In der Nummer … der Tageszeitung„Prager Tagblatt“ vom
16. April 1936 ist unter dem Titel „ProzessKarl Kraus
– ‚Sozialdemokrat‘“ ein vom tschechoslowakischenPressbüro
ausgesendeter Bericht über eine am Vortage durchgeführte
Hauptverhandlung in einer
Ehrenbeleidigungssache erschienen, die
der Privatkläger Karl Kraus
gegen die Tageszeitung „Sozialdemokrat“ respektive
gegen deren verantwortlichen Redakteur Dr. EmilStrauss zur G.Z. Tk
VI 8789/34 durch fast zwei Jahre geführt hatte.
Das offenkundige Bestreben,
einen klaren Sachverhalt zu verdunkeln,
(nämlich dass der
verantwortliche Redakteur des ‚Sozialdemokrat‘
Dr.
Emil
Strauss aus dem Wahrheitsbewies, den zu führen er durch zwei
Jahrezu
führen versprochen und gross angekündigt hatte, geflohen ist,
und es vorzog, die Hilfe des
rein formalen § 18 des Ehrenschutzgesetzes in
Anspruch zu nehmen), beweist, dass dieser Bericht nicht
von
einem gewöhnlichen Berichterstatter verfasst sein kann, sondern
von einem, der ein
besonderes Interesse daran hat, die Begründung
des Freispruches mit dem § 18 des Ehrenschutzgesetzes ins Neben
sächliche zu rücken, und den
Anschein zu erwecken, als ob der Angeklagte auf Grund
eines erbrachten Wahrheitsbeweises freigesprochen
worden wäre. Nur einem mit
den gesetzlichen Vorschriften des Be
leidigungs- und
Berichtigungsverfahrens so vertrauten Manne wie
dem Angeklagten Dr. Schwelb konnte es gelingen, in einem ganz
raffi
niert
angelegten Berichte vor einer
juristisch mindergebildeten
Leserschaft den Anschein zu erwecken, es sei der Angeklagte Dr.
Emil Strauss
auf Grund eines umfangreichen Wahrheitsbeweises
freigesprochen worden.
Tatsächlich war während der ganzen Verhand
lung ausser den Richtern,
den Anwälten und dem Privatkläger über
haupt keine Person, nicht
einmal der Angeklagte, im Verhandlungs
saal anwesend, woraus wohl
mit aller Deutlichkeit hervorgeht, dass
diesen Bericht nur Herr Dr. Schwelb verfasst haben kann.
Der Privatkläger
hat in dem Bewusstsein, dass eine
Berichtigung dieses
scheinbar wahren und innerlich unwahrhafti
gen Berichtes den gesetzlichen Bestimmungen überhaupt
nicht anzu
passen
sei, dem „Prager Tagblatt“ gleichwohl eine
solche einge
sendet, um den bewirkten Anschein eines Freispruches auf Grund
durchgeführter
Wahrheitsbeweise aus der Welt zu schaffen. Die dürf
tigen Anhaltspunkte für
diese Berichtigung boten einige Nebenum
stände, die unrichtig
dargestellt waren, so die unrichtige Behaup
tung, der oben erwähnte
Prozess sei „beendet“ worden; der Privatkläger
habe sich „insbesondere“ durch den Vorwurf, dass er
sich
dem österreichischen
Regime gleichgeschaltet, beleidigt gefühlt;
das Gericht habe „bei einer Reihe von Hauptverhandlungen“ die
von
beiden Parteien
angebotenen Beweise teilweise „durchgeführt“; der
Verteidiger des Dr. Emil Strauss
habe „bei der gestrigen letzten
Hauptverhandlung“ seine Ausführungen durch den Hinweis auf
den
Umstand „ergänzt“, dass der Privatkläger
bei Erledigung eines an
deren Prozesses zwischen den
gleichen Parteien sich die Fortset
zung dieses Prozesses nicht
vorbehalten und daher gemäss § 18 desGesetzes über den Schutz
der Ehre das Klagerecht verloren habe.
Das „Prager Tagblatt“ lehnte den Abdruck dieser Berichtigung ab.
Ueberraschenderweise
erschien diese Berichtigung trotzdem
in der
Nummer vom 1. Mai 1936 mit der Bemerkung, dass
die Veröffentlichung
vorgenommen werde, obwohl keine gesetzliche Verpflichtung vorliege.
Immerhin war durch den
Abdruck der durch den Prozessbericht
be
wirkte
Anschein eines Freispruches aus anderen Gründen, als denen
des §
18 des Ehrenschutzgesetzes, vernichtet worden.
Es stellte sich schon einige
Tage später heraus,
dass
dieser Abdruck kein Akt der Grossmut war, sondern in einer
bestimmten Absicht erfolgte.
Es erschien nämlich am 5. Mai 1936
eine von dem Angeklagten Dr. Schwelb eingesendete „Berichtigung“
dieser Berichtigung, die noch weit weniger dem
Pressgesetz
entsprach und
gleichwohl ohne die Verwahrungsklausel gebracht
wurde. Der Angeklagte Dr. Schwelb liess nämlich von dem ein
mal gefassten
Plan nicht nur nicht ab, sondern benützte die Zu
schrift des Privatklägers,
um den Anschein erst recht zu ver
stärken, der Freispruch des
verantwortlichen Redakteurs des‚Sozialdemokrat‘ sei auf Grund eines
Wahrheitsbeweises er
folgt. Er richtete an das
‚Prager Tagblatt‘ eine „Presseberichtigung“. Diese „Presseberichtigung“ schloss sich in
keinem
Punkte an die Berichtigung des Privatklägers
an, sondern er
zählte Dinge, welche die Vorstellung des Lesers auf dem fal
schen Wege erhalten sollten.
Die Bezeichnung des § 18 desEhrenschutzgesetzes
als eines formalen Grundes für das Urteil
benützt Herr Dr. Schwelb, um dem entgegenzusetzen, dass der
Frei
spruch
aus einem Grunde des materiellen Strafrechtes
erfolgte,
dass er also
etwas mit der Materie des Prozesses zu tun hatte.
Die Behauptung der
Berichtigung des Privatklägers, die von bei
den Parteien geführten
Beweise seien nicht bei einer Reihe von
Hauptverhandlungen teilweise
durchgeführt worden, bei diesen
seien vielmehr nur die
Beweise durch Verlesung des inkriminiertenArtikels, sowie eines am 28.
April 1934 im „Sozialdemokrat“ er
schienenen, dem Privatkläger huldigenden Artikels angetreten
worden, und dass weder die
beantragten noch diese Beweise bis
her Gegenstand der
Beurteilung waren, berichtigt der Angeklagte
Dr. Schwelb durch die Mitteilung, dass ein Wahrheitsbeweis
„an
getreten“ wurde, was nie bestritten wurde, aber den Anschein
der Erbringung erwecken
soll, und dass Zeugen vom Strafkreisgericht in
Prag einvernommen worden sind,
Tatsachen, die gleich
falls niemals bestritten
wurden und auch nicht bestritten wer-
den konnten, sondern deren
Erwähnung als Richtigstellung, die
Vernehmung sei nicht in der
Hauptverhandlung durchgeführt und
nicht Gegenstand der
Beurteilung gewesen, nur dem Anscheine ent
gegen treten sollte, sie
hätte zu dem Freispruch des Angeklagten
Dr. Emil Strauss
irgend etwas beigetragen. Der so erweckte An
schein eines Freispruches
des Angeklagten Dr. Emil Strauss wegen
eines durchgeführten Wahrheitsbeweises bildet nun selbst eine
Ehrenbeleidigung, da damit
behauptet wird, ehrenrührige Handlungen
des Privatklägers
seien bewiesen worden.
Der Privatkläger
liess daraufhin durch seinen Anwalt das „Prager Tagblatt“ auffordern, eine
vorgeschriebene Erklä
rung zu veröffentlichen, die
unter anderem zum Ausdruck bringen
sollte, dass der durch die
Berichtigung des Herrn Dr. Schwelb be
wirkte Anschein, als ob der
Wahrheitsbeweis, der allerdings „an
getreten“
wurde, auch tatsächlich erbracht worden wäre und als ob
dieser Wahrheitsbeweis zu
dem Freispruch irgendetwas beigetragen
hätte, dem Sachverhalt
widerspricht. Das „Prager Tagblatt“ hat
in
seiner Nummer vom 17. Mai 1936 den zweiten
sensationelleren Teil
der
vorgeschriebenen Erklärung abgedruckt, welcher sie keinen An weil hier die
lass zu einer
Ehrenbeleidigungsklage geben konnte
angebliche Stellungsänderung
des Privatklägers gegenüber dem
„österreichischen
Regime“ behandelt wurde, dagegen gerade den er
sten Teil, der dem bewirkten
Anschein entgegentreten sollte, ausge
lassen, mit der Begründung,
es handle sich um „jene Stellen, die
dritten Personen den Anlass zu einer
Ehrenbeleidigungsklage gegen
das ‚Prager Tagblatt‘ geben könnten“. Eine
Abschrift der vorge
schriebenen Erklärung und die Veröffentlichung im „Prager Tagblatt“
wird im Original vorgelegt.
Es ist offensichtlich, dass der ausge
lassene erste Teil der
vorgeschriebenen Erklärung keine Stellen
enthält, die dritten
Personen den Anlass zu einer Ehrenbeleidi
gungsklage gegen das „Prager Tagblatt“ geben könnten. Die
ausge
lassene
Stelle (es handelt sich nur um eine Stelle) befasst sich
überhaupt nur mit einer
Person, nämlich mit Herrn Dr. Schwelb, und
die Behauptung, seine Berichtigung habe einen „Anschein bewirkt“,
ist keine Ehrenbeleidigung.
Die Auffassung des „Prager Tagblatts“
aber, dass eine solche
vorliege, beweist seine eigene Meinung, (die
auch vom Privatkläger
ganz und gar geteilt wird, aber nicht ausge
drückt wurde): dass Herr Dr. Schwelb jenen Anschein absichtlich
und doloser Weise bewirkt
und somit hiedurch eine Ehrenbeleidi
gung begangen hat. Dabei
begeht es eine zweite Ehrenbeleidigung,
indem es vom Privatkläger
mitteilt, er habe eine Erklärung zur
Veröffentlichung
vorgeschrieben, die Stellen enthalte, welche drit
ten Personen Anlass zu einer
Ehrenbeleidigungsklage geben könnten,
er habe mithin eine
Ehrenbeleidigung begangen oder zu begehen ver
sucht.
Der Beschuldigte Dr. Schwelb wird sich also dafür
verantworten müssen, den Privatkläger
dadurch beleidigt zu haben,
dass er durch den bewirkten Anschein eines Freispruches des von
ihm vertretenen Angeklagten
Dr. Emil
Strauss wegen eines erbrach
ten Wahrheitsbeweises zum
Ausdruck brachte, dass der Privatkläger
ehrenrührige unsittliche
Handlungen begangen hat, die einem Wahr
heitsbeweise zugänglich
sind, der auch angeblich geführt und er
bracht wurde. Der verantwortliche Redakteur des „Prager Tagblattes“
hat sich dafür zu
verantworten, dass er die Berichtigung
des HerrnDr. Schwelb zum Druck befördert, ferner
die einleitenden Worte zu
der
zur Veröffentlichung eingesendeten Erklärung entweder selbst
verfasst oder zumindest zum
Druck befördert hat. Eventuell käme,
falls der Beweis der
Täterschaft oder Mittäterschaft nicht zu
erbringen ist, seine
Verantwortlichkeit nach dem Pressgesetz in
Betracht.