Sehr geehrter Herr Doktor.
Ich teile Ihnen höflichst
mit, dass mir
heute die
schriftliche Ausfertigung des Urteiles zugestellt
wurde, mit welchem Dr. Emil Strauss
gemäss § 259 Abs.2 St.P.O.
freigesprochen worden ist.
Die Frist zur
Aus
Durch
führung der Nich
tigkeitsbeschwerde endet
daher am 1.V., resp. 2.V.1936, doch
will ich die
Beschwerdeschrift spätestens am 30. d.M. überrei
chen. Ich gebe Ihnen die
Begründung des Urteiles im Nachfol
genden wieder und bemerke,
dass die zwei Judikate, welche bis
her bei den Prager-Gerichten
über diese Rechtsfrage vorliegen,
tatsächlich analoge Fälle
betreffen. Es handelt sich um eine
Entscheidung des Kreis-Strafgerichtes, als
Berufungsgerichtes
in
einem nicht durch die Presse begangenen Ehrenbeleidigungs
falle, der in I. Instanz vor
dem Straf-Bezirksgerichte in Prag
verhandelt wurde und dann um
eine Entscheidung des Obergerichtes über eine
Berufung gegen ein vom Pressesenat des
Kreis-Strafgerichtes erlassenes Urteil, wobei es sich allerdings nur um die
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Uebertretung
des § 4 der Pressgesetznovelle gehandelt hat.
Da mir gleichzeitig der
Beschluss zuge
stellt wurde, mit welchem Herr K. zum Ersatze
der Kosten des
Strafverfahrens und der Rechtsvertretung des Angeklagten schul
dig erkannt worden ist, habe
ich vorsichtshalber sogleich einen
Kostenrekurs an das Obergericht verfasst, den ich
fristgemäss
überreichen
werde. Auf die Nichtigkeit in der Kostenfrage wer
de ich natürlich auch in der
Nichtigkeitsbeschwerde hinweisen,
nicht ohne auf die
Absurdität der erstinstanzlichen Entscheidung
hinzuweisen, die darin
besteht, dass man durch die Unterlassung
des Vorbehaltes die Straftat
für gesühnt und alle anhängigen
Streitigkeiten für
liquidiert erachtet, trotzdem aber dem Anxgeklagten den Anspruch auf Kostenersatz zuerkennt, weil er frei
5gesprochen
wurde, wobei es sich ja um einen Freispruch lediglich
aus dem Grunde handelt, dass
seine Tat gesühnt und alle Ehrenbe
leidigungen zwischen beiden
Parteien liquidiert sind.
Es
folgt also die Urteilsbegründung:
„Die Bestimmung des § 18 des Gesetzes Nr. 108ex 1933 trägt zwar
die Ueberschrift „Gegenseitige Klagen“
allein
aus der Textierung
des ersten und zweiten Absatzes dieser Bestim
6mung geht hervor, dass sie für
beide Parteien gilt, sie mögen nun
gegenseitige Klagen
überreicht haben oder nur eine von ihnen, d.i.
der Privatkläger in dem
Falle, wenn sich der Beleidigte bis zum
Vergleiche oder bis zum
Schlusse des Beweisverfahrens einiger
strafbarer Handlungen nach
diesem Gesetze gegen den Privatkläger
schuldig gemacht hat, sodass
das Klagerecht des Privatklägers
gegen die konnexen
Handlungen des Angeklagten erlischt, wenn er
sich die Verfolgung nicht
ausdrücklich vorbehalten hat, vorausge
setzt, dass er bis zum
Abschlusse des Vergleiches oder bis zum
Schlusse des
Beweisverfahrens von der Handlung oder von der Per
son des Schuldigen Kenntnis
erlangt hatte.
Die Bestimmung des § 18 Ges. 108/33 steht
auf dem Standpunkte, dass
alle zwischen den Parteien gegen die
Ehre verübten Delikte durch
den Vergleich gleichzeitig und mit
einem Schlage liquidiert
sein sollen. Einzig diese Auslegung
entspricht auch dem Begriffe
des Vergleiches. Ein Vergleich be
deutet ein gegenseitiges Nachgeben,
eine gegenseitige Ausgleichung
des
gestörten Gleichgewichtes zwischen den Parteien, eine Erneu
erung des gegenseitigen
ruhigen gesellschaftlichen Zusammenlebens,
der gegenseitigen
Wertschätzung und Achtung. Dieses angedeutete
Ziel könnte nicht erreicht
werden, wenn der Vergleich zwischen
den Parteien nicht absolut
wäre. Es soll kein Schatten
zwischen
den Parteien
bestehen bleiben, nur über den ausdrücklichen Wunsch
7der Parteien könnte – durch den
Vorbehalt – eine Ausnahme erfolgen,
dass nämlich irgend ein den
Parteien bereits bekannter Fall geson
dert liquidiert werden soll,
jedoch ohne Unterschied, ob in diesem
bereits die Verfolgung
aufgenommen worden ist oder nicht. Es hätte
keinen Zweck und wäre im
Widerspruch mit dem Sinne des Gesetzes,
wenn ein Unterschied gemacht
werden sollte zwischen bei Gericht
schon anhängigen Fällen und
solchen, in welchen es zur gerichtli
chen Verfolgung noch nicht
gekommen ist und wollte man für die
ersteren Fälle den Vorbehalt
nicht verlangen, dagegen für die letz
teren, abgesehen davon, dass
unter dem Begriffe „verfolgen“ die
Verfolgung von der
Überreichung des Strafantrages an mit Ein
schliessung aller
prozessualen Handlungen des Verfolgenden bis
zum Schlusse des
Beweisverfahrens verstanden werden muss.
Die einzige Ausnahme, welche
das Gesetz für
Fälle
statuiert, in welchen einer
der Streitparteien die strafbare
Handlung oder die Person des
Schuldigen noch nicht bekannt ist,
kann auf andere Fälle nicht
ausgedehnt werden, insbesondere nicht
zu Gunsten jener Partei,
welcher mit Rücksicht darauf, dass sie selbst
die Anregung zur
Strafverfolgung gegeben hat, die Details des
gestörten Rechtszustandes
bereits bekannt sind. Gerade von einer
solchen Partei kann man
umsomehr verlangen, dass sie sich das Ver
folgungsrecht vorbehält,
weil sie, wenn sie sich schon zur Straf
verfolgung entschlossen hat,
zu beurteilen vermag, ob es mit ihren
Interessen in Einklang zu
bringen ist, dass sie auch diesen Fall
auf einmal bei einer anderen
Gelegenheit liquidiert. Im Uebrigen
hat auch die erwähnte
Ausnahme keinen anderen Zweck und Sinn, als
durch die
präventive Einschränkung eines möglichen Entweichens
bessere Voraussetzungen für
den Abschluss eines redlichen
Verglei
ches zwischen den Gegnern zu schaffen.
Was die Bestimmung des § 18 des Ges. 108/33 be
trifft „… so kann die eine Partei die
andere wegen einer nach
diesem Gesetze strafbaren Handlung verfolgen“, muss auf die Be
stimmung des § 6 Absatz 5 hingewiesen werden, nach welcher auch
der
ein
Strafausschliessungsgrund ebenfalls auf die Person anzuwenden
ist, welche für die
Vernachlässigung der pflichtgemässen Sorgfalt
bei der Herausgabe der
Druckschrift verantwortlich ist, durch
deren Inhalt die strafbare
Handlung begangen wurde. Wenn auch
durch die Bestimmung des § 18 Ges. 108/33
der Strafausschliessungs-
das Erlöschen des
Verfolgungsrechtes des Angeklagten nicht aus
drücklich als
Strafausschliessungsgrund angeführt ist, muss doch
mit Rücksicht darauf, dass
durch die Unterlassung der dort ange
führten prozessualen
Handlung das Erlöschen des Verfolgungsrech
tes für den Privatkläger
eintritt, a contrario die Unzulässigkeit
der Verfolgung des
Angeklagten als Strafausschliessungsgrund an
gesehen werden. Aber wenn
auch diese Erwägung nicht richtig wäre,
kann der Sinn des ersten
Absatzes des § 18 nicht zum Nachteile
des verantwortlichen
Redakteurs ausgelegt werden, wenn diese Be
stimmung für den Autor gilt.
Mit Rücksicht auf das oben
Angeführte gelangt
das Kmetengericht zu der Ueberzeugung, dass der
Privatkläger,
da er sich beim Abschlusse
des Vergleiches vom 27. Januar 1936
sub G.Z.Tk XIX 366/36 die
Strafverfolgung des Angeklagten für
diese Strafsache nicht vorbehalten hat, sein Verfolgungsrecht
wegen dieser Strafsache
eingebüsst hat, weswegen der Angeklagte
von der Anklage gemäss § 259 Absatz 2 St.P.O. freizusprechen war.
Was den Schlussantrag der
Anklage betrifft, der
Angeklagte
möge ohne Rücksicht auf den Ausgang des Prozesses zum
Ersatze jener Kosten
verurteilt werden, welche er durch die Be
antragung von Beweisen in
der offenen Absicht verursacht hat,
das Verfahren
hinauszuziehen, kommt die Bestimmung des § 34 Abs. 6Ges. 108/33 nicht
in Betracht, da aus den Akten festgestellt wird,
dass der Angeklagte
keine Beweise, die er hätte früher geltendma
chen können, angeboten und
durchgeführt hat.“
Ich arbeite bereits an der
Beschwerdeschrift
und
bitte Sie, sehr geehrter Herr Doktor, wenn Ihnen
noch irgend
welche
Argumente einfallen sollten, mir diese möglichst bald be
kanntzugeben.
Mit den besten Grüssen und
in vorzüglichster
Hochachtung
Ihr ergebener:
Dr. Turnovsky