Sehr geehrter Herr Kollege!
Ich danke Ihnen vielmals für
Ihre freundlichen
Schreiben vom 28. November und 1. Dezember 1934 und für
die mit dem ersteren Schreiben übersendete Uebersetzungdes gegnerischen
Schriftsatzes. Auch Herr Kraus lässt
Ihnen herzlichst danken und
Sie bestens grüssen. Er meint,
dass es doch sehr schwer werden wird, auf brieflichem Wege
die Angelegenheit zu
erledigen und wird aller Voraussicht
nach noch Ende dieser oder
in der nächsten Woche nach Prag
kommen. Da wir seinerzeit
noch nicht die Vereinbarung ge
troffen hatten, dass
Entwürfe in doppelter Ausfertigung an
mich gesendet werden, kann
ich nicht mehr rekonstruieren,
wie die Klage gegen den „Sozialdemokrat“
gelautet hat.
Ich habe aus
den Akten festgestellt, dass ich den Entwurf
der Anzeige oder die Klage
gesehen haben muss und Ihnen
empfahl, Sie Herrn Kraus noch vor der
Einbringung vorzu
legen. Herr Kraus kann sich aber auch nicht
mehr erinnern,
was damals mit
Ihnen besprochen worden ist und wundert sich,
dass er auch die im gegnerischen Schriftsatz unter 5, 6 und 7
angeführten Punkte in die
Klage aufnehmen liess, wenn er
schon mit der Anklage im Punkt 3 einverstanden war, was
sicherlich nur in der
Meinung geschah, dass für die
Schmähung „läppische Ausfälle“
ein Wahrheitsbeweis nicht
möglich sei, der schon wegen seiner Uferlosigkeit in diesem
Punkte zu vermeiden gewesen
wäre.
Ich bitte Sie, mir für jeden
Fall eine Abschrift
der Klage
einzusenden, die allerdings nicht unbedingt
notwendig ist, wenn Herr Kraus nach Prag kommen sollte.
Er fragt mich aber soviel,
dass ich ihm nic[ht ¿¿¿]
stehen kann, wenn ich die Klage nicht habe. Was ihn am [Mei-]
sten interessiert ist die
Frage, ob er die Kosten der Ueb[er-]
setzung zu tragen hat, wenn
eine Zurücknahme der Klage oder
ein Freispruch in dem Punkt
„wilde
und zugleich läppische
Ausfälle gegen den Marxismus und die Sozialdemokratie“
erfolgt. Insbesondere auch,
ob der Beweisbeschluss sich
lediglich auf diesen Punkt bezieht, oder ob nicht auch der
Beweisbeschluss für den
Punkt „
Karl Kraus
könnte sich so
den Ruhm
erwerben, aus dem Dichter der ‚Letzten Tage derMenschheit ‘ der Zutreiber des österreichischen Henkers
geworden zu sein“ erfolgte. Allerdings finde ich zu diesem Punkt in
der Uebersetzung des gegnerischen Schriftsatzes keinen
Beweisantrag. Vielleicht
könnten Sie, sehr geehrter HerrKollege, mir freundlichst die Rechtslage bezüglich der
Kostenseparation schon
beantworten, ehe es feststeht, ob
Herr Kraus
nach Prag kommen wird oder nicht. Sie vermuten
zwar, dass Herr Dr. Schwelb es wohl vermeiden wird, für die
Uebersetzung, die ja
überhaupt kein Dolmetsch vornehmen
könnte, Geld auszugeben,
aber eine Gewissheit wird man wohl
nicht haben können. Der Artikel im „Sozialdemokrat“ lässt
eher darauf schliessen, dass
die Gegner beabsichtigen, die
Uebersetzung herstellen zu lassen. Es würde mich auch sehr
interessieren, einen Bericht
über Ihre Eindrücke zu bekommen,
aus welchem Grunde das Gericht einen so umfangreichen Beweis
beschluss fasste,
da ja eigentlich für die Ehrenbeleidigung
gleichgiltig ist, was Herr Kraus früher geschrieben und
gedacht hat und selbst, wenn
man den wichtigsten Punkt der
Anklage, dass aus dem Dichter der ‚Letzten
Tage der Menschheit ‘ der
Zutreiber des österreichischen Henkers geworden
ist, in Betracht zieht, so
sind doch dafür hauptsächlich
die Beweise notwendig, dass er der Zutreiber des Henkers
geworden ist, nicht aber was
in den ‚Letzten Tagen derMenschheit ‘ steht.
Es würde also eigentlich genügen, dass die
Fackel
Nr. 890–905 dem Gericht vorgelegt
wird.
Für sehr wichtig hält Herr Kraus die
Tatsache,
dass alles das, was
gegen die Sozialdemokraten in dem letzten
Heft vorgebracht worden ist,
schon im Oktoberheft 1932 im
Artikel „Hüben und Drüben“ gesagt ist. In Kenntnis dieses
Artikels
erschien aus Anlass des 60. Geburtstages im
„Sozialdemokrat“ ein Aufsatz, worin
trotz der Einstellung
gegen die
Sozialdemokratie und gegen den Marxismus das
Werk Karl Kraus’
begeistert anerkannt wurde. Ich würde Ihnen
empfehlen, sich den Artikel aus
der Oktobernummer derFackel
„Hüben und
Drüben“ anzusehen, da er für die Be
sprechung, die Herr Kraus mit
Ihnen haben wird, oder auch
für
die schriftliche Festlegung des einzubringenden Schrift
satzes von Wichtigkeit sein wird.
Sie werden in den nächsten
Tagen von mir Weiteres
hören,
bis dahin zeichne ich mit dem Ausdrucke
vorzüglichster kollegialer
Hochachtung
Ihr ergebener
P.S.
Sehr geehrter Herr
Kolleg!
Ich benötige die Prager
Telefonnummer des Herrn
Dir.
Heinrich
Fischer und erlaube mir die Anfrage, ob
Sie so freundlich wären, sie
zu erkunden und sie mir
mitzuteilen. Im voraus bestens dankend