Sehr geehrter Herr Doktor.
Herr K. wird Ihnen jedenfalls berichtet
haben, was während seiner
Anwesenheit in Prag vorgefallen ist.
Ich konnte Ihnen seit seiner
Abreise bis heute deswegen nicht
schreiben, weil ich an die
Ausarbeitung der Berufungsmittei
lung in Sachen
Melantrich erst nach der Abreise des Herrn
K.
schreiten konnte.
Die Berufungsmitteilung habe ich heute, am
letzten Tage der Frist,
überreichen lassen. Sie ist, so sehr
ich mich bemüht habe, mich
kurz zu fassen, doch ein sehr um
fangreicher Schriftsatz geworden / 28 Seiten /, ich glaube aber,
dass alle in der
Berufungsschrift geltendgemachten Gründe ent
sprechend
widerlegt sind. Bis ich ein wenig Zeit habe, werde ich
Ihnen eine Uebersetzung
wenigstens der Berufungsmitteilung ver
fassen und
einsenden, damit Sie sie in den Akten haben und HerrKraus
entsprechend informiert ist.
Wie Sie jedenfalls wissen,
hat das tschechoslovakische
Pressbüro über den Prozess „Sozialdemokrat“ jeden
falls auf Grund der ihm von der Gegenpartei erteilten Informationen
einen
Bericht an die
Tagesblätter herausgegeben, den diese, bis auf
wenige Ausnahmen, mit
grösster Bereitwilligkeit veröffentlicht
haben. Dieser Bericht ist
formell nicht unrichtig, muss jedoch
bei dem uninformierten Leser
den Eindruck erwecken, dass Dr.Strauss auf Grund
der durchgeführten Beweise freigesprochen
worden ist. Dies hat Herrn K. veranlasst, durch mich Press
berichtigungen an
die einzelnen Blätter einzusenden, welche
jedoch von keinem der
Blätter veröffentlicht worden sind.
Die Berichtigung an das Prager
Tagblatt entspricht gewiss nicht
der Pressgesetznovelle, sie
wurde jedoch trotzdem verlangt, weil
Herr K. der Ansicht war, dieses Blatt werde es nicht wagen, die
Veröffentlichung zu
unterlassen. Darin haben wir uns getäuscht.
Gestern rief mich der Anwalt
des Prager Tagblatt, Herr Dr. OtomarSpitz, an und
teilte mir mit, er sei vom Tagblatte
beauftragt
worden zu
überprüfen und sich darüber zu äussern, ob der Inhalt
der verlangten Berichtigung des Gesetze entspricht und ob das
Blatt daher verpflichtet ist, die Berichtigung zu bringen.
Ich bemerke, dass Herr Dr. Spitz mein persönlicher Freund ist
und dass er mir ganz loyal
mitgeteilt hat, dass er gerne durch
seine Aeusserung die
Veröffentlichung der Berichtigung, deren
Fassung er ausgezeichnet gefunden hat, veranlasst hätte. Es sei
ihm aber nicht möglich
gewesen, weil ihm ausdrücklich aufgetra
gen worden ist,
genau zu prüfen, ob die Berichtigung gebracht
werden muss und ob die
Ablehnung der Veröffentlichung für das
Tagblatt mit einem Risiko verbunden sein könnte. Deswegen
habe
er die Aeusserung
abgeben müssen, dass die verlangte Berichtigung dem Pressgesetze insoferne nicht entspricht, als Tatsachen
berichtigt werden, die in
der berichtigten Nachricht nicht be
hauptet worden
sind. Ich habe Herrn Kollegen Dr. Spitz –
ausdrück
lich
als meine Aeusserung – darauf mitgeteilt, dass ich erwartet
hätte, dass das Prager Tagblatt eine von mir eingesendete
Berich-
tigung veröffentlichen wird,
was, selbst wenn die Berichtigung
dem Pressgesetze formell
nicht ganz entsprochen hätte, umsomehr
am Platze gewesen wäre, als
es das Blatt für richtig gehalten
hat, eine Nachricht zu
reproduzieren, die die Leser unrichtig
informiert, und über andere
Prozesse des Herrn K., in welchen
die Gegner verurteilt worden
sind, oder Satisfaktionserklärun
gen abgegeben und
sich zur Zahlung von Geldbussen für die Ar
beitslosen und
zum Ersatze der Prozesskosten verpflichten muss
ten, grösstes
Stillschweigen bewahrt hat.
Das Gespräch mit Herrn Dr. Spitz war rein intern
und ich habe zum Schluss
bemerkt, dass ich seine Mitteilung zur
Kenntnis nehme und es meinem
Mandanten überlasse, die Konsequenz
aus der Unterlassung der
Veröffentlichtung der Berichtigung zu
ziehen.
Der Chef – und
verantwortliche Redakteur der
PRAGER
PRESSE, A. Laurin, hat mich ebenfalls
angerufen und mir
Folgendes
mitgeteilt: Er persönlich sei bereit gewesen, die
Berichtigung zu veröffentlichen und zwar trotzdem er selbst
der Ansicht gewesen sei,
dass sie dem Pressgesetze nicht ganz
entspricht. Er hätte dies
aus Loyalität für Herrn K. gerne ge
tan, weil er ihn
sehr verehre, vielleicht einer der wenigen Le
ser der FACKEL ist, die alle Fackelhefte
besitzen und kennen,
aber er
sei nicht allein massgebend und deswegen habe er die
Veröffentlichung nicht
vornehmen können, als ihm von den An
wälten des Blattes
mitgeteilt worden sei, dass sie dem Gesetze
nicht entspricht. Offenbar
ist Herr Laurin bestimmt worden, die
Veröffentlichung
deswegen zu unterlassen, weil es sich um eine
im Blatte reproduzierte Nachricht des Prager amtlichen Pressbüros
handelt, zu welchem die Prager Presse als
offiziöses
Organ
offenbar
jedenfalls
in enger Beziehung steht. Herr Laurin
erklärte
mir, er sei sehr
gerne bereit, eine andere Berichtigung zu brin
gen, auf deren
Wortlaut wir uns einigen könnten, um für seine
Person der peinlichen Lage
enthoben zu sein, Herrn K. die Ver
öffentlichung
einer Berichtigung verweigert zu haben.
Auf meine Bemerkung, dass
die Berichtigung dem Pressgesetze
entspricht und dass doch
nicht geleugnet werden könne, dass
die veröffentlichte Nachricht
zumindest in dem Punkte unwahr
gewesen sei, in
welchem behauptet wird, dass der Prozess von
3einem Senate des Strafgerichtes
beendet wurde, erwiderte HerrL., die Anwälte
hätten darauf hingewiesen, dass aus der Schluss
bemerkung über
die erhobene Nichtigkeitsbeschwerde klar hervor
gehe, dass eine
definitive Beendigung des Prozesses nicht be
hauptet wurde,
diese Behauptung daher nicht berichtigt werden
müsse. Ich teilte Herrn Laurin mit, dass ich meinem Mandanten
über den Inhalt dieses
Gespräches Mitteilung machen und seine
Weisungen zu den Anregungen
des Herrn L. bezüglich der Veröf
fentlichung einer
anderen Berichtigung einholen werde.
Der SOZIALDEMOKRAT hat natürlich in keiner
Weise reagiert. Ebensowenig
haben sich die LIDOVÉ NOVINY ge
äussert.
Herr Dr. Herrmann
(Brünn)
hat mir den Bericht des BrünnerTagesboten Nr. 178
eingesendet, der unbedingt berichtigungsfähig
ist. Ich schliesse den
betreffenden Bericht bei und bitte
um
Ihre Mitteilung,
ob die gleichfalls beigeschlossene Berichtigung
an den TAGESBOTEN abgesendet werden soll.
Es bleibt jetzt zu
entscheiden, ob gegen die
einzelnen Blätter nach § 14 wegen der Verweigerung der
Veröffent
lichung der Berichtigung eingeschritten werden soll.
Gegen das TAGBLATT scheint mir ein solches
Einschreiten aussichts
los, gegen die PRAGER PRESSE insbesondere
dann nicht erforderlich,
wenn
dieses Blatt eine andere, von Herrn K.
akzeptierte Berichtigung
bringt. Gegen den SOZIALDEMOKRAT kann,
wie ich glaube, mit Erfolg
eingeschritten werden, ebenso gegen den TAGESBOTEN. Ob Herr K. an
einem Einschreiten gegen die
LIDOVÉ NOVINY ein Interesse hat,
weiss
ich nicht.
Ich erbitte mir jedenfalls
hiezu seine Weisungen.
Bei dieser Gelegenheit
gestatte ich mir mitzu
teilen, dass ich von der Firma Löw Beers’ Söhne, welcher ich auf
Wunsch des Herrn K. geschrieben habe, die Antwort erhalten habe,
dass dieser Firma von der ganzen Angelegenheit / es
handelt sich
um einen Artikel in der Zeitschrift „DER KAMPF“ welcher HerrnK., mit Bemerkungen
versehen, in einem Briefe eingesendet worden ist,
als dessen Absender diese
Firma angeführt war / nichts bekannt
ist
und dass sie weder
eine Zeitschrift „Der Kampf“ kennt, noch
etwas an den
Verlag „Die Fackel“ eingesendet hat. Es scheint sich also
um
eine falsche Angabe
des Absenders zu handeln. Ich erbitte mir
Ihre baldige Rückäusserung
und zeichne mit besten Grüssen an HerrnK. und Sie und mit
dem Ausdrucke der vorzüglichsten Hochachtung
ergebener:
Dr. Turnovsky
Beigeschlossen
Durchschläge dreier
Pressberichtungen
Zeitungsausschnitt Tagesbote.
Entwurf der neuen
Pressberichtigung.