Sehr geehrter Herr Kollege!
Mit dem besten Dank bestätige
ich den
Empfang Ihres
freundlichen Schreibens vom 27. August 1937. Ich
stimme Ihrem Bedenken, daß es
nicht gelingen werde Herrn
Dr. Schwelb respektive Herrn Dr. Strauß zur
Abgabe der von mir
vorgeschlagenen Erklärung zu veranlassen, vollständig bei, und bin
jetzt in der schwierigsten
Situation, zu entscheiden, ob man es
lieber auf einen Freispruch
ankommen lassen oder die von Ihnen
vorgeschlagene Erklärung annehmen soll. Die Schwierigkeit der
Entscheidung besteht darin, daß
uns unter Umständen vorgeworfen
werden könnte, eine Erklärung angenommen zu haben, die keine
vollständige Genugtuung für Herrn K. bedeutet, von den Gegnern
aber sicherlich im Falle meiner
Veröffentlichung der ganzen
Sachverhalte ausgenutzt würde. Wenn ich die niederträchtige
Haltung der Sozialdemokratie
einmal darzustellen haben werde,
wird von der Gegenseite auf die Tatsache hingewiesen werden,
daß ich eben dann eine solche
Erklärung nicht annehmen hätte
dürfen. Die Klage enthält übrigens auch zum
Nachweis der Be
leidigungsabsicht einen Hinweis auf das Bestreben des Bericht
erstatters, den Anschein zu
erwecken, es sei nach einem durch
geführten Wahrheitsbeweis ein
„vollinhaltlicher“ Freispruch des
verantwortlichen
Redakteurs erfolgt, während in Wirklichkeit
der Angeklagte aus dem
Wahrheitsbeweis, den er durch zwei Jahre
zu führen versprach und groß
ankündigte, geflohen ist und es
vorzog, die Hilfe des rein formalen § 18 des
Ehrenschutzgesetzes
in Anspruch zu nehmen. Auch ist
die beleidigende Behauptung,
Karl Kraus habe in
der im Juli
1934 erschienenen Fackel gegen
das österreichische Proletariat
und seine heldenhaften Schutz
bündler Stellung genommen, keine
Wiederholung einer früheren
Behauptung sondern eine neu aufgestellte.
Vielleicht könnte man die
Gegenseite dazu
veranlassen, doch zu
erklären, daß der Freispruch nicht auf Grund
des durchgeführten
Wahrheitsbeweises erfolgt ist, ohne daß sie
bedauern müßte, einen
solchen Anschein erweckt zu haben.
Ich würde also die folgende
Erklärung vor
schlagen:
„Zu dem in der Zeitschrift ‚Sozialdemokrat‘vom 16.IV.1936
veröffentlichten Artikel ‚Karl Kraus
verlierteinen Prozeß‘
erklären wir, daß der Freispruch des verantwortlichen Redakteurs unserer Zeitung
nicht auf Grund eines
durchgeführten Wahrheitsbeweises erfolgt ist, ferner daß
wir nicht behaupten können, Karl Kraus habe in
der im
Juli1934 erschienenen
Fackel gegen das österreichische Proletariat
und seine heldenhaften
Schutzbündler Stellung genommen. Es
lag nicht in unserer Absicht, die
Ehre des Privatanklägers,
des
Herrn Karl Kraus,
anzugreifen.“
Da ich mich bei der
Entscheidung also sehr
unsicher fühle, übertrage ich sie Ihnen und bitte Sie also, zu
bedenken, ob es nicht
zweckmäßiger ist, es auf den Freispruch
ankommen zu lassen und, wie
Sie selbst sagen, die geringfügigen
Kosten zu bezahlen, als eine
ungenügende Ehrenerklärung anzu
nehmen.
Mit den besten Grüßen und
vorzüglicher
kollegialer
Hochachtung bin ich
Ihr ergebener
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