Brief ans „Prager Tagblatt“. Karl Kraus und das österreichische Regime


Sehr geehrter Herr Kollege!


Herr K. hat die vielleicht nicht ganz
unhaltbare Meinung ausgesprochen, dass das Vorwort
des Prager Tagblattes zu dem Teilabdruck der eingesendeten Erklärung zum Gegenstand einer Ehrenbelei
digungsklage gemacht werden könnte, weil die Behaup
tung von der „Auslassung jener Stellen, die dritten
Personen den Anlass zu einer Ehrenbeleidigungsklage
gegen das ‚Prager Tagblatt‘ geben könnten“, den Vor
wurf enthält, Herr K. respektive Sie als Absender der
Erklärung hätten sich einer Ehrenbeleidigung schuldig
gemacht. Für erschwerend hält er, dass von „Stellen“
gesprochen wird, die „dritten Personen“ diesen Anlass
geben könnten, überhaupt nur die Stelle mit
dem „bewirkten Anschein“ zweifelhaft sein könnte, die
sich nur auf eine Person bezieht und nach meinen Da
fürhalten gewiss nicht Gegenstand einer Ehrenbeleidi
gungsklage sein könnte. Es ist offensichtlich, dass
das Prager Tagblatt diese Behauptung von der vorlie
genden Ehrenbeleidigung lediglich als Ausrede ge
braucht hat, um die Aktion des Herrn Dr. Schwelb wei
terhin zu stützen und zu unterstützen.


Ich wäre Ihnen sehr dankbar, wenn Sie mir Ihre
Rechtsansicht zu der von Herrn K. angeregten Möglichkeit
geben wollten.


Ich will Ihnen ferner mitteilen, dass mir Herr Dr.Heitler vor einigen Tagen die bedauerliche Eröffnung ge
macht hat, dass Ihr Artikel nicht erscheinen wird, was ich
Ihnen vorsichtshalber auch noch selbst zur Kenntnis brin
ge, obwohl er einen direkten Bericht an Sie versprach.


Indem ich Ihnen die besten Grüsse des Herrn K.
übermittle und Sie auch selbst bestens grüsse, bin ich mit
vorzüglicher, kollegialer Hochachtung


Ihr ergebener


P.S. Sehr geehrter Herr Kollege!
Herr K. glaubt sich zu erinnern, Sie hätten ihm
bei einer Besprechung die Möglichkeit bekanntgegeben, die
Einvernahme von Zeugen in derselben Form durchzuführen,
wie es durch Herrn Dr. Gallia bei seiner Einvernahme ge
schehen ist, nämlich in der Kanzlei. Nun hat Herr Fischer
für den 29. eine Ladung zur Zeugeneinvernahme in der Pro
zesssache K. gegen die Arbeiterzeitung erhalten. Wenn die
Erinnerung des Herrn K. richtig ist, so wäre es sicher von
grossem Vorteil, wenn Herr Fischer bei Ihnen einvernommen
würde, da er die tschechische Sprache nicht gut beherrscht
und Sie am besten in der Lage sind, seine deutsche Aussage
unmittelbar ins Tschechische zu übersetzen. Wenn diese Mög
lichkeit nicht besteht, so wäre es sehr erwünscht, wenn Sie
Herrn Fischer wenigstens zu Gericht begleiten könnten, um
seine Aussage zu verdolmetschen.


Mit besten Grüssen und vorzüglicher,
kollegialer Hochachtung


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