Sehr geehrter Herr Doktor.


Ich erhielt Ihren Brief vom 5. d.M.
und übersende Ihnen das Original der deutschen Fassung derKlage gegen den „Sozialdemokrat“, das ich zur Hand hatte,
als ich mit Herrn Kraus diese Prozessangelegenheit im Restaurant Zoufalý besprach. Wir haben den Text gelesen und ich
habe die von Herrn Kraus gewünschten Korrekturen gleich be
zeichnet. Sie betrafen eigentlich nur stilistische Verbesse
rungen – so ist beispielsweise auf der 3. Seite des Textes das
Wort „ worden“, das nicht hineingehört, gestrichen worden,
auf der 2. Textseite das Wort ‚Nummer‘ durch das Wort ‚Hefte‘
ersetzt worden, auf der 3. Seite das Wort „ Ressentiments“
mit Anführungszeichen versehen worden.


Ausserdem machte ich mir Notizen über Bemerkungen des HerrnKraus zu der Stelle „ Lassalle – Zuchthäusler“, bezeichnete,
dass bei der Stelle, die über die Gleichschaltung GerhartHauptmanns handelt, die Worte „von der antifaszistischen
Presse vorgeworfen wird“ auszulassen sind und was Herr Kraus
zu dieser Stelle bemerkte und schliesslich was zu der Stelle
über die Ressentiments und Interessen der Wiener jüdischen
Kultusgemeinde gesagt wurde.


Beim Passus über die Ausfälle gegen den Marxismus und die
Sozialdemokratie haben wir uns bei der Besprechung leider
nicht aufgehalten, sonst wäre sicher darüber gesprochen worden,
inwiefern in der letzten FACKEL Angriffe auf den Marxismus
und die Sozialdemokratie unternommen worden sind.


Die hier beigeschlossene Klage bitte ich,
wenn Sie sie nicht mehr brauchen, wieder zu retournieren,
da ich sonst kein deutsches Exemplar hier habe und eine Ab
schrift heute nicht mehr anfertigen lassen kann, da sonst
der Brief nicht rechtzeitig expediert werden könnte und ich
doch gerne Herrn Kraus möglichst bald informieren möchte, um
ihm die Entscheinung zu erleichtern, ob er nach Prag kommen
muss.


In der Kostenfrage gestatte ich mir zu bemer
ken: Zur Durchführung des Wahrheitsbeweises über die Stelle
„wilde und zugleich läppische Angriffe …“ wurde vom Gegner
nur die Fackel Nr. 890 bis 905 beantragt. Dieser Beweis
soll auch bezüglich der anderen Punkte herangezogen werden,
sodass nach meiner Ansicht die Zurücknahme der Klage oder
ein Freispruch gerade in dem Punkte „wilde und zugleich
läppische Ausfälle gegen den Marxismus und die Sozialdemokratie“
auf die Kostenfrage keinen Einfluss ausüben kann.
Ich glaube nach wie vor nicht, dass es überhaupt zur Ueber
setzung der angebotenen Schriften des Herrn Kraus kommen wird.


Das Gericht hat einen so umfangreicnen Be
weisbeschluss, wie ich glaube, deswegen gefasst, weil es
den Beweisantrag des Dr. Schwelb nicht gelesen hat und bei
der Verhandlung nicht lesen wollte, andererseits erkannte,
dass es sich um einen Fall handelt, der von den Parteien
sehr ernst genommen wird, voraussichtlich bis zum oberstenGericht geführt werden dürfte und weil es daher vermeiden
wollte, durch Einschränkung der beantragten Beweise einen
Verfahrensmangel herbeizuführen.


Der Artikel „Hüben und Drüben“ ist mir
noch in lebhafter Erinnerung, ich werde ihn aber jedenfalls
nochmals genau lesen, um für die Informationsaufnahme vor
bereitet zu sein.


Mit der Bitte, mich Herrn Kraus aufs beste
zu empfehlen, zeichne ich


mit vorzüglicher Hochachtung
ergebener:
Dr. Turnovsky


P.S.


Ich konnte mich mit Herrn HeinrichFischer heute telefonisch nicht ver
binden und daher nicht ermitteln, ob
er in seiner Wohnung bereits ein Pri
vattelefon besitzt. Seine Station ist
jedenfalls im Telefonbuch bisher nicht
verzeichnet. Er ist auch sehr schwer
zuhause anzutreffen und jedenfalls
am besten in der Urania unter Nummer
61623 zu errufen. Soviel mir bekannt
ist, ist er sowohl vormittags, sicher
aber am Nachmittag zwischen 4–8 Uhr
dort zu erreichen.


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