Nach zwei JahrenDer KampfKarl Kraus gegen das Prager-Blatt „Sozialdemokrat“Prager PresseDie FackelProzeß Karl Kraus – „Sozialdemokrat“ [16.4.1936]


Sehr geehrter Herr Doktor.


Herr K. wird Ihnen jedenfalls berichtet
haben, was während seiner Anwesenheit in Prag vorgefallen ist.
Ich konnte Ihnen seit seiner Abreise bis heute deswegen nicht
schreiben, weil ich an die Ausarbeitung der Berufungsmittei
lung in Sachen Melantrich erst nach der Abreise des Herrn K.
schreiten konnte. Die Berufungsmitteilung habe ich heute, am
letzten Tage der Frist, überreichen lassen. Sie ist, so sehr
ich mich bemüht habe, mich kurz zu fassen, doch ein sehr um
fangreicher Schriftsatz geworden / 28 Seiten /, ich glaube aber,
dass alle in der Berufungsschrift geltendgemachten Gründe ent
sprechend widerlegt sind. Bis ich ein wenig Zeit habe, werde ich
Ihnen eine Uebersetzung wenigstens der Berufungsmitteilung ver
fassen und einsenden, damit Sie sie in den Akten haben und HerrKraus entsprechend informiert ist.


Wie Sie jedenfalls wissen, hat das tschechoslovakische Pressbüro über den Prozess „Sozialdemokrat“ jeden
falls auf Grund der ihm von der Gegenpartei erteilten Informationen einen
Bericht an die Tagesblätter herausgegeben, den diese, bis auf
wenige Ausnahmen, mit grösster Bereitwilligkeit veröffentlicht
haben. Dieser Bericht ist formell nicht unrichtig, muss jedoch
bei dem uninformierten Leser den Eindruck erwecken, dass Dr.Strauss auf Grund der durchgeführten Beweise freigesprochen
worden ist. Dies hat Herrn K. veranlasst, durch mich Press
berichtigungen an die einzelnen Blätter einzusenden, welche
jedoch von keinem der Blätter veröffentlicht worden sind.
Die Berichtigung an das Prager Tagblatt entspricht gewiss nicht
der Pressgesetznovelle, sie wurde jedoch trotzdem verlangt, weil
Herr K. der Ansicht war, dieses Blatt werde es nicht wagen, die
Veröffentlichung zu unterlassen. Darin haben wir uns getäuscht.
Gestern rief mich der Anwalt des Prager Tagblatt, Herr Dr. OtomarSpitz, an und teilte mir mit, er sei vom Tagblatte beauftragt
worden zu überprüfen und sich darüber zu äussern, ob der Inhalt
der verlangten Berichtigung des Gesetze entspricht und ob das
Blatt daher verpflichtet ist, die Berichtigung zu bringen.
Ich bemerke, dass Herr Dr. Spitz mein persönlicher Freund ist
und dass er mir ganz loyal mitgeteilt hat, dass er gerne durch
seine Aeusserung die Veröffentlichung der Berichtigung, deren
Fassung er ausgezeichnet gefunden hat, veranlasst hätte. Es sei
ihm aber nicht möglich gewesen, weil ihm ausdrücklich aufgetra
gen worden ist, genau zu prüfen, ob die Berichtigung gebracht
werden muss und ob die Ablehnung der Veröffentlichung für das
Tagblatt mit einem Risiko verbunden sein könnte. Deswegen habe
er die Aeusserung abgeben müssen, dass die verlangte Berichtigung dem Pressgesetze insoferne nicht entspricht, als Tatsachen
berichtigt werden, die in der berichtigten Nachricht nicht be
hauptet worden sind. Ich habe Herrn Kollegen Dr. Spitz – ausdrück
lich als meine Aeusserung – darauf mitgeteilt, dass ich erwartet
hätte, dass das Prager Tagblatt eine von mir eingesendete Berich-
tigung veröffentlichen wird, was, selbst wenn die Berichtigung
dem Pressgesetze formell nicht ganz entsprochen hätte, umsomehr
am Platze gewesen wäre, als es das Blatt für richtig gehalten
hat, eine Nachricht zu reproduzieren, die die Leser unrichtig
informiert, und über andere Prozesse des Herrn K., in welchen
die Gegner verurteilt worden sind, oder Satisfaktionserklärun
gen abgegeben und sich zur Zahlung von Geldbussen für die Ar
beitslosen und zum Ersatze der Prozesskosten verpflichten muss
ten, grösstes Stillschweigen bewahrt hat.


Das Gespräch mit Herrn Dr. Spitz war rein intern
und ich habe zum Schluss bemerkt, dass ich seine Mitteilung zur
Kenntnis nehme und es meinem Mandanten überlasse, die Konsequenz
aus der Unterlassung der Veröffentlichtung der Berichtigung zu
ziehen.


Der Chef – und verantwortliche Redakteur der
PRAGER PRESSE, A. Laurin, hat mich ebenfalls angerufen und mir
Folgendes mitgeteilt: Er persönlich sei bereit gewesen, die
Berichtigung zu veröffentlichen und zwar trotzdem er selbst
der Ansicht gewesen sei, dass sie dem Pressgesetze nicht ganz
entspricht. Er hätte dies aus Loyalität für Herrn K. gerne ge
tan, weil er ihn sehr verehre, vielleicht einer der wenigen Le
ser der FACKEL ist, die alle Fackelhefte besitzen und kennen,
aber er sei nicht allein massgebend und deswegen habe er die
Veröffentlichung nicht vornehmen können, als ihm von den An
wälten des Blattes mitgeteilt worden sei, dass sie dem Gesetze
nicht entspricht. Offenbar ist Herr Laurin bestimmt worden, die
Veröffentlichung deswegen zu unterlassen, weil es sich um eine
im Blatte reproduzierte Nachricht des Prager amtlichen Pressbüros handelt, zu welchem die Prager Presse als offiziöses
Organ offenbar jedenfalls in enger Beziehung steht. Herr Laurin erklärte
mir, er sei sehr gerne bereit, eine andere Berichtigung zu brin
gen, auf deren Wortlaut wir uns einigen könnten, um für seine
Person der peinlichen Lage enthoben zu sein, Herrn K. die Ver
öffentlichung einer Berichtigung verweigert zu haben.
Auf meine Bemerkung, dass die Berichtigung dem Pressgesetze
entspricht und dass doch nicht geleugnet werden könne, dass
die veröffentlichte Nachricht zumindest in dem Punkte unwahr
gewesen sei, in welchem behauptet wird, dass der Prozess von
3einem Senate des Strafgerichtes beendet wurde, erwiderte HerrL., die Anwälte hätten darauf hingewiesen, dass aus der Schluss
bemerkung über die erhobene Nichtigkeitsbeschwerde klar hervor
gehe, dass eine definitive Beendigung des Prozesses nicht be
hauptet wurde, diese Behauptung daher nicht berichtigt werden
müsse. Ich teilte Herrn Laurin mit, dass ich meinem Mandanten
über den Inhalt dieses Gespräches Mitteilung machen und seine
Weisungen zu den Anregungen des Herrn L. bezüglich der Veröf
fentlichung einer anderen Berichtigung einholen werde.


Der SOZIALDEMOKRAT hat natürlich in keiner
Weise reagiert. Ebensowenig haben sich die LIDOVÉ NOVINY ge
äussert.


Herr Dr. Herrmann (Brünn) hat mir den Bericht des BrünnerTagesboten Nr. 178 eingesendet, der unbedingt berichtigungsfähig
ist. Ich schliesse den betreffenden Bericht bei und bitte um
Ihre Mitteilung, ob die gleichfalls beigeschlossene Berichtigung
an den TAGESBOTEN abgesendet werden soll.


Es bleibt jetzt zu entscheiden, ob gegen die
einzelnen Blätter nach § 14 wegen der Verweigerung der Veröffent
lichung der Berichtigung eingeschritten werden soll.


Gegen das TAGBLATT scheint mir ein solches Einschreiten aussichts
los, gegen die PRAGER PRESSE insbesondere dann nicht erforderlich,
wenn dieses Blatt eine andere, von Herrn K. akzeptierte Berichtigung
bringt. Gegen den SOZIALDEMOKRAT kann, wie ich glaube, mit Erfolg
eingeschritten werden, ebenso gegen den TAGESBOTEN. Ob Herr K. an
einem Einschreiten gegen die LIDOVÉ NOVINY ein Interesse hat, weiss
ich nicht.


Ich erbitte mir jedenfalls hiezu seine Weisungen.


Bei dieser Gelegenheit gestatte ich mir mitzu
teilen, dass ich von der Firma Löw Beers’ Söhne, welcher ich auf
Wunsch des Herrn K. geschrieben habe, die Antwort erhalten habe,
dass dieser Firma von der ganzen Angelegenheit / es handelt sich
um einen Artikel in der Zeitschrift „DER KAMPF“ welcher HerrnK., mit Bemerkungen versehen, in einem Briefe eingesendet worden ist,
als dessen Absender diese Firma angeführt war / nichts bekannt ist
und dass sie weder eine Zeitschrift „Der Kampf“ kennt, noch etwas an den
Verlag „Die Fackel“ eingesendet hat. Es scheint sich also um
eine falsche Angabe des Absenders zu handeln. Ich erbitte mir
Ihre baldige Rückäusserung und zeichne mit besten Grüssen an HerrnK. und Sie und mit dem Ausdrucke der vorzüglichsten Hochachtung


ergebener:
Dr. Turnovsky


Beigeschlossen


Durchschläge dreier Pressberichtungen
Zeitungsausschnitt Tagesbote.
Entwurf der neuen Pressberichtigung.


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