Prager Tagblatt, 1.5.1936Prozeß Karl Kraus – „Sozialdemokrat“ [1.5.1936]Der Sozialdemokrat, 28.4.1934Prager Tagblatt, 16.4.1936Brief ans „Prager Tagblatt“. Karl Kraus und das österreichische Regime„Presseberichtigung“Prager Tagblatt, 17.5.1936Prozeß Karl Kraus – „Sozialdemokrat“ [16.4.1936]Karl Kraus – sechzig Jahre [Der Sozialdemokrat]


In der Nummer … der Tageszeitung„Prager Tagblatt“ vom 16. April 1936 ist unter dem Titel „ProzessKarl Kraus – ‚Sozialdemokrat‘“ ein vom tschechoslowakischenPressbüro ausgesendeter Bericht über eine am Vortage durchgeführte
Hauptverhandlung in einer Ehrenbeleidigungssache erschienen, die
der Privatkläger Karl Kraus gegen die Tageszeitung „Sozialdemokrat“ respektive gegen deren verantwortlichen Redakteur Dr. EmilStrauss zur G.Z. Tk VI 8789/34 durch fast zwei Jahre geführt hatte.
Das offenkundige Bestreben, einen klaren Sachverhalt zu verdunkeln,
(nämlich dass der verantwortliche Redakteur des ‚Sozialdemokrat
Dr. Emil Strauss aus dem Wahrheitsbewies, den zu führen er durch zwei Jahre
zu führen versprochen und gross angekündigt hatte, geflohen ist,
und es vorzog, die Hilfe des rein formalen § 18 des Ehrenschutzgesetzes in Anspruch zu nehmen), beweist, dass dieser Bericht nicht
von einem gewöhnlichen Berichterstatter verfasst sein kann, sondern
von einem, der ein besonderes Interesse daran hat, die Begründung
des Freispruches mit dem § 18 des Ehrenschutzgesetzes ins Neben
sächliche zu rücken, und den Anschein zu erwecken, als ob der Angeklagte auf Grund eines erbrachten Wahrheitsbeweises freigesprochen
worden wäre. Nur einem mit den gesetzlichen Vorschriften des Be
leidigungs- und Berichtigungsverfahrens so vertrauten Manne wie
dem Angeklagten Dr. Schwelb konnte es gelingen, in einem ganz raffi
niert angelegten Berichte vor einer juristisch mindergebildeten
Leserschaft den Anschein zu erwecken, es sei der Angeklagte Dr.
Emil Strauss auf Grund eines umfangreichen Wahrheitsbeweises
freigesprochen worden. Tatsächlich war während der ganzen Verhand
lung ausser den Richtern, den Anwälten und dem Privatkläger über
haupt keine Person, nicht einmal der Angeklagte, im Verhandlungs
saal anwesend, woraus wohl mit aller Deutlichkeit hervorgeht, dass
diesen Bericht nur Herr Dr. Schwelb verfasst haben kann.


Der Privatkläger hat in dem Bewusstsein, dass eine
Berichtigung dieses scheinbar wahren und innerlich unwahrhafti
gen Berichtes den gesetzlichen Bestimmungen überhaupt nicht anzu
passen sei, dem „Prager Tagblatt“ gleichwohl eine solche einge
sendet, um den bewirkten Anschein eines Freispruches auf Grund
durchgeführter Wahrheitsbeweise aus der Welt zu schaffen. Die dürf
tigen Anhaltspunkte für diese Berichtigung boten einige Nebenum
stände, die unrichtig dargestellt waren, so die unrichtige Behaup
tung, der oben erwähnte Prozess sei „beendet“ worden; der Privatkläger habe sich „insbesondere“ durch den Vorwurf, dass er sich
dem österreichischen Regime gleichgeschaltet, beleidigt gefühlt;
das Gericht habe „bei einer Reihe von Hauptverhandlungen“ die von
beiden Parteien angebotenen Beweise teilweise „durchgeführt“; der
Verteidiger des Dr. Emil Strauss habe „bei der gestrigen letzten
Hauptverhandlung“ seine Ausführungen durch den Hinweis auf den
Umstand „ergänzt“, dass der Privatkläger bei Erledigung eines an
deren Prozesses zwischen den gleichen Parteien sich die Fortset
zung dieses Prozesses nicht vorbehalten und daher gemäss § 18 desGesetzes über den Schutz der Ehre das Klagerecht verloren habe.
Das „Prager Tagblatt“ lehnte den Abdruck dieser Berichtigung ab.
Ueberraschenderweise erschien diese Berichtigung trotzdem in der
Nummer vom 1. Mai 1936 mit der Bemerkung, dass die Veröffentlichung
vorgenommen werde, obwohl keine gesetzliche Verpflichtung vorliege.
Immerhin war durch den Abdruck der durch den Prozessbericht be
wirkte Anschein eines Freispruches aus anderen Gründen, als denen
des § 18 des Ehrenschutzgesetzes, vernichtet worden.


Es stellte sich schon einige Tage später heraus,
dass dieser Abdruck kein Akt der Grossmut war, sondern in einer
bestimmten Absicht erfolgte. Es erschien nämlich am 5. Mai 1936
eine von dem Angeklagten Dr. Schwelb eingesendete „Berichtigung
dieser Berichtigung, die noch weit weniger dem Pressgesetz
entsprach und gleichwohl ohne die Verwahrungsklausel gebracht
wurde. Der Angeklagte Dr. Schwelb liess nämlich von dem ein
mal gefassten Plan nicht nur nicht ab, sondern benützte die Zu
schrift des Privatklägers, um den Anschein erst recht zu ver
stärken, der Freispruch des verantwortlichen Redakteurs des‚Sozialdemokrat‘ sei auf Grund eines Wahrheitsbeweises er
folgt. Er richtete an das ‚Prager Tagblatt‘ eine „Presseberichtigung“. Diese „Presseberichtigung“ schloss sich in keinem
Punkte an die Berichtigung des Privatklägers an, sondern er
zählte Dinge, welche die Vorstellung des Lesers auf dem fal
schen Wege erhalten sollten. Die Bezeichnung des § 18 desEhrenschutzgesetzes als eines formalen Grundes für das Urteil
benützt Herr Dr. Schwelb, um dem entgegenzusetzen, dass der Frei
spruch aus einem Grunde des materiellen Strafrechtes erfolgte,
dass er also etwas mit der Materie des Prozesses zu tun hatte.
Die Behauptung der Berichtigung des Privatklägers, die von bei
den Parteien geführten Beweise seien nicht bei einer Reihe von
Hauptverhandlungen teilweise durchgeführt worden, bei diesen
seien vielmehr nur die Beweise durch Verlesung des inkriminiertenArtikels, sowie eines am 28. April 1934 im „Sozialdemokrat“ er
schienenen, dem Privatkläger huldigenden Artikels angetreten
worden, und dass weder die beantragten noch diese Beweise bis
her Gegenstand der Beurteilung waren, berichtigt der Angeklagte
Dr. Schwelb durch die Mitteilung, dass ein Wahrheitsbeweis „an
getreten“ wurde, was nie bestritten wurde, aber den Anschein
der Erbringung erwecken soll, und dass Zeugen vom Strafkreisgericht in Prag einvernommen worden sind, Tatsachen, die gleich
falls niemals bestritten wurden und auch nicht bestritten wer-
den konnten, sondern deren Erwähnung als Richtigstellung, die
Vernehmung sei nicht in der Hauptverhandlung durchgeführt und
nicht Gegenstand der Beurteilung gewesen, nur dem Anscheine ent
gegen treten sollte, sie hätte zu dem Freispruch des Angeklagten
Dr. Emil Strauss irgend etwas beigetragen. Der so erweckte An
schein eines Freispruches des Angeklagten Dr. Emil Strauss wegen
eines durchgeführten Wahrheitsbeweises bildet nun selbst eine
Ehrenbeleidigung, da damit behauptet wird, ehrenrührige Handlungen
des Privatklägers seien bewiesen worden.


Der Privatkläger liess daraufhin durch seinen Anwalt das „Prager Tagblatt“ auffordern, eine vorgeschriebene Erklä
rung zu veröffentlichen, die unter anderem zum Ausdruck bringen
sollte, dass der durch die Berichtigung des Herrn Dr. Schwelb be
wirkte Anschein, als ob der Wahrheitsbeweis, der allerdings „an
getreten“ wurde, auch tatsächlich erbracht worden wäre und als ob
dieser Wahrheitsbeweis zu dem Freispruch irgendetwas beigetragen
hätte, dem Sachverhalt widerspricht. Das „Prager Tagblatt“ hat in
seiner Nummer vom 17. Mai 1936 den zweiten sensationelleren Teil
der vorgeschriebenen Erklärung abgedruckt, welcher sie keinen An
lass zu einer Ehrenbeleidigungsklage geben konnte
weil hier die
angebliche Stellungsänderung des Privatklägers gegenüber dem
„österreichischen Regime“ behandelt wurde, dagegen gerade den er
sten Teil, der dem bewirkten Anschein entgegentreten sollte, ausge
lassen, mit der Begründung, es handle sich um „jene Stellen, die
dritten Personen den Anlass zu einer Ehrenbeleidigungsklage gegen
das ‚Prager Tagblatt‘ geben könnten“. Eine Abschrift der vorge
schriebenen Erklärung und die Veröffentlichung im „Prager Tagblatt“
wird im Original vorgelegt. Es ist offensichtlich, dass der ausge
lassene erste Teil der vorgeschriebenen Erklärung keine Stellen
enthält, die dritten Personen den Anlass zu einer Ehrenbeleidi
gungsklage gegen das „Prager Tagblatt“ geben könnten. Die ausge
lassene Stelle (es handelt sich nur um eine Stelle) befasst sich
überhaupt nur mit einer Person, nämlich mit Herrn Dr. Schwelb, und
die Behauptung, seine Berichtigung habe einen „Anschein bewirkt“,
ist keine Ehrenbeleidigung. Die Auffassung des „Prager Tagblatts
aber, dass eine solche vorliege, beweist seine eigene Meinung, (die
auch vom Privatkläger ganz und gar geteilt wird, aber nicht ausge
drückt wurde): dass Herr Dr. Schwelb jenen Anschein absichtlich
und doloser Weise bewirkt und somit hiedurch eine Ehrenbeleidi
gung begangen hat. Dabei begeht es eine zweite Ehrenbeleidigung,
indem es vom Privatkläger mitteilt, er habe eine Erklärung zur
Veröffentlichung vorgeschrieben, die Stellen enthalte, welche drit
ten Personen Anlass zu einer Ehrenbeleidigungsklage geben könnten,
er habe mithin eine Ehrenbeleidigung begangen oder zu begehen ver
sucht.


Der Beschuldigte Dr. Schwelb wird sich also dafür
verantworten müssen, den Privatkläger dadurch beleidigt zu haben,
dass er durch den bewirkten Anschein eines Freispruches des von
ihm vertretenen Angeklagten Dr. Emil Strauss wegen eines erbrach
ten Wahrheitsbeweises zum Ausdruck brachte, dass der Privatkläger
ehrenrührige unsittliche Handlungen begangen hat, die einem Wahr
heitsbeweise zugänglich sind, der auch angeblich geführt und er
bracht wurde. Der verantwortliche Redakteur des „Prager Tagblattes“
hat sich dafür zu verantworten, dass er die Berichtigung des HerrnDr. Schwelb zum Druck befördert, ferner die einleitenden Worte zu
der zur Veröffentlichung eingesendeten Erklärung entweder selbst
verfasst oder zumindest zum Druck befördert hat. Eventuell käme,
falls der Beweis der Täterschaft oder Mittäterschaft nicht zu
erbringen ist, seine Verantwortlichkeit nach dem Pressgesetz in
Betracht.