Die Fackel als fascistische Hetzschrift?Karl Kraus – sechzig Jahre [Der Sozialdemokrat]


Suchrony
VII u: Vozcoky Čp 12/18
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Sehr geehrter Herr Doktor.


In der Angelegenheit Kraus ca: „Sozialdemokrat
/ Dr. Emil Strauss / fand, wie Sie wissen, heute die fortgesetzte
Hauptverhandlung statt. Wie vorauszusehen war, hat der Verteidi
ger, Dr. Schwelb, neue Beweisanträge gestellt und an Stelle des
gescheiterten Beweises durch Vorlesung der Publikationen des
Herrn K. über die in seinem Beweisantrage behaupteten Tatsachen
den Beweis durch die Zeugenaussage des Dr. Wolfgang Brügel und
Dr. Emil Franzel beantragt.


Ich habe mich gegen die Zulassung dieser
Beweise energisch verwahrt und auf die Methode der Prozessführung
des Angeklagten, durch welche die Verschleppung der Angelegenheit
und Verzögerung der Urteilsfällung angestrebt wird, eindringlich
hingewiesen. Hiebei habe ich die im Entwurfe für die Aeusserung
gegen den Delegierungsantrag angeführten Umstände, soweit es in
diesem Rahmen möglich war, zur Sprache gebracht.


Die Protokollierung gibt wiederum kein vollständiges Bild des Ver
laufes der Verhandlung, enthält aber immerhin in gedrängter
Form das Wesentliche. Ich gebe Ihnen den Wortlaut des Protokollesin deutscher Uebersetzung wieder und möchte zu den Anträgen des
Verteidigers, sowie zu dem erflossenen Beweisbeschluss, fol
gendes bemerken:


Nach der Judikatur des Obersten Gerichtes kann
der Wahrheitsbeweis auch durch Tatsachen erbracht werden, die
erst nach der beleidigenden Handlung erfolgt sind. Ich habe
– was nicht protokolliert wurde – dagegen remonstriert, dass zum
Wahrheitsbeweis behauptete Tatsachen herangezogen werden sollen,
die selbst nach den Angaben der Verteidigung lange nach dem
Erscheinen des inkriminierten Artikels eingetreten sein sollen,
sodass die Wahrheit der inkriminierten Behauptungen durch diese
Tatsachen keinesfalls bewiesen werden könnte. Trotzdem hat das
Gericht, eben unter Berufung auf die Judikatur des Obersten Gerichtes, die beantragten Beweise zugelassen.


Der Passus über den Präsidenten der Republik ist für die nieder
trächtig demagogische Prozessführung der Gegenpartei bezeichnend.
Präsident Beneš ist bekanntlich Nationalsozialist, also Mitglied
einer Partei, die trotz ihrem Namen absolut nicht marxistisch,
sondern eher antimarxistisch ist. Heute fühlen sich die Herren
Sozialdemokraten durch eine Bemerkung über den damaligen nationalsoziali
stischen Aussenminister in ihren patriotischen Gefühlen offenbar
verletzt! Es wird interessant sein zu beobachten, wie sich Herr
Dr. Franzel bei seiner Einvernahme benehmen wird und wie er auf
die zu erörternde Tatsache reagieren wird, dass er nicht lange
vor Erscheinen des inkriminierten Artikels den zum Beweise zu
gelassenen Huldigungsartikel verfasst und veröffentlicht hat.


Ich bitte mir mitzuteilen, was Sie und Herr K.
davon halten, dass an diese beiden Zeugen die Frage gestellt wird,
ob sie den inkriminierten Artikel nicht verfasst haben.


Bei dieser Gelegenheit bitte ich zur Kennt
nis zu nehmen, dass die Vergleichstagfahrt im zweiten Prozess
gegen den „Sozialdemokrat“ für den 27. d.M. angeordnet wurde.
Da ich annehme, dass Herr K. mit diesen Leuten keinen Vergleich
abschliessen will, werde ich bei der Tagfahrt nicht inter
venieren, was gleichbedeutend ist mit der Ablehnung eines
Vergleiches. Sollte Herr K. jedoch wünschen, dass interveniert
werde, dann bitte ich um Weisungen über den Wortlaut einer
zu akzeptierenden Satisfaktionserklärung.


Ich weiss nicht, ob Sie bei der Einvernahme
des Herrn K. in Sachen Melantrich zu intervenieren gedenken,
sende Ihnen aber für alle Fälle eine Substitutionsvollmacht
ein.


Indem ich Sie bitte, Herrn K. meine besten
Grüsse zu bestellen und Sie selbst herzlich grüsse, zeichne ich


in vorzüglicher Hochachtung:
Dr. Turnovsky


2 Beilagen


Franz Ferdinand.
Brügel, Radiovortrag abgesagt.
persönlich angegriffen
Franzel, Im Auftrag geschrieben
Kraus – als Zeuge


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