Sehr geehrter Herr Kollege!
Vor allem soll ich Ihnen im
Namen des HerrnKraus für Ihren freundl. Brief herzlichst danken, den Sie
aus Anlage der 700.
Vorlesung an ihn gerichtet haben. Er
hat sich über ihn sehr
gefreut, wollte Ihnen jedoch erst
bei seiner Anwesenheit in
Prag persönlich danken, wünsch
te aber,dass ich schon die
jetzige Gelegenheit benütze,
es zu tun.
Was die in diesem Prozesse
neu geltend ge
machte Einwendung betrifft, es sei wegen des am 27. Jänner
1936 abgeschlossenen
Vergleiches das Verfolgungsrecht ge
gen den Angeklagten Dr. Strauss wegen der früheren Belei
digungen
erloschen, so teile ich die von Ihnen so ausge
zeichnet ausgeführte
Rechtsansicht in jeder Beziehung.
Ich möchte nur noch
bekanntgeben, was mir weiters dazu
eingefallen ist. Wenn der
Richter auf dem Standpunkte
steht, dass das
Verfolgungsrecht erloschen ist, so müsste
er ja das Verfahren nach § 90 St.P.O. einstellen, nicht
aber eine weitere
Verhandlung ausschreiben. Dieser Vorgang
wäre insoferne von Vorteil,
weil der Bericht über die Ver
handlung entfiele und die
Gegenseite nicht darauf hinwei-
sen könnte, sie sei
freigesprochen worden, was nicht einmal
die Möglichkeit einer
Berichtigung ergäbe, wenn die Gründe des
Freispruches nicht falsch
dargestellt werden. Sollte sie aber
wider Erwarten einen Bericht
über die Einstellung bringen, so
wäre das schon bedeutend
besser als ein Bericht über einen
Freispruch. Gegen die
Einstellung hätte man dann das Beschwer
derecht und könnte die
Rechtsfrage auch behandeln lassen. Wei
ters möchte ich Ihnen das
Folgende zu erwägen geben: So viel
mir bekannt ist, wurde zwar
gegen Dr. Strauss die Anklage wegen
des Vergehens nach §§ 2 und 3 des Gesetzes vom
28.VI.1933, Nr.108 der
Gesetzessammlung resp. wegen Übertretung nach § 4
derPressgesetznovelle erhoben, Herr Dr.
Strauss hat aber immer be
hauptet, den inkriminierten Artikel in Unkenntnis
seines Inhal
tes
zum Druck gegeben zu haben, sich also lediglich der Übertre
tung nach § 4 der Pressgesetznovelle
zurückgezogen
schuldig bekannt
. Der § 18 desEhrenschutzgesetses
gilt aber nur ,
im
F
f
all
e
s
sämtliche strafba
ren Handlungen nach diesem Gesetze zu beurteilen sind, nicht al
so für mehrere
Übertretungen nach § 4 der Pressgesetznovelle,
selbst dann nicht, wenn es
sich um gegenseitige Klagen handeln
würde und sich die gleichen
Parteien entgegentreten. Da aber
Dr. Strauss, wenn er diese Gegeneinwendung von Ihnen hört,
seine
Verantwortung
ändern könnte, wäre es auch von Vorteil, wenn der
Richter anstatt eines Freispruches einen
Einstellungsbeschluss
fassen wollte. Die vom Richter geäusserte
Rechtsansicht halte
ich so
wie Sie für vollständig absurd. Ich möchte Sie aber doch
auf den § 57 der alten Strafprozessordnung aufmerksam machen,
von der ich allerdings nicht
weiss, ob sie in der Tschechoslo
wakei noch gilt.
Vielleicht wäre es auch nicht unwesentlich vor
zubringen, dass die Gegenseite sich nach dem geschlossenen
Ver
gleich in
der zweiten Sache indirekt durch Direktor Heinrich
Fischer
um einen Vergleich bemüht hat, wodurch sie auch
zu erkennen gegeben hat,
dass sie das Verfolgungsrecht
nicht für erloschen hält. Ich bin schon sehr gespannt,
wie die Sache ausgehen wird.
Mit vielen herzlichen
Grüssen bin ich in vor
züglicher, kollegialer
Hochachtung
Ihr ergebener