„Presseberichtigung“Prozeß Karl Kraus – „Sozialdemokrat“ [16.4.1936]


Sehr geehrter Herr Doktor.


Ich erhielt Ihren frdl. Brief vom 3. d.M.,
sowie die beigeschlossene Kopie des Briefes vom Prager Tagblatt vom 26.V. d.J., den an dieses Blatt zu richtenden Brief samt
Durchschlag, sowie den Entwurf einer Klage gegen Dr. Schwelb, und
den verantwortlichen Redakteur des Prager Tagblatt.


Die Ehrenbeleidigungsklage gegen die letzt
genannten Personen, über deren Ueberreichung Herr K. und Sie erwägen,
ist gewiss ganz grossartig verfasst und wenn man damit rechnen
könnte, dass das Gericht über den in der Klage dargestellten
Sachverhalt normal und vernünftig erwägen und urteilen wird, so
würde ich unbedingt zur Ueberreichung dieser Klage raten. Ich
habe aber Bedenken und mit Rücksicht auf die bisherigen Erfah
rungen hege ich begründeten Zweifel darüber, dass dies geschehen
wird. Wenn durch das Verhalten des Dr. Schwelb auch der Anschein
erweckt werden sollte und musste, dass Dr. Emil Strauss in dem
von Herrn K. gegen ihn angestrengten Ehrenbeleidigungsprozesse
auf Grund eines durchgeführten Wahrheitsbeweises freigesprochen
worden ist, so ist es doch sehr zweifelhaft, ob das Gericht in
diesem Verhalten den Tatbestand der §§ 2 und 3 des Ehrenschutz-
gesetzes erblicken wird. Wie bereits wiederholt erwähnt, ist
die formelle Wahrheit der Prozessberichte, sowie der Berichtigung des Dr. Schwelb nicht zu widerlegen. Die Verschleierung
der materiellen Wahrheit kann dem unvoreingenommenen Leser der
betreffenden Notizen auf Grund der Darstellung des tatsächli
chen Sachverhaltes wohl zur Kenntnis gebracht und klargestellt
werden, doch glaube ich nicht, dass das Gericht trotz der evi
dent vorliegenden Täuschungsabsicht dafürhalten wird, dass die
betreffenden von Dr. Schwelb inspirierten, resp. verfassten Berich
te die Behauptung enthalten haben, es seien ehrenrührige Handlun
gen des Herrn K. bewiesen worden.


Daraus ergibt sich, dass auch der Redakteur desPrager Tagblatt wegen der Veröffentlichung der Berichtigung des
Dr. Schwelb mit Aussicht auf Erfolg nicht verfolgt werden kann.
Die Inkriminierbarkeit der einleitenden Worte zu der im Namen
des Herrn K. veröffentlichten Erklärung erscheint mir jedoch
– wie ich bereits mitgeteilt habe – gleichfalls sehr fraglich und
ich bezweifle sehr, dass das Gericht in der Behauptung, Herr K.
habe die Veröffentlichung einer Erklärung verlangt, deren In
halt dritten Personen Anlass zu einer Ehrenbeleidigungsklage
geben könnte, den Tatbestand des §§ 2 oder 3 des Ehrenschutzgesetzes erblicken wird.


Diese pessimistische Beurteilung der Prozess
aussichten ist – wie ich glaube – nicht nur durch die Erfahrun
gen begründet, die wir mit dem Pressesenat des O.G.R. Tisek ge
macht haben, sondern sie basiert auch auf der Erwägung, dass es
auch einem besseren und objektiven Senate schwer verständlich
gemacht werden kann, dass und warum ein Thema / allerdings mit
verschiedenen Variationen / zum Gegenstand dreier Pressprozesse
gemacht werden soll. / Hauptprozess, Prozess gegen Dr. Schwelb we
gen der im Prozessberichte des SOZIALDEMOKRAT enthaltenen neuen
Beleidigungen und nun der in Aussicht genommene dritte Prozess
gegen Dr. Schwelb und den verantwortlichen Redakteur des Prager-Tagblatt. /


Wir müssen doch unbedingt alles vermeiden, was dazu
dienen könnte, die Veroffentlichung neuer skandalöser Nachrich
ten über Herrn K. zu ermöglichen. Die Abweisung einer Presse
klage des Herrn K. mit der Begründung, dass der inkriminierteArtikel keine Beleidigungen des Privatklägers enthalten hat,
wäre ein Triumpf, den wir dem Pressegesindel nicht ermöglichen
dürfen. Ich würde mich trotz meinem Pessimismus für die Aus
sichten dieses Prozesses nicht sträuben, die Klage einzubrin
gen, wenn ich annehmen dürfte, dass dieser Pressprozess rasch
abgewickelt wird und mit keinem grossen Kostenrisiko verbunden
ist und dass die Gegner durch ihren Sieg zur Veröffentlichung
von Artikeln provoziert werden, derentwegen man sie dann packen
und einer exemplarischen Bestrafung zuführen kann. Dies kann
ich aber leider auf Grund meiner Kenntnis der Verfahrensmetho
den der hiesigen Pressesenate nicht annehmen und eben deshalb
ist es mir nicht möglich, die Ueberreichung dieser neuen Klage
zu empfehlen, trotzdem ich sie inhaltlich durchaus billige
und hervorragend konzipiert finde.


Mir erscheint die gegen Dr. Schwelb bereits über-
reichte Klage doch viel aussichtsreicher und ich glaube nicht,
dass er die Autorschaft zu dem inkriminierten Artikel leugnen
wird. Dieser Artikel enthalt die beleidi
gende Behauptung, Herr K. habe gegen das österreichische Pro
letariat und seine heldenhaften Schutzbündler Stellung genommen.
Mit der gleichen Bestimmtheit kann man wohl nicht sagen, dass
in der Berichtigung des Dr. Schwelb behauptet worden ist, es
seien ehrenrührige Handlungen des Herrn K. bewiesen worden.


Deswegen glaube ich, dass man die von Ihnen
entworfene Zuschrift an das Prager Tagblatt absenden soll.
Falls Sie es selbst tun wollen, dann müsste der erste Satz
entsprechend abgeändert werden.


Den Antrag nach § 14 des Pressgesetzes habe
ich gestern überreicht. Ebenso ist die Klage gegen Dr. Schwelb
bereits überreicht worden und ich erwarte die Ladung zur Ver
gleichstagsatzung für die nächsten Tage.


Ich brauche wohl nicht zu erwähnen, dass ich
trotz allen hier angeführten Erwägungen bereit bin, die von
Ihnen entworfene Klage zu überreichen und nach besten Kräften
vor Gericht zu vertreten und dass mich nicht Bequemlichkeit
oder sonstige persönliche Gründe veranlasst haben, dem von
Herrn K. und Ihnen in Aussicht genommenen Prozesse zu wider-
raten.


Bei dieser Gelegenheit bitte ich zur Kenntnis
zu nehmen, dass Herr Dr. Gallia über eine Unterredung mit dem
Generaladvokaten berichtet, in welcher dieser der Ueberzeugung
Ausdruck verliehen hat, dass die Nichtigkeitsbeschwerde im Se-
nate mit aller erdenklichen Gründlichkeit behandelt werden wird.
Er hat versprochen, den Vorsitzenden des oberstgerichtlichenStrafsenates auf die Bedeutung des Falles aufmerksam machen zu
wollen. In diesem Berichte urgiert auch Herr Dr. Gallia die Ein
sendung des im Wiener-Anwaltsblatte zu veröffentlichenden Artikels, der allerdings nicht erscheinen wird. Herr Dr. Heitler
hat mir darüber bisher nichts mitgeteilt, sodass ich nicht in
der Lage bin, Herrn Dr. Gallia die Gründe für die Unterlassung
der Veröffentlichung bekanntzugeben.


In der Sache Arbeiterzeitung werde ich mit Herrn
Dr. Liška sprechen. Wie Herr Dr. Gallia mitteilt, hat das BrünnerGericht den vorbereitenden Schriftsatz mit dem Ersuchen an das
Prager-Gericht übersendet, der Prager-Untersuchungsrichter möge
Herrn Fischer über den ganzen Inhalt des vorbereitenden Schriftsatzes, insbesondere über die Behauptungen auf Seite 31 bis 33
einvernehmen. Ich habe deswegen Herrn Fischer gebeten, mich so
bals als möglich zu besuchen, werde seine Aussage mit ihm ein
gehend besprechen und in tschechischer Sprache niederlegen.
Ueberdies werde ich noch bei der Einvernahme, die in den näch
sten Tagen stattfinden wird, zugegen sein.


In der Angelegenheit Melantrich gestatte ich mir
auf Ihre Anfrage folgendes bekanntzugeben:


Ich habe mit dem Referenten einige Tage vor der
Berufungsverhandlung über unsere Angelegenheit gesprochen und
hatte den Eindruck, dass er das Verhalten der Gegenpartei nicht
billigt und das erstinstanzliche Urteil für richtig hält.
Allerdings kennt man sich in diesem Referenten niemals recht
aus, er ist ein sehr unangenehmer, zynisch veranlagter Mensch,
mit dem ich keine guten Erfahrungen habe. Er scheint aber dies
mal wirklich krank geworden zu sein, weil mir in der Kanzlei ge
sagt wurde, dass er schon tags vorher gesagt habe, er fühle sich
nicht wohl und werde wohl zuhause bleiben müssen. Ich glaube
aber, dass sowohl er als auch das zweite Senatsmitglied dem
Melantrich-Verlag ganz gerne einen kleinen Nasenstüber geben
möchten und halte es für ziemlich wahrscheinlich, dass sie den
Sachverständigenbeweis zugelassen haben, um auch auf Grund die
ses Beweises das erste Urteil bestätigen zu können. Der Sach
verständige scheint mit dem Vorsitzenden des Senates sehr gut
bekannt zu sein und dürfte eben deshalb von ihm bestellt wor
den sein. Ich habe mich bei ihm bereits avisieren lassen und
werde einige Tage vor der Verhandlung mit ihm sprechen. Er
ist, wie ich erst jetzt erfahren habe, ein Bekannter und Lands
mann meiner Mutter und war ein intimer Freund meines verstorbenen
Onkels. Ich hoffe also, bei ihm etwas durchsetzen zu können.


Hiemit wären Ihre Briefe vom 3. d.M. erledigt
und ich bitte Sie nur noch, Herrn K. meine besten Grüsse zu
bestellen.


Mit herzlichen Grüssen an Sie und in
vorzüglichster Hochachtung
ergebener:
Dr. Turnovsky


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