiteren Antrag stellt, die
Hauptverhandlung möge bis
zur Vorlage der Uebersetzung der zum
Beweise herangezogenen
Publikation des Privatklägers durch den
Angeklagten im
Presseprozesse gegen Dr. Strauss unterbrochen
werden.
Ich habe mich dagegen
verwahrt und darauf
hingewiesen, dass dieser Antrag nur auf eine Verschleppung des
Prozesses hinziele, zumal
zur Durchführung des Wahrheitsbeweises
der Nachweis erbracht werden
müsse, dass die in dem inkriminierten
Artikel dem Privatkläger zugeschriebenen Handlungen und Ge
sinnungen tatsächlich
vorliegen, was auch durch die Vorlage der
Fackelhefte Nr. 890 bis 905 nicht bewiesen werden könne.
Das Gericht hat nach langer Beratung be
schlossen, die
Hauptverhandlung bis zum 1.IX.1935 zu vertagen
und den Beschluss damit
begründet, dass sich die Beklagten zu
ihrer Verteidigung darauf
berufen, der inkriminierte Artikel
sei
eine Kritik der
Publikation des Klägers / FACKEL 890–905 / und dass
daher das Gericht, um
beurteilen zu können, ob diese Kritik berech
tigt war, diese Publikation
des Privatklägers kennen müsse.
Als ich nachher den Vorsitzenden darauf auf
merksam machte, dass es
ausgeschlossen ist, dass Dr. Schwelb in
dem anderen Prozesse eine
Uebersetzung der Fackelhefte 890–905
vorlegen werde, ebenso wie
die Vorlage dieser Uebersetzung durch
die Angeklagten in diesem
Prozesse nicht erfolgen werde, erklär
te der Richter, dann werde man eben den Wahrheitsbeweis als ge
scheitert ansehen müssen,
weswegen er der Ansicht sei, dass die
Angeklagten besser daran
täten, den Prozess jetzt durch Veröf
fentlichung der
Satisfaktionserklärung und Bezahlung der Prozess
kosten zu beendigen. Da
jedoch Dr. Reiner mitteilte, seine Klienten
hätten die Bezahlung der
Kosten strikte abgelehnt, ist es bei
der Vertagung der
Hauptverhandlung geblieben.
Betrifft: MELANTRICH.
Während ich heute bei Gericht war, meldete
sich als Vertreter des Melantrich Herr Dr. Krousky, ein
älterer
Kollege,
nationalsozialistischer Senator und Funktionär der
nationalsozialistischen
Partei, und liess mich ersuchen, in der
Angelegenheit nichts zu
unternehmen, bevor er mit mir nicht ver
handelt hat. Da ich mich
nicht selbst meinen will, zumal wir es
sind, die von der Gegenpartei etwas zu fordern haben, will ich
seinen neuerlichen Anruf
abwarten.
Betrifft: GEGEN-ANGRIFF-Ehrenbeleidigung.
Ich sprach heute mit dem
Referenten, wel
cher mir mitteilte, er habe den Einstellungsbeschluss bereits
vorbereitet und Dr. Sigmund Stein
vorgeladen, um ihm mitzuteilen,
dass die Einstellung
unverzüglich erfolgen wird, wenn die ord
nungsmässige
Veröffentlichung der Satisfaktionserklärung und Be
zahlung der Kosten innerhalb
der kürzesten Frist nicht nachgewie
sen sein sollte.
Indem ich Sie bitte, diese
Mitteilungen
zur Kenntnis
zu nehmen und an Herrn Kraus weiterzuleiten, mich
diesem bestens empfehlen
lasse und Sie herzlichst grüsse, zeichne ich
mit dem Ausdrucke
vorzüglicher Hochachtung
ergebener:
Dr. Turnovsky