Sehr geehrter Herr Doktor.
Ich erhielt Ihr freundliches
Schreiben vom 26. d.M.
und gestatte mir mitzuteilen, dass Dr.
Schwelb
eine Gegenäusserung zur Nichtigkeitsbeschwerde überreicht hat,
deren Inhalt mir jedoch
ziemlich belanglos erscheint. Er pole
misiert gegen die von uns
geltendgemachte Auffassung über den
Sinn und Inhalt des § 18 des Ehrenschutzgesetzes und beruft
sich hauptsächlich auf das
Lehrbuch des Brünner Universitätsprofessors Kallab,
der durch seine Bemerkungen zum Ehrenschutz
gesetze offenbar überhaupt
die vom Gerichte vorgenommene Anwen
dung des § 18 angeregt haben dürfte. Er zitiert ferner die uns
bekannten Entscheidungen des
Kreisstrafgerichtes und Obergerichtes in Prag und einige Stellen aus dem Kommentar Hrabánek- Milota,
durch welche nachgewiesen
werden soll, dass der § 18 auch dann
Anwendung finden muss, wenn
es sich nicht um gegenseitige Klagen
und Beleidigungen handelt
und um Fälle, in welchen bereits die
Strafverfolgung vorgenommen
worden ist. Ich glaube nicht, dass
der Inhalt dieser
Gegenäusserung die Entscheidung des OberstenGerichtes
beeinflussen wird.
Die Berichtigung des Dr.
Schwelb im PragerTagblatt vom 5.
Mai habe ich mir abermals gründlich durchgesehen,
ohne einen Weg
gefunden zu haben, auf welchem man entweder gegen
den Einsender oder gegen den
verantwortlichen Redakteur des „Tagblatt“
selbst mit Aussicht auf Erfolg vergehen könnte. Ich begreife
sehr gut, dass Herr K. den Inhalt dieser Berichtigung, die auf
Lügen aufgebaut ist,
unerträglich findet und den Wunsch hat, der
durch diese Berichtigung
geschaffenen Situation durch ein gericht
liches Einschreiten ein Ende
zu bereiten. Trotzdem kann ich mich
nicht entschliessen, zu
diesem Einschreiten zu raten, da ich an
den Erfolg nicht glauben
kann. Wenn man bedenkt, dass unser Pressesenat
bei ganz offenkundigen schweren Beleidigungen zu keinem
verurteilenden Erkenntnis
gelangen kann und will und Beweise zu
lässt, deren Umfang und
Inhalt mit dem Prozessthema beinahe
nichts zu tun haben, dann
kann man sich wohl vorstellen, dass es
unmöglich sein wird, ihn
dazu zu bringen, den Autor der betreffenden Pressberichtigung zu verurteilen. Die
formelle Wahrhaftig
keit der in der Berichtigung
aufgestellten Behauptungen kann be
wiesen werden. Die
beleidigende Tendenz und die bewusste Ent
stellung des Tatbestandes
wird dem Gerichte nicht klarzumachen
sein, zumindest wird das Gericht bereit sein, zu finden, dass
vom Auffassungsstandpunkte
des durchschnittlichen Lesers die in
der Berichtigung angeführten
Tatsachen nicht als beleidigend an
gesehen werden können. Nicht
einmal die Wiederholung der seiner
zeit inkriminierten Stellen
könnte man zum Gegenstand einer An
klage machen, da in der Berichtigung selbst nicht zum
Ausdrucke
gebracht wird,
dass die geänderte Stellungnahme zum österreichi
schen Regime, Heimwehr,
etc., auf verwerflichen Motiven beruht.
Ich hoffe zuversichtlich,
dass das Oberste Gericht der
Nichtigkeitsbeschwerde stattgeben wird. Das offizielle
Pressbüro wird in diesem Falle die Veröffentlichung
einer ent
sprechenden Nachricht nicht zurückweisen können und man wird
wohl auch sonst noch
Gelegenheit haben, auf die Lumpereien der
Herren vom Sozialdemokrat hinzuweisen.
Wegen der Einvernahme des
Herrn Fischer habe
ich versucht, mich mit ihm
ins Einvernehmen zu setzen, konnte ihn
jedoch bis heute nicht
erreichen. Ich wusste nicht, dass er krank
ist und an einer heftigen
Nikotinvergiftung leidet. Er kam trotz
dem heute in meine Kanzlei,
erklärte jedoch, sich sehr unwohl zu
fühlen. Da ich den Eindruck
hatte, dass er in dieser Verfassung
nicht sehr geeignet sein
wird, entsprechend auszusagen, habe ich
ihn mit Krankheit bei Gericht entschuldigt und ersucht, er
möge
unmittelbar nach dem
1. Juni einvernommen werden. Ich habe über
dies an Herrn Dr. Gallia geschrieben und ihn gebeten, mir
eine
Abschrift des
Ersuchschreibens an den Prager-Untersuchungsrich
ter einzusenden,
damit ich die Aussage des Herrn Fischer mit
diesem besprechen und in
tschechischer Sprache niederlegen kann.
Ueberdies werde ich bei
seiner Einvernahme bei Gericht sein und
hoffe, dass der Untersuchungsrichter nichts dagegen einwenden
wird, wenn ich Herrn Fischer bei seiner Aussage unterstütze.
Sollte dies nicht zugelassen
werden, dann wird sich Herr Fischer
auf Grund der tschechischen
Niederschrift für die Einvernahme
vorbereiten können und in
der Lage sein, entsprechend auszusagen.
In der
Berichtigungsangelegenheit SOZIALDEMOKRAT
habe
ich zwar bisher keine strikte Aeusserung darüber erhalten,
ob der Antrag nach § 14 Pressgesetznovelle überreicht werden soll.
Ich nehme jedoch an, dass
Herr K. dies wünscht, habe den Antrag
verfasst und zur
Ueberreichung vorbereitet.
Wie ich aus einer Zeitungsnotiz ersehe, hat sich
der Pressesenat wieder eine merkwürdige Entscheidung
geleistet.
In einem
Presseprozess hat das Gericht von der
Verhängung einer
Strafe
abgesehen und zwar deshalb, weil nach seiner Ansicht
durch die Berichtigung des
inkriminierten Artikels dem Privat
kläger vor Beginn der
Hauptverhandlung angemessene Genugtuung
geleistet worden ist. / § 9 Abs. 3 Ehrenschutzgesetz /.
Wenn auch diese Praxis
eingeführt werden sollte, dann kann
Dr. Schwelb, wenn er über den Antrag nach § 14 P.G.N. zur Ver
öffentlichung der
Berichtigung gezwungen werden wird, in der
Ehrenbeleidigungssache
straflos ausgehen.
Es ist unglaublich, wie das
Gericht in Presseange
legenheiten vorgeht und die
Schwierigkeiten werden immer grösser.
Schon deswegen möchte ich
nicht in Sachen des Herrn K. Schritte keine
unternehmen,
die mir selbst riskant erscheinen.
Indem ich bitte, diese
Mitteilung zur Kenntnis zu
nehmen, an Herrn K. weiterzuleiten und ihm
meine besten Grüsse zu
bestellen, zeichne ich in vorzüglichster Hochachtung und mit
besten Grüssen an Sie,
Ihr ergebener:
Dr. Turnovsky