Karl Kraus verliert einen ProzeßDer Sozialdemokrat, 16.4.1936


Sehr geehrter Herr Kollege!


Mit dem besten Dank bestätige ich den
Empfang Ihres freundlichen Schreibens vom 27. August 1937. Ich
stimme Ihrem Bedenken, daß es nicht gelingen werde Herrn
Dr. Schwelb respektive Herrn Dr. Strauß zur Abgabe der von mir
vorgeschlagenen Erklärung zu veranlassen, vollständig bei, und bin
jetzt in der schwierigsten Situation, zu entscheiden, ob man es
lieber auf einen Freispruch ankommen lassen oder die von Ihnen
vorgeschlagene Erklärung annehmen soll. Die Schwierigkeit der
Entscheidung besteht darin, daß uns unter Umständen vorgeworfen
werden könnte, eine Erklärung angenommen zu haben, die keine
vollständige Genugtuung für Herrn K. bedeutet, von den Gegnern
aber sicherlich im Falle meiner Veröffentlichung der ganzen
Sachverhalte ausgenutzt würde. Wenn ich die niederträchtige
Haltung der Sozialdemokratie einmal darzustellen haben werde,
wird von der Gegenseite auf die Tatsache hingewiesen werden,
daß ich eben dann eine solche Erklärung nicht annehmen hätte
dürfen. Die Klage enthält übrigens auch zum Nachweis der Be
leidigungsabsicht einen Hinweis auf das Bestreben des Bericht
erstatters, den Anschein zu erwecken, es sei nach einem durch
geführten Wahrheitsbeweis ein „vollinhaltlicher“ Freispruch des
verantwortlichen Redakteurs erfolgt, während in Wirklichkeit
der Angeklagte aus dem Wahrheitsbeweis, den er durch zwei Jahre
zu führen versprach und groß ankündigte, geflohen ist und es
vorzog, die Hilfe des rein formalen § 18 des Ehrenschutzgesetzes
in Anspruch zu nehmen. Auch ist die beleidigende Behauptung,
Karl Kraus habe in der im Juli 1934 erschienenen Fackel gegen
das österreichische Proletariat und seine heldenhaften Schutz
bündler Stellung genommen, keine Wiederholung einer früheren
Behauptung sondern eine neu aufgestellte.


Vielleicht könnte man die Gegenseite dazu
veranlassen, doch zu erklären, daß der Freispruch nicht auf Grund
des durchgeführten Wahrheitsbeweises erfolgt ist, ohne daß sie
bedauern müßte, einen solchen Anschein erweckt zu haben.


Ich würde also die folgende Erklärung vor
schlagen:


„Zu dem in der Zeitschrift ‚Sozialdemokrat‘vom 16.IV.1936 veröffentlichten Artikel ‚Karl Kraus verlierteinen Prozeß‘ erklären wir, daß der Freispruch des verantwortlichen Redakteurs unserer Zeitung nicht auf Grund eines
durchgeführten Wahrheitsbeweises erfolgt ist, ferner daß
wir nicht behaupten können, Karl Kraus habe in der im Juli1934 erschienenen Fackel gegen das österreichische Proletariat
und seine heldenhaften Schutzbündler Stellung genommen. Es
lag nicht in unserer Absicht, die Ehre des Privatanklägers,
des Herrn Karl Kraus, anzugreifen.“


Da ich mich bei der Entscheidung also sehr
unsicher fühle, übertrage ich sie Ihnen und bitte Sie also, zu
bedenken, ob es nicht zweckmäßiger ist, es auf den Freispruch
ankommen zu lassen und, wie Sie selbst sagen, die geringfügigen
Kosten zu bezahlen, als eine ungenügende Ehrenerklärung anzu
nehmen.


Mit den besten Grüßen und vorzüglicher
kollegialer Hochachtung bin ich


Ihr ergebener


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