An das
Strafkreisgericht in
Prag.
Privatkläger:
Karl Kraus, Herausgeber und Eigentümer
der Zeitschrift „FACKEL“ in Wien,
vertreten durch:
Beklagter: Dr. Emil Strauss, verantwortlicher
Redakteur der Zeitschrift „SOZIALDEMOKRAT“,
Prag VII., Janovského ul.čp. 1251
STRAFANZEIGE resp. KLAGE
gemäss §§ 2 und 3 des Ges.vom 28.6.1933
Slg.N.108.
Zweifach
Rubrik.
In Nro. 185 der Zeitschrift „Sozialdemokrat“vom 10.8.1934 ist
ein „Die Fackel als fascistische
Hetzschrift?“
überschriebener, nicht unterzeichneter Artikel erschienen.
In diesem Artikel, der eine Aeusserung zum In
halte der letzten
Nummer der vom Privatkläger
herausgegebenenZeitschrift „Die Fackel“
enthält, werden über den Privatkläger
Tatsachen behauptet, die
geeignet sind, ihn in der allgemeinen
Meinung verächtlich zu
machen und herabzusetzen, wobei feststeht,
dass der Autor des Artikels wusste,
dass die von ihm angeführten
Tatsachen unwahr sind.
Der inkriminierte Artikel wird im Original
sowie in beglaubigter
Uebersetzung in die Staatssprache vorgelegt.
Aus dem Artikel geht Folgendes hervor:
Es wird behauptet, dass der Privatkläger, an
dem leider seine 60 Jahre nicht
spurlos vorübergegangen zu sein
scheinen, sich in der letzten Nummer der von ihm herausgegebenenZeitschrift „Die Fackel“ wilde und zugleich läppische
Ausfäl
le gegen den
Marxismus und die Sozialdemokratie geleistet habe.
Ferner, dass er es den Arbeitern
nicht verzeihen könne, dass sie
ihm den elektrischen Strom abgeschnitten haben und dass er einen
ausgewachsenen Zuchthäusler über
Lassalle stelle. Es sei ein Ver
fall, der in der Tiefe
des Absturzes wohl den Gerhart Hauptmanns
übertreffe. Der leitende Gedanke
sei die kurzsichtige Erwägung,
dass der Fascismus in Oesterreich und Italien die Juden ungescho
ren
lässt
lasse
und darum das kleinere Uebel gegenüber dem Hitlerfas
cismus darstelle. Der
Privatkläger versuche auch, die čechoslo
vakischen Behörden
gegen die österreichische Emigration und ge
gen einzelne
Schriftsteller aufzuputschen. Die čechoslovakische
Politik werde zwar noch nicht
durch die Ressentiments und Interes-
sen der Wiener israelitischen
Kultusgemeinde bestimmt, doch
sei
es nicht ausgeschlossen, dass untergeordnete und entsprechend
bornierte Organe den
Denuntiantionen zu genügen suchen. Der Privatkläger
könnte sich den Ruhm erwerben, aus dem Dichter der
„Letzten Tage der Menschheit“ der Zutreiber des österreichi
schen Henkers geworden
zu sein. Er sei wahrscheinlich, wie
alle Literaten, die einmal den
Weg der Gleichschaltung gegan
gen sind, bereits zu verblendet, um in dem Spiel der Fey, Starhemberg und
Schuschnigg die Kopie der deutschen Metzeleien
zu
erkennen.
Beweis: Der inkriminierte
Artikel.
Die Tendenz dieses Artikels ist klar. Es handelt
sich darum, den Privatkläger durch die Behauptung unwahrer
Tat
sachen
wissentlich zu verleumden und ihn in der allgemeinen
Meinung verächtlich zu
machen und herabzusetzen. Es wird fäl
schlich
behauptet, der Privatkläger, an dem seine 60
Jahre
nicht spurlos
vorübergegangen zu sein scheinen, habe in der
letzten Fackel
wilde und zugleich läppische Ausfälle gegen
den Marxismus und die
Sozialdemokratie unternommen. Dies ist
unwahr und tendenziös, da in
de
r
m
angeführten letzten
Nummer
Hefte
der Fackel
keine, also auch weder wilde noch läppische Aus
fälle gegen den
Marxismus und die Sozialdemokratie unter
nommen, sondern
lediglich die Haltung und Politik der Führer
der österreichischen
Sozialdemokratie im Kampfe der Regie
rung gegen den
Nationalsozialismus einer durchaus berechtigten
Kritik unterzogen worden
sind. Die Behauptung, der Privatkläger
könne es den Arbeitern nicht verzeihen, dass sie ihm
den elektrischen Strom
abgeschnitten haben, verfolgt die Ab
sicht, den Privatkläger lächerlich zu machen, und ist
unwahr.
In der vom Autor des inkriminierten Artikels angeführten
Fackel ist gegen
die Arbeiter überhaupt nichts vorgebracht
worden, daher auch nichts,
was die Behauptung begründen könnte,
der Privatkläger sei wegen der Störung des elektrischen Lich
tes gegen die
Arbeiter aufgebracht worden. Die weitere Behaup
tung, der Privatkläger stelle einen ausgewachsenen
Zuchthäusler
über eine
Persönlichkeit wie Lassalle, verfolgt die
Absicht,
den Privatkläger in der allgemeinen Meinung herabzusetzen.
Die
Beleidigung liegt darin, daß er nicht sagt, wen er meint. Gemeint ist der
österr. Vizekzl. F. St. Wenn er ihn
nennen würde, wäre es eine Beleidigung d. Starhemberg
Der Satz, an dem Privatkläger sei ein Verfall zu
konstatieren, der in der
Tiefe des Absturzes wohl den GerhartHauptmanns
übertrifft, ist, in diesem Zusammenhange und in der
Zeitschrift „Sozialdemokrat“ vorgebracht, im höchsten
Masse
beleidigend. Beim
Leser soll der Eindruck erweckt werden, der
1
Privatkläger habe, so wie es Gerhart Hauptmann
[
von der antifas
cistischen Presse vorgeworfen wird,
]
die Sache des Geistes und
der Menschlichkeit verraten
und sich „gleichgeschaltet“.
Es wird ferner dem Privatkläger zum Vorwurfe ge
macht, dass er
sich gegen die in Oesterreich und Italien herr
schenden Zustände
deswegen nicht gewendet habe, weil er den
österreichischen und
italienischen Fascismus gegenüber dem Hit
lerfascismus
deshalb für das kleinere Uebel halte, weil sie die
Juden ungeschoren lassen.
Dann wird auch der Privatkläger der
Denuntiation
österreichischer Emigranten und Schriftsteller
bei der čsl. Regierung
beschuldigt, wobei spottend darauf hin
gewiesen wird,
dass diese Regierung bisher noch nicht durch
die Ressentiments und der
Interessen der Wiener israelitischen
Kultusgemeinde bestimmt
wird. Damit soll zum Ausdrucke gebracht
werden, dass
2
sich der Privatkläger für diese
„Ressentiments“ und
Interessen einsetze. Gegen den Privatkläger
wird die Beschul
digung erhoben, der Zutreiber des österreichischen Henkers ge
worden und den
Weg
3
der Gleichschaltung gegangen zu sein.
Beweis: Der inkriminierte
Artikel.
Es handelt sich hier also um
einen Fall der
üblen
Nachrede, bei dem sich der Autor des inkriminiertenArtikels
der Unwahrheit der von ihm angeführten und mitgeteil
ten Tatsachen
bewusst war und bewusst sein musste. Da der
Artikel nicht unterzeichnet war, muss die Anklage bis zu r
des
Eruierung des Verfassers
vorläufig nur gegen den unbekannten Täter so
sen
wie gegen den verantwortlichen
Redakteur der Zeitschrift„Sozialdemokrat“
erhoben werden.
Es wird also der Antrag
gestellt, gegen den bis
her unbekannten Autor des in Nro. 185 der Zeitschrift „Sozialdemokrat“
vom 10.8.1934 erschienen Artikels „Die Fackel alsfascistische
Hetzschrift“ sowie gegen den verantwortlichen
Redakteur Dr. Emil Strauss
wegen des Vergehens der Nachrede
und Verleumdung gemäss § 2 und 3 des Gesetzes vom
28.6.1933,No. 108
der Gesetzessammlung das Strafverfahren einzuleiten.
Prag, am