Sehr geehrter Herr Doktor.
Ich berufe mich auf unsere
wieder
holten
telefonischen Rücksprachen in dieser Angelegenheit.
Ich hatte bereits alle
Vorkehrungen getroffen, um heute in der
Nacht nach Wien zu fahren und zu diesem Zwecke die für Montag
und Dienstag angesetzten
Konferenzen für heute Nachmittag an
geordnet. Nun bekam ich im
letzten Augenblicke die Ladung zu
einer Beweisaufnahme in
einem nicht unwichtigen und bereits
länger als ein Jahr
anhängigen Prozesse für Montag früh.
Da ich in dieser kurzen
Frist eine Substituten in die Prozess
materie nicht entsprechend
hätte einweihen können, musste ich
mich entschliessen, die
geplante Reise aufzugeben und die Beweis
tagsatzung selbst zu
versehen. Ich hätte also für die Besprechun
gen in Wien nur den Sonntag zur Verfügung, eigentlich nur den Nach
mittag, da Herr K. vormittag sicherlich mit mir die
Angelegenhei
ten nicht besprechen könnte. Unter diesen Umständen glaube ich
auf eine mündliche
Besprechung verzichten zu müssen, was mir
nicht nur deswegen leid tut,
weil ich so auch bei der Vorlesung,
auf die ich mich schon sehr
gefreut hätte, nicht anwesend sein kann.
Wie Sie, sehr geehrter Herr Doktor, wissen,
wurde mir bei der am
27.XI. d.J. abgehaltenen Hauptverhandlung
zur schriftlichen Aeusserung
zum Delegierungsantrage des Angeklagten und zu dem
Beschlusse des Gerichtes, mit welchem
die
Vorlage der Akten an
das Obergericht verfügt wurde, eine acht
tägige Frist
erteilt. Bei dieser Hauptverhandlung fungierte,
wie es bei uns üblich ist,
wenn der Vorsitzende nicht selbst
das Referat hat, dieser,
nämlich Herr OberlandesgerichtsratSvoboda als Votant
und der den Vorsitz führende Referent O.L.G.R.Tisek, hat die
8-tägige Frist bewilligt, nachdem ihm der Senats
vorsitzende
empfohlen hatte, dies zu tun. Da ich beide Richter
kenne und weiss, dass sie
immer sehr entgegenkommend sind, habe
ich nicht daran gezweifelt,
dass mir eine Fristverlängerung ge
währt werden wird, wenn ich
darum ansuche. Ich muss bemerken,
dass eine schriftliche
Aeusserung zu dem Delegierungsantrag und
zu dem Beschlusse, mit
welchem die Entscheidung des Obergerichtes
unter Vorlage der Akten als zulässig erklärt wird, in der
Prozessordnung nicht
vorgesehen ist und dass ich, um die Bewil
ligung, resp. Zulassung
dieser Aeusserung nur deswegen ange
sucht habe, um meine kurze
Entgegnung zu dem gestellten Antrage
und zu dem verkündigten
Beschlusse entsprechend ausführen zu
können. Dass mir die
Ueberreichung dieser Aeusserung auch in
der über mein Ansuchen zu
verlängernden Frist möglich sein wird,
konnte ich umsoeher
voraussetzen, als O.G.R. Svoboda, als ich
bei ihm vorsprach,
mitteilte, er werde zwar in den nächsten
Tagen den Vorsitz des Pressesenates aufgeben, weil er zum Vor
sitzenden des Jugendgerichtes ernannt worden sei, er
nehme je
doch an,
dass O.G.R. Dr. Tisek, sein Nachfolger und
Referent in
dieser Sache, die
Frist ohne weiteres bewilligen werde.
Dr. Tisek war gerade krank und so habe ich vor Ablauf der
Frist
ein Fristgesuch
überreicht, die Vorsteherin der Kanzlei ersucht,
es Herrn Dr. Tisek sofort nach seiner Rückkehr vorzulegen und
mich telefonisch zu
verständigen, bis er ins Amt zurückkehrt.
Dies ist heute früh
geschehen und ich fuhr nach Pankrac hinaus,
um Herrn Dr. Tisek nochmals mündlich zu ersuchen, er möge die
Frist bewilligen. Zu meiner
nicht geringen Ueberraschung erklär
te er, die Fristverlängerung
nicht bewilligen zu können. Er
begründete dies damit, dass er persönlich die Unzulässigkeit
einer schriftlichen
Aeusserung gleich anlässlich des von mir
gestellten Antrages erkannt
habe, jedoch dem damaligen Senats
vorsitzenden nicht
habe widersprechen wollen, als dieser sich
für die Erteilung der Frist
geäussert habe. Jetzt wolle er
aber, als nunmehriger Senatsvorsitzender, eine Verlängerung der
Frist nicht mehr zulassen,
umsoweniger, als nach seiner Ansicht
die Aeusserung überhaupt
nicht hätte zugelassen werden sollen
und als die Unterlassung
einer Aeusserung für den Antragsteller,
resp. für den Privatkläger,
keinerlei prozessuale Nachteile zur
Folge haben könne und er
überzeugt sei, dass das Obergericht
die Bewilligung der
Fristbewilligung unbedingt rügen würde.
Ich habe mich sehr bemüht,
ihn von dieser Absicht abzubrin
gen und nur soviel erreichen
können, dass er mir zusagte, er
werde noch darüber erwägen,
evtl. auch noch den Vorsitzenden
des zweiten Pressesenates über seine Ansicht
befragen. Mit die
sem konnte ich heute jedoch nicht sprechen, da er nicht im Amte
war. Ich habe den Eindruck
gewonnen, dass Herr O.L.G.R. Dr. Tisek
das Fristgesuch abweisen
wird. Wiewohl ich den mir am 5. d.M.
zugestellten Entwurf des Schriftsatzes ohnehin nicht hätte
fristgemäss übersetzen und
überreichen können, ist es mir aus
serordentlich peinlich, dass
es mir nicht möglich war, Herrn
Dr. Tisek umzustimmen und dass daher aller
Wahrscheinlichkeit
nach
die Ueberreichung des Schriftsatzes wird unterbleiben
müssen. Dies hat wohl keine
prozessualrechtlichen Folgen, immer
hin wäre es mir sehr lieb
gewesen, wenn die Aeusserung abgege
ben worden wäre, weil sie
für die Entscheidung des zweitinstanzlichen
Gerichtes wohl gewisse Richtlinien enthalten hätte.
Ich werde trachten, den Vorsitzenden des Senates beim Obergericht zu veranlassen, er möge dem Delegierungsantrage nicht
stattgeben. Gegen eine
verfügte Delegierung kann man beim
Kassationshofe Beschwerde führen und diese Beschwerde
kann und
muss jene
Ausführungen enthalten, die man durch die beabsichtig
te Aeusserung, deren Vorlage
voraussichtlich nicht zu errei
chen sein wird, dem Obergerichte zur Kenntnis bringen wollte.
Da die Beschwerdefrist
gemäss § 63 St.P.O. 3 Tage
beträgt, muss die Beschwerde
für alle Fälle jetzt schon vorbe
reitet werden. / Ich glaube
annehmen zu dürfen, dass das Obergericht
dem Delegierungsantrage kaum stattgeben wird / Für diese
Beschwerde möchte ich die in
Ihrem Schriftsatze enthaltenen
Ausführungen mit Auslassung
der blau eingeklammerten Stellen
verwenden. An Stelle des
blau-rot eingeklammerten Passus möchte
ich eine Ueberleitung zu den
nachfolgenden Ausführungen einfügen:
Den ganzen Schriftsatz möchte ich möglichst kürzer fassen, weil
ich der Ansicht bin, dass
die Gerichte vor so umfangreichen
Schriftsätzen einen gewissen
Horror haben, der auf die Entschei
dung vielfach einen nicht
unwesentlichen Einfluss ausübt.
Sollte mir also, was ich
wohl annehmen muss,
die
Abweisung des Fristgesuches zugestellt werden, dann werde
ich gleich nach Vorlage der
Akten an das Obergericht mit dem
Vorsitzenden des Rekurssenates verhandeln und Ihnen möglichst
bald für den Fall, dass das
Obergericht dem Delegierungsantrage
stattgeben sollte, den
Entwurf der gegen den diesbezüglichen Be
schrift zu überreichenden
Beschwerde an das Obergericht vorlegen.
Ich schliesse Ihren Schriftsatz bei und
bitte um Ihre Aeusserung, ob
Herr K. mit der Auslassung der blau
eingeklammerten Stellen
einverstanden ist.
Da ich demnach nicht die
Möglichkeit haben
werde, die
anhängigen Angelegenheiten mit Herrn K. und
Ihnen zu
besprechen, bitte
ich, mir bekanntgeben zu wollen, ob Herr K.
die Ueberreichung der
Ehrenbeleidigungsklage gegen Dr. Schwelb
wegen der am 27.XI. d.J. mir
gegenüber abgegebenen Aeusserungen
und der Presseklage gegen
Dr. Strauss wegen des Artikels vom30.XI. d.J.
wünscht. Ferner bitte ich um Ihre gefl. Mitteilung,
wie sich Herr K. in der Frage der Einvernahme im Prozesse gegen
Melantrich entschieden hat.
Ich brauche wohl nicht zu
betonen, wie leid
es mir tut,
dass ich mich über die Aussichten für das Fristver
längerungsgesuch getäuscht
habe. Aber Sie werden wohl selbst
einsehen, dass ich da
unschuldig bin und nach den vorliegenden
Umständen absolut nicht
annehmen konnte, dass das Fristgesuch
abgewiesen werden konnte.
Ich bitte Sie, sehr geehrter
Herr Doktor, Herrn K.
meine
besten Empfehlungen zu bestellen und bin mit besten Grüs
sen und dem Ausdrucke
vorzüglicher Hochachtung
ergebener:
Dr. Turnovsky