Sehr geehrter Herr Doktor.
Ich bestätige dankend den
Empfang
Ihrer gesch. Zuschrift vom 26. d.M. in Angelegenheit Kraus –
SOZIALDEMOKRAT / Dr. Emil Strauss
/.
Den von meinem Substituten bedingt
abgeschlossenen Vergleich
habe ich fristgemäss widerrufen.
Es wird nunmehr eine neue
Hauptverhandlung angeordnet werden,
bei welcher über den
Vergleich nochmals wird verhandelt werden
können. Mit Rücksicht auf
das sehr gespannte Verhältnis zwi
schen mir und Dr. Schwelb möchte ich mit ihm vorher nicht
gerne
über einen neuen
Vergleich verhandeln, sondern dies erst vor
Gericht tun.
Die von Ihnen vorgeschlagene
Satisfak
tionserklärung wird jedoch sicherlich nicht zu erzielen sein.
Bevor seinerzeit die Klage
überreicht wurde, habe ich mit
Herrn Kraus über ihre Fassung wiederholt
gesprochen und auch
Sie, sehr
geehrter Herr Doktor, haben über die Fassung der
Klage mit Herrn Kraus konferiert und mit mir korrespondiert.
Wir sind damals davon abgekommen,
Dr. Schwelb und Dr. Strauss
deswegen zu belangen, weil der
Prozessbericht so gefasst war,
dass der Leser den Eindruck
gewinnen musste, Dr.
Strauss sei
auf Grund des
durchgeführten Wahrheitsbeweises freigesprochen
worden. Herr Kraus hat erkannt, dass der Wortlaut des inkrimi-
nierten Artikels in diesem Punkte kaum zur Verurteilung
des
verantwortlichen
Redakteurs Anlass bieten könnte, denn es
kann nicht geleugnet werden, dass
Dr. Strauss für
die Behaup
tungen des
inkriminierten Artikels den
Wahrheitsbeweis ange
boten oder, wenn man will, angetreten hat. Auch die Anträge
auf Durchführung des
Wahrheitsbeweises sind bei der Hauptver
handlung, bei welcher der
Freispruch erfolgte, formell wieder
holt worden, d.h. das Gericht hat protokolliert, dass beide
Parteien ihre bereits gestellten
Anträge wiederholen.
Deshalb hat Herr Kraus davon abgesehen,
die Behauptung, resp. die
Darstellung des Freispruches auf
Grund des Wahrheitsbeweises unter Anklage zu stellen und der
Schwerpunkt der Klage war darauf gerichtet, die wiederholte
Behauptung, K.K. habe in der im Juli 1934 erschienenen FACKEL
gegen das österreichische
Proletariat und seine heldenhaften
Schutzbündler Stellung genommen, unter Anklage zu stellen.
Ich habe den von Ihnen
verfassten Zu
satz zu
meinem Entwurfe der Anklage in den Akten und sende
ihn deswegen an Sie ein, weil Sie
aus diesem Zusatze, insbe
sondere aus dem Absatze II.
ersehen, dass die Klage vorwiegend
darauf gerichtet ist, die
Behauptung, der Privatkläger habe
gegen das österreichische
Proletariat und gegen seine Schutz
bündler Stellung genommen, als
beleidigend unter Anklage zu
stellen.
Deshalb wird ein Widerruf
sicherlich
nur insoferne
zu erzielen sein, als er sich auf diese Behaup
tung bezieht. Der Widerruf
der Nachricht über den Freispruch
des Dr. Strauss
auf Grund des erbrachten Wahrheitsbeweises ist
nicht zu erzielen und ich
möchte lieber diesen Widerruf gar
nicht verlangen, um mir kein
Refus zu holen.
Wollen Sie mir bitte
mitteilen, ob Ihnen
folgende
Fassung einer Erklärung annehmbar erscheint:
„Zu dem in der Zeitschrift SOZIALDEMOKRAT vom 16.4.1936
veröffentlichten Artikel ‚Karl Kraus
verliert einen Prozess“
erklären wir, dass wir nicht die Absicht hatten, die belei
digende Behauptung zu
wiederholen, Karl
Kraus habe in der im Juli 1934erschienenen „FACKEL“ gegen das österreichische Proletariat
und seine heldenhaften
Schutzbündler Stellung genommen,
Auch war es nicht unsere Absicht, die Ehre des Privatanklägers,
des Herrn Karl Kraus,
anzugreifen.
Die Redaktion
der Tageszeitung SOZIALDEMOKRAT.“
Ich zeichne mit den besten
Grüssen und
in vorzüglicher Hochachtung
Ihr ergebener:
Dr. Turnovsky
1 Beilage, um deren Retournierung
gebeten wird.