Der Verrat der GeistigenDer Sozialdemokrat, 30.11.1935Die Fackel als fascistische Hetzschrift?Der SozialdemokratDie Weber. Schauspiel aus den vierziger Jahren


Entwurf


der zweiten Presseklage Karl Kraus ca: Sozialdemokrat
/ Dr. Emil Strauss /.


In der Nr. 279 der Tageszeitung „Sozialdemokrat“ vom 30. November 1935 ist ein anonymer Artikel
unter dem Titel „Der Verrat der Geistigen“ erschienen.
In diesem Artikel, der im Original und Uebersetzung
in die Staatssprache hier beigeschlossen ist, wird ausge
führt, dass derjenige, der an Mut, Ueberzeugungstreue und
opferbereite Menschlichkeit der grossen Geister der Epoche
glaubte, in den letzten Jahren immer vom neuen enttäuscht
worden ist. Die grossen Unbestechlichen, die Richter ihrer
Zeit und die allzeit Gerechten seien der Reihe nach
alle nach Damaskus gegangen. Dafür werden nun Beispiele
angeführt und neben dem Dichter der „WeberGerhart Hauptmann, G.B. Shaw und Knut Hamsun auch der Privatkläger als
einer von denen bezeichnet, die nach Damaskus gegangen sind,
was besagen will, dass sie ihrer Gesinnung teils aus spekulativer Berechnung, teils aus Feigheit untreu geworden
sind. Von Gerhart Hauptmann wird ausgesagt, dass er seinen
Kotau vor der blutigen Gewalt und schmutzigen Korruption
gemacht hat / gemeint ist offenbar, dass er sich dem Hitlerregime
unterworfen und zum Dichter des dritten Reiches geworden ist sei gehuldigt habe,
von G.B. Shaw, dass er sich gewandelt habe aus geschäftlicher Berechnung gegenwärtig im italienisch-Abessi , von KnutHamsun, dass er sich zu innerhalb der Hitler sphäre bekenne zu einer erbärmlich feigen und niedrigen Handlung hergegeben habe . Vom Privatkläger
wird ausgesagt, dass er in Starhembergs Arme geeilt sei .
Im „Sozialdemokrat“ wurde und wird der österreichische
Vicekanzler Starhemberg als Reaktionär und Arbeiter
schlächter dargestellt und die Bemerkung, man habe dem
Privatkläger in Starhembergs Arme eilen gesehen, soll besagen,
dass er seine frühere Gesinnung aufgegeben habe und sich in das Lager
der Reaktion und unter die Feinde der Arbeiterklasse begeben habe.
, Starhembergs der die Macht im Reich repräsentier und um dessen Gunst der PK offenbar buhlt, und da über dies vom Sozialdemokrat früher aus unverständlichen Gründen als „Zuchthäusler“ bezeichnet wurde in dem Konflikt eine bestimmte Haltung einnehme.


Aus diesen eben angeführten Beispielen
folgert der anonyme Schreiber des inkriminierten Artikels,
dass es mit dem europäischen Geiste zu Ende ist sei , dass den
Nachkommenden nichts bleib t e , als ganz von vorne anzufan
gen, weil die Grössten ihrer Epoche / zu denen nach dem
Inhalte des Artikels die in diesem Artikel Angeführten,
also auch der Privatkläger gehört / ihnen nur traurige
Beispiele des moralischen Verfalles hinterlassen.


Beweis: der inkriminierte Artikel.


Der Angeklagte Dr. Emil Strauss ist nicht
nur verantwortlicher Redakteur der Tageszeitung „DerSozialdemokrat“ sondern Funktionär der deutschen sozialdemokrata
schen Partei in der Tschechoslowakischen Republik, deren Haupt
organ die Zeitung „Der Sozialdemokrat“ ist. Als solcher
ist er über den Inhalt der Zeitung, an deren Redaktion
er tätig mitwirkt und in welcher auch von ihm geschriebene
Artikel erscheinen, selbstverständlich genau informiert,
sodass die bei ihm übliche Verteidigung, er habe den inkriminierten Artikel weder verfasst, noch vor der Veröffent
lichung gelesen, noch in Druck gegeben, wenn überhaupt jemals, so in diesem Falle ab
solut
gewiß nicht standhalten kann. Ganz abgesehen davon muss
jedoch diese übliche Verteidigung auch deshalb von vorn
herein als ungeeignet zurückgewiesen werden, weil Dr. EmilStrauss vom Privatkläger wegen eines ähnlichen in der Zei
tung „Der Sozialdemokrat“ erschienenen Artikels nach
dem Gesetze über den Ehrenschutz belangt werden musste
und weil er in diesem Prozesse, der sich bereits über ein
Jahr hinzieht und in dem die Hauptverhandlung am 27.XI.
1935, also 3 Tage vor Erscheinen des hier inkriminierten Artikels, abgehalten wurde, durch seinen Anwalt
Anträge überreichen liess, die eine Verschleppung des
Prozesses und eine Verzögerung der Urteilsfällung zum Ziele
hatten . , vor allem durch


Beweis: die Strafakten dieses Kreisgerichtes TK VI
8789/34.


Selbst wenn also der Angeklagte, Dr.
Emil Strauss, vorbringen sollte, dass er nicht der Autor
des inkriminierten Artikels ist, und wenn ihm die Autor
schaft nicht nachgewiesen werden könnte, so kann es doch
keinem Zweifel unterliegen, dass der inkriminierte Artikel,
in welchem der Privatkläger de s Gesinnungsverrates r Liebedienerei und
des moralischen Verfalles bezichtigt wird, mit Wissen und
Willen des Angeklagten veröffentlicht worden ist.
Da der Inhalt des inkriminierten Artikels geeignet ist, den
Privatkläger lächerlich zu machen,in der öffentlichen Mei
nung herabzusetzen und verächtlich zu machen und da sowohl
der Schreiber als auch der Angeklagte wissen mussten, dass
die vom Privatkläger behaupteten Tatsachen unwahr sind, ist
der Tatbestand der § 1 bis 3 des Gesetzes über den Ehrenschutz gegeben.


Die Privatkläger erhebt daher gegen
Dr. Emil Strauss die Anklage gemäss §§ 1–3 des Ehrenschutz
gesetzes, sowie gemäss § 4 der Pressgesetznovelle und be
hält sich vor, die detaillierten Strafanträge in der nach
den Vorschriften des zitierten Gesetzes zu überreichenden
Anklageschrift zu stellen.


Prag, am 10.XII.1935.


1