Sehr geehrter Herr Doktor!


In der Disziplinarangelegenheit, die gegen mich
auf Einschreiten des Dr. Schwelb wegen der gegen ihn überreich
ten Klage anhängig ist, habe ich szt. eine Aeusserung überreicht,
die ich Ihnen, sehr geehrter Herr Doktor, in Abschrift eingesen
det habe. Damals habe ich angenommen, dass auf Grund dieser
Aeusserung das Verfahren eingestellt wird. Der Disziplinarrat
hat jedoch die Angelegenheit weiter behandelt und mich heute
zur Aeusserung darüber aufgefordert, ob ich die Presseklage ge
gen Dr. Schwelb über Auftrag des Herrn Karl Kraus oder aus eige
nem Antriebe überreicht habe. Ich habe wie folgt geantwortet:


„In den Angelegenheiten des Herrn Karl Kraus habe ich nie
mals Klagen aus eigenem Antriebe, sondern stets über Weisung die
ses Klienten überreicht. Da es sich immer um Angelegenheiten ge
handelt hat, die mit Rücksicht auf die Person des Herrn Karl Kraus
von besonderer Bedeutung waren und Gegenstand öffentlicher Diskus
sionen bildeten, habe ich mich nicht nur mit dem Auftrage mei
nes Klienten begnügt, sondern diesem stets Entwürfe aller Klagen,
Schriftsätze, Eingaben und Korrespondenzen vorgelegt, welche erst
dann überreicht oder expediert wurden, wenn Herr Karl Kraus den
Inhalt dieser Entwürfe genehmigt hat.


Den Auftrag zur Ueberreichung der Presseklage G.Z. Tk
XIX 4930/36 habe ich von Herrn Karl Kraus persönlich erhalten


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und mit ihn über diese Angelegenheit zuerst in Prag direkt ver
handelt. Auf Grund dieser Rücksprachen habe ich dann den Entwurf
der Klage verfasst und Herrn Karl Kraus zu Handen seines Wiener
Rechtsanwaltes des Herrn Dr. Oskar Samek, Rechtsanwalt Wien XIV.,Reindorfgasse 18, eingesendet. Mit Brief vom 23.V.1936 hat mir
Herr Dr. Samek über Auftrag des Herrn Karl Kraus den Entwurf derKlage retourniert und auf einem separaten Blatte jene Punkte ver
zeichnet, deren Abänderung Herr Karl Kraus gewünscht hat. Das be
treffende Blatt mit den Abänderungsanträgen des Herrn Karl Kraus
schliesse ich bei, bin jedoch nicht in der Lage dem Wunsche des
Disziplinarrates nachzukommen, ich möge auch die Korrespondenz
vorlegen, da diese auch privaten Inhalt hat, zu dessen Publikation
ich nicht ermächtigt bin. Für den Fall, dass der Disziplinarrat die
Beglaubigung dieser meiner Erklärung wünscht, kann er eine Anfra
ge an Herrn Dr. Oskar Samek, Rechtsanwalt in Wien, richten.“


Ich habe diese Aeusserung deswegen abgegeben, da ich kei
ne Lust habe, unsere Korrespondenz vorzulegen und der Ansicht bin,
dass die Herren vom Disziplinarrat nicht so neugierig sein müssen.
Abgesehen davon wurde gerade damals, wie Sie noch wissen werden,
über den Fall des § 18 korrespondiert und auch die beim OberstenGericht in Brünn unternommenen Schritte in dieser Korrespondenz
erörtert.


Ich habe Ihnen, sehr geehrter Herr Doktor, von dieser
Aeusserung Mitteilung gemacht, weil es nicht ausgeschlossen ist,
dass der Disziplinarrat tatsächlich eine Anfrage an Sie richtet.
Mir liegt ja nichts an diesem Disziplinarverfahren und ich halte
es für ausgeschlossen, dass ich verurteilt werde. Sollte der Aus
schuss wirklich so töricht sein, mich zu verurteilen, dann werde
ich mich natürlich an das Oberste Gericht wenden.


Ich zeichne mit den besten Grüssen und vorzüglicher Hochach
tung


Ihr ergebener
Dr. Turnovsky