Sehr geehrter Herr Doktor.
Ich erhielt Ihren frdl. Brief vom 3. d.M.,
sowie die beigeschlossene
Kopie des Briefes vom Prager Tagblatt
vom 26.V. d.J., den an dieses Blatt zu richtenden Brief samt
Durchschlag, sowie den Entwurf einer Klage gegen Dr.
Schwelb, und
den verantwortlichen Redakteur des Prager Tagblatt.
Die Ehrenbeleidigungsklage
gegen die letzt
genannten Personen, über deren Ueberreichung Herr
K. und Sie erwägen,
ist gewiss ganz grossartig verfasst und wenn man damit rechnen
könnte, dass das Gericht über den in der Klage
dargestellten
Sachverhalt
normal und vernünftig erwägen und urteilen wird, so
würde ich unbedingt zur
Ueberreichung dieser Klage raten. Ich
habe aber Bedenken und mit
Rücksicht auf die bisherigen Erfah
rungen hege ich begründeten
Zweifel darüber, dass dies geschehen
wird. Wenn durch das
Verhalten des Dr. Schwelb auch der Anschein
erweckt werden sollte und
musste, dass Dr. Emil Strauss in dem
von Herrn K. gegen ihn angestrengten
Ehrenbeleidigungsprozesse
auf Grund eines durchgeführten Wahrheitsbeweises freigesprochen
worden ist, so ist es doch
sehr zweifelhaft, ob das Gericht in
diesem Verhalten den
Tatbestand der §§ 2 und 3 des
Ehrenschutz-
gesetzes erblicken wird. Wie
bereits wiederholt erwähnt, ist
die formelle Wahrheit der
Prozessberichte, sowie der Berichtigung des
Dr. Schwelb nicht zu widerlegen.
Die Verschleierung
der
materiellen Wahrheit kann dem unvoreingenommenen Leser der
betreffenden Notizen auf
Grund der Darstellung des tatsächli
chen Sachverhaltes wohl zur
Kenntnis gebracht und klargestellt
werden, doch glaube ich
nicht, dass das Gericht trotz der evi
dent vorliegenden
Täuschungsabsicht dafürhalten wird, dass die
betreffenden von Dr. Schwelb inspirierten, resp. verfassten
Berich
te die
Behauptung enthalten haben, es seien ehrenrührige Handlun
gen des Herrn K. bewiesen worden.
Daraus ergibt sich, dass
auch der Redakteur desPrager Tagblatt wegen der Veröffentlichung der
Berichtigung des
Dr. Schwelb mit Aussicht auf Erfolg nicht verfolgt werden
kann.
Die
Inkriminierbarkeit der einleitenden Worte zu der im Namen
des Herrn K. veröffentlichten Erklärung erscheint mir jedoch
– wie ich bereits mitgeteilt
habe – gleichfalls sehr fraglich und
ich bezweifle sehr, dass das
Gericht in der Behauptung, Herr K.
habe die Veröffentlichung
einer Erklärung verlangt, deren In
halt dritten Personen Anlass
zu einer Ehrenbeleidigungsklage
geben könnte, den Tatbestand
des §§ 2 oder 3 des
Ehrenschutzgesetzes erblicken
wird.
Diese pessimistische
Beurteilung der Prozess
aussichten ist – wie ich
glaube – nicht nur durch die Erfahrun
gen begründet, die wir mit
dem Pressesenat des O.G.R. Tisek ge
macht haben, sondern sie
basiert auch auf der Erwägung, dass es
auch einem besseren und
objektiven Senate schwer verständlich
gemacht werden kann, dass
und warum ein Thema / allerdings mit
verschiedenen Variationen /
zum Gegenstand dreier Pressprozesse
gemacht werden soll. /
Hauptprozess, Prozess gegen Dr. Schwelb we
gen der im
Prozessberichte des SOZIALDEMOKRAT
enthaltenen neuen
Beleidigungen und nun der in Aussicht genommene dritte Prozess
gegen Dr. Schwelb und den verantwortlichen Redakteur des Prager-Tagblatt.
/
Wir müssen doch unbedingt
alles vermeiden, was dazu
dienen könnte, die Veroffentlichung neuer skandalöser Nachrich
ten über Herrn K. zu ermöglichen. Die Abweisung einer Presse
klage des Herrn K. mit der Begründung, dass der inkriminierteArtikel keine
Beleidigungen des Privatklägers enthalten
hat,
wäre ein Triumpf,
den wir dem Pressegesindel nicht ermöglichen
dürfen. Ich würde mich trotz
meinem Pessimismus für die Aus
sichten dieses Prozesses
nicht sträuben, die Klage einzubrin
gen, wenn ich annehmen
dürfte, dass dieser Pressprozess rasch
abgewickelt wird und mit
keinem grossen Kostenrisiko verbunden
ist und dass die Gegner
durch ihren Sieg zur Veröffentlichung
von Artikeln provoziert
werden, derentwegen man sie dann packen
und einer exemplarischen
Bestrafung zuführen kann. Dies kann
ich aber leider auf Grund
meiner Kenntnis der Verfahrensmetho
den der hiesigen
Pressesenate nicht annehmen und eben deshalb
ist es mir nicht möglich,
die Ueberreichung dieser neuen Klage
zu empfehlen, trotzdem ich
sie inhaltlich durchaus billige
und hervorragend konzipiert
finde.
Mir erscheint die gegen Dr. Schwelb bereits über-
reichte Klage doch viel
aussichtsreicher und ich glaube nicht,
dass er die Autorschaft zu
dem inkriminierten Artikel
leugnen
wird. Dieser Artikel enthalt die beleidi
gende Behauptung,
Herr K. habe gegen das österreichische
Pro
letariat
und seine heldenhaften Schutzbündler Stellung genommen.
Mit der gleichen
Bestimmtheit kann man wohl nicht sagen, dass
in der Berichtigung des Dr.
Schwelb behauptet worden ist, es
seien ehrenrührige
Handlungen des Herrn K. bewiesen worden.
Deswegen glaube ich, dass
man die von Ihnen
entworfene
Zuschrift an das Prager
Tagblatt absenden soll.
Falls Sie es selbst tun
wollen, dann müsste der erste Satz
entsprechend abgeändert
werden.
Den Antrag nach § 14 des Pressgesetzes habe
ich gestern überreicht.
Ebenso ist die Klage gegen Dr. Schwelb
bereits überreicht worden
und ich erwarte die Ladung zur Ver
gleichstagsatzung für die
nächsten Tage.
Ich brauche wohl nicht zu
erwähnen, dass ich
trotz
allen hier angeführten Erwägungen bereit bin, die von
Ihnen entworfene Klage zu
überreichen und nach besten Kräften
vor Gericht zu vertreten und
dass mich nicht Bequemlichkeit
oder sonstige persönliche Gründe veranlasst haben, dem von
Herrn K. und Ihnen in Aussicht genommenen Prozesse zu
wider-
raten.
Bei dieser Gelegenheit bitte
ich zur Kenntnis
zu nehmen,
dass Herr Dr. Gallia über eine Unterredung mit
dem
Generaladvokaten berichtet, in welcher dieser der Ueberzeugung
Ausdruck verliehen hat, dass
die Nichtigkeitsbeschwerde im Se-
nate mit aller erdenklichen
Gründlichkeit behandelt werden wird.
Er hat versprochen, den
Vorsitzenden des oberstgerichtlichenStrafsenates auf
die Bedeutung des Falles aufmerksam machen zu
wollen. In diesem Berichte urgiert auch Herr Dr. Gallia die Ein
sendung des im
Wiener-Anwaltsblatte zu veröffentlichenden Artikels, der
allerdings nicht erscheinen wird. Herr Dr.
Heitler
hat mir darüber bisher
nichts mitgeteilt, sodass ich nicht in
der Lage bin, Herrn Dr. Gallia die Gründe für die Unterlassung
der Veröffentlichung
bekanntzugeben.
In der Sache Arbeiterzeitung
werde ich mit Herrn
Dr. Liška sprechen. Wie Herr Dr. Gallia mitteilt, hat das BrünnerGericht den vorbereitenden Schriftsatz mit dem Ersuchen an das
Prager-Gericht übersendet, der Prager-Untersuchungsrichter möge
Herrn Fischer über den ganzen Inhalt des vorbereitenden Schriftsatzes,
insbesondere über die Behauptungen auf Seite 31 bis 33
einvernehmen. Ich habe
deswegen Herrn Fischer gebeten, mich so
bals als möglich zu
besuchen, werde seine Aussage mit ihm ein
gehend besprechen und in
tschechischer Sprache niederlegen.
Ueberdies werde ich noch bei
der Einvernahme, die in den näch
sten Tagen stattfinden wird,
zugegen sein.
In der Angelegenheit Melantrich gestatte ich mir
auf Ihre Anfrage folgendes
bekanntzugeben:
Ich habe mit dem Referenten einige Tage vor der
Berufungsverhandlung über
unsere Angelegenheit gesprochen und
hatte den Eindruck, dass er
das Verhalten der Gegenpartei nicht
billigt und das erstinstanzliche Urteil für richtig hält.
Allerdings kennt man sich in
diesem Referenten niemals recht
aus, er ist ein sehr
unangenehmer, zynisch veranlagter Mensch,
mit dem ich keine guten
Erfahrungen habe. Er scheint aber dies
mal wirklich krank geworden
zu sein, weil mir in der Kanzlei ge
sagt wurde, dass er schon
tags vorher gesagt habe, er fühle sich
nicht wohl und werde wohl
zuhause bleiben müssen. Ich glaube
aber, dass sowohl er als
auch das zweite Senatsmitglied dem
Melantrich-Verlag ganz gerne einen kleinen Nasenstüber geben
möchten und halte es für
ziemlich wahrscheinlich, dass sie den
Sachverständigenbeweis
zugelassen haben, um auch auf Grund die
ses Beweises das erste Urteil bestätigen zu können. Der Sach
verständige scheint
mit dem Vorsitzenden des Senates sehr gut
bekannt zu sein und dürfte
eben deshalb von ihm bestellt wor
den sein. Ich habe mich bei
ihm bereits avisieren lassen und
werde einige Tage vor der
Verhandlung mit ihm sprechen. Er
ist, wie ich erst jetzt
erfahren habe, ein Bekannter und Lands
mann meiner Mutter und war ein intimer Freund meines verstorbenen
Onkels. Ich hoffe also, bei ihm etwas durchsetzen zu können.
Hiemit wären Ihre Briefe vom
3. d.M. erledigt
und ich
bitte Sie nur noch, Herrn K. meine besten Grüsse
zu
bestellen.
Mit herzlichen Grüssen an
Sie und in
vorzüglichster
Hochachtung
ergebener:
Dr. Turnovsky