Die Fackel als fascistische Hetzschrift?Der SozialdemokratKarl Kraus – sechzig Jahre [Der Sozialdemokrat]


Sehr geehrter Herr Doktor.


Bei der heutigen Hauptverhandlung war
der nichterschienene Angeklagte abermals durch Dr. Egon Schwelb
vertreten. Ich gebe Ihnen, sehr geehrter Herr Doktor, zu Ihrer
Information und zur Weiterleitung an Herrn Kraus das Verhand
lungsprotokoll in deutscher Uebersetzung bekannt:


Infolge der Aenderung in der Besetzung
des Senates wurde das Verfahren wiederholt. Der Verteidiger
führt dasselbe an, wie in seinem Beweisantrage Blatt 20 bis 28
und beantragt die Durchführung der dort angeführten Wahrheits
beweise.


Der Vertreter des Privatklägers wieder
holt das Vorbringen Blattzahl 30 bis 36, sowie seine bei der
Hauptverhandlung vom 1.III.1935 vorgebrachten Ausführungen
und Anträge. Der Verteidiger beharrt bei seinen bei der glei
chen Hauptverhandlung gestellten Anträgen.


Der Verteidiger legt das Schreiben des
Dr. Paul Körbel, Advokaten und Gerichtsdolmetsch, vom 4.5.1935
vor und führt an, dass der Angeklagte fix besoldeter Beamter
ist, der für eine Familie mit zwei Kindern zu sorgen hat und
daher nicht in der Lage ist, Kosten in der Höhe von über 100.000 Kč
für die Führung dieses Prozesses anfzuwenden. Aus diesem Grunde
war es dem Verteidiger unmöglich, in der vom Gerichte gewährten
Frist dem Auftrage, die im Beweisbeschluss vom 1.III.1935 an
geführten Schriftstücke in beglaubigter Uebersetzung in die
Staatsprache vorzulegen, zu entsprechen.


Deswegen beantragt der Verteidiger, die Akten
mögen dem Obergerichte in Prag mit dem Antrage vorgelegt werden,
dass zur Verhandlung dieses Prozesses aus Zweckmässigkeitsgründen
ein Kreisgericht delegiert werde, bei welchem nach den Vorschrif
ten des Sprachengesetzes die Verwendung in deutscher Sprache ab
gefasster Schriftstücke zulässig ist. Nach Ansicht des Verteidigers wäre für beide Parteien das Kreisgericht in Leitmeritz das
am meisten geeignete.


Der Vertreter des Privatklägers beantragt, den an
gebotenen Wahrheitsbeweis für nicht erbracht zu erklären und ihn
überhaupt abzuweisen und zwar deshalb, weil der Wahrheitsbeweis
lediglich über die Tatsache angeboten worden ist, dass der Privatkläger seine Gesinnung geändert habe. Selbst wenn diese Be
hauptung wahr wäre, würde sie den Angeklagten, resp. den Autor
des inkriminierten Artikels nicht zu Angriffen auf die Ehre des
Privatklägers berechtigen, insoferne nicht bewiesen, resp. nicht
wenigstens behauptet werden kann, dass der behauptete Wechsel
in der Gesinnung des Privatklägers auf unehrenhaften Motiven be
ruht. Dagegen beantragt der Vertreter des Privatklägers den Be
weis durch den am 28.IV.1934 in der Zeitschrift SOZIALDEMOKRAT erschienenen Artikel und durch die Einvernahme der Zeugen Heinrich Fischer und Dr. Emil Franzel darüber, dass der eben angeführ
te Artikel in dem Blatte, dessen verantwortlicher Redakteur
der Angeklagte ist, in einem Zeitpunkte erschienen ist, in
welchem dem Angeklagten und seinem Blatte die Ansichten des
Privatklägers über die Sozialdemokratie aus persönlichen Rück
sprachen und aus dem Artikel „Hüben und Drüben“, erschienen
im Oktober 1932 in Nr. 876 bis 884 der Zeitschrift FACKEL,
bekannt waren.


Ferner beantragt er, dem Delegierungsantrage
des Verteidigers möge mangels der gesetzlichen Voraussetzungen
nicht stattgegeben werden. In eventum stellt er den Antrag und
zwar für den Fall, dass dem Delegierungsantrage stattgegeben
werden sollte, der Angeklagte möge zum Ersatze der bisherigen
Kosten verurteilt werden, weil er sie dadurch verschuldet hat,
dass er den heute gestellten Antrag nicht gleich bei der ersten
Hauptverhandlung gestellt hat, wiewohl ihm bekannt sein musste,
dass die Beschaffung von Uebersetzungen der Schriften des Privatklägers, in die Staatsprache welche er zum Beweise angeboten
hat, nicht möglich sein wird. Die bisherigen Kosten liquidiert
er mit dem Betrage von 2.500.–– Kč und zwar incl. Dolmetschgebüh
ren. Nach Beratung verkündete der Vorsitzende den Beschluss,
dass dem Antrage des Verteidigers, die Akten mögen dem Obergerichte in Prag zur Entscheidung über die Delegierung des Kreisgerichtes in Leitmeritz vorgelegt werden, aus den vom Verteidiger angeführten
wichtigen Gründen entsprochen wird.


Mit Rücksicht auf diesen Beschluss wurde über
die Beweisanträge beider Parteien keine Entscheidung gefällt.


Der Vertreter des Privatklägers ersucht um
Gewährung einer 8-tägigen Frist zur schriftlichen Aeusserung zu
dem heute verkündeten Beschluss. Die Frist wird gewährt.“


Dr. Schwelb erklärte bei Vorlage des Briefes
des Dr. Körbel, er habe bei verschiedenen Dolmetschern über die
Kosten der Verfassung der beglaubigten Uebersetzungen angefragt
und alle hätten diese Kosten annähernd in der gleichen Weise
abgeschätzt, wie Dr. Körbel. Dieser beruft sich in dem vorgeleg
ten Briefe darauf, dass die Kosten der Uebersetzung, abgesehen
davon, dass es sich um eine spezielle Arbeit handeln würde,
unter Zugrundelegung des Dolmetschtarifes mit Rücksicht auf den
Umfang der zu leistenden Uebersetzungsarbeit über Kč 100.000.––
betragen würden.


Ich bin der Ansicht, dass ein Grund für die
Delegierung nach § 62 Str.P.O. nicht vorliegt und habe diese
Ansicht dem Gerichte gegenüber auch ausgeführt. Trotzdem
hat das Gericht dem Antrage des Verteidigers stattgegeben.
Ich will jedenfalls eine Aeusserung zu dem Beschlusse überrei
chen, muss dies jedoch, da der Vorsitzende behauptete, er könne
den Akt nicht länger als 8 Tage liegen lassen, binnen 8 Tagen
tun. Deswegen bitte ich Sie, sehr geehrter Herr Doktor, mir,
falls Herr Kraus oder Sie bezüglich der Abfassung dieser Aeus
serung irgendwelche Wünsche haben, diese möglichst bald bekannt
zugeben.


Zum Schluss muss ich Ihnen noch folgende Mit-
teilung machen:


Während der Beratung über den Antrag des
Dr. Schwelb stand ich mit diesem auf dem Gang vor dem Ver
handlungsaal und machte die Bemerkung, dass diese Anträge
doch auf nichts anderes hinzielen, als auf Sabotierung des
Verfahrens. Darauf erwiderte Dr. Schwelb: „Ich spreche jetzt
nicht vom Prozess und Sie müssen ja Herrn Kraus von dem, was
ich jetzt sage, keine Mitteilung machen. Ich finde, dass
das Verhalten des Herrn Kraus die grösste Lumperei der Welt
geschichte ist. Diesen Prozess wird auch die Weltgeschichte
entscheiden. “ / Ich glaube, die Aeusserung wörtlich behalten
und reproduziert zu haben. / Ich erwiderte darauf, dass ich
diese Reservation / Unterlassung der Verständigung des HerrnK. / nicht zur Kenntnis nehme. Daraufhin wurden wir in den
Verhandlungsaal gerufen. Nach Beendigung der Verhandlung
wiederholte Dr. Schwelb vor dem Verlassen des Gerichtsgebäu
des: „Wie gesagt, den Prozess wird die Weltgeschichte ent
scheiden und zwar vielleicht noch früher, bevor der Prozess
entschieden ist. “ Ich fragte: „Was wollen Sie damit sagen?
Soll dies etwa heissen, dass die Sozialdemokraten ein Attentat
auf Herrn Kraus vorhaben “ Dr. Schwelb antwortete: „das
nicht, das ist er nicht wert, höchstens ein Paar Ohrfeigen. “
Darauf erklärte ich, dass ich alle ausser gericht beruf lichen Be
ziehungen mit ihm abbreche und wir gingen auseinander.


Zuerst wollte ich von diesem, ausserhalb
des Gerichtsaales und unter vier Augen erfolgten Gespräche
Herrn K. keine Mitteilung machen, weil ich ihm den Aerger
über die Frechheit des Dr. Schwelb, der Funktionär der sozial
demokratischen Partei ist, ersparen wollte. Die Erwägung je
doch, Herr Dr. Schwelb könnte sich vielleicht einmal dieses
Gespräches und der Angriffe auf die Ehre des Herrn K. rühmen
und darauf hinweisen, dass von ihm nichts dagegen unternom
men worden ist, veranlasst mich, Ihnen über die Angelegenheit
zu referieren und Sie zu bitten, Herrn K. darüber Mitteilung
zu machen. Ich brauche wohl nicht zu erwähnen, dass ich na
türlich ohne Bedenken bereit bin, die Ehrenbeleidigungsklage
gegen Dr. Schwelb zu überreichen und im Prozess gegen Dr. Schwelb
als Zeuge aufzutreten. Hiezu bemerke ich, dass nach dem Ehren
schutzgesetze aus dem Jahre 1933 die Oeffentlichkeit auch dann
gegeben ist, weil wenn die beleidigende Aeusserung nicht in Gegenwart
mehrerer Personen gefallen ist.


Ich zeichne mit dem Ausdrucke vorzüglichster
Hochachtung und mit der Bitte, Herrn Kraus meine besten Grüsse
zu bestellen,


Ihr ergebener:
Dr. Turnovsky


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